Bilanz des bundesweiten Schulstreiks

Mitte November haben in 44 deutschen Städten bis zu 100.000 SchülerInnen gegen die Bildungsmisere gestreikt. Wir dokumentieren hier die Bilanz des Streiks durch die unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION, mit der wir zusammenarbeiten

 

Das war der Schulstreik…

…und nun?

Eine Bilanz des bundesweiten Schulstreiks am 12. November

Am 12. November sind bis zu 100.000 SchülerInnen in 44 Städten bundesweit in den Streik getreten. Viele von ihnen fragen sich, wie es mit den Protesten gegen die Bildungsmisere in der BRD weitergeht. Um die Frage zu beantworten, müssen wir die bisherigen Proteste auswerten. Diesen Text haben wir verfasst, um Anstöße für die Diskussion zu geben. Er richtet sich an junge AktivistInnen, die den Streik mitorganisiert haben. Der Text widerspiegelt in erster Linie unsere subjektiven Erfahrungen als politische Jugendgruppe, aber aus diesen Erfahrungen haben wir einige Schlussfolgerungen gezogen, die für eine breitere Bewegung nützlich sein könnten.

Die Proteste…

Rückblickend kann man die Zahlen des Schulstreiks auf zweierlei Weisen betrachten. Auf der einen Seite ist es ein absoluter Erfolg, dass eine sechsstellige Zahl von SchülerInnen auf der Straße war. Das stellt einen Riesensprung dar, im Vergleich zum letzten bundesweiten Schulstreik am 12. Juli, als etwa 30.000 SchülerInnen in einem Dutzend Städten protestierten.

Insgesamt waren über 40 Städte dabei. Während die Demonstrationen in Städten wie Braunschweig mit 10.000 zu den absolut beeindruckendsten des Tages gehörten, haben gerade jene in großen Städte wie Berlin (8.000) eher enttäuscht, die relativ gesehen deutlich kleiner waren. Allerdings ist es erfreulich, dass es selbst in kleine Städten, von denen der Durchschnittsmensch noch nie gehört hat (Niebüll z.B.), auch Streiks gab – und die mit respektablem Erfolg.

Der 12. November bedeutete allerdings nicht nur demonstrieren, er steht auch für radikale Protestformen, wie Schulbesetzungen mit Alternativunterricht, durchbrechen von Bannmeilen rund um Parlamente und die berühmt-berüchtigte Stürmung der HU Berlin. Hier ist also nicht nur ein quantitativer sondern auch ein qualitativer Fortschritt bei den Protesten festzustellen.

In Dresden musste die Polizei die kurzweilige „Besetzung“ des Landtagsvorplatzes zulassen, obwohl er eigentlich Demo-freie-Zone ist. In Frankfurt wurde durch die SchülerInnen der Campus der dortigen FH gestürmt. Zusammen mit den sich solidarisierenden Studierenden wurden, frei nach dem Motto „Mensa für alle und zwar umsonst!“, die Regale der Mensa geräumt und kostenlos verteilt. In Oldenburg kam es zu einer Schulbesetzung mit alternativem Unterricht („Workshops zu Themen wie Sexismus, Schulpolitik, Migration, Castor etc aber auch Praktisches wie Zirkus, Zeichnen, Türkisch), die allerdings am selben Tag wieder abgebrochen wurde.

Unterm Strich bleibt hier, dass sich in einigen Städten die SchülerInnen mehr als nur angemeldete Demos trauen, um sich gegen das System aufzulehnen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Diese symbolischen Aktionen reichen noch lange nicht aus, um etwas am Bildungssystem in diesem Land zu verändern. Sie zeigen aber, dass der Unmut größer wird.

…und der Sturm der HU…

Auch in Berlin gab es mit der Stürmung der HU eine aus dem legalen Rahmen fallende Protestform. Es liegt an der medialen Situation Berlins (und an den Folgen der Aktion), dass die Geschehnisse an der Universität trotz ihrer Kürze (das Ganze dauerte höchstens eine halbe Stunde!) tagelange Aufmerksamkeit in den Medien erregte.

