Zur Entlassung des Gewerkschaftsführers Orlando Chirino von PDVSA vor dem Hintergrund von Klassenkonflikten und der chavistischen Niederlage beim Referendum
Die Hoffnungen vieler Linker, dass sich Venezuela auf dem vielzitierten Weg zum Sozialismus befinde, werden von der Regierung in den letzten Wochen zunehmend enttäuscht. Chavez erklärte Anfang des Jahres, man/frau dürfe sich nicht von „extremistischen Tendenzen“ mitreißen lassen, sondern müsse vielmehr „Bündnisse mit den Mittelklassen und sogar mit der nationalen Bourgeoisie anstreben“, denn der Versuch der Abschaffung des Privateigentums sei auf der gesamten Welt gescheitert.
Diesem grundlegenden Bekenntnis entsprach schon vor dem Referendum die konkrete Politik der Regierung in Bezug auf verschiedene Klassenkonflikte (siehe unsere ausführliche Analyse "Wie weiter in Venezuela Teil 1-3") . Während die Regierung es verabsäumt, die ArbeiterInnen in ihren Kämpfen – bei Sanitarios Maracay, Desechos Solidos de Merida oder zuletzt beim SIDOR Streik in Guayana – zu unterstützen, agiert der chavistische Staat immer wieder gegen kämpferische ArbeiterInnen (etwa bei Sanatarios Maracay oder bei PDVSA in Puerto la Cruz).
Diese Linie setzt sich jetzt verstärkt fort. Ende Dezember wurden die Preiskontrollen bei Grundnahrungsmittel gelockert. Während Ende Januar 2008 die Prozesse gegen Nixon Moreno und 24 andere Putschisten des Jahres 2002 eingestellt wurden, werden die Verfahren gegen Gewerkschafter von Sanatarios Maracay und gegen Erdölarbeiter aus dem Bundesstaat Zulia fortgesetzt.
Repression gegen Kritiker
Mit dem Jahreswechsel hat die PDVSA (Petróleos de Venezuela S.A.) nun Orlando Chirino, Gewerkschaftsführer der UNT und Mitbegründer der Bewegung für den Aufbau einer Arbeiterpartei (Movimiento por la contrucción de un partido des los trabajadores – MPT), entlassen, nachdem seine Gehaltszahlungen dort bereits mit dem 30.11.2007 ausgesetzt worden waren. Dieser Schritt, der sicherlich nicht ohne Absprache mit der Regierung erfolgte, ist offensichtlich politisch motiviert. Chirino selbst, der am 24. Januar vorm Arbeitsministerium die Wiedereinstellung und die Nachzahlung seines Gehaltes forderte, bezeichnete das Vorgehen gegen ihn als "Akt der Diskriminierung und der politischen Verfolgung".
Rechtlich gesehen hatte Chirino 30 Tage Zeit, gegen das ihm von der PDVSA am 27. Dezember 2007 und somit kurz vor den Feiertagen zum Jahresende zugestellte Schreiben Einspruch zu erheben. Das Timing der PDVSA und das, was Chirino als Verzögerungstaktiken im Umgang mit seinen Nachfragen beschrieb, sollten wohl verhindern, dass er diesen Einspruch rechtzeitig erheben konnte. Darüber hinaus, so Chirino, sei vor seiner Entlassung keinerlei Diskussion darüber mit ihm veranlasst worden, noch wäre beim Arbeitsministerium eine Begründung für seine Entlassung eingereicht worden.
“Im Gegensatz dazu, was die politischen Fadenzieher uns glauben lassen wollen, ist mir in der PDVSA nichts geschenkt worden. Ebenso wie tausende meiner Landsleute auch, habe ich mein Leben auf's Spiel gesetzt, um unsere wichtigste Industrie und den Präsidenten Chávez gegen die Angriffe der putschistischen Opposition und des Imperialismus zu verteidigen. [gemeint ist wohl 2002]”
Chirino betont, dass die politische Verfolgung gegen ihn schon vor zwei Jahren begonnen habe. Die Gründe dafür, so vermutet der Gewerkschaftsführer, entspringen seiner "kategorischen Ablehnung bürokratischer und korrupter Vorgehensweisen innerhalb der Industrie und der kompromisslosen Verteidigung der Rechte der Arbeiter."
