Grundsätze der RSO

Wir sind eine antikapitalistische Organisation in der Tradition des Trotzkismus. Die RSO existiert in Österreich in Wien und hat Schwesternorganisationen in Deutschland, Frankreich und den USA. Der folgende Text versteht sich als unser grundsätzliches Programm, auf dem wir unsere Organisation aufbauen.

 

 

Vorwort

Das vorliegende Dokument ist die politische Grundlage der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO). Die Grundsätze sind der Schlusspunkt eines monatelangen Annäherungs- und schließlich Fusionsprozesses von AL-Antifaschistische Linke und Arbeitsgruppe Marxismus (AGM). Auf der Fusionskonferenz der beiden Organisationen im Mai 2007, zugleich die Gründungskonferenz der RSO, wurden die Grundsätze einstimmig beschlossen. Die Basis des neuen Dokumentes sind die im Januar 1999 beschlossenen Grundsätze der Arbeitsgruppe Marxismus. Sie wurden auf der Fusionskonferenz von AGM und AL in etlichen Punkten abgeändert und ergänzt. Wir denken, dass wir mit diesem Dokument auf die Grundfragen der ArbeiterInnenbewegung adäquate Antworten geben. Wir verbinden dabei das, was wir – auch in Abgrenzung zu den bürgerlichen und stalinistischen Zerrbildern des “Marxismus” – für ein marxistisches Grundverständnis ansehen, mit grundlegenden strategischen und taktischen Positionierungen.

Revolutionäre Programme sind generell nichts Zeitloses. Auch mit unseren neuen Grundsätzen ist nicht das letzte Wort gesprochen. Neue Erfahrungen können Korrekturen notwendig machen. In diesem Sinn verstehen wir das vorliegende Dokument auch als Ansatzpunkt für eine Diskussion zur Neuformierung von revolutionären Kräften.

Wien/Berlin/Zürich, Mai 2007

 

Einleitung

Die Destruktivität und die Absurdität des kapitalistischen Systems kommen immer ungeschminkter und deutlicher zum Ausdruck. Seit der Jahrtausendwende, ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und nach dem Abflauen der damit verbundenen bürgerlichen ideologischen Offensive, wird dies immer offensichtlicher. Die wahnwitzigen Zerstörungskräfte des Kapitalismus haben bereits das letzte Jahrhundert geprägt und werden auch dieses prägen, wenn es die ArbeiterInnenklasse nicht schafft, die bürgerliche Klassenherrschaft zu überwinden. Der technische Fortschritt, der das Potenzial für so viele Erleichterungen hätte, wendet sich unter kapitalistischen Bedingungen gegen die Mehrheit der Menschen. Neue Maschinen führen zu Arbeitslosigkeit. Unter krankmachenden Arbeitsverhältnissen werden Produkte erzeugt, die dann nicht verkauft werden können. Vieles bleibt liegen oder wird wieder vernichtet – Industriegüter ebenso wie landwirtschaftliche Produkte. Gleichzeitig leidet ein großer Teil der Menschheit Mangel an Gütern und Dienstleistungen – Wohnungen, Essen, medizinische Versorgung etc. Die Arbeitskraft von hunderten Millionen Menschen liegt brach (während andere unter immer stärkerer Arbeitshetze leiden). Die Ressourcen von Millionen Menschen werden für die parasitäre Bürokratie des Kapitalismus (Bank- und Versicherungswesen, Werbung, staatliche und private bewaffnete Einheiten des Kapitals) verschwendet.

Gleichzeitig gäbe es unabsehbar viele sozial und ökologisch sinnvolle Arbeiten, die nicht getätigt werden, weil sie keinen Profit bringen oder garantieren. Die verschärfte internationale Konkurrenz macht ökologische Rücksichtnahmen für das Großkapital – trotz häufiger gegenteiliger Beteuerungen – weitgehend zu einem Randthema und führt zu einer fortgesetzten Zerstörung des Ökosystems. Mit einem Bruchteil der Aufwendungen für die Rüstungsproduktion könnten Kindersterblichkeit, Seuchen und Hungertod weltweit weitgehend zum Verschwinden gebracht werden. Stattdessen nehmen Elend, Hunger und armutsbedingte Krankheiten auf allen Kontinenten zu. Die soziale Kluft zwischen einer kleinen Oberschicht und der Mehrheit der Menschheit wird immer größer. Im Kampf um die Reste vom Tisch der großen Konzerne und Banken werden in immer mehr Teilen der Welt Menschen in nationalistische, “ethnische” oder “religiöse” Kriege gehetzt – bei denen es oft genug real um das Abstecken von Einflusszonen zwischen Kapitalgruppen geht.