Doch was ist nun eigentlich passiert? Geplant war von einer an der HU ansässigen Gruppe, dass man die Uni betreten wollte, um Studierende aufzufordern am Streik teilzunehmen und sich zu solidarisieren. Doch als diese Gruppe die Uni betrat, folgten SchülerInnen und es entwickelte sich eine Eigendynamik, die darin mündete, dass schließlich mehr als 1.000 SchülerInnen das Foyer und einen Saal im ersten Stock betraten. Nach kurzer Zeit wehten erfreulicherweise die ersten roten Fahnen vom Balkon.

Dabei wurde die Ausstellung „Verraten und Verkauft“, eine Ausstellung über die Enteignung von jüdischen Unternehmen und Geschäften in der NS-Zeit, beschädigt. Eins ist dazu absolut klar: Es war keine geplante Aktion und vor allem keine zielgerichtete Aktion gegen die Ausstellung. Das ein Streik von mehreren tausend SchülerInnen über Monate nur mobilisiert wird, um dann eine Ausstellung zu zerstören – das ist absurd.

Deutlich schwerer festzustellen ist allerdings, inwiefern die Zerstörungen zielgerichtet waren. Viele Zerstörungen werden dadurch angerichtet worden sein, dass in kürzester Zeit mehr als 1.000 SchülerInnen das Foyer durch eine kleine Tür stürmten. Vor allem bei einer derart unkoordinierten Aktion gehen dabei Dinge zu Bruch. Ausschließen kann man die zielgerichtete Zerstörung nicht – nicht einmal einen antisemitischen Hintergrund kann man völlig ausschließen. Wie auch? Allerdings ist es genauso Spekulation, von einer zielgerichteten antisemitischen Aktion fest auszugehen. Fakt ist, dass es viele Personen gab, die sofort versuchten, die Ausstellung wieder herzurichten. Von AntisemitInnen muss man sich distanzieren – und das SchülerInnenbündnis hat das sofort gemacht – doch von wem sollen wir uns distanzieren, wenn es keine konkreten Hinweise gibt?

Die Debatte, ob es nun AntisemitInnen waren oder nicht, ist rein spekulativ, damit sollten wir uns nicht aufhalten und schon gar nicht unsere politische Arbeit im Bildungsbereich behindern lassen. Dann fallen wir genau auf die Taktik rein, die die bürgerliche Presse verfolgt, um die Schulstreiks zu diskreditieren.

…und die Hetze in den Medien…

Diese versuchte sich diesmal in Diffamierungen und Verleumdungen zu überbieten, dass man als TeilnehmerIn fast nur noch lachen konnte. Witzig ist hier besonders das Video von Spiegel TV, in dem komischerweise nur die SchülerInnen gezeigt wurden, deren Antwort, warum sie denn beim Streik sind, nicht so redegewandt ausfielen. AktivistInnen von REVOLUTION konnten beobachten, wie sehr intelligente und durchdachte Antworten gegeben wurden, die im Video dann allerdings nicht zu sehen waren.

Auch zu den Zerstörungen bog es sich der Spiegel zurecht, wie es gerade passte. Als das Bildmaterial zum ersten Mal gezeigt wurde, wurde über die SchülerInnen, die die brennende Klopapierrolle austraten und die Ausstellung notdürftig wieder herstellten, noch gesagt, dass Feuer gelegt und die Ausstellung „zerstört“ wurde (sic!). Zu dem gleichen Bildmaterial sagte dann Spiegel TV auf RTL, dass es StudentInnen gewesen wären, die Feuer austreten und die Ausstellung reparieren würden! Es bleiben aber SchülerInnen – egal, was der Spiegel da gerne hätte.

Ein besonderes Beispiel des Zynismus war die rechtskonservative Zeitung „Die Welt“. Während schon tagelang auf das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen!“ Hetze regnete, sprach sie davon, dass bei einer Zerstörung einer jüdischen Ausstellung durch Rechte die Aufregung größer gewesen wäre – als ob sowas noch nie passiert sei! Besonders pikant: Genau das ist ein paar Tage vorher in Moers passiert: Nazis stahlen eine Ausstellung über Judenverfolgung, und die mediale Resonanz beschränkte sich auf die linke Internet-Plattform Indymedia.

