Der Fall “Arigona Zogaj” und die rassistische Migrationspolitik

Seit zwei Wochen bewegt ein dramatisches Beispiel österreichischer Abschiebe-Praxis das Land. Der Fall der 15-jährigen Arigona Zogaj und ihrer Familie aus dem Kosovo. Zweifellos weht hier in der Migrationsfrage erstmals seit Jahren der politische Wind – zumindest zeitweise – in eine andere Richtung und das ist gut so. Besonders absurd, wie sich die Sozialdemokratie drehen und wenden kann. Doch geht es jetzt darum, die Debatte nicht auf Einzelschicksale zu konzentrieren, sondern die rassistische Asylpolitik insgesamt aufs Korn zu nehmen.

Gleich vorweg: Der Fall Arigona Zogaj ist natürlich kein Einzelfall. Letztes Jahr wurden täglich elf Menschen aus Österreich abgeschoben – insgesamt 4.090. Tausende tragische Schicksale, tausende persönliche Katastrophen ereignen sich Jahr für Jahr in Österreich und darüber hinaus. Es reicht, die Homepage einer der Hilfsorganisationen zu konsultieren, um einen kurzen (fürchterlichen) Einblick zu bekommen. So schrieb zum Beispiel Michael Genner, Obmann des Vereins "Asyl in Not", in seiner, von den bürgerlichen Medien in einer wahren Hexenjagd auseinander genommen, Stellungnahme zum Tod von Liese Prokop, Anfang 2006, dass ihr Namen für immer mit der Erinnerung an das Leid verzweifelter, vergebens schutzsuchender Menschen verbunden sein wird:

"An den 19jährigen Juscha, den Prokops Polizei vor den Augen seiner schwerkranken Eltern in Handschellen abführte. An die Frau, die – wahnsinnig vor Angst – nach Gugging gebracht werden musste, weil ihr Mann verhaftet worden war. An das 13jährige Mädchen, das einen Kollaps erlitt, als der Vater vor ihren Augen abgeführt wurde. Alles, wohlgemerkt: Menschen, die nichts Böses getan hatten, keine Kriminellen, sondern Flüchtlinge im Sinne der Konvention, nur leider nicht willkommen in Prokops Land. An Herrn A., der sich nachts schweißgebadet und schreiend in Albträumen wälzt; der sein neugeborenes Kind nur 5 Minuten am Gang sehen durfte; freigekämpft von Asyl in Not knapp vor dem Transporttermin. An Herrn T., für den jede Hilfe zu spät kam – abgeschoben nach Polen, weitergeschoben nach Russland, erschossen in Tschetschenien vor seinem Elternhaus."

All das passiert Tag für Tag. Ohne viel Aufregung. Und hier sind die vielen tausend, die es nicht bis an die österreichischen Grenzen der Festung Europa geschafft haben oder die ohne viel Aufsehen sofort wieder abgeschoben werden, noch nicht einmal eingerechnet. Doch nun scheint es auf einmal anders zu sein. Der Fall der 15-jährigen Arigona Zogaj und ihrer Familie, die 2001 aus dem Kosovo nach Österreich geflüchtet war, bewegt die politische Öffentlichkeit. Die liberaleren Teile der österreichischen Bourgeoisie, allen voran das Massenblatt "Österreich" starteten eine Kampagne für das Flüchtlingsmädchen. Warum plötzlich? Es mag daran liegen, dass es eben nicht so häufig vorkommt, dass sich Flüchtlinge vor ihrer drohenden Abschiebung verstecken. Und dann noch ein – wie "Österreich" zu berichten weiß – "bildhübsches Mädchen" (als ob dies ein Kriterium wäre…), welches "immerzu lächelt". Der Fall des 18-jährigen Nigerianers im oberösterreichischen Steyr, der sich aus Verzweiflung ob seiner drohenden Abschiebung ein Messer in den Bauch rammte, war dementsprechend auch nur einige Zeilen wert.

