Die israelische Blockade zwingt die BewohnerInnen des Gazastreifens seit bald drei Jahren zu elendsten Lebensbedingungen. Die Hamas-Regierung hat angesichts dessen den Waffenstillstand aufgekündigt. Die israelische Außenministerin sagt dann allen Ernstes „Genug ist genug“ und die westlichen Medien plappern das wieder mal nach.
Israel hat den Gazastreifen in ein riesiges Freiluftgefängnis verwandelt. Die 1,5 Millionen EinwohnerInnen leben zusammengepfercht in einem Gebiet, das kleiner als Wien ist. Der Gazastreifen ist rundherum von Israel kontrolliert und ständig von Militärschlägen bedroht. Seit nahezu drei Jahren blockiert Israel das Gebiet und verhindert die Zufuhr von diversen Gütern des täglichen Bedarfs. Mittlerweile sind etwa 3/4 der Bevölkerung unterernährt. Die Infrastruktur ist in katastrophalem Zustand. Das einzige Kraftwerk von Gaza wurde durch israelische Luftangriffe zerstört, die Ölvorräte sind am Ende. Die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind außer Funktion.
Trotz all dem hat die Hamas-Regierung im Juni einen Waffenstillstand ausgerufen. Nachdem sich dadurch nichts Wesentliches geändert hat, wurden am 19. Dezember die Raketenangriffe gegen Israel wieder aufgenommen. Durch die selbstgebauten Hamas-Raketen wurde freilich vor dem jetzigen Angriff der israelischen Luftwaffe niemand in Israel getötet. Trotzdem versucht die israelische Propaganda die massiven Angriffe Israels auf Gaza als „Vergeltung“ hinzustellen. Tatsächlich sind die Raketenangriffe der Palästinenser/innen oftmals Verzweiflungsakte gegen den systematischen Staatsterror der israelischen Armee.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass Tausende palästinensische Gefangene (Männer, Frauen und Kinder) in israelischen Gefängnissen, oft ohne Prozess, festgehalten werden; sie wurden von der israelischen Besetzungsmacht verschleppt. Der Versuch der westlichen Propaganda, Angriffe der Palästinenser/innen als kriminelle Akte hinzustellen und die viel massiveren Attacken der israelischen Armee und Luftwaffe als eine Art von notwendigen Polizeimaßnahmen zu legitimieren, ist eine völlig inakzeptable Heuchelei. Der Kern dieser Propaganda ist ein Kolonialrassismus, nämlich die Logik, dass quasi einem unmündigen, primitiven und aufmüpfigen Volk von der überlegenen Militärgewalt eines „zivilisierten“ Landes Disziplin und Unterwerfung eingebläut werden muss.
Pervers wird diese rassistische Heuchelei, wenn die Israel-Fans im Westen den zionistischen Staat als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ preisen und die selbstgerechten Regierungen in Washington, London und Berlin von Demokratisierung der Region schwätzen. Wenn die palästinensische Bevölkerung dann demokratisch ihre Regierung wählt, sie aber dem israelischen Staat und seinen imperialistischen Hintermännern nicht passt, dann ist von Demokratie schon weniger die Rede – und soll die Hamas hinweggebombt werden. Im Westjordanland hat dieser Putsch bereits funktioniert, jetzt versucht man es in Gaza.
Die weitgehende Parteinahme der angeblich so demokratischen und „freien“ westlichen Medien für Israel steht auch ganz grundsätzlich selbst mit bürgerlich-demokratischen Prinzipien in Widerspruch. Die zionistische Besiedlung stützte sich auf Landraub, Kolonialisierung und Vertreibung. Der UN-Teilungsplan von 1947, der der jüdischen Bevölkerungsminderheit in Palästina (35%) ohnehin 54% des Territoriums zusprach, wurde von der zionistischen Führung nicht akzeptiert. Stattdessen wurden 1948/49 und 1967 immer weitere Gebiete Palästinas und Syriens erobert, die arabische Bevölkerung durch gezielten Terror vertrieben, ihre Existenzgrundlagen vernichtet, um eine Rückkehr auszuschließen.
Über Jahrzehnte lebten die verbliebenen Palästinenser/innen in einem zerstückelten Land, durchzogen von israelischen Militäreinrichtungen und militarisierten zionistischen Siedlungen, die den Großteil der Wasservorkommen okkupieren, und permanenten Übergriffen durch die Besatzungsarmee ausgesetzt; wer sich dagegen wehrt, wird von den proimperialistischen Ignorant/inn/en in den Redaktionsstuben der „freien Medien“ als Terrorist diffamiert – und von der israelischen Regierung taxfrei zur Ermordung durch Armee und Geheimdienste ausgeschrieben. Die offizielle Praxis der „gezielten Tötungen“ durch die israelische Führung ist dem westlichen Establishment und seinen Schreiberlingen kaum Aufmerksamkeit wert.
