Streik gegen Sarkozy

Ein dreiviertel Jahr nachdem Nicolas Sarkozy die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte, verliert die Illusion des "Mehr arbeiten um mehr zu verdienen", mit der die französische Rechte auch breite Teile der ArbeiterInnenklasse täuschen konnte, allmählich an Wirkkraft.

Diese Enttäuschung geht einher mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die unverhüllt gegen die arbeitende Bevölkerung gerichtet sind und die prekäre Situation vieler Menschen noch verschlimmern: Seit Beginn des Jahres wurden beispielsweise die staatlich reglementierten Gaspreise angehoben, der Selbstbehalt bei der Gesundheitsversorgung erhöht, sowie das Arbeitsrecht "flexibilisiert" (im Sinne einer erhöhten Bewegungsfreiheit für Kündigung und Überstunden). Demgegenüber wurden die Löhne häufig nicht einmal der Inflation angepasst, was sich angesichts der steigenden Lebensmittelpreise verheerend auf die Kaufkraft auswirkt. Die Folgen dieser aggressiven Politik sind zwar enttäuschte Erwartungen und die Einsicht Vieler, dass die französische Regierung voll und ganz im Dienste der KapitalistInnen steht, aber auch eine breite Demoralisierung.

Momentan hat diese Resignation wohl auch den öffentlichen Sektor erreicht. Der "service minimum" (verpflichtende Aufrechterhaltung von einem Drittel bis zur Hälfte des Verkehrsbetriebes im Streikfall), der mit ersten Jänner in Kraft getreten ist, und im Falle eines Streiks im öffentlichen Verkehr eine Ausweitung der Bewegung beinahe verunmöglicht, hat jedenfalls keine größeren Reaktionen hervorgerufen. Dabei waren es gerade die Bediensteten der Eisenbahn und des Nahverkehrs, die sich im vergangenen Herbst vehement gegen die geplante Erhöhung der Rentenbeitragsjahre von 37,5 auf 40 Jahre gewehrt hatten.

Klassenkampf oder Sozialpartnerschaft

Bereits im Oktober konnte bemerkt werden, dass viele Angestellte bereit gewesen wären, der ungenügenden Gewerkschaftspolitik zum Trotz einen konsequenten Kampf zur Sicherung ihrer Renten zu führen. Als am 18. Oktober zu einem 24-Stunden-Streik aufgerufen wurde, stellten sich sogar Gewerkschaftsmitglieder gegen den Willen ihrer Führung und streikten weiter bis zum 20. oder 21., um ihre KollegInnen nicht im Stich zu lassen. Dasselbe Phänomen konnte auch ein Monat später beobachtet werden, als der Streik mehr als eine Woche lang anhielt. Der Druck der Basis hatte immerhin dazu geführt, dass zu einem alle 24 Stunden verlängerbaren Streik aufgerufen worden war. Doch die Politik der Gewerkschaftsführungen war von Anfang an klar: Aus ihrer Sicht wurde der Streik nicht gegen die Rentenreform geführt, sondern er sollte die Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen zwingen. Während die Basis also einen Abwehrkampf gegen Sozialabbau führt, geht es den FunktionärInnen darum, ihre Rolle als "Sozialpartner" aufrechtzuerhalten.

Dabei hatte dieser Streik ein weiteres Mal deutlich gemacht, dass jegliche Angst in dieser Hinsicht unberechtigt ist. Die Gewerkschaften sind nämlich ein wichtiges Instrument der Regierung und somit des Kapitals, um einen konsequenten und selbständigen Kampf der ArbeiterInnen zu verhindern. Die Effizienz dieses Instruments zeigte sich in der Entscheidung, die Streikversammlungen nach Kategorien getrennt abzuhalten und die Vereinigung verschiedener Sektoren des öffentlichen Dienstes zu verhindern. So fiel der lange angekündigte nationale Aktionstag der BeamtInnen, der ein großer Erfolg war und durch eine gewaltige Demonstration in Paris unterstrichen wurde, nur zufällig mit dem Streik bei den Verkehrsmitteln zusammen. Zu keinem Augenblick wurde daran gedacht, die beiden Bewegungen zu verbinden, was eventuell ein Übergreifen zum privaten Sektor ermöglicht hätte. Dass die Gewerkschaftspolitik bei vielen Streikenden auf Unverständnis gestoßen ist, zeigte sich wiederum in der Entscheidung von einzelnen Versammlungen für die Verlängerung der Bewegung um einige Tage.