In ihrem Wunsch, die Proteste durch die Taten Einzelner delegitimieren zu können, versteigen sich einige sogar in Nazivergleiche. Menschen wie der Präsident der HU setzen die (ungeplante, undurchdachte, kurze und relativ opferlose) Aktion der HU mit den Pogromen gegen Juden während der Nazizeit gleich, als ob die gezielte Verfolgung durch SA/SS auch nur im Entferntesten damit gleichzusetzen wäre. Abgesehen von der Verharmlosung der Judenverfolgung im Dritten Reich, ist das schlicht ekelhafte Hetze.

…und die Repression…

Die Schulbehörden und die Polizei antworteten auf die Streiks mit Repressionsmaßnahmen aller Art. Streikwillige SchülerInnen wurden mit Fehltagen, Tadel oder sogar 6er für den Tag bedroht – in manchen Schulen haben SchulleiterInnen die Türen abgeschlossen, obwohl das ganz klar gegen die Brandschutz-Verordnung verstößt. Sie argumentieren, dass SchülerInnen kein Streikrecht hätten, was unter JuristInnen umstritten ist. Unumstritten ist die Tatsache, dass ArbeiterInnen auch nicht immer ein Streikrecht hatten – sie haben es durch die Organisierung von Streiks erkämpft!

Die Polizei ging äußerst brutal vor, um Jugendliche von der Ausübung ihres Rechts auf Protest abzuschrecken. Studierende in Hannover und Dresden wurden angegriffen, als sie sich den Landtagen näherten. Die Abschlusskundgebung des Streiks in Berlin wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst – die Linkspartei in Berlin trägt, als Teil der Regierung, politische Verantwortung für die Übergriffe auf demonstrierende SchülerInnen, die teilweise nur 11 Jahre alt waren. Möglicherweise haben die Herrschenden Angst, dass dieser Schulstreik ein Funke sein könnte, der einen viel größeren Brand beginnt. Deswegen die vielen Einschüchterungsversuche: jetzt fahndet die Berliner Kripo in Schulen nach den angeblichen RandaliererInnen von der HU!

…die die Linkspartei mitträgt…

Die Linkspartei hat sich sehr widersprüchlich verhalten. Scheinbar jede Parteigliederung, scheinbar jedes Dorfratsmitglied musste mit einer eigenen Pressemitteilung die Solidarität mit den SchülerInnenprotesten bekunden. Selbst die „GenossInnen“, die im „Rot-Roten“ Senat sitzen, drückten ihr Wohlwollen aus. Das bringen wirklich nur die RegierungssozialistInnen fertig: sich mit Protesten solidarisch zu erklären, die gegen sie selbst gerichtet sind! Denn die Berliner Linkspartei bildet seit sechs Jahren Teil einer Regierung, die Millionen bei den SchülerInnen und LehrerInnen spart: durch die Einführung von Büchergeld, der Zusammenlegung von Schulen usw. Sie machen die gleiche Politik wie die CDU in anderen Bundesländern – aber im Gegensatz zu den Konservativen tut es ihnen aufrichtig leid und sie haben echtes Verständnis für die Proteste. Trotzdem haben sie wieder die Bullen auf protestierende SchülerInnen losgelassen.

Auch die Jugendgliederungen der Linkspartei hätten engagierter sein können. Die Linksjugend-Solid hat sich in vielen Städten am Streik beteiligt, aber der Verband hat sich kaum um die ganze Bewegung gekümmert. Auch die Linke.SDS verhielt sich zurückhaltend – angeblich weil die Streiks nur von „ExtremistInnen“ getragen wurden. Nach dem Erfolg des Schulstreiks hat der Linkspartei-Studierendenverband jetzt beschlossen, einen „Bildungsstreik 2009“ zu pushen, was zu begrüßen ist.

