Nach den Thesen zur aktuellen politischen Lage in Deutschland veröffentlichen wir hier nun das zweite, auf der jüngsten Konferenz der RSO beschlosse Thesenpapier, welches eine Einschätzung der politischen Situation Österreichs im Jahr 2008 liefert.
Zur aktuellen politischen Lage in Österreich
Thesen der RSO
Wirtschaftliche Entwicklung
1. Die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs war im letzten Jahrzehnt für das Kapital durchaus erfreulich. Wachstumsraten von durchschnittlich 2,6 % von 1997 – 2007 (mit Ausreißern nach unten in den Jahren 2001 und 2002 mit 0,8 bzw. 0,9 %) stimmen das Kapital zufrieden. Zum Vergleich: im selben Zeitraum betrug das Wachstum der EU-15 2,52 %, jenes Deutschlands 1,67 % (die USA schnitten mit 3,33 % deutlich besser ab als die EU-15). Österreichs Wirtschaftswachstum verlief von 2000 bis 2002 etwas unter dem Wachstum der EU-15, 2003 und 2004 etwa im Gleichklang, seitdem sind die Wachstumszahlen deutlich über denen der EU-15. (2005: EU-15 1,6 % zu Österreich 2,0 %, 2006: 2,8 % zu 3,3 %, 2007: 2,7 % zu 3,4 %). Auch im Vergleich zu den EU-27 (2005: 1,8 %, 2006: 3,0 %, 2007: 3,1 %) ist die Bilanz positiv.
2. Die Kursrückgänge der im österreichischen Börsenindex ATX notierten Unternehmen, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 begannen, sind neben der internationalen Entwicklung, also den Ausläufern der US-Immobilienkrise, auch unter dem Licht der hohen Zuwächse in den Jahren davor zu sehen (2003: +34,4 %; 2004: +57,4 %; 2005: +50,8 %, 2006: +21,7 %). 2007 war durch den Kursverfall ab Juli 2007 nur ein Plus von 1,1 % zu verzeichnen. Insgesamt aber stieg der ATX zwischen Anfang Jänner 2003 und Ende Jänner 2008 – also bereits inclusive der Abwertungen durch die US-Immobilienkrise – um 234,07 %. Letztlich aber handelt es sich bei Börsenwerten primär um Buchwerte, die erst dann schlagend werden, wenn die Gewinne realisiert werden wollen, ein Massenverkauf von Aktien ist derzeit für den österreichischen Markt allerdings nicht absehbar. Dennoch kann ein längerfristiger Stopp der Zuwächse die Flucht des Kapitals in andere Anlageformen bedeuten, was wiederum den Druck auf die Lohnabhängigen, vor allem in Hinblick auf die nächsten Lohnrunden, deutlich erhöhen wird, da die Unternehmen mit gesunkenen Gewinnen und Angst vor Investitionsstopps argumentieren werden – und dabei die vorangegangen Gewinne "vergessen".
3. Für Unternehmen herrschen in Österreich ausgezeichnete Zustände. Durch die Senkung der Körperschaftsteuer von 34 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2005 wurde Österreich für InvestorInnen noch interessanter. Im Vergleich mit anderen EU-Ländern kann Österreich mit einem der niedrigsten effektiven Steuersätze für Unternehmen und Vermögen aufwarten. Österreich hat nach Tschechien in der EU die niedrigsten Einnahmen aus der Vermögenssteuer, gerade einmal 1,3 % der staatlichen Gesamteinnahmen kamen 2006 aus diesem Titel (zum Vergleich: USA: 11,3 %)
4. Das Niveau der Industrieproduktivität ist in Österreich hoch. Die Industrie konnte in den vergangenen Jahren im Vergleich der EU-15 die zweithöchsten Produktivitätsgewinne erzielen. In den Jahren von 1994 auf 2004 erhöhte sich die Stundenproduktivität um insgesamt 54,1 Prozent, damit liegt Österreich deutlich vor führenden Industrienationen wie Frankreich, Deutschland, Japan, den USA oder Großbritannien. Entgegen den oft gehörten Klagen der Industriellenvereinigung sind die etwas höheren Arbeitskosten in Österreich (Innerhalb der EU-15 lag Österreich im Mittelfeld, ist jedoch deutlich günstiger als etwa Deutschland) nur im Einklang mit den enormen Produktivitätszuwächse zu sehen. So sind zum Beispiel im Zeitraum von 1994 auf 2004 die Lohnstückkosten in Österreich um mehr als 19 Prozent gefallen. Insgesamt nimmt also die Produktivität schneller zu als die Arbeitskosten. Mit seinem Rückgang der für den Gewinn der Unternehmen entscheidenden Lohnstückkosten (also der Lohnkosten pro hergestellter Produktionseinheit) liegt Österreich im internationalen Vergleich hinter Japan und Irland an dritter Stelle, vor den großen Wirtschaftsmächten Deutschland, Frankreich und USA. Auch bei einem Vergleich der internationalen Produktivität – Bruttoinlandsprodukt pro Beschäftigter/m – schneidet Österreich sehr gut ab. Im Ranking des World Competitiveness Yearbook 2005 liegt Österreich auf dem 8. Platz, mit einem Stundenoutput pro MitarbeiterIn von 39,22 US$, vor Deutschland (Platz 11), Großbritannien (Platz 16) und Japan (Platz 19).
5. Besonders profitiert das österreichische Kapital von seinen Investitionen in den MOEL/CEE-Raum (Mittel- und Osteuropäische Länder / Central and Eastern Europe). Österreich hält bei Investitionen den ersten Platz in Bosnien, Kroatien, Bulgarien und Slowenien, den zweiten Platz in Rumänien, den dritten Platz in der Slowakei, Serbien, Ungarn, Tschechien und der Ukraine sowie den fünften Platz in Polen (Stand Oktober 2006). Speziell im Bankensektor (Erste, Raiffeisen bzw. die ehemals österreichischen Banken Bank Austria und BAWAG), im Telekommunikationswesen (Telekom/A1), im Einzelhandel (Baumax, Kika/Leiner), im Bauwesen (Strabag) und im Ölsektor (OMV) spielen österreichische Konzerne eine wesentliche Rolle. Geographisch ist die Stellung des österreichischen Kapitals vor allem in den Ländern des Westbalkans (ehemaliges Jugoslawien) sowie in den ehemaligen Kronländern der Monarchie stark. Insgesamt konnte das österreichische Kapital in den MOEL in den vergangen Jahren große Profite lukrieren. Diese Entwicklung wird sich mit den Auswirkungen der EU-Osterweiterung (und der anstehenden Aufnahme weiterer Westbalkanstaaten, vor allem Kroatiens), dem Wegfall der Schengengrenze und der Ausweitung der Eurozone fortsetzen.
6. Diese enormen Profite haben potentielle soziale Spannungen in Österreich minimiert und werden dies auch künftig tun. Hilfreich dabei ist, dass jene Branchen, in denen Österreichs Konzerne in den MOEL investieren, tendenziell solche sind, wo in den MOEL neue Märkte erobert wurden (z.B. Dienstleistung, Bau, Raffinerien), weniger aber solche, wo breit Produktion verlagert wird (also klassische Industrieproduktion). Dennoch gibt es sehr wohl in größerem Ausmaß Standortverlagerungen bzw. die Drohung damit, um so Löhne und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern (Allerdings ist der Prozess der Standortverlagerungen vor allem in arbeitsintensiven Niedriglohnbranchen bereits seit einigen Jahren sehr weit fortgeschritten, größere Verlagerungen sind kaum noch zu erwarten. In Hinkunft könnte es aber Auslagerungen in kleinerem Ausmaß etwa bei EDV- oder Buchungssystemen geben). Auf einer anderen Ebene wird sich der Lohndruck allerdings mit der Reisefreiheit von ArbeitnehmerInnen aus den MOEL fortsetzen, die in verschiedenen Bereichen durch ihre niedrige Bezahlung die Reallöhne drücken könnten. Die Antwort darauf und auf die rassistischen Ressentiments gegen diese KollegInnen kann nur der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnenklasse für einen EU-weiten Mindestlohn sein.