Nach einigen Treffen mit einer Kommission, die zu seiner Befragung eingesetzt wurde, steht für Chirino fest, dass die Entscheidung ihn zu entlassen vor allem darin begründet sei, dass er sich der Verfassungsreform, die im Referendum vom 2. Dezember abgelehnt wurde, entgegengesetzt habe. Desweiteren sei Seitens des Arbeitsministeriums und der Fuerza Bolivariana Socialista de los Trabajadores (FBST), in der der Arbeitsminister José Ramón Rivero aktiv ist, in diese Richtung Druck ausgeübt worden.
Konkret wird Chirino vorgeworfen, für Instabilität in der Erdölindustrie gesorgt zu haben, dadurch, dass er sich – gemeinsam mit einer Vielzahl anderer ArbeiterInnen – gegen die Aushandlung eines neuen Kollektivvertrages durch eine eingesetzte, nicht gewählte Kommission zur Wehr setzte. Chirino resümiert, dass seine Entlassung und das damit in Zusammenhang stehende Vorgehen, vor allem deutlich zeige, dass es notwendig sei, den Kampf um die Rechte der ArbeiterInnen fortzuführen und die UNT vor den Zerstörungsversuchen durch die Regierung und die FBST zu schützen.
José Bodas, Generalsekretär der Erdölgewerkschaft Fedepetrol, unterstrich die Notwendigkeit für die Wiedereingliederung Chirinos in die PDVSA zu kämpfen. Aus seiner Sicht hängt das Vorgehen gegen Chirino auch mit der Position, die dieser in Bezug auf die sogenannten "gemischten Betriebe" (empresas mixtas – jene Unternehmen, deren Aktien sich teils in staatlichem, teils im Besitz transnationaler Unternehmen befinden) eingenommen hat, indem er diese als Verletzung der der Hoheit Venezuelas über seine wichtigste Ressource anprangerte. Insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassungsreform, mittels derer die empresas mixtas als rechtliche Figur in die Verfassung aufgenommen werden sollten, habe Chirino deutlich gemacht, dass Chávez soziale, politische und wirtschaftliche Bedingungen schaffen wolle, die nicht zum Sozialismus, sondern in eine Festigung des Kapitalismus führen.
Solidarität
Als Maßnahme kündigte Bodas das Einholen von Unterschriften jener, die die Wiederherstellung von Chirinos Arbeitsverhältnis in der PDVSA fordern, an. Diese Solidaritätskampagne solle sich nicht nur über die gewerkschaftlichen Instanzen im Erdölsektor, sondern die gesamte venezolanische Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung erstrecken.
Auch die in der MAREA organisierten GewerkschaftsführerInnen der UNT wie Stalin Peréz Borges und Rubén Linares, die zuletzt einen Kurs der politischen Anpassung an den Chavismus gefahren waren, sprachen Chirino und seinem Anliegen der Wiedereingliederung in die PDVSA ihre Solidarität aus:
"Im Namen einer großen Anzahl der Gewerkschaftsführer dieses Landes, ersuchen wir die direkte Intervention des Präsidenten Chávez um diese Ungerechtigkeit zu unterbinden, die weder seinem Image noch dem der Regierung gut tut, weil sich Minister Rafael Ramirez, zuständig für das Resort Energie und Erdöl, bis heute weigert, diesen Genossen Gewerkschaftsführer wieder in seinen Arbeitsplatz einzugliedern und ihm weiterhin sein Gehalt auszuzahlen. Die Entlassung von Orlando Chirino, abgesehen davon, dass sie von politischen Differenzen motiviert ist, ist komplett illegal, weil ihm unter der Ley Orgánica del Trabajo (Grundgesetz über Arbeit) besonderer Schutz zusteht. Es ist offensichtlich, dass die Entscheidung ihn zu entlassen, […] Produkt des Druckes, der Intrigen und der Intoleranz ist, die die Fuerza Socialista Bolivariana del Trabajo kennzeichnet […]."