Das ist natürlich kein Zufall. Die Funktion Israels und des zionistischen Projektes für den Imperialismus ist seit vielen Jahrzehnten die eines politischen und militärischen Brückenkopfes zur Beherrschung der ökonomisch so wichtigen Region des Nahen und Mittleren Ostens. Israel stellt auch für die jüdische Bevölkerung eine Sackgasse dar, die aufgrund des strukturellen Gegensatzes zu den Nachbarstaaten zu einer gefährlichen Falle werden kann. Genau dieser Umstand macht Israel für den Imperialismus zu einem so verlässlichen Instrument. Angesichts der feindlichen Umwelt ist der zionistische Staat von der finanziellen, ökonomischen, militärischen und politischen Unterstützung der USA abhängig und gezwungen weiter als dessen Juniorpartner zu agieren. In der Folge blockieren die USA jede Verurteilung Israels und sind aus der EU höchstens lahme Worte der Mäßigung an „beide Seiten“ zu hören.
Die israelische Führung will freilich keinen Kompromiss, sondern einen Siegfrieden, eine Befriedung der arabischen Bevölkerung durch Unterwerfung. Ihre Ziele sind die Schwächung der Hamas-Regierung und grundlegend die Durchsetzung der einseitigen Teilung Palästinas nach dem Motto des Kriegsverbrechers Ariel Sharon „Unwichtiges abgeben, um Wichtiges zu behalten“. Konkret sollen Teile des Westjordanlandes, Ostjerusalem und der Golan annektiert werden (wohl verbunden mit weiteren ethnischen Säuberungen); für die Palästinenser/innen ist ein Leben in wirtschaftlich und militärisch dem israelischen Staat ausgelieferten Ghettos vorgesehen (und wenn ein Ghetto wie der Gaza-Streifen aufmuckt, dann muss es zur Räson gebracht werden).
Für die aktuellen israelischen Militärschläge, durch die bereits hundert Menschen ermordet wurden, spielen wohl auch die bevorstehenden Wahlen in Israel eine Rolle. Sämtliche zionistische Parteien überbieten sich mit starken Sprüchen gegen die Hamas. Jetzt wollen Außenministerin Livni (Kadima-Partei) und Ehud Barak (Arbeitspartei, die Mitglied der Sozialistischen Internationale ist!) offenbar mit verbrecherischen Taten zeigen, dass sie es ernst meinen, und so der extremen Rechten das Wasser abgraben.
Die Hamas entstand als militärischer Arm des Gaza-Zweigs der islamistischen Moslembruderschaft, die zuvor mit sozialer Wohltätigkeit, aber auch israelischer Unterstützung (zwecks Brechung der PLO-Hegemonie), vor Allem im Gazastreifen unter den PalästinenserInnen Masseneinfluss gewinnen konnte. Der Aufstieg der Hamas zu einem bedeutenden Faktor ging mit der zweiten Intifada ab 2000 einher; die war Ausdruck der politischen Kapitulation und der Korruption der PLO. Die Rolle der Hamas ist eine zweischneidige: Einerseits ist sie als islamistische Organisation der geschworene Todfeind der organisierten ArbeiterInnenbewegung, andererseits erscheint sie vielen PalästinenserInnen als die konsequenteste Kämpferin gegen das Besatzungsregime.
Als MarxistInnen lehnen wir eine islamistisch-bürgerliche Strömung wie die Hamas grundlegend ab. Aber wir verteidigen die demokratische Entscheidung der palästinensischen Bevölkerung, ihre Regierung selbst zu wählen. Und wir sind solidarisch mit dem Widerstand der BewohnerInnen von Gaza und den anderen palästinensischen Gebieten gegen die israelischen Aggressionskriege.
Die militärische Überlegenheit des zionistischen Staates ist gigantisch, doch auch im Libanon musste die israelische Militärmaschinerie eine demütigende Niederlage hinnehmen. Die Situation für die VerteidigerInnen von Gaza ist sicher noch schwieriger, aber dennoch ist ein politischer Sieg Israels nicht garantiert. Auch internationale Faktoren spielen in diesem Kampf eine Rolle. Deshalb ist die Verurteilung der israelischen Aggressionspolitik durch die internationale ArbeiterInnenbewegung wichtig.
Die europäische Solidarität mit Gaza muss sich von jeder Gleichsetzung der israelischen Politik mit „den Juden“, die sowohl von AntisemitInnen als auch von ZionistInnen betrieben wird, distanzieren. Sie muss gleichzeitig in ihrem Kampf gegen die israelischen Militärschläge, die Blockade und die Besatzungspolitik eindeutig sein. Sie muss sich klar gegen die fortgesetzte zionistische Okkupations- und Vertreibungspolitik stellen.
Einen Ausweg aus der verfahrenen Situation sehen wir letztlich nur in einem gemeinsamen Kampf der jüdischen und arabischen Lohnabhängigen im gesamten Gebiet des historischen Palästina. Nur die wenigsten jüdischen ArbeiterInnen sind gegenwärtig zu einer Solidarität mit ihren unterdrückten Klassenbrüdern und –schwestern bereit. Die Finanzkrise hat aber immerhin das Potential, soziale Konflikte innerhalb der israelischen Gesellschaft zuzuspitzen und den zionistischen nationalen Schulterschluss aufzubrechen. Auf den Trümmern der kapitalistischen Ausbeutungsordnung kann perspektivisch in Palästina/Israel eine binationale sozialistische Republik entstehen, die beiden Volksgruppen gleiche Rechte garantiert.
Hier möchten wir noch auf unsere Broschüre "Marxistische Positionen zum „Nahost“–Konflikt" von November 2006 hinweisen, die über unseren Webshop bestellt werden kann.