Militarisierung und Aufrüstung nach Innen
7. Militärisch bindet sich Österreich immer deutlicher in die EU-Bündnissysteme ein. Strategisch setzen die Eliten in Österreich und der Mehrheit der EU-Staaten nicht mehr auf die NATO, sondern auf den Aufbau eigenständig interventionsfähiger Truppen, die auch ohne US-Unterstützung oder auch im Gegensatz zu US-Interessen agieren können (auf zweiteres bereiten sich EU-StrategInnen langfristig vor). Das geht mit einer Umstrukturierung der österreichischen Streitkräfte von einer Territorialverteidigungsarmee hin zu einer Interventionstruppe einher. Auch der Ankauf der Eurofighter ist vorwiegend unter diesem Gesichtspunkt zu sehen (Der österreichische Streitkräftekommandant Höfler meint, der Einsatzradius für Eurofighter seien der Westbalkan bis hinunter nach Afrika, der Nahe Osten und der Kaukasus). Entgegen dem weit verbreiteten Mythos der österreichischen Neutralität ist Österreich voll in die militärischen Komponenten der EU-Politik eingebunden und nimmt etwa auch an den Battle Groups ("Schlachtgruppen") der EU, einer Truppe, die binnen 10 Tagen rund 22.000 SoldatInnen für "Kriseneinsätze" bereitstellen kann, mit einem eigenen Kontingent teil (zusätzlich hat die EU bereits jetzt als einsatzbereit erklärte 60.000 SoldatInnen für Auslandsinterventionen zur Verfügung). Insgesamt sind derzeit gleichzeitig ca. 1300 österreichische SoldatInnen im Auslandseinsatz, womit Österreich in Relation zur Bevölkerung deutlich mehr SoldatInnen im Auslandseinsatz hat als Deutschland mit rund 6.000. 900 österreichische SoldatInnen sind am Westbalkan stationiert, wo Österreich militärisch eine führende Rolle einnimmt, 400 auf den Golanhöhen/Syrien. Zu diesen kamen zu Beginn des Jahres 2008 ca. 160 SoldatInnen für einen Einsatz im Tschad, wo eine EU-Truppe die französischen Interessen im Land und der Region gegen verschiedene RebellInnengruppen, die im Konflikt mit der von Frankreich gestützten Diktatur im Land liegen, verteidigt. Bei diesem Einsatz könnten auch erstmals nach dem 2. Weltkrieg in verhältnismäßig relevantem Ausmaß österreichische SoldatInnen an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen. Der Einsatz ist – auch wenn er unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe geführt wird – in Österreich nicht sehr populär, tote SoldatInnen oder andere wesentliche Ereignisse könnten hier zu einer kleineren Anti-Kriegs-Stimmung führen. Insgesamt wird es in den nächsten Jahren in Einklang mit der EU und den Bestimmungen der EU-Verfassung deutliche Aufrüstungsschritte in Österreich geben. Das Budget des Bundesheeres belief sich 2007 auf ca. 0,8 Prozent des BIP (2,25 Milliarden Euro). Hinzu kommen allerdings außertürliche Mehrausgaben, die nicht im regulären Heeresbudget aufgeführt sind, vor allem die Eurofighter, die in den nächsten Jahren rund 4,5 Milliarden kosten werden (womit einer der 15 Vögel rund 300 Millionen Euro schwer ist). Die Bundesreformkommission geht davon aus, dass das Heeresbudget in Zukunft zwischen 1,11 und 1,18 Prozent betragen sollte, was einen enormen Anstieg von bis zu 40% bedeutet.
8. Einhergehend mit einer Aufrüstung nach Außen gibt es eine solche auch nach Innen. Die Fußball-EM 2008, die einen nationalistischen Schub bedeuten kann, sollte das österreichische Team entgegen realistischen Erwartungen zumindest geringe Erfolge erzielen, ist hier ein Schubkraftverstärker. Hooligan-Datenbanken und die Möglichkeit, "bekannte Gewalttäter" ohne irgendein aktuelles Verschulden bereits vorsorglich in Gewahrsam zu nehmen, sind Möglichkeiten, die die Polizei in Hinkunft auch gerne gegen politische AktivistInnen einsetzen würde. Noch ist das gemäß Sicherheitspolizeigesetz nicht möglich, doch sind Gesetze einmal in Grundzügen verabschiedet, sind Änderungen weit einfacher durchzubringen. Hinzukommen ausgebaute Möglichkeiten der Handy- und Internetüberwachung, sogar ohne richterliche Genehmigung. Der "Kampf gegen den Terror" schafft so die Grundlage zur Durchsetzung all dessen, wovon das "Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" träumt.
Ökologie
9. Ökologische Themen nehmen in der öffentlichen Wahrnehmung nach einem ersten Schub Mitte der 80er Jahre (Waldsterben, Atomkraft), der auch zur Entstehung der Grün-Parteien in Europa führte, wieder einen größeren Stellenwert ein. Vor allem der Klimawandel, aber auch Transitfragen (Tirol) oder die Feinstaubbelastung (Graz), beschäftigen viele Menschen. Der Kapitalismus ist hier dabei, dem Planeten und der Menschheit irreparable Schäden zuzufügen. Gleichzeitig wird der Klimawandel durch nachhaltige Schäden und damit verbundenen Zusatzkosten auch vermehrt zum Problem des Kapitals. Österreich ist etwa von der Erfüllung der "Kyoto-Ziele" zur Reduktion des CO2-Ausstoßes weit entfernt (zwischen 2008 und 2012 sollte der CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 13 % sinken, tatsächlich steigt er an). Bis zu drei Milliarden Euro werden deshalb für Strafzertifikate ab 2012 fällig. Diese Strafzertifikate werden dann allerdings von der öffentlichen Hand finanziert, also von den SteuerzahlerInnen. Der Ausbau der Infrastruktur erfolgt weiterhin nach den Interessen der Straßen-, Frächter- und Autolobby anstatt nach sinnvollen Gegebenheiten. So fehlen etwa im Ballungsraum Wien/Bratislava fast 20 Jahre nach dem Fall des Stalinismus immer noch wesentliche Zugsverbindungen. Entgegen den ökologischen und humanen Bedürfnissen werden Privatisierungen und Ausgliederungen bei ÖBB und öffentlichem Verkehr Preiserhöhungen und weggesparte Verbindungen bedeuten. Der Bereich ökologischer Fragen gehört zu jenen, wo sehr unmittelbar klar wird, wie sehr die Interessen des Kapitals jenen der überwiegenden Teile der Menschheit widersprechen. Auch in der Politisierung von Menschen werden umweltpolitische Themen einen größeren Stellenwert einnehmen.
Privatisierungen
10. Die Privatisierung der österreichischen verstaatlichten Betriebe ist (außerhalb der Versorgungsunternehmen) zur Zufriedenheit des Kapitals weitgehend abgeschlossen. Klingende Namen wie die VOEST, die OMV, die Bank Austria (als Fusion aus Zentralsparkasse, CA und Länderbank), Boehler-Uddeholm, Austria Tabak, Simmering-Graz-Pauker (SGP), die Salinen AG oder die Austrian Airlines sind mehrheitlich oder vollständig in privates Eigentum übergegangen. Staatliches Eigentum bzw. nennenswerte staatliche Beteiligungen gibt es in relevantem Ausmaß nur noch im Versorgungsbereich (Post, Telekom, ÖBB, Städtische Verkehrsbetriebe, Energie). Hier wird auch die nächste Privatisierungswelle erfolgen. In all diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren Ausgliederungen, Privatisierungsankündigungen bzw. versuchte Privatisierungen. Ob es eine Welle von offenen Privatisierungen oder schleichende Privatisierungen in Form von Ausgliederungen wie etwa bei der ÖBB geben wird, ist derzeit nicht absehbar. Bei der Post fand 2006 eine Privatisierung von 49% der Anteile statt, 51% befinden sich weiter in der Hand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖIAG. Und während die Post 2001 noch Gewinne von elf Millionen Euro vor Steuern hatte, waren es 2007 bereits rund 160 Millionen. Gleichzeitig werden Postämter geschlossen und Angriffe auf die Belegschaft gefahren. Klar ist also, dass hier noch Leckerbissen warten, die sich das Kapital kaum entgehen lassen möchte. Gerade im Bereich der Versorgungsunternehmen werden aber Privatisierungen sehr unmittelbar zu Verschlechterungen für die Bevölkerung führen (Preiserhöhungen, Einstellung von Linien, Sperre von Postämtern, Versorgungsunsicherheit, Wartungsmängel) und werden daher mehrheitlich abgelehnt. Daher erscheint eine schleichende Privatisierung weit realistischer als ein offener Angriff (Dass das Thema sensibel ist, zeigt der Widerstand gegen die Privatisierung der oberösterreichischen Energie AG, die die schwarz-grüne Landesregierung forcierte. Letztlich ließ sich die SP Oberösterreich, die den Widerstand zu einem Gutteil getragen hatte, allerdings auf einen faulen Deal ein und die Privatisierung ging über die Bühne).