Der Fall "Arigona Zogaj"

Was der Fall "Arigona Zogaj" jedenfalls aufzeigt, ist, wie schnell sich die politische Stimmung in einem Land ändern kann. In Teilen der radikalen Linken, vor allen in jenen Teilen, die der ArbeiterInnenbewegung (oft bewusst) sehr fern stehen, herrscht teilweise die Meinung, wonach es in Österreich einen völlig durchgängigen rassistischen Konsens gäbe, der nicht veränderbar wäre. Natürlich, durch jahrzehntelange reformistischen und nationalbornierte Politik der großen reformistischen ArbeiterInnenorganisation wie SPÖ und ÖGB und deren Nachgeben gegenüber der Rechten, konnten sich in der österreichischen ArbeiterInnenklasse zahlreiche rassistischen Vorurteile festsetzen. In der Folge sind nationalistische Haltungen tatsächlich weit verbreitet – vom Sport-"Patriotismus" und den Stammtischklischee über "die Moslems" und "die Neger" bis hin zur Beurteilung von MigrantInnen nach ihrer Nützlichkeit "für Österreich" und der Forderung nach Anpassung an "unsere Kultur". Nichtsdestotrotz ergeben Umfragen, dass ganze 37% der ÖsterreicherInnen einem generellen Bleiberecht für AsylwerberInnen, die länger als 5 Jahre hier sind, positiv gegenüberstehen. Und das obwohl in den bürgerlichen Medien seit Jahren permanent gegen AsylwerberInnen gehetzt wird.

Was der Fall "Zogaj" somit aber auch zeigt, sind die Möglichkeiten der kapitalistischen Medien-Konzerne, die binnen wenigen Tagen und Wochen die Meinung der Bevölkerung stark beeinflussen können. Schließlich sprang nach einiger Zeit sogar die rechtskonservative Kronen Zeitung auf den Zug auf und Herausgeber Hans Dichand (oder besser: sein Pseudonym "Cato") war plötzlich für das Verbleiben der Zogajs in Österreich. Klarerweise nicht ohne darauf hinzuweisen, dass natürlich "nicht alle Ausländer bleiben dürfen". Absurde Züge nahm das Ganze schließlich an, als sich auf einmal bekannt rechtsextreme Hetzer wie Jörg Haider oder Peter Westenthaler – deren Partei BZÖ im letzten Wahlkampf 300.000 MigrantInnen deportieren wollte – für das Flüchtlingsmädchen stark machten. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir nur die geringste Illusion in die bürgerlichen Medien haben dürfen; in den allermeisten Fällen propagieren sie schließlich nationalistische und andere reaktionäre Positionen. Das bedeutet vielmehr, dass wir unsere eigenen Medien, Medien einer klassenkämpferischen ArbeiterInnenbewegung aufbauen und stärken müssen.

Bitte, lieber Herr Innenminister…

Die Grundstoßrichtung der "Arigona"-Kampagne äußert sich in Appellpolitik an Abschiebeminister Günther Platter. Dieser solle bitte "nicht so kaltblütig sein", "sich seiner christlichen Wurzeln besinnen" und "Herz zeigen" – nach dem Motto: "Bitte, bitte lieber Herr Innenminister, tun Sie doch was!" Wenn das ein verängstigtes 15-jähriges Mädchen sagt, ist es verständlich. Wenn das aber von hochrangigen Grün-PolitikerInnen oder Intellektuellen kommt, ist das ein Ausdruck politischer Naivität und Hilflosigkeit. Es mag schon sein, dass Platter ein "herzloser" Mensch ist. Aber diese Kritik zielt völlig am eigentlichen Ziel vorbei. Denn was Platter, Schüssel, Molterer und Co. ausmacht ist, dass hier das Mitgefühl einer Tiefkühltruhe auf politisch-ökonomische Kapitalinteressen trifft – wobei letzteres letztendlich ausschlaggebend ist. Die ÖVP (und mit ihr die SPÖ) setzen bloß um, was in der ganzen EU vollzogen wird: Die Etablierung der "Festung Europa".