…sowie Solidarität mit ArbeiterInnen…

SchülerInnen sind nicht die Einzigen, die von der Sparpolitik betroffen sind, und deswegen dürfen diese SchülerInnenproteste nicht isoliert bleiben. Wenn LehrerInnen, die genauso die Misere des Bildungssystems am eigenen Leib spüren, ebenfalls in den Streik treten, können ganze Schulen geschlossen auf die Straße gehen – so zum Beispiel beim Beethoven-Gymnasium in Berlin-Steglitz, die von der GEW und den SchülerInnen komplett bestreikt wurde.

Gleichzeitig mit dem Schulstreik lief auch der Tarifkampf in der Metallbranche: über eine halbe Million MetallerInnen beteiligten sich an Warnstreiks und zeigten, dass sie die Industrie zum Stillstand bringen können. Auch wenn die Führung der IG Metall den Tarifkampf mit einem faulen Kompromiss beendete (ausgerechnet am Tag des Schulstreiks!) bleibt es beeindruckend, wie viel Kraft die ArbeiterInnenklasse hat, wenn sie quasi nichts macht: das bedeutet nämlich, dass die Fließbänder still stehen und Millionenverluste entstehen. Der Druck, der damit auf die Herrschenden ausgeübt wird, ist damit um ein vielfaches größer als bei einem Schulstreik, wo ein Tag lang die Schule leer steht.

Es muss ein Ziel der Bildungsproteste sein, eine gemeinsame Protestbewegung von SchülerInnen und ArbeiterInnen zu schaffen – nicht nur durch den Austausch von Solidaritätserklärungen. Wir wollen mehr als nur leere Worte von GewerkschaftsfunktionärInnen und SchülerInnenvertretungen, wir wollen die permanente Zusammenarbeit zwischen SchülerInnen und LehrerInnen direkt in den Klassen.

…und Solidarität mit Studierenden…

In Berlin waren, wie auch beim letzten Schulstreik im Mai, kaum Studierende auf der Straße. Es darf nicht übersehen werden, dass sich die Berliner Studierendenschaft in einem generellen Zustand politischer Apathie befand und befindet. Aber darüber hinaus wurden Lehren aus der mehr oder weniger erfolgslosen Last-Minute-Mobilisierung zum letzten „Bildungsstreik“ gezogen und diesmal viel effektiver an den Universitäten geworden.

In Berlin gab es besondere Plakate und Aufrufe, die direkt an die Studierenden gerichtet waren und auch von der Landes-ASten-Konferenz unterstützt wurden. Allerdings waren auch dieses Mal die Plakate erst eine Woche vor dem Streik verfügbar und wurden vielerorts erst einen oder zwei Tage vor der Demonstration überhaupt verklebt. Dies führte wieder dazu, dass der Streik den wenigsten Studierenden überhaupt bekannt war. Zudem gab es, wie schon im Mai, eine enorme Verwirrung über den Charakter des Streiks, weil sich das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen!“ dazu entschieden hatte, wieder mit dem Label „Schulstreik“ zu agieren und somit die Studierenden zu bloßen „UnterstützerInnen“ degradierte.

Die Einbindung von Studierenden in den Schulstreik blieb oft nur ein bloßes Lippenbekenntnis. Es wurde versäumt, die Belange von Studierenden jenseits einzelner Forderungen stärker in den Streik zu integrieren. Dass dies auch anders sein kann, zeigte sich beispielsweise in Dresden, wo über 6.000 Studierende auf der Straße waren. Sicher tragen die Studierenden selbst einen großen Teil der Schuld, dass solche Verhältnisse nicht in Berlin entstehen konnten, weil sie oftmals allzu bereitwillig die „Augen zu und durch“-Taktik anwenden, wenn es um ihr Studium geht. Aber gerade deshalb muss es die Aufgabe eines Streikbündnisses sein, die Studierenden aus dieser Apathie herauszuholen. Deswegen sind für zukünftige Streiks besondere Strukturen an den Unis von großer Bedeutung.

…um eine Bewegung zu schaffen?

So beeindruckend die Zahlen vom 12. November auch sind, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass wir von einer Schulstreikbewegung, die diesen Namen auch verdient, noch weit entfernt sind. Leider nur in wenigen Städten haben sich SchülerInnenstrukturen gebildet, die über den Streik hinaus aktiv geworden sind. Die Selbstorganisierung der SchülerInnen steckt noch in den Kinderschuhen, weswegen viele Schulstreikbündnisse als Anhängsel von verschiedenen linken Gruppen funktionieren. Berlin ist das schlimmste Beispiel in dieser Hinsicht, wo ältere CheckerInnen die meisten SchülerInnen vertrieben haben.