Soziale Lage
11. Im Gegensatz zu den Profiten der Unternehmen haben sich die Löhne keineswegs positiv entwickelt. Zwischen 1995 und 2005 sind die Reallöhne in Österreich nur um 3 % gestiegen. Die Realeinkommen der Beschäftigten sind in den beiden letzten Jahrzehnten somit deutlich hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurückgeblieben, über eine Reihe von Jahren gab es Reallohnverluste. Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am "Volkseinkommen", sinkt kontinuierlich und weit stärker als im Schnitt der EU-15.
12. Die Inflation erreichte 2007 im Jahresschnitt 2,2 %, stieg aber während des Jahres stark an, bis auf 3,6 % im Dezember 2007 (eine solch hohe Inflation gab es in Österreich zuletzt 1993). 2008 blieb sie im ersten Quartal mit 3,3 % auf einem hohen Niveau. Die für ArbeiterInnenhaushalte relevanten Produkte des täglichen Lebens sowie die Lebenshaltungskosten (also Lebensmittel, Transportkosten, Energie, Mieten, Wasser) stiegen allerdings nochmals deutlich höher. Sichtbar wird das am Preisindex, der für PensionstInnen erhoben wird – für diesen wurden im Dezember 2007 3,9 % errechnet, im ersten Quartal 2008 3,5 %. (Dieser Index hebt die Güter des täglichen Bedarfs stärker in den Vordergrund, macht also die für ArbeiterInnenhaushalte wichtigen Teuerungsschritte besser sichtbar.) Vor allem die Preise für Lebensmittel zogen deutlich an: so wurde zwischen Dezember 2006 und Februar 2008 Milch um 11 % teurer, Butter um 22 %, Mehl um 27 %. Und je weniger frei verfügbares Einkommen ein Haushalt hat, desto spürbarer sind die Erhöhungen der Lebenshaltungskosten.
13. Rund eine Million Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, das ist immerhin ein Achtel der Bevölkerung. Rund 400.000 Menschen sind arm. Vor allen betroffen sind AlleinerzieherInnen, Arbeitslose, allein stehende PensionistInnen und davon überproportional viele Frauen.
14. Statistisch gesehen hat jede/r ÖsterreicherIn ein Geldvermögen von rund 48.000 Euro. Allerdings verfügen rund 10 % der Bevölkerung über rund 2/3 dieses Vermögens. Die Einkommen der ManagerInnen von in Österreich börsennotierten Unternehmen sind 41mal so hoch wie die Einkommen ihrer MitarbeiterInnen. Die 100 reichsten ÖsterreicherInnen besaßen im Jahr 2004 zusammen sechsmal so viel Vermögen wie das jährliche Einkommen der einen Million ärmsten Menschen betrug.
15. 2007 gab es im Jahresschnitt eine Arbeitslosigkeit von 6,2 %. Die Arbeitslosigkeit sinkt somit (2002: 6,9 %, 2003: 7,0 %, 2004: 7,1 %, 2005: 7,3 %, 2006: 6,8 %). Teils wurden hier Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse bzw. Teilzeitjobs vermittelt, es steigt aber auch der Anteil an Vollzeitarbeitsplätzen. Allerdings beträgt die reale Arbeitslosigkeit rund 40% mehr als jene nach der OECD-Berechnungsmethode, die in Österreich angewandt wird (die Eurostat-Methode weist noch niedrigere Werte aus). Erzwungene FrühpensionistInnen, Frauen, die an den Herd zurückgedrängt werden, Menschen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe haben und somit nicht beim AMS registriert sind und vor allem alle jene, die vom AMS in Kursmaßnahmen geschickt werden, scheinen in der Statistik nicht auf. Real ist also rund ein Zehntel der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitslos. Dennoch ist die Quote zuletzt etwas im Sinken begriffen gewesen.
16. Im Jugendbereich (15-24jährige) sind besonders viele Menschen arbeitslos. Offiziell wird für 2007 eine Jugendarbeitslosenquote von 8,7 % angegeben, doch auch hier gilt oben Geschriebenes über offizielle und tatsächliche Arbeitslosenquoten. Gerade im Jugendbereich ist die Anzahl derjenigen, die in Schulungen sind, überdurchschnittlich hoch, immer mehr Jugendliche, vor allem solche mit Migrationshintergund, haben keine Chance auf eine Lehrstelle und werden in Maßnahmen nach dem Jugendausbildungssicherungsgesetz (JASG) "geparkt". Die Firmen sind immer weniger bereit, in die Lehrlingsausbildung zu investieren, die Förderungen der Regierung sind eher als Geschenk für jene zu betrachten, die ohnehin Lehrlinge aufnehmen wollten (weit besser wäre, in gut ausgestattete überbetriebliche Lehrwerkstätten zu investieren). Allerdings wird in den nächsten Jahren, bedingt durch die demographische Entwicklung ("Geburtenknick"), die Jugendarbeitslosigkeit tendenziell wieder ein wenig abnehmen.
Zusammensetzung der österreichischen ArbeiterInnenklasse
17. Die österreichische ArbeiterInnenklasse ist in ihrer deutlichen Mehrheit im Dienstleistungssektor beschäftigt. Von 3.280.878 unselbstständig Beschäftigten waren 2006 2.281.931 im Dienstleistungssektor beschäftigt, demgegenüber arbeiteten 852.920 in der Industrie und 27.081 in der Landwirtschaft (wobei NebenerwerbslandwirtInnen hier nicht erfasst sind). Der produzierende Sektor ist also eindeutig minoritär.
18. Industriestandorte gibt es in Oberösterreich (Metall, Chemie, Maschinenbau, Automobil, Nahrung), der Steiermark (Metall, Automobil, Nahrung), Salzburg (Nahrung, Papier, Großhandel, Verlagswesen, Metall), Vorarlberg (Metall, Textil, Nahrungsmittel), Kärnten (Holz- und Papier, Glas, Metall, Nahrung), Tirol (Glas, Metall, Nahrung, Holz) sowie in Niederösterreich (Metall, Elektro, Papier). In Wien (Nahrung, Metall, Chemie, Verlagswesen) ist die Anzahl der Industriebetriebe deutlich zurückgegangen.
19. Insgesamt spielen die Beschäftigten im Produktionsbereich (und im in Aufstellungen in diesen integrierten Versorgungsbereich, etwa der Stromproduktion) für MarxistInnen eine wichtige Rolle, sind sie doch aufgrund ihrer hohen Konzentration in größeren Betrieben potentiell eher in der Lage zu kämpferischen Aktionen als etwa KollegInnen in Filialbetrieben mit wenigen Beschäftigten. Natürlich muss diese Feststellung dadurch ergänzt werden, dass auch viele Beschäftigte des produzierenden Sektors in Kleinbetrieben arbeiten und demgegenüber manch "schwere Bataillone" der ArbeiterInnenklasse mit hoher Konzentration wie Eisenbahn, Verkehrsbetriebe oder Post dem Dienstleistungssektor zugerechnet werden. Daneben gibt es auch im reinen Dienstleistungssektor wie etwa im Telekom- oder Banken-Bereich Niederlassungen mit hunderten Beschäftigen am selben Standort. Sehr bedeutend vor allem für Wien ist auch der Technologiebereich (etwa die Pharmaindustrie). In diesem Bereich arbeiten rund 20 % aller in Wien beschäftigten Personen – allein die Pharmariesen Baxter, Boehringer Ingelheim und Novartis beschäftig(t)en rund 3.700 Menschen in Wien (wobei Novartis im Dezember 2007 die Kündigung von rund 250 Beschäftigten bekannt gab). Ein zunehmend wichtiger Bereich ist auch das Gesundheitswesen. Die Konzentration in diesem Bereich ist ebenfalls sehr groß, Spitäler gehören zu den größten Arbeitgebern in ihrer Region, in Wien etwa ist das AKH der Betrieb, wo mit Abstand die meisten Beschäftigten konzentriert sind.