Ziel ist dabei nicht, "illegale" Migration allgemein zu verhindern, sondern bloß einzelne Arbeitskräfte "durchzulassen". Sie sollen Europas Unternehmen als rechtlose BilligarbeiterInnen dienen und eingesetzt werden, um gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige zu ersetzen und die Löhne der europäischen ArbeiterInnen zu drücken. Ergänzend wünschen sich viele KapitalistInnen eine "Green Card-Lösung" mittels derer hochqualifizierter Arbeitskräfte, welche die heimische Wirtschaft benötigt, genau ausgewählt werden können. Das grüne "Punktesystem zur Steuerung der Erwerbsmigration" zum Beispiel, welches "Punkte für Ausbildung, Sprachkenntnisse und qualifizierte Arbeitserfahrung" vergibt (so die Homepage der Grünen) ist eine solche Quotenregelung. Aber Quotenregelungen bringen automatisch Abschiebungen und Menschenjagd an der Staatsgrenze mit sich. Und überall dort, wo die Grünen an Regierungen beteiligt sind (z.B. Oberösterreich, früher in Deutschland, Frankreich etc.) beteiligen sie sich munter an diesem grausigen Spiel. Die patriotische Standortlogik ist ihnen da allemal näher als ein konsequentes Eintreten für die migrierten Opfer des internationalen Kapitalismus.

SPÖ stimmt zu

Für ZuwandererInnen wurden die gesetzlichen Ausgangsbedingungen seit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs" praktisch im Jahresrhythmus verschärft (und die meisten dieser Verschärfungen wurden unter SPÖ-geführten Regierungen von den SPÖ-Innenministern Löschnak, Einem und Schlögl vorgenommen). Politische Flüchtlinge werden heute fast nur noch in Ausnahmefällen anerkannt (2004 wurden von 24.634 Anträgen um Asyl nur 5.208 gewährt). 2005 wurde schließlich ein weiteres rassistisches Asylgesetz beschlossen, durch das die Anerkennungsquote noch weiter gesunken ist. Dieses wurde von der schwarz-blauen Regierung eingebracht, nichtsdestotrotz hat die SPÖ diesem zugestimmt, gerade 5 SPÖ-Abgeordnete entzogen sich der Abstimmung ("habe Kopfweh"…) . Es ist mehr als lächerlich, wenn Gusenbauer, Prammer und Konsorten jetzt die Auswirkungen ihrer eigenen Gesetze "grauslich" finden. Diesen Gestalten richten wir aus: Wir finden euch grauslich, weil ihr – als Spitzen der traditionellen (bürgerlichen) ArbeiterInnenpartei Österreichs – mit eurer Politik "inländische" und "ausländische" ArbeiterInnen spaltet und SchreibtischtäterInnen der Abschiebepolitik seid!

Wie wird es nun weitergehen? Aus Sicht der Bundesregierung wäre es natürlich klug, die Zogajs wieder in Österreich zusammen zu führen, um sich anschließend als sozial und human präsentieren zu können. Danach können und werden sie weiterhin hunderte und tausende Menschen abschieben. Aufregung wird es dann nicht mehr viel geben, schließlich geht es Medien wie "Österreich" nicht um Flüchtlinge sondern um Auflage und Vermarktung – und irgendwann "zieht" das Thema dann nicht mehr. Einen tatsächlichen Druck in Richtung der Änderung des Bestehenden könnte nur die ArbeiterInnenbewegung ausüben. Und der Pfarrer, der Arigiona Zogaj Hilfe leistete, wird wohl kaum zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Schließlich gehören katholische Pfarrer zur Stammklientel der ÖVP. Nicht so zimperlich verfährt der Repressionsapparat mit anderen Schichten der Gesellschaft. Die derzeitige vermehrte Kritik an Abschiebungen brachte die österreichische Polizei sogar dazu, am 27.09. mittels Zivilbeamten auf einem Texte- und Gedichteabend der Hauptschule Pabneukirchen zum Thema "Heimat" herumzuschnüffeln. Der Hintergrund für die Inkognito-Aktion am Kinderabend dürfte mit der Familie Malokaj zusammenhängen: Die albanischen AsylwerberInnen leben mit ihren drei Kindern seit mehreren Jahren in der 1300-EinwohnerInnen-Gemeinde.

Dieser Staat muss "erpresst" werden!