Die Streikbewegung bei den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte also gut zehn Tage gedauert und erreichte trotzdem nur Verhandlungen um die groben Konturen der Reform abzuschleifen. Dabei hätte er durchaus ein großes Potential enthalten, nicht zuletzt weil er in einem Zeitraum stattfand, in dem die Angestellten anderer Sektoren begannen, die Nase gründlich voll zu haben. So hatten beispielsweise Lehrer und Lehrerinnen genügend Gründe, ihren Unmut auf der Straße kundzutun: Neben der sinkenden Kaufkraft bedeutet der geplante Abbau von 22.000 Stellen mehr Arbeit für die Angestellten und weniger Bildung für die SchülerInnen der bereits hoffnungslos überfüllten Klassen (25-30 SchülerInnen pro Klasse).

Was die Universitätsausbildung betrifft, so wurde bereits im August eine Universitätsreform parlamentarisch abgesegnet, die, ähnlich wie in Österreich oder Italien, nichts anderes als eine Privatisierung der Hochschulbildung bedeutet. Der Protest der StudentInnen und des pädagogischen und verwaltenden Personals drückte sich in zahlreichen Generalversammlungen aus, die bereits seit Ende Oktober im ganzen Land abgehalten wurden. Die Struktur der Bewegung konnte direkt vom im Frühjahr 2006 erfolgreich durchgeführten Protest gegen das Jugendarbeitsgesetz CPE übernommen werden. Dadurch konnte relativ rasch ein Netzwerk zwischen den verschiedenen Versammlungen aufgebaut und eine nationale Koordination der StudentInnen geschaffen werden. Die Bewegung dauerte bis Mitte Dezember an. Ende November wurden mehrmals wöchentlich nationale Demonstrationen organisiert und in einigen Städten konnte auch eine große Anzahl von Schulen erreicht werden. Dennoch ging der Protest im Gegensatz zur Anti-CPE-Bewegung an vielen Lernenden und Lehrenden beinahe unbemerkt vorbei.

Ähnlich wie ihre großen Brüder und Schwestern waren auch die VertreterInnen der meisten StudentInnengewerkschaften hauptsächlich an der Unterstreichung ihrer Bedeutung als VerhandlungspartnerInnen interessiert. Die kämpferischen Töne, die während der Versammlungen gewagt wurden, kontrastierten mit dem, was dann als Erfolg der Verhandlungen gefeiert wurde: einige Zugeständnisse bei der Finanzierung und der Anerkennung von Diplomen, die die Unireform nur indirekt berührten und sowieso im Gepäck der Bildungsministerin als Mittel zur besseren Verdauung der Privatisierung enthalten waren.

Es ist wichtig, die Natur und die opportunistischen Interessen der Gewerkschaftsführungen zu erkennen und zu verstehen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisierung der arbeitenden Menschen zu betonen, denn sie ist eine Voraussetzung dafür, dass ArbeiterInnen sich in einen Streik einbringen können, um dann selbständig einen konsequenten Kampf zu führen. Da die Interessen der Lohnabhängigen objektiv eine gemeinsame Basis haben in ihrem Gegensatz zu den Interessen der KapitalistInnen, muss gemeinsam gekämpft werden und eine Zerstückelung in Kategorien und Sektoren vermieden werden. Am 22. Jänner wurden die Angestellten der Eisenbahn und der Energieversorgung zu einer nationalen Demonstration aufgerufen. Zwei Tage später gingen die Beschäftigten des Bildungs- und Gesundheitssektors, der öffentlichen Verwaltung und der Post gegen den Stellenabbau auf die Straße. Am 1. Februar wurde in zahlreichen Großkaufhäusern für eine Erhöhung der Löhne und gegen die Sonntagsarbeit gestreikt.

Die immer aggressiver werdende Politik von Regierung und Kapital geht mit einem wachsenden Unmut der ArbeiterInnen Hand in Hand. Doch nur eine Verschmelzung der Kämpfe kann das Kräfteverhältnis zu Gunsten der ArbeiterInnenklasse verlagern und der allgemeinen Resignation Einhalt gebieten. Um nicht immer wieder an den Schranken des Systems abzuprallen braucht es letztlich eine systemüberwindende Alternative, die über die aktuellen Tageskämpfe hinaus weist.