20. Insgesamt weist die österreichische ArbeiterInnenklasse im Gleichklang mit der österreichischen Wirtschaft keinen sehr hohen Konzentrationsgrad auf. Es gibt kaum Großbetriebe, das Land wird von Klein- und Mittelbetrieben (KMU´s) dominiert. Dementsprechend haben rund 85% der Betriebe weniger als hundert Beschäftigte, nur 1 % hat mehr als tausend Beschäftigte (die meisten davon sind Staatsbetriebe bzw. solche mit Anteilen des Bundes oder der Länder).
21. Fast ein Drittel der Beschäftigten in Österreich arbeitet in einem prekären Arbeitsverhältnis, das von einem Normalarbeitsverhältnis, also einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung mit regelmäßiger täglicher und wöchentlicher Arbeitszeit, betrieblicher Einbindung und voller arbeits- und sozialrechtlicher Absicherung bzw. entsprechendem Schutz meist erheblich abweicht. Sie sind teilzeitbeschäftigt, sind geringfügig beschäftigt, haben einen zeitlich befristeten Vertrag, arbeiten in Zeit- oder Leiharbeitsverhältnissen, in Heimarbeit, oder haben einen Werkvertrag oder "freien Dienstvertrag". Immer mehr Beschäftigte sind auch so genannte Atypische, die gegenüber fest Angestellten erheblich benachteiligt sind (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Pension, Urlaub, Abfertigung, …). Die Unternehmen forcieren diese Formen prekärer bzw. atypischer Arbeitsverhältnisse, da sie in weiten Bereichen günstiger kommen und vor allem klassische Methoden des "hire und fire" (bei Bedarf anstellen und ohne Probleme kündigen) ermöglichen. Die Gewerkschaften beginnen erst sehr zögerlich, sich dieser Zielgruppe anzunehmen. Insgesamt entsteht hier aber eine neue, sehr große Gruppe von Beschäftigten ohne entsprechende, soziale Absicherung, die die Rolle von LohndrückerInnen spielen muss.
Jugend
22. Die Situation der lernenden Jugend wird in den nächsten Jahren wohl relativ stabil bleiben. Wesentliche Umstrukturierungs- und/oder Verschlechterungsprozesse an den Universitäten sind abgeschlossen bzw. in Umwandlung begriffen (Studiengebühren, Bachelor-Master-System, Fachhochschulen, Vollrechtsfähigkeit der Universitäten, …). Eine Erhöhung der Studiengebühren ist in der nächsten Periode nicht zu erwarten, ein relevanter Konfliktpunkt wird allerdings die vom Vorsitzenden der RektorInnenkonferenz gewünschte Möglichkeit, sich die Master-StudentInnen aussuchen zu können und somit den Zugang zu beschneiden. Damit zusammenhängend wird es auch Versuche geben, die Gebühren für die Master-Studien deutlich zu erhöhen. Insgesamt setzt also ein verstärkter Prozess der Elitenbildung ein. Ein weiterer Konfliktpunkt könnten weitere Zugangsbeschränkungen bei einzelnen Studien sein, doch hier sind die bereits Studierenden kaum mehr mobilisierbar, da es sie ja nicht mehr betrifft – und für SchülerInnen, die solche Umstellungen perspektivisch treffen, ist das Thema oft noch zu weit von ihrer Lebensrealität entfernt. Bemerkbar ist, dass Studierende mit dem verschulten System der neuen Studienpläne und dem gestiegenen materiellen Druck (Studiengebühren, prekarisierte Arbeitsverhältnisse, verstärkte Leistungskoppelung von staatlichen Geldern, allgemeine Preissteigerungen, …) weit weniger Zeit für politische Aktivitäten jenseits der Ausbildung zur Verfügung haben als früher. Die neoliberalen Umstrukturierungen auf den Unis bedeuten einen sukzessive steigenden Leistungsdruck und auch eine ideologische Offensive (Jede/r gegen Jede/n, "Sachzwänge"…). Im SchülerInnenbereich ist in den nächsten Jahren kaum mit weiteren Einsparungen zu rechnen.
MigrantInnen
23. Rund 17% der österreichischen Bevölkerung (ca. 1,4 Millionen von ca. 8.3 Millionen) haben einen Migrationshintergrund, das bedeutet, dass sie in erster oder zweiter Generation aus einem anderen Land kommen. In Städten wie Wien (31,4%), Salzburg (29,7%), Linz (23,2%), Graz (21,7%) oder Innsbruck (23,5%) ist dieser Anteil noch deutlich höher. Die Stimmung gegenüber MigrantInnen verschlechtert sich eher noch. War im Herbst 2007 durch den "Fall Arigona" erstmals seit Jahren eine gegenläufige Tendenz zu vernehmen, wurde unmittelbar darauf mit der Debatte über die Kriminalität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund die rassistische Antwort gegeben. Dennoch ist der Fall von Arigona Zogaj bemerkenswert, war doch das erste Mal seit Langem in breiteren Teilen der Öffentlichkeit eine Mehrheit für zumindest humanitäre Lösungen zu sehen (allerdings wäre die Mehrheit schnell geschwunden, hätte es sich um einen nigerianischen Asylwerber, nicht um ein nettes Mädchen mit guten Deutschkenntnissen aus dem Kosovo/a gehandelt). Im Einklang mit der Hetze durch rechte Parteien und Medien sind vor allem Menschen mit islamischem Kulturhintergrund, Schwarze und OsteuropäerInnen die Sündenböcke für die Probleme der Gesellschaft (der Kärntner Sonderfall fügt in seinem Kampf gegen zweisprachige Ortstafeln noch die slowenische Minderheit hinzu). Diese Stimmung ist auch in weiten Teilen der Kernschichten der ArbeiterInnenklasse weit verbreitet. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Politik von SPÖ und ÖGB, die über Jahre und Jahrzehnte dem rassistischen Druck nicht nur nachgegeben haben, sondern ihn selbst aktiv geschürt haben. Auf eine internationalistische Wende der SPÖ zu warten wäre fatal; hier sei nur auf ihre Zustimmung zum schwarz/blau/orangen Asylgesetz im Jahr 2005 verwiesen (obwohl die SPÖ in der Opposition war) sowie auf ihre derzeitige Regierungspolitik (die keine Schritte gegen rassistische Gesetze und Maßnahmen setzt, im Gegenteil). Im Fremdenrecht sind in den nächsten Jahren eher nur partielle Verschlechterungen zu erwarten (die auch mit der Besserstellung von "Integrierten" bzw. von Arbeitskräften, die das Kapital braucht, einhergehen können), nicht zuletzt, da das Fremdenrecht mittlerweile bereits so rassistisch ist, dass viele Verschlechterungen an gewisse gesetzliche Grenzen internationalen Rechts stoßen würden (wobei es in die prinzipielle Wirkmächtigkeit solcher Bestimmungen keine Illusionen geben sollte). Die reale Lebenssituation vieler MigrantInnen kann sich durch eine weitere Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, der Zunahme rassistischer Hetze und staatlicher Repression allerdings noch weiter verschlechtern. Für Organisationen der revolutionären Linken ist die Arbeit unter migrantischen ArbeiterInnen und Jugendlichen mit besonderen Schwierigkeiten (Sprache, Zugang zur "Community", …) verbunden.