Abschiebeminister Platter sprach im Zusammenhang mit Arigona Zogaj von "Erpressung". Grüne, Liberale, ChristInnen und andere haben schon Recht, wenn sie meinen, dieser Vorwurf wäre lächerlich gegenüber einer 15-jährigen die sich vor dem brutalen Zugriff des bürgerlichen Staats versteckt. Was sie aber nicht einsehen und nicht einsehen können ist, dass dieser Staat nichts tun wird, solange er eben nicht "erpresst" wird. Dies ist auch der Grund für ihre zahnlosen Appelle an die ÖVP. Solange die einzige Kraft, die die (potentielle!) Macht dazu hätte, die Verhältnisse zu ändern, nämlich die ArbeiterInnenbewegung, keinen Druck ausübt, solange wird sich auch nichts zum Besseren ändern. (Natürlich kann das endgültige Ziel nicht sein, den kapitalistischen Staat zu besseren Gesetzen zu zwingen, sondern ihn zu beseitigen). Zum Beispiel könnten die Gewerkschaften die Beschäftigten der Flughäfen zu einem Boykott von Deportationen organisieren. Auf einer breiteren Ebene wäre es notwendig, wenn die Gewerkschaft der nationalistischen Stimmung in vielen Betrieben mit internationalistischen Losungen ein Gegengewicht entgegensetzte. Angesichts eines ÖGB, der sich vollends der nationalistischen Standortlogik verschrieben hat, bleibt das aber wohl leider bis auf weiteres ein Wunschtraum.

Entgegen dem linksliberalen Sumpf von Grünen und anderen lehnt die RSO die rassistische Migrationspolitik Österreichs und anderer imperialistischen Staaten grundsätzlich ab. Unsere Kritik bezieht sich nicht darauf, dass Asylverfahren zu lange dauern oder ähnliches (wäre es vielleicht besser, die MigrantInnen gleich abzuschieben?). Weiters wehren wir uns gegen die reaktionäre Forderung nach Integration/Assimiliation der Immigrierten, speziell als Vorbedingung für ein Aufenthaltsrecht. Was soll "Integration" überhaupt heißen und wer bestimmt dann, ob jemand "gut integriert" ist? Muss der Vater in der Blasmusikkapelle spielen, die Mutter im Pfarrgemeinderat aktiv sein und die Tochter aufs Ferienlager der katholischen Jungschar mitfahren?

Darüber hinaus lehnen wir auch die Trennung in ("böse") "Wirtschaftsflüchtlinge" und ("gute") "politische Flüchtlinge" ab. Denn Wirtschaft und Politik sind untrennbar miteinander verwoben. Ist es z.B. unpolitisch, wenn eine Frau vor dem Hunger aus Angola flüchtet, wenn in Betracht gezogen wird, dass dieser Hunger die Folge von Jahrhunderten portugiesischer Kolonialausbeutung ist? Ist es unpolitisch, wenn bedacht wird, dass ein wichtiger Grund für die heutige Unterernährung der BürgerInnenkrieg ist, den die USA und die rechten Todesschwadronen des Apartheid-Südafrikas gegen die sowjetfreundliche Regierung anzettelten?

Solange der Imperialismus die Rohstoffe der "Länder des Südens" plündert, dort Kriege führt oder anzettelt, solange das Produkt der ArbeiterInnen in den unterdrückten Ländern hauptsächlich in die Hände europäischer und amerikanischer KapitalistInnen fließt, solange werden die Flüchtlingsströme in den "Norden" auch nicht abreissen. Schuld für die katastrophale soziale Situation in den armen Ländern ist die imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung (oft ein wenig verschleiert durch diverse Marionettenregime). Und Schuld an der sozialen Misere hierzulande, an Arbeitslosigkeit und Sozialabbau sind nicht die MigrantInnen, sondern die kapitalistischen Konzerne und das kapitalistische System als Ganzes. Deshalb setzen wir den Schranken der EU und der rassistischen Hetze die internationale Solidarität und die Forderung nach unbeschränkter Immigration und der rechtlichen Gleichstellung der EinwandererInnen entgegen.

 

Zum Weiterlesen:

Smash Racism!

Smash Racism!Was ist Rassismus? Wie kann er bekämpft werden? Eine marxistische Analyse. Marxismus-Sondernr. 32, Februar 2010, Preis: 2,5 Euro / 4 SFR
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