Wenn wir eine Bewegung wollen, brauchen wir nicht nur große Events – es könnten 100 Milliarden SchülerInnen demonstrieren, aber was bringt das, wenn sie am nächsten Tag wieder brav zur Schule gehen? Alle StreikaktivistInnen sollten sich deswegen in nächster Zeit intensiviert dem Aufbau von Basisstrukturen an den Schulen selbst widmen, denn ohne solche Strukturen bleiben wir leider bei unregelmäßigen Events. Eine Bewegung wird nur dann entstehen, wenn wir Ansätze für dauerhafte Strukturen schaffen: nicht nur Streikkomitees, die ein paar Wochen lang vor dem Streik aktiv sind, sondern Politik-AGs und ähnlichen Basisstrukturen, mit der Perspektive einer SchülerInnengewerkschaft oder -organisation.

Die unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION hat, mit ihren sehr geringen Ressourcen, die Proteste in einer Reihe von Städten mitorganisiert oder -initiiert: in Berlin, Kiel, Dresden, Potsdam und Bernau. Dabei legten wir besonderen Wert auf die Solidarität zwischen Schulstreiks und ArbeiterInnenprotesten. So waren wir die einzige Organisation im Schulstreikbündnis in Berlin, die die Streiks im öffentlichen Dienst besuchte, um für einen gemeinsamen Streik von ArbeiterInnen und SchülerInnen zu werben. Wir sind uns aber im Klaren darüber, dass es letztendlich nur zur einer wirklich kämpferischen Verbindung zwischen Lohnabhängigen und SchülerInnen kommen wird, wenn revolutionäre AktivistInnen nicht nur in den Schulen, sondern vor allem auch in den Betrieben verankert sind und von dort aus Druck auf die Gewerkschaften ausüben können.

Gerade als unabhängige Jugendorganisation traten wir dafür ein, Streikbündnisse zu gründen, die aus aktiven SchülerInnen bestehen, und die Rolle von linken „Berufsjugendlichen“ – die über 40 sein können – in solchen Bündnissen zu reduzieren.

Antikapitalismus?

An den Demos, besonders in Berlin, gab es viele antikapitalistischen Parolen. Doch nicht nur rechte MedienvertreterInnen meinten, dass dieser Antikapitalismus aufgesetzt wirkte – auch politisch aktive SchülerInnen meinten: „es sollte um Schule gehen und stattdessen gab es nur ‚a- anti- anticapitalista’“. Auf der einen Seite machten unendlich viele Schilder auf den Widerspruch aufmerksam, dass Milliarden für die Rettung von Banken zur Verfügung gestellt werden, während für die Bildung angeblich kein Geld da sei. Dies zeigt schon ein Bewusstsein über gesellschaftliche Fragen bei vielen SchülerInnen. Auf der anderen Seite gab es tatsächlich von den vielen linken Gruppen Phrasen über „Kapitalismus abschaffen!“, ohne dass viel dahinter steckte.

Dabei sind Schule und Kapitalismus nicht voneinander zu trennen: das Schulsystem ist immer nur ein Ausdruck des jeweiligen Gesellschaftssystems. Der Kapitalismus ist auf die Profitmaximierung ausgerichtet, weswegen die Schule im Kapitalismus neben einer kleinen Elite auch eine große Masse an gehorsamen ArbeiterInnen ausbilden soll. Deswegen wird es in diesem System nie gute und freie Bildung für alle geben. Die Herrschenden werden ein Bildungssystem, das auf ihre Profitmaximierung zugeschnitten ist, nie freiwillig ändern lassen. SchülerInnen müssen selbst die Kontrolle über das Bildungssystem erkämpfen, um Verbesserungen durchzusetzen.