Frauen
24. Frauen sind von sozialen Verschlechterungen besonders betroffen. Vor allem Alleinerzieherinnen leben unter der Armutsgrenze, es wird immer schwieriger, ausreichend bezahlte Vollzeitjobs zu bekommen (und in Krisenzeiten sind Frauen die ersten, die entlassen werden). Frauen verdienen in Österreich im Durchschnitt lediglich 60 Prozent des mittleren Einkommens von Männern. Während die Arbeitslosigkeit von Frauen in den EU-15 zwischen 1995 und 2006 gesunken ist, hat sie in Österreich zugenommen (erschwert wird die Situation zusätzlich dadurch, dass der Teilzeit-Sektor massiv ausgebaut wurde, was die reale Frauenerwerbsquote drückt). Während auf EU-Ebene Frauenteilzeit mit einem Drittel von 1995 bis 2004 relativ konstant blieb, verzeichnete Österreich einen Anstieg von rund 27 auf etwa 39 Prozent. Das heißt, vier von zehn Frauen arbeiten bereits in Teilzeit; der Trend steigt weiter. Gleichzeitig gibt es nicht ausreichend Kinderbetreuungsplätze. Viele Frauen sind der Doppelbelastung Lohnarbeit/Familie ausgesetzt. Die ÖVP setzt auf Familienförderungen, die die Frauen partiell aus dem Erwerbsleben treiben. Angriffe auf die Straffreiheit von Abtreibungen (denn legalisiert sind Abtreibungen in Österreich bis heute nicht, sie sind nur "straffrei") waren in den letzten Jahren von konservativer Seite immer wieder zu beobachten. Eine Veränderung ist hier aber nicht zu erwarten, solange es eine große Koalition gibt. Doch auch der BürgerInnenblock wird hier nicht aktiv werden, zu breit ist diese Straffreiheit in der Bevölkerung verankert, zu groß wären die Proteste. Gewalt gegen Frauen ist weiterhin ein relevantes Thema. Dabei ist zumeist nicht der Fremde auf der Straße die Hauptgefahr, sondern der Lebenspartner. Laut Schätzungen ist in Österreich jede fünfte Frau von Gewalt durch einen nahen männlichen Angehörigen betroffen. Laut Europarat ist familiäre Gewalt die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung von Frauen im Alter zwischen 16 und 44 Jahren. Im öffentlichen Leben, aber auch in politischen Strukturen sind Frauen weiterhin deutlich unterrepräsentiert.
Die Gewerkschaften
25. Der Einfluss des ÖGB in der ArbeiterInnenklasse sinkt. Die Mitgliederentwicklung beweist das deutlich: 2003 hatte der ÖGB 1.385.200 Mitglieder, 2004 1.357.933, 2005 1.335.421 und nach dem BAWAG-Skandal im Jahr 2006 1.272.011. 2007 blieben die Mitgliederzahlen laut ÖGB stabil ("eine schwarze Null"). Als Abgang bedeutet das: von 2003 auf 2004: -27.267, vom 2004 auf 2005: -22.512 und von 2005 auf 2006: -63.410. Auffällig daran ist, dass auch in den Jahren vor der BAWAG-Krise des Jahres 2006 der ÖGB jedes Jahr ein Drittel bis die Hälfte jener Mitglieder verloren hatte wie im Jahr der – zusammen mit dem Fall Olah in den 60er Jahren – größten Krise der Gewerkschaftsbewegung in der zweiten Republik. Doch ist es gleichzeitig ein Indikator für ein generelles Problem des ÖGB: das Durchschnittsalter der Mitglieder wird höher, somit gibt es Austritte durch Pensionsantritte, auch der Anteil der PensionstInnen innerhalb des ÖGB steigt immer mehr an, das bedeutet jedes Jahr "natürliche" Mitgliederverluste. Die Gewerkschaften sind allerdings nicht in der Lage, dies durch Neugewinne von jüngeren KollegInnen zu kompensieren. Noch eindeutiger wird diese Entwicklung unter Berücksichtung der Entwicklung der Anzahl der unselbstständig Erwerbstätigen: diese ist allein in den besprochenen Jahren 2003 bis 2006 um 91.200 gestiegen (in den letzten 10 Jahren um 381.000). Trotzdem also die Anzahl der Beschäftigten in den letzten Jahren um rund 91.000 potentielle Mitglieder stieg, verlor der ÖGB im gleichen Zeitraum rund 113.000 Mitglieder.
26. Der ÖGB ist traditionell nicht kampfbereit, versucht eher, am Verhandlungstisch zu Erfolgen zu kommen, hat dabei aber immer auch "das Wohl der Wirtschaft" im Auge und denkt somit bei Verhandlungen bereits die Position des Klassengegners mit. Das österreichische Modell der institutionalisierten Sozialpartnerschaft bewährt sich für das Kapital weiterhin ausgezeichnet. Es wurde zwar in den letzten Jahren vom "Tod der Sozialpartnerschaft" gesprochen, tatsächlich hat das Kapital aber vor allem gewisse Angriffe forciert und dabei die Sozialpartnerschaft neu definiert. Doch unter dem Eindruck des dabei weitestgehend ruhig gebliebenen ÖGB funktioniert das Modell der Einbindung der Gewerkschaften weiterhin sehr gut.
27. Österreich belegt bei einem internationalen Vergleich der Ausfalltage durch Streiks mit durchschnittlich 1,3 Streiktagen pro 1.000 Industriebeschäftigten und Jahr im Zeitraum 1995 bis 2004 in der EU den ersten Platz, also jenen mit den niedrigsten Streiks. Deutschland, das den zweiten Platz belegt, weist im gleichen Zeitraum 3,8 Streiktage auf. Seit 1990 (Statistiken sind bis incl. 2006 verfügbar) weist die Statistik für Österreich – bei Nichtberücksichtigung des Streikjahrs 2003 – durchschnittlich 1,33 Streikminuten (!) je ArbeitnehmerIn und Jahr aus. In 9 Jahren gab es gar 0,0 Streikminuten, also keinen einzigen Streik. Die große, hier extra ausgewiesene Ausnahme stellt das Jahr 2003 mit 196,5 Streikminuten dar. In diesem Jahr fanden die Streiks gegen die Pensionsreform statt, die vom ÖGB als Machtdemonstration und zum "Dampf ablassen" benützt wurden, bevor alles wieder seinen gewohnten Gang ging. Auch unter der schwarz/blau/orangen Regierungskoalition zwischen 2000 und 2006 hatte kein Wechsel stattgefunden. 2001, 2004, 2005 und 2006 gab es 0,0 Streikminuten, auch 2000 (0,5 Minuten) und 2002 (1,4 Minuten) weisen die Zahlen nicht unbedingt auf beeindruckende Kämpfe hin.
28. Der BAWAG-Skandal im Jahr 2006 hat das Vertrauen in die Gewerkschaftsbewegung nachhaltig beschädigt. Einerseits ging das Ansehen des ÖGB in der arbeitenden Bevölkerung massiv zurück, andererseits waren auch viele kleinere und mittlere FunktionärInnen geschockt vom Ausmaß der Korrumpierung. Das sich der ÖGB und sein ehemaliger Vorsitzender nunmehr vor Gericht wieder sehen, wäre vor einigen Jahren wohl völlig undenkbar gewesen. Gleichzeitig benützte der ÖGB seinen Ex-Vorsitzenden Fritz Verzetnitsch auch als Sündenbock. Denn angeführte Privilegien, etwa Verzetnitsch´ Penthouse, waren seit Jahren bekannt und auch immer wieder Thema in verschiedenen Medien. Der ÖGB als Ganzes agierte seit Jahrzehnten als Mischkonzern mit der BAWAG.PSK als eigener Großbank (inklusive der angeschlossenen Banken Easybank, Sparda und Verkehrskreditbank) und zahlreichen Beteiligungen (Österreichische Lotterien, Nationalbank, Wüstenrot, Wiener Börse, ATV+, Cosmos/Köck, Stiefelkönig, …). Dass die Prioritäten durcheinander kommen müssen, wenn ein Gewerkschaftsdachverband einen Großkonzern besitzt, war nicht erst 2006 bekannt. Der wohl größte Skandal war allerdings, dass im Zuge des BAWAG-Skandals bekannt wurde, dass der legendäre Streikfonds des ÖGB im Wesentlichen aus den ÖGB-Anteilen an der BAWAG.PSK bestand, im Falle eines Streiks also niemals kurzfristig "flüssig" gemacht werden hätten können. Das bedeutet, dass der ÖGB auch perspektivisch ausschloss, irgendwann größere Streiks zu organisieren, hätte er sie doch nicht finanzieren können.
