Im Rahmen des Kampfes um einen neuen Rahmenkollektivvertrag für rund 1,5 Millionen öffentlich Bedienstete in Venezuela kam es Mitte August zur Besetzung des venezolanischen Arbeitsministeriums durch GewerkschaftsvertreterInnen …
Wiederholt hatte die venezolanische Regierung in den letzten Wochen versucht, die Kollektivvertrags-Verhandlungen im Öffentlichen Dienst zu sabotieren. Dies ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass die Regierung Chávez, insbesondere der Arbeitsminister José Ramón Rivero, den starken Einfluss der klassenkämpferischen Gewerkschaftsströmung C-CURA ("Clasistas") in den Reihen der venezolanischen ArbeiterInnenbewegung brechen will. Denn ähnlich wie in den Basisgewerkschaften der – für Venezuela so wichtigen – Erdölindustrie, wo momentan auch über einen neuen Kollektivvertrag verhandelt wird, hat die C-CURA bei den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes großen Rückhalt.
Um Verhandlungen zu erzwingen, hatte eine Gewerkschaftsdelegation am 15. August das Arbeitsministerium in der Hauptstadt Caracas besetzt. Daraufhin wurden Zäune rund um das Gebäude errichtet und Spezialeinheiten der Polizei aufgefahren, eine Versorgung der BesetzerInnen mit Nahrungsmitteln wurde verwehrt. Nach einigen Tagen wurde die Besetzung schließlich von einer rund 80 Personen umfassenden Schlägerbande – unter der wohlwollenden Aufsicht der (dem Präsidenten Chávez unterstehenden) Nationalgarde und der Polizei – gebrochen.
Dieser Vorfall ist möglicherweise ein Vorbote einer Zunahme der Repression gegen kämpferische AktivistInnen der venezolanischen ArbeiterInnenbewegung, gegen den "Gewerkschaftsterrorismus" um es mit den Worten des chavistischen Gouverneurs des Bundesstaates Bolivar, Francisco Rangel Gomez, zu sagen. Denn der von Chávez proklamierte "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", der, wie der Präsident vor kurzem in einer Fernsehsendung bestätigt hat, ein "Sozialismus des Privateigentums" sein wird, akzeptiert offenbar keine unabhängigen, klassenkämpferischen oder gar wirklich revolutionären ArbeiterInnenorganisationen.
Im Juni 2006 löste die Polizei eine Straßenblockade von protestierenden ArbeiterInnen unter Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken auf; zwölf ArbeiterInnen wurden verhaftet, der chavistische Staatsanwalt forderte 4-8 Jahre Haft (!!) wegen "Blockade einer öffentlichen Straße". Im Juli 2006 wurde eine Gewerkschaftsdemonstration in Caracas vom chavistischen Innenministerium verboten (und trotzdem nahmen über 6.000 Menschen daran teil). Im Sommer 2006 wurden fünf Arbeiter des Stahlwerks SIDOR, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen protestiert hatten, von der Nationalgarde unter dem Vorwurf der "übertriebenen Aneignung von Fabrikmaschinen" inhaftiert. Und im April 2007 überfielen Polizei und Nationalgarde in einem Gewaltexzess an Macheten, Tränengas, Schlägen und Gummigeschoßen eine Gruppe von ArbeiterInnen der bis vor kurzem besetzten Fabrik Sanitarios Maracay; es gab rund ein Dutzend Verletzte und 19 Verhaftungen.
Angesichts solcher Tatsachen müssen sich Linke hierzulande (und anderswo) entscheiden, auf welcher Seite sie in kommenden Konflikten stehen wollen. Wollen sie unkritisch den "Commandante" Chávez und seine Regierung bejubeln (und dabei möglicherweise sogar Repression gegen ArbeiterInnen ideologisch mittragen) oder wollen sie sich solidarisch mit der kämpferischen ArbeiterInnenbewegung Venezuelas zeigen. Wir jedenfalls gedenken letzteres zu tun…