Impressionen aus der Wiener UEFA-Fanzone

Liebe LeserInnen! Zu Beginn ein kleines Rätsel: Um was handelt es sich bei folgender Beschreibung? Es ist von Mauern und Zäunen umschlossen, es gibt dort kein Recht auf freie Meinungsäußerung, riesige Propagandashows werden inszeniert, zensierte TV-Bilder werden ausgestrahlt, es gibt keine Auswahl an Produkten verschiedener Marken sondern nur Einheitsprodukte zu von oben fest gesetzten Preisen. DDR? Nordkorea? Nein! Es handelt sich um die UEFA Euro 2008 Fanzone. Die offizielle Jubelmeile zur Männerfußball-EM 2008 in Österreich und der Schweiz scheint alle Klischees der bürgerlichen Medien über den "Sozialismus" aufzuweisen.

Wir erlaubten uns einen kleinen Lokalaugenschein in der Wiener "Fan"zone (die wir im Folgenden mit Anführungszeichen versehen werden, da es hier nicht um selbstorganisierte Fankultur, sondern um Fußball-Kommerz geht). Mit der, mit Österreich-Fähnchen samt Kronenzeitungs-Logo beflaggten, Straßenbahn geht es also in die Innenstadt. An den Eingängen wird gleich einmal ordentlich kontrolliert – nicht von "Securities", sondern von so genannten "Stewards". Nicht erlaubt sind neben solch gefährlichen Gegenständen wie Mini-Regenschirmen (in vielen Fußballstadien erlaubt, aber so sind die Leute halt auf die ausgeteilten lächerlichen ORF-Werbeflächen-Regenmäntel angewiesen) oder 0,5-Liter-Tetrapacks auch "Propaganda" – was auch immer das jetzt sein soll. Auch verboten ist Werbung, was allerdings eher seltsam erscheint, wenn man/frau sich in der "Fan"zone ein wenig umschaut. Genauer gesagt kann man/frau dort eigentlich nirgendwo hinschauen, ohne Werbung im Sichtfeld zu haben.

In der "Fan"zone dann eher gähnende Leere, vor allem am Ring und am Heldenplatz, dessen Grünflächen großzügig mit Holzschnitzel ausgestreut sind. Dieses "Katzenstreu" soll wohl verhindern, dass nach dem Event, ähnlich wie bei der Berliner "Fan"meile zur WM 2006 in Deutschland, 1,5 Meter tief Erdreich abgetragen werden muss, weil betrunkene Fans die Toilette nicht finden. Dies kann bei unserem Lokalaugenschein aber eher nicht passieren. Obwohl massiv dafür geworben wird, schon früh in die "Fan"zone zu kommen (sie öffnet um 9:00 Uhr!) sind hier vormittags mehr aufpassende "Stewards" unterwegs als BesucherInnen. Komisch eigentlich, wir rechneten doch mit mehr Leuten, die um 9:30 Uhr in die "Fan"zone frühstücken gehen…

Fürstlich speisen lässt es sich schließlich in dieser Meile, die vom optischen Flair her irgendwo zwischen Landwirtschaftsmesse, Feuerwehrfest (ohne Sitzgelegenheiten) und Rockfestival (ohne gute Bands) angesiedelt ist. Wobei sich das Adelsprädikat in erste Linie auf die Preise der Speisen und Getränke bezieht: Ein Döner Kebab und dazu ein halber Liter Carlsberg-Bier – und schon sind 9,5 Euro weg. Mehr als die ArbeiterInnen an den Gastro-Ständen in der Stunde verdienen (die sich dank UEFA-Knebelverträgen übrigens nicht einmal Getränke selber mitnehmen dürfen!). Sofern sie überhaupt noch etwas verdienen, schließlich wurden etliche der versprochenen "EM-Jobs" bereits wieder gecancelt, da der Andrang in der "Fan"zone dann doch nicht so groß war, wie erwartet. 20 der 86 Wirte der Wiener "Fan"meile haben vorzeitig aufgegeben, einige wollen nun angeblich die Stadt Wien auf Schadensersatz klagen – damit am Ende noch mehr Steuergeld für die "Euro" rausgeworfen wird.

Aber, werden jetzt vielleicht einige einwenden, niemand wird dazu gezwungen in die Fanzone zu gehen. Stimmt! Wer allerdings aufmerksam durch die Stadt spaziert, wird schnell bemerken, dass auch die umliegenden Gastro-Betriebe ihre Preise ordentlich "nachjustiert" haben. Apropos durch die Stadt spazieren: Das ist für viele Frauen momentan nicht gerade eben angenehm. Eine RSO-Aktivistin wurde an einem einzigen Tag in der Innenstadt fünf Mal von verschiedenen ekeligen Patrioten massiv verbal sexuell belästigt. Ist das die tolle "friedliche" EM-Stimmung, die uns ORF & Kronen Zeitung tagtäglich präsentieren wollen?

Wer casht ab?