29. Einerseits hat der ÖGB/BAWAG-Skandal zu einer weiteren Entfremdung zwischen ArbeiterInnenklasse und Gewerkschaften geführt, andererseits aber auch zu einer kritischen Debatte innerhalb des ÖGB. Die Reformkonferenzen im Herbst 2006 (die in Wien teilweise politisch von VertreterInnen der radikalen Linken – unter ihnen Mitglieder der RSO-Vorläuferorganisationen AL und AGM – bestimmt waren) waren zwar reine Augenauswischerei für die Basis. Doch unter manchen BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen sowie in Teilen der Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) gibt es einen Prozess der Entfremdung von der Sozialdemokratie bzw. eine größere Offenheit für "linke" Positionen. Ein weiterer Ausdruck davon ist ein gewisser Linksruck in der Gewerkschaftsjugend ÖGJ und in den Jugendorganisationen einiger Teilgewerkschaften.
Die Sozialdemokratie
30. Die Entwicklung des Einflusses der Sozialdemokratie ist jener des ÖGB generell ähnlich. Auch hier gibt es einen deutlichen Verlust, der sich in der SPÖ sowohl auf WählerInnenebene wie auf Mitgliederebene ausdrückt. Ihr bestes Wahlergebnis erzielte die SPÖ 1979 mit 51% der Stimmen (2.413.226 WählerInnen). Bei den Wahlen des Jahres 2006 waren es 35,3% (1.663.986 WählerInnen). Trotz deutlich höherer EinwohnerInnenzahlen hat die SPÖ also rund 750.000 Stimmen verloren. Auch wenn die SPÖ teilweise in Prozent ihre Stimmenanteile halten kann, bedeutet das durch die sinkende Wahlbeteiligung aber dennoch einen Verlust von realen Stimmen. Die Bindung zwischen der SPÖ und ihren WählerInnen wird ebenfalls schwächer. Die Mitgliederentwicklung der SPÖ ist noch dramatischer als die WählerInnenentwicklung: 2005 hatte die SPÖ 301.251 Mitglieder. 20 Jahre davor, 1986, waren es mit 674.821 noch rund doppelt so viele. Weniger als die Hälfte aller BetriebsrätInnen gehören überhaupt noch einer politischen Gewerkschaftsfraktion an. Die WählerInnen der SPÖ sind tendenziell überaltet.
31. Der Wahlkampf im Herbst 2006 war geprägt von einer Sozialdemokratie, die lange nicht mehr gehörte Versprechen machte und einem BürgerInnenblock, der der SPÖ die BAWAG-Krise um die Ohren schlug. Doch die ArbeiterInnenklasse hatte so sehr genug von Schwarz/Blau/Orange, dass sich dennoch eine hauchdünne Mehrheit für die SPÖ ergab, allerdings hatten BZÖ, FPÖ, ÖVP im Parlament weiterhin die Mehrheit, was eine Minderheitsregierung zu einem instabilen Unterfangen gemacht hätte, das aber mit Ausrichtung auf Neuwahlen dennoch möglich gewesen wäre. Viele wählten die SPÖ mit zugehaltener Nase, doch gab es auch relativ breite Illusionen, dass eine SP-geführte Regierung eine Kehrtwende einleiten würde, etwa im Sozialbereich, bei den Studiengebühren oder den Eurofightern. Diese Illusionen entpuppten sich als ebensolche. Die SPÖ lässt sich seit der Wahl von der ÖVP durchgehend vorführen und verspielt so das wenige Vertrauen, dass sie durch ihre Wahlversprechen aufbaute. Allerdings ist dies nicht nur taktisches Unvermögen, sondern vor allem Ausdruck der nicht vorhandenen politischen Alternativen zum Kurs der ÖVP. Erster Ausdruck der verlorenen Illusionen jedenfalls sind die Gemeinderatswahlen in Graz im Jänner 2008 (SPÖ: -6,1 %) sowie die Landtagswahlen in Niederösterreich im März 2008 (-7,92 %). Wenn die gegenwärtige Regierungskonstellation bestehen bleibt, wird sich diese Entwicklung so fortsetzen und die SPÖ wird tendenziell bei Lokal- und Regionalwahlen verlieren.
32. Die Entfremdung zwischen der Partei und der ArbeiterInnenklasse findet ihre Entsprechung in einer Entfremdung zwischen Führung und Teilen der Basis der SPÖ. Derzeit sind keine Anzeichen für eine Entwicklung nach deutschem Muster (WASG!), also die Abspaltung von Teilen der SPÖ/FSG und die Gründung einer neuen linksreformistischen Partei erkennbar, und eine solche Entwicklung ist auch langfristig unrealistisch – zu groß sind die Unterschiede zur Situation in Deutschland. Derzeit hat sich auch der starke Unmut nach dem BAWAG-Skandal und dem SPÖ-Ausverkauf der Forderungen des Wahlkampfes 2006 tendenziell gelegt und kocht eher unter der Oberfläche. Sollte es aber eine Massenabspaltung geben, kann das Ziel von MarxistInnen allerdings nicht der Aufbau neuer linksreformistischer Parteien sein, die die ArbeiterInnenklasse dann wiederum enttäuschen und/oder betrügen werden. Keineswegs ausgeschlossen ist aber, dass sich MarxistInnen mit einem eigenständigen Programm und eigenständigen Strukturen in solchen Formationen arbeiten.
33. Doch aktuell zeigte die Linke in der SPÖ nach dem Beschluss zur großen Koalition ihre Unzulänglichkeit. In der Partei selbst gab es keinen organisierten Ausdruck des Protestes, allerdings lehnte die starke Landesorganisation Oberösterreich das Koalitionsübereinkommen ab, hat sich aber seitdem mit der Situation abgefunden. Die Jugendorganisationen organisierten demgegenüber öffentliche Proteste und teils recht kämpferische Demonstrationen, doch als es dann darum gegangen wäre, zu Beginn des Jahres 2007 den Protest in organisierte Strukturen und den Aufbau einer oppositionellen Strömung in der Partei umzusetzen, konzentrierte sich ein Teil der SJÖ auf ein niemals realisiertes "Jugendvolksbegehren", ein anderer auf den Aufbau des virtuellen Komitees "Wir sind SPÖ", das außer einer Homepage wenig von sich hören lässt. Wohl aus Angst vor Interventionen von linken Strömungen und Organisationen wurde die Idee von Basistreffen aber sehr schnell ad acta gelegt (nachdem erste Versuche diese Angst der Bürokratie vor der Debatte bestätigt hatten). Damit einher ging eine Fortsetzung des seit einigen Jahren stattfindenden Rechtsrucks der SJ. Die SJ steht dennoch im Vergleich internationaler sozialdemokratischer Jugendorganisationen weiterhin am linken Rand, ein guter Teil jener AktivistInnen, die politisch und nicht sozial eingebunden sind, hat ein marxistisches Selbstverständnis (wie diffus dies dann in Theorie und Praxis auch immer sein mag). Doch scheint es, dass die Dynamik, die nach dem "linken" Mehrheitswechsel im Jahr 2000 die SJ erfasste, seit einiger Zeit zum Erliegen kam, die Ratlosigkeit im Umgang mit Rot/Schwarz ist hier offenbar Katalysator.