Um eine solche antikapitalistische Perspektive in die SchülerInnenschaft hineinzutragen, muss mehr getan werden, als 100.000 mal „anticapitalista“ zu rufen. Forderungen mit einer Dynamik, die über das kapitalistische Gesellschaftssystem hinausgehen, sind hierfür zentral. Das bedeutet in erster Linie, dass wir die Kontrolle der SchülerInnen über den gesamten Schulbetrieb fordern – nicht nur in Form von individuell „selbstbestimmtem Lernen“, sondern in Form von SchülerInnenkomitees, die über den Alltag in der Schule bestimmen. Darüber hinaus muss eine revolutionäre (Jugend-)Organisation aufgebaut werden, die systematisch eine solche Perspektive in die Schulstreiks hineintragen kann.

Wie weiter?

Nun stellt sich die Frage, wie es mit den SchülerInnenprotesten weitergehen soll. Die Proteste werden nicht einfach aufwärts gehen (nach dem Motto erst 100.000, dann eine Million, dann sechs Milliarden). Wirkliche Bewegungen gehen sprunghaft rauf- und runter.

Jetzt gibt es mehrere Vorschläge für weitere Proteste: eine bundesweite Demo gegen Bildungs- und Sozialabbau im Februar oder ein bundesweiter Bildungsstreik im Mai. Beide Initiativen sind unterstützenswert, weil sie auf die Verbindung mit ArbeiterInnen bzw. Studierenden zielen. Wichtig ist, dass solche bundesweite Initiativen mit dem Aufbau von demokratischen Strukturen in den Schulen und Universitäten verbunden werden, damit die Protestierenden nicht nur zu den Events hinkommen, sondern selbst den weiteren Verlauf der Proteste kontrollieren.

Egal ob wir nach Italien, Griechenland, Spanien oder Irland schauen, sehen wir Bildungsproteste, die sich gegen den neoliberalen Umbau des Bildungssystems in der EU richten. Diese Proteste haben dann Erfolg, wenn es ihnen gelingt, sich mit den LehrerInnen und der ArbeiterInnenbewegung insgesamt zu verbinden. Die Schulstreiks in Deutschland könnten Teil von einer europäischen- und weltweiten Bewegung gegen Bildungsabbau werden. Doch die Voraussetzung hierfür ist, dass wir uns organisieren und gemeinsame Proteste mit der ArbeiterInnenbewegung erkämpfen. Aus diesen beiden Faktoren entsteht die Kraft, mit der wir nicht nur das Schulssystem verändern können.

 

//an diesem Papier arbeiteten Wladek, Evey, Stefan, Stefan und Alex (Revo Berlin) mit  // REVOLUTION Nr. 32

 

Berlin: eine verpasste Chance

Eher zufällig ergab sich in Berlin eine Gelegenheit für einen gemeinsamen Streik von SchülerInnen und LehrerInnen, weil die Beschäftigten im öffentlichen Dienst Berlins in der gleichen Woche in den Streik getreten sind. Die GEW-Führung hatte sich im Vorfeld gegen eine gemeinsame Demonstration ausgesprochen – mit Verweis auf die „zu weitgehenden Forderungen“ der SchülerInnen. Doch dieser Vorschlag blieb sehr populär an der GEW-Basis. Das große Problem war, dass nicht nur die GEW und ver.di, sondern auch die so genannte „Gewerkschaft der Polizei“ die Streiks im öffentlichen Dienst organisierten. Aus unserer Sicht ist der Bullenverein „GdP“ gar keine Gewerkschaft, weil Bullen unter anderem auch mit der Niederhaltung der ArbeiterInnenbewegung beschäftigt sind. Entsprechend reaktionär sind die Forderungen ihrer politischen Vertretung: bessere Aufrüstung für PolizistInnen, „freie Hand“ gegen DemonstrantInnen, Abschiebung von „kriminellen“ Jugendlichen ohne deutsche Staatsbürgerschaft usw.