Wie wir bereits berichtet haben (Artikel "Scheiss EM 2008"), wird die Wiener "Fan"meile acht Millionen Euro kosten und ein Verlustgeschäft (!) für die Stadtregierung sein ("Wiener Zeitung" vom 15.01.08). Aber wenn weder Wirte noch Stadtverwaltung profitieren, wer casht dann groß ab? Zum einen ist es die UEFA, die mit der "Euro" geschätzte 700 Millionen (!) Gewinn machen wird ("Die Presse", 06.06). Als in der Schweiz ansässiger Verein steuerfrei, versteht sich. Angeblich sollen aus den Gewinnen "Entwicklungsprojekte" in allen 53 UEFA-Mitgliedsstaaten finanziert werden, doch die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass hier hauptsächlich der Spitzensport und nicht der Breitensport (und wenn, dann in erster Linie für Männer) gefördert wird. Zum anderen werden die EM-Sponsoren gehörig abkassieren. Beispielsweise der dänische Bierproduzent Carlsberg, dessen Gebräu richtig umweltschonend importiert werden und dann in den "Fan"zonen und bei EM-Wirten mit übergroßen Leinwänden zu Wucherpreisen exklusiv ausgeschenkt werden muss. An diesen Beispielen zeigt sich, dass die EM eine gigantische Umverteilungsaktion ist, bei der aus dem, heutzutage großteils nur mehr aus Massensteuern finanzierten Budget, Millionen entwendet werden, um für die "Euro" jene Infrastruktur bereit zu stellen, auf deren Grundlage einige Konzerne das große Geld machen können.

Diktiert werden von der UEFA übrigens auch die Bedingungen für die TV-Übertragungen des Events. So dürfen die Rundfunkanstalten gewisse Bilder rund um die "Euro" nicht übertragen (Der Standard online, http://derstandard.at/?id=3376949). Szenen mit bengalischen Feuern im Stadion oder einem Flitzer während des Spiels Österreich gegen Kroatien wurden den FernsehzuschauerInnen so etwa vorenthalten. Schade eigentlich, denn das wäre möglicherweise noch amüsanter gewesen, als die stümperhaften Versuche der österreichischen Spieler, das Runde ins Eckige zu befördern. Auch Fan-Ausschreitungen – die es bisher zahlreich gab – dürfen nicht gezeigt werden.

Wer den Party-Patriotismus abfeiert, darf sich über Ausschreitungen nicht wundern…

Diese Ausschreitungen sind letztendlich Resultat der aufgeheizten nationalistischen Stimmung während der EM, die Medien wie der ORF, der mit 7. Juni von der dezenten zur rabiaten "Euro"-Propaganda übergegangen war, stets als eine Art "Party-Patriotismus" abfeiern. Doch Partys, bei denen, wie in der Wiener "Fan"Zone miterlebt, türkischstämmige BesucherInnen lautstark mit "Ihr seid nur ein Dönerlieferant"-Gesängen begrüßt werden haben doch einen eher schalen Beigeschmack…

Nicht nur auf den Stammtischen des Landes ist plötzlich von "Polanskis" (Österreich, 13.06.) oder "Piefke" die Rede wenn es um Polen oder Deutsche geht, auch die Massenmedien bedienen sich dieser abwertenden Sprache. Rassistische Schlagzeilen wie "Podolski putzt die Polski" (Bild, 09.06.) oder "Kroaten schießen Piefke ab" (Österreich, 13.06.) durchzogen bislang die EM-Berichterstattung. In Österreich wurden vor allem Ressentiments gegenüber den Deutschen geschürt, Ressentiments, die hierzulande bekanntlich alle politischen Couleurs von fast ganz links bis fast ganz rechts vereinen. So erklärte uns beispielsweise die Zeitung Österreich (15.06.) weshalb Deutsche "einfach lächerlich" sind anhand von "20 Gründen warum Deutsche Piefkes bleiben". Und der sonst eher mäßig erfolgreiche Starmania-Finalist Mario Lang, der sich ansonsten mit Auftritten beim Wiener "Mistfest" (sic!) oder in der ORF-Doku-Soap "Das Match" (eine Beschäftigungstherapie für B- und C-Promis) über Wasser hält, veröffentlichte kurz vor dem Match Österreich gegen Deutschland den Song "Schießt die Deutschen raus!" Tja, mit Deutschen-Bashing lässt sich hierzulande eben immer gut Geld machen bzw. Aufmerksamkeit erhaschen.

Natürlich, ein Großteil der Fans blieb bisher trotzdem friedlich und feierte mitunter auch nationenübergreifend. Doch tat man/frau dies stets gerade eben auf Basis künstlich konstruierter, nationaler (Schein-) Identitäten. Anders kann wohl "Völkerverbindung" heutzutage nicht mehr gedacht werden. Herrlich auch für die Herrschenden der teilnehmenden Länder, für die der nationale Freudentaumel eine willkommene Ablenkung von der realen sozialen Lage des Großteils der hier Feiernden darstellt. Ein solches nationales "Wir"-Gefühl ist heutzutage ohnehin immer schwerer herstellbar, da kommt eine EM oder WM alle paar Jahre ganz recht. In Österreich zum Beispiel findet momentan einer der schlimmsten neoliberalen Angriffe auf das staatliche Gesundheitssystem seit Jahren statt (Ein ausführlicher Artikel dazu findet sich hier hier), doch das scheint bei aller "EUROphorie" an der öffentlichen Wahrnehmung vorbeizugehen.

Dass aber Fußball oder Sport im Allgemeinen auch ganz anders aussehen kann, zeigt die Geschichte. Nur die wenigsten wissen beispielsweise, dass die Austragungsstätte des EM-Finales, das heutige Wiener Ernst Happel Stadion, 1931 anlässlich der zweiten "Arbeiter-Olympiade", an der 25.000 SportlerInnen teilnahmen, eingeweiht wurde. Bei der Eröffnungsfeier zogen Delegationen aus 27 Ländern ohne Nationalflaggen und Nationaltrikots ein. Doch die Zeiten, in denen der Sport auch Wettkämpfe kannte, die tatsächlich von einer solidarischen und völkerverbindenden Atmosphäre geprägt waren, wie die riesigen Sportveranstaltungen der ArbeiterInnensportbewegung in der Zwischenkriegszeit, sind leider längst vorüber. Höchste Zeit sich dafür zu organisieren, dass es einmal wieder anders wird, oder?