Stalin Peréz und seine Genossen nehmen an, dass es der FBST letztlich darum ginge, anderen Strömungen in der UNT ein Ende zu bereiten. "Unabhängig davon", so lässt die MAREA verlauten, "dass wir einige politische Positionen, die Orlando Chirino in letzter Zeit verteidigt hat, nicht teilen, verteidigen wir sein Recht, sie auszudrücken, sein Recht auf Arbeit und darauf, als Gewerkschaftsführer in unserem Land Anerkennung und Respekt zu bekommen."
Mittlerweile wurde innerhalb der klassenkämpferischen Gewerkschaftsströmung CCURA ein "Solidaritätskomitee" gegründet, um sich für Chirinos Wiedereingliederung in die PDVSA einzusetzen. Seit seiner Gründung hat dieses Komitee Solidaritätsbekundungen aus Südamerika, Europa und Australien erhalten – sowohl von Individuen als auch von Gruppierungen, darunter in Venezuela die Unidad Socialista de los Trabajadores (UST) und die Juventud de Izquierda Revolucionaria (JIR). An folgende Adresse können Solidaritätserklärungen geschickt werden: solidaridadconchirino@yahoo.com.ar
Gipfeln sollen die Aktionen dann in einer Kundgebung im Parque Central von Caracas, an der sich ArbeiterInnen und GewerkschaftsführerInnen insbesondere aber nicht ausschließlich aus der Erdölindustrie beteiligen sollen. Stattfinden soll diese Kundgebung noch in der ersten Februarhälfte, nachdem die die venezolanischen Karnevalsfestivitäten abgeklungen sind.
SIDOR
Natürlich sind es nicht nur die Umstände, unter denen Chirino entlassen wurde, sondern auch der Bekanntheitsgrad seiner Person, die zu solch starker und auch internationaler Resonanz führen. Denn dass ArbeiterInnen unter unrechtmäßigen Bedingungen entlassen werden, dass ihnen nicht die ihnen zustehenden Löhne gezahlt werden, tritt durchaus nicht nur in Einzelfällen auf.
Ende Januar waren es die mehr als 14000 ArbeiterInnen, die bei Ternium-Sidor, dem größten Unternehmen in der venezolanischen Eisen- und Stahlindustrie, einen 48stündigen Streik ankündigten, nachdem die Verhandlungen mit dem transnationalen Unternehmen Ternium, das 60 Prozent der Aktienanteile an diesem Unternehmen besitzt, erneut gescheitert waren. Die Forderungen der ArbeiterInnen beziehen sich vor allem im Rahmen der Aushandlung eines neuen Kollektivvertrags auf die Lohnhöhe (die derzeit bei durchschnittlich unter 10 US $ pro Tag liegt) und auch die besonders prekären Arbeitsverhältnisse, in denen sich die 2/3 der Belegschaft befinden, die nicht fest angestellt sind.
Das Arbeitsministerium, dass als Vertreter des venezolanischen Staats mit seinem 20%igen Aktienanteil, auch an den Verhandlungen teilnahm, versuchte offensichtlich eine zwischen Ternium und den ArbeiterInnen vermittelnde Position einzunehmen. Das Unternehmen selbst hatte z.B. eine Erhöhung der Löhne um 0,90 US $ angeboten (während die ArbeiterInnen ca. 18 US $ mehr fordern). Ansonsten belief sich seine Reaktion auf eine Kampagne der gezielten Fehlinformation der Öffentlichkeit, vor allem im Hinblick auf die Höhe der an seine Angestellten gezahlte Löhne, die am 7. Februar in mehreren ganzseitigen Inseraten in den venezolanischen Medien gipfelte.
Die Rolle der Regierung in diesem Fall, wie auch bislang im Fall der Entlassung Chirinos, erweckt kaum den Eindruck, als bestünde ein Interesse daran, die Kämpfe der ArbeiterInnen in irgendeiner Form zu unterstützen – inwiefern es nicht dabei bleiben wird, sondern das Arbeitsministerium sogar aktiv gegen die ArbeiterInnen vorgehen wird, muss sich in diesem Fall erst zeigen. Unsere Solidarität muss jedenfalls nicht nur Chirino gelten, sondern all den ArbeiterInnen die staatlichen und betrieblichen Repressalien ausgesetzt sind.