Alle im Berliner Schulstreikbündnis waren sich einig, dass mensch eine gemeinsame Demonstration mit der GEW und keine gemeinsame Demonstration mit der GdP wollte. Die Forderung an die GEW, dass sie mit uns und nicht mit der GdP demonstrieren sollte, wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Die Frage war dann, wie mit dieser Situation umzugehen sei. Manche im Bündnis (SAV, SDAJ und die meisten SchülerInnen) wollten eine gemeinsame Kundgebung mit den Gewerkschaften und der „GdP“; andere (ARAB, AIR, GAM und LSV e.V., von denen sich ohnehin viele gegen jegliche gemeinsame Demonstration mit Gewerkschaften ausgesprochen hatten) waren mit Verweis auf die GdP gegen jegliche gemeinsame Kundgebung. Wir von REVOLUTION haben eine Zwischenposition eingenommen, die mit einer 2/3-Mehrheit vom Bündnis angenommen wurde: wir sollten eine gemeinsame Demonstration mit der GEW machen und jegliche direkte Zusammenarbeit mit der GdP ablehnen, auch wenn wir auf einer Kundgebung mit ihnen gewesen wären; dafür sollten wir uns im Vorfeld mit einer Erklärung auf der Bündnisseite und einem Redebeitrag direkt auf der Kundgebung unsere ablehnende Haltung zur GdP erklären. Dieser Beschluss wurde vom SchülerInnenbündnis angenommen, doch dann aus „technischen“ Gründen nicht umgesetzt. So gab es kein Aufeinandertreffen der beiden Demos.

Die Ergebnisse dieser Politik sprechen für sich: in Berlin gab es keine gemeinsame Demonstration mit den streikenden LehrerInnen, aber auch keine öffentliche Distanzierung des SchülerInnenbündnis von der GdP. AktivistInnen von REVOLUTION haben eine solche Distanzierung fürs Bündnis entworfen, aber das erübrigte sich, weil es ohnehin keine gemeinsame Kundgebung gab. So können wir nicht mal behaupten, alle streikenden SchülerInnen mobilisiert zu haben, weil etwa 500 auf der GEW-Kundgebung und nicht mit uns waren. Die selbsternannten „Linken“ im Bündnis meinen, dass sie damit der GEW-Führung als „SpalterInnen“, die nicht mit SchülerInnen gemeinsam demonstrieren wollten, entlarvt hätten. In Wirklichkeit haben vielleicht eine Handvoll GEW-FunktionärInnen von der Bündnisposition überhaupt erst erfahren. Mit unserem, vom Bündnis beschlossenen Vorschlag hätten wir vor 5.000-10.000 GewerkschafterInnen erklären können, warum Bullen grundsätzlich nicht in der ArbeiterInnenbewegung aktiv sein sollen. Aber genau diese Auseinandersetzung in den Gewerkschaften ist von den „Linken“ leider nicht gewollt. Denn hinter dieser Position steckt ein Verständnis von Gewerkschaften, das in unseren Augen falsch ist. Die Autonomen im Bündnis meinten, man sollte nur dann mit Gewerkschaften demonstrieren, wenn sie die gleichen Forderungen vertreten würden. (Bemerkenswert: das gleiche Argument wie von der GEW-Bürokratie!) Wir lehnen die bürokratischen Führungen der Gewerkschaften ab, doch wir wollen systematisch an deren Basis herankommen – wir wollen gemeinsame Demonstrationen mit ihnen, damit wir politische Konflikte in ihre Reihen hineintragen können. Gerade eine gemeinsame Demonstration mit der GEW wäre für uns eine Gelegenheit gewesen, um unsere Kritik an die GEW-Führung direkt an die LehrerInnen zu tragen und auch davon zu warnen, dass sich diese Führung auf einen schlechten Kompromiss einlassen würde. (Letztendlich ist an dem Tag des Schulstreiks bekannt geworden, dass die Gewerkschaftsspitzen in Berlin genau das getan hatten.) Wenn die radikale Linke sich mit Verweis auf die unzureichenden Forderungen oder reaktionären BündnispartnerInnen der Gewerkschaften von ihnen fern hält, dann überlässt sie die Masse der ArbeiterInnen völlig der Gewerkschaftsbürokratie. Mensch meint, da besonders rrrrrevolutionär und prinzipienfest gewesen zu sein, aber in Wirklichkeit hat mensch sich selbst isoliert und den BürokratInnen einen riesigen Gefallen getan.