Aktuelle politische Entwicklungen
34. Nach den rollenden Angriffen durch den BürgerInnenblock in den Jahren 2000 – 2006 ist jetzt für das Kapital eher eine Zeit der Ruhe und Konsolidierung eingetreten, die dem Experiment des erstmaligen Regierens ohne die SPÖ seit der Wahlperiode 1966 – 1970 folgte (obwohl der BürgerInnenblock seit 1983 die Mehrheit im Parlament hatte). Wesentliche Angriffe sind vollzogen und FPÖ/BZÖ waren als PartnerInnen auch relativ unberechenbar. Die SPÖ garantiert Stabilität und die Einbindung der organisierten ArbeiterInnenbewegung. In den Koalitionsgesprächen mit der SPÖ konnte die ÖVP alle relevanten Veränderungen der vorhergehenden Jahre verteidigen, mit dem neuen Arbeitszeitgesetz, der Verlängerung der Öffnungszeiten und den Verschlechterungen bei den Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose kamen noch neue Angriffe hinzu. Dennoch entspricht dieses Regierungsübereinkommen nicht jenen der 90er oder Anfang der 2000er mit Sparpaketen, Massenprivatisierungen und massiven Verschlechterungen. Die ÖVP jedenfalls konnte sich in der Zeit von Schwarz/Blau/Orange deutlich konsolidieren, aus einer bürgerlichen Partei im partiellen Niedergang wurde eine wiederum sehr selbstbewusste Kraft, die es geschafft hat, wesentliche WählerInnenreservoirs der FPÖ abzuziehen und sich so zu stärken (und damit auch teils ehemalige SP-WählerInnen für sich gewann, vor allem jüngere ArbeiterInnen ohne traditionelle Bindung an die Sozialdemokratie). Das Kapital hat für die nächste Periode natürlich noch gewisse Vorhaben auf seinem Wunschzettel. So fordert die Industriellenvereinigung unter anderem eine weitere Absenkung der Lohnnebenkosten, weitere Privatisierungen (auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene), eine Ausweitung der Arbeitszeitflexibilisierung, die Senkung des Spitzensteuersatzes, eine Reduktion der Klimaziele, eine Steuerreform zugunsten des Kapitals (Absenkung der Gesamtabgabenquote, Entlastung bei der Lohnsummensteuer, …), eine Ausgabensenkung im öffentlichen Sektor sowie weitere Einbrüche privater Versorger in den Pensionsbereich.
35. Die krisenhafte Stimmung der Regierung speist sich nur oberflächlich aus Skandalen wie der Spitzelaffäre im Innenministerium, Geldflüssen von BAWAG zur SPÖ oder Aufklärungsfehlern im Fall Kampusch. Tatsächlich kann die SPÖ ihrer Basis immer schwerer erklären, was die Vorteile der Zusammenarbeit mit der ÖVP seien, da offensichtlich ist, dass die ÖVP die Sozialdemokratie permanent vor sich her treibt und sich in den meisten wesentlichen Fragen durchsetzt. Die Krise wird aber nicht nur aus der Unzufriedenheit der SPÖ-BasisfunktionärInnen genährt, sondern auch von Überlegungen in der ÖVP, gegen eine zerrüttete Sozialdemokratie einen Offensivschlag in Form von Neuwahlen zu versuchen und so die Kanzlerschaft wieder in die eigene Hand zu bekommen. Die Alternativen zur großen Koalition sind allerdings für beide Parteien mit Risiken verbunden. Ein Wahlkampf mit sehr unsicherem Ausgang und einer Stärkung der FPÖ ist für beide Großparteien sehr problematisch. Es bleibt also abzuwarten, ob eine der beiden Parteien riskiert, hier den ersten Schritt zu machen wird.
36. Soziale Kämpfe in größerem Ausmaß sind in der nächsten Periode kaum zu erwarten. Der ÖGB ist durch eigene Probleme, vor allem aber durch die Regierungsbeteiligung der SPÖ, weitgehend ruhig gestellt (und auch eine andere Regierungskonstellation wird den ÖGB kaum zu einer völligen Reorientierung bringen). Die Kampfbereitschaft ist eher als gering einzuschätzen, außer, es kommen große Angriffe, wovon derzeit – außerhalb der Frage der Privatisierungen bei Post und ÖBB – nicht auszugehen ist. Kritische Kräfte im ÖGB bzw. die Versuche von linken Organisationen, solche kritischen Kräfte zu vernetzen, sind marginal, führten zu keiner eigenständigen Verankerung in der ArbeiterInnenklasse selbst und stützten sich nicht auf einen relevanten politischen Einfluss in Betrieben. Daher ersticken solche Initiativen in der Regel im bürokratischen Apparat.
Die extreme Rechte
37. Auf Basis des Vertrauensverlustes in die SPÖ wird auch die FPÖ wieder stärker werden, wie sich bei den Wahlen in Niederösterreich im März 2008 deutlich gezeigt hat. Die SPÖ verlor in ihren Hochburgen überdurchschnittlich, ein Gutteil dieser Verluste kam der FPÖ zu Gute. Nach der Abspaltung des BZÖ fährt die FPÖ wieder den traditionell rechtsextrem-sozial-nationalen Kurs der 90er Jahre, der sie damals bis an die 30% Marke brachte, was ihr Potential zeigt. Dieses Potential ist in absehbarer Zeit wohl nicht auszuschöpfen, dennoch ist es ein Indikator für den Einfluss ihrer Positionen. Die FPÖ ist auch durch die Erfahrungen mit ihrer Regierungsbeteiligung etwas entzaubert, doch wird sie diese Erfahrung der "Haider-FPÖ" in die Schuhe schieben und sich selbst geläutert geben. Die FPÖ bleibt der angekettete Hofhund des Kapitals, der losgelassen wird, wenn es um die rassistische Spaltung der Klasse geht, aber doch nicht so gern ins Haus gelassen wird, weil letztlich doch ein wenig unberechenbar bleibt, wen er beißt oder ob er sich nicht doch in einer Ecke erleichtert. Das BZÖ hingegen wird als Schoßhund, den niemand braucht, eine immer kleinere Rolle spielen und zwischen ÖVP und FPÖ aufgerieben werden. Die Ausnahme stellt Kärnten dar, wo das BZÖ regional eine gewisse Rolle spielt (und über Kärntner Grundmandate auch wieder den Einzug ins Parlament schaffen könnte). Offen ist allerdings, ob das BZÖ einen etwaigen Abgang von Jörg Haider in Kärnten verkraften könnte.
38. Ein wesentlicher Bereich für die FPÖ (und in geringerem Ausmaß für BZÖ und ÖVP, die aber hier nicht originär sind) ist das Ausnutzen einer weit verbreiteten islamophoben Grundstimmung. Dies äußerte sich in der Unterstützung und Organisierung von Protesten und Demonstrationen gegen geplante Moschee-Bauten im Tiroler Telfs, in Bad Vöslau/NÖ, in Wien-Brigittenau und in Linz. Der Wiener ArbeiterInnenbezirk Brigittenau sah gar den Aufmarsch eines rassistischen Mobs von rund 700 Menschen, unter ihnen rund 100 bekannte Neonazis. Für die FPÖ ist das ein deutliches Signal, das dieses Thema auch auf der Straße "zieht", sie gibt damit einer weit verbreiteten Stimmung Ausdruck und wird (gemeinsam mit Anti-EU-Positionen) die Islamophobie auch künftig in ihrer Politik prominent platzieren.
39. Die Neonaziszene ist weiterhin teils in klandestiner Deckung, teils in der FPÖ und vor allem ihren Jugendorganisationen RFJ und RFS aufgegangen. Dennoch sind auch hier Reorganisierungsversuche außerhalb der FPÖ zu beobachten, auf die der Staat allerdings, vor allem in Oberösterreich, mit Repression agierte, was die intelligenteren Teile der Szene weiterhin sehr vorsichtig agieren lassen wird. Dennoch ist hier Bewegung zu beobachten, somit wird dieser Bereich auch weiterhin Teil linker Mobilisierung sein und auch als Politisierungsmoment vor allem für Jugendliche weiterhin Bedeutung haben.
Die Grünen
40. Die Grünen gehen weiterhin nach Rechts. Im Rahmen der schwarz-grünen Koalitionen in Oberösterreich und Graz zeigen die Grünen, dass sie mit der Hauptpartei des Kapitals, der ÖVP, sehr gut kompatibel sind. Und auch aus der Bundespartei kommen immer wieder klare Signale Richtung Schwarz/Grün. Gleichzeitig propagieren die Spitzen der Grünen die EU-Verfassung bzw. den EU-Reformvertrag (inklusive Privatisierung, Aufrüstungs- und Liberalisierungsverpflichtung!) als Fortschritt, ein Beschluss des erweiterten Bundesvorstandes im Jahr 2004 fordert gar eine gemeinsame europäische Armee und eine gemeinsame "Sicherheits"politik, hier treffen sich die Positionen der Grünen mit den Interessen der Euro-StrategInnen. Die Opposition einzelner Stadt- oder Landesorganisationen (vor allem der Mehrheit der Wiener Landesorganisation) ist nicht konsequent, teils werden faule Kompromisse geschmiedet, vor allem aber werden meist auch selbst keine grundsätzlich anderen Positionen vertreten. Dieser Flügel wird durch die Bundespartei tendenziell geschwächt und, wie sich nach dem Beschluss zu Schwarz/Grün in Oberösterreich und dem kurzfristig aufflackernden Widerstand der Stadtorganisation Linz gezeigt hat, sind die "Linken" in der Partei – die oft von verschiedenen Posten materiell abhängig sind – letztlich durchaus bereit, sich mit den jeweiligen Gegebenheiten abzufinden (wenn sie nicht individuell austreten). Ein alternatives Konzept jedenfalls, ein Linksruck, ist von den Grünen nicht zu erwarten. Im Gegenteil werden sie immer mehr zu einem Verbündeten bestimmter Teile der Industriellenvereinigung.
Die Linke
41. Die radikale Linke bleibt gesellschaftlich betrachtet weiterhin marginal. Sie hat vor allem in der ArbeiterInnenklasse kaum Einfluss, kaum Verankerung, ist weitgehend studentisch bzw. akademisch geprägt. Da, wo es BetriebsrätInnen gibt, die sich der radikalen Linken zugehörig fühlen, ist es zumeist im Sozialbereich, im Non-Profit-Bereich oder in sehr kleinen Betrieben. Von der Beeinflussung gesellschaftlicher Entwicklungen ist die Linke weit entfernt.
42. Die KPÖ ist gespalten: Das eine Lager bildet ein zivilgesellschaftlicher Flügel, der teils auch "antideutsche" (also tendenziell proimperialistische Positionen) einnimmt und vor allem von der Wiener Landesorganisation getragen wird. Nach dem endgültigen Verlust des Treuhand-Prozesses sind diese Teile der KPÖ, die sich bis dato vor allem über einen relevanten Hauptamtlichenapparat am Leben erhielten, deutlich geschwächt. Das andere Lager besteht aus einem traditionalistischen Flügel rund um die KPÖ Steiermark (der auch von der KPÖ Salzburg und der KPÖ Tirol unterstützt wird). Die steirische KPÖ agiert dabei wie eine Partei in der Partei, die Bundespartei ist ihr wohl weitgehend egal. In ihrer Hochburg Graz hat sie zwar, ausgehend von einem sehr hohen Niveau, bei den Wahlen im Jänner 2008 deutliche Verluste erlitten (-9,6 %, die zu einem Gutteil ins Lager der NichtwählerInnen abwanderten), sie hält nun aber immer noch bei 11,2 % in der zweitgrößten Stadt des Landes, ist im steirischen Landtag vertreten und hebt sich damit deutlich vom Rest der KPÖ ab, die bei Wahlen unter 1 % der Stimmen erhält. Die guten Ergebnisse der KPÖ in der Steiermark sind (trotz der jüngsten Verluste in Graz und der regional besonderen Situation in der Obersteiermark) ein Ausdruck für die Bereitschaft größerer Teile der Klasse, auch eine als links empfundene Alternative auf der Wahlebene zu stützen. Die steirische KPÖ macht allerdings klassisch sozialdemokratische Politik, eine systemüberwindende Perspektive gibt sie nicht. Dementsprechend auch ihre Wahlslogans: "Gut für Graz", "Helfen statt reden" und "Da weiß man, was man hat" sprechen nicht unbedingt eine kommunistische Sprache, die ein alternatives Konzept aufzeigt.
43. Der offen stalinistische Flügel der KPÖ, der innerhalb der Partei mit der steirischen Landesorganisation zusammenarbeitete (und dies auch heute noch tut), trat aus der KPÖ aus und gründete eine eigenständige Organisation, der sich auch die ehemaligen KP-Jugendorganisationen KJÖ und KSV verbunden fühlen (wobei die Jugendorganisationen aber andererseits in der Steiermark weiterhin integraler Bestandteil der dortigen KPÖ sind). Insgesamt wird das Spektrum des deutschsprachigen Stalinismus in der nächsten Periode in seiner Größe wohl kaum Veränderungen erfahren. Insgesamt gilt aber, dass die Organisationen umso marginaler werden, umso offener sie mit ihren stalinistischen Positionen umgehen. Die stalinistischen Organisationen türkisch-kurdischer MigrantInnen haben in ihrem Milieus teils nicht unrelevanten Einfluss, vor allem umfasst ihr Einfluss auch sehr deutlich proletarische Kräfte, was der deutschsprachigen, studentisch geprägten Linken fast völlig abgeht. Dennoch werden diese Organisationen tendenziell schwächer, was mit zu einer Umorientierung hin zur Arbeit in Österreich (im Gegensatz zur ausschließlichen Solidaritätsarbeit mit den Mutterorganisationen in der Türkei und Kurdistan) führt, bei Teilen der jüngeren, in Österreich aufgewachsen Mitglieder spielt auch die stalinistische Tradition immer weniger Rolle. Dennoch bleiben diese Organisationen stalinistisch, dementsprechend ihre Positionen sowohl zu Türkei/Kurdistan wie zur Weltlage insgesamt.
44. Die Autonomen konnten in den letzten Jahren an ihre Stärke Ende der 80er, Anfang der 90er nicht anschließen, obwohl es gewisse Restrukturierungsversuche gibt. Damit einher geht eine Hinwendung mancher Gruppen hin zu Versuchen der Arbeit innerhalb der ArbeiterInnenklasse und zu anarchosyndikalistischen Positionen. Ein anderer Teil versucht, eher szeneintern über kultur-politische Zentren zu wirken oder unterstützt den Aufbau von Infoläden. Gleichzeitig ist ein relevanter Teil der Autonomen von "antideutschen" Positionen (also der bedingungslosen Solidarität mit Israel, islamophober Tendenzen und dem Liebäugeln – bis hin zur offenen Unterstützung – mit imperialistischen Kriegseinsätzen gegen Afghanistan, den Irak und perspektivisch den Iran) beeinflusst bzw. vertritt diese offen. Vor allem außerhalb Wiens sind autonom/anarchistische Positionen oft die erste linke Politisierung für Jugendliche, gleichzeitig können autonome Gruppen aufgrund ihrer Kaderschwäche dieses Potential aber nicht nützen (und wollen dies auch oft aufgrund ihres Zugangs zum Organisationsaufbau nicht)
. 45. Die Organisationen mit trotzkistischem Selbstverständnis sind vor allem in Wien politisch innerhalb der radikalen Linken weitgehend dominant. Dies strahlt – bis zu einem gewissen Grad – auch auf den Rest des Landes aus, doch die Strukturen der Organisationen trotzkistischer Tradition sind außerhalb von Wien deutlich schwächer ausgeprägt. Keine dieser Organisationen konnte von den Entwicklungen der letzten Jahre deutlich profitieren, insgesamt ist das Spektrum ungefähr gleich stark bzw. schwach geblieben, auch wenn es die eine oder andere Verschiebung gab. Überzogene Zuwachserwartungen einzelner Organisationen sind wohl auch für die nächsten Jahre ebenso vorhersehbar wie unrealistisch. Doch für Organisationen, die ihre Mitglieder auf eine langfristige politische Perspektive orientieren und nicht auf kurzfristige Erfolge setzen, ist ein langsames und stetiges Wachstum durchaus möglich. Das Jahr 2007 sah mit der Fusion von AL-Antifaschistische Linke und Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) zur Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO) auch einen Prozess der Regruppierung innerhalb des trotzkistischen Spektrums. Die RSO wird die positiven Traditionen von AGM und AL fortsetzen und versuchen mit einer realistischen Einschätzung und auf einem starken inhaltlich-politischem Fundament den Aufbau einer revolutionären Organisation voran zu treiben.