Die Periode der kapitalistischen Stabilität, die die Jahrzehnte nach 1945 prägte, geht seit einiger Zeit schrittweise in eine Periode der Instabilität über. Die Widersprüche und Probleme der neoliberal “globalisierten” Weltwirtschaft nehmen zu. Die Spielräume für Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse werden sukzessive geringer. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst soziale Konflikte, Klassenkämpfe und Revolten, zunehmend aber auch (vor)revolutionäre Situationen häufen. Die ökonomisch, sozial und ökologisch zerstörerische Dynamik des Systems und seine Perspektivlosigkeit werden für immer mehr Menschen offensichtlich werden. Gleichzeitig ist aber die Ideologie von der Natürlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise, der Konkurrenz und des blinden Eigennutzes heute tief in den Köpfen verwurzelt – und zwar nicht nur bei denen, die vom kapitalistischen System profitieren, sondern auch im Bewusstsein derer, die von den herrschenden Verhältnissen ausgebeutet und unterdrückt werden. Dort, wo es zu Widerstand kommt, handelt es sich meist um Abwehrkämpfe und spontanes Aufbegehren, denen eine systemüberwindende Ausrichtung, eine positive gesellschaftliche Alternative, völlig abgeht.

Und große Teile der Linken haben sich enttäuscht von Proletariat, Klassenkampf und revolutionärer Überwindung des Systems verabschiedet. Auch viele der Strömungen, die nicht ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht haben, fallen – abgestoßen von den sterilen Dogmen des Stalinismus – weit hinter bereits erkämpfte Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung zurück. Diese “undogmatischen” Linken landen dann oft bei den idealistischen Vorstellungen der utopischen SozialistInnen des frühen 19. Jahrhunderts. Sie malen sich eine Gesellschaft aus, wie sie sie gut und schön finden würden, und sie enden – mangels eines Verständnisses der Funktionsmechanismen der Gesellschaft, mangels eines Verständnisses über die potenzielle Kraft der ArbeiterInnenklasse – bei zahnlosen Appellen an das Establishment.

Diese Lage hat im wesentlichen zwei Ursachen: einerseits die relativ gefestigte kapitalistische Herrschaft der letzten Jahrzehnte und die damit verbundene (sozialdemokratische) Integration der besser gestellten Teile der ArbeiterInnenklasse und der aufgeblähten Mittelschichten in das System; andererseits die bürokratische Degeneration der Sowjetunion, das Scheitern des von StalinistInnen und Bürgerlichen gleichermaßen fälschlicherweise als realen Sozialismus bezeichneten Stalinismus, durch das es der bürgerlichen Propaganda gelungen ist, den Sozialismus schlechthin, den Marxismus im Besonderen und letztlich jede Form einer gesellschaftlichen Perspektive, die über den Kapitalismus hinausweist, in der ArbeiterInnenklasse weitgehend zu diskreditieren.

Allerdings zeigt alleine die Tatsache, dass der angeblich mausetote Marxismus ständig neu begraben wird, dass die “Wissenschaftler” und JournalistInnen der herrschenden Klasse damit nicht so erfolgreich waren, wie das vorgesehen war. Die neoliberale Ideologie von der allein selig machenden Wirkung des freien Marktes hat in den letzten Jahren deutlich Risse bekommen. Aus dem überlegenen Grinsen der bürgerlichen PropagandistInnen ist – angesichts gehäufter Krisenerscheinungen in ihrem Weltwirtschaftssystem – verlegene Ratlosigkeit geworden. Bei vielen ArbeiterInnen (besonders in Westeuropa) verwandelt sich die Haltung zur fortgesetzten Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebenssituation zunehmend von einer Akzeptanz des vermeintlich Notwendigen in eine diffuse Ablehnung und teilweise auch in (orientierungslosen) Widerstand. Klassenkämpferische Reflexe werden häufiger und setzen auch die Gewerkschaften dahingehend unter Druck. Und Teile der linksliberalen Intellektuellen kokettieren wieder mit Aspekten von dem, was sie für den Marxismus halten.

In dieser gesellschaftlichen Situation entstehen auch für die revolutionären Kräfte wieder große Chancen. Es wird darum gehen, nach dem Zusammenbruch des Stalinismus eine neue Perspektive der ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln und in der ArbeiterInnenklasse zu verbreiten. Dabei ist es notwendig, wesentliche Errungenschaften des Marxismus, die die ArbeiterInnenbewegung in den letzten 150 Jahren – oft mit blutigen Erfahrungen – erkämpft hat (etwa zu den Fragen des Staates, der ArbeiterInnenklasse als Trägerin und revolutionäres Subjekt der Veränderung, der Partei, der Revolution …), in der Linken und der ArbeiterInnenklasse neu zu verankern. Durch eine Rekonstruktion des Marxismus als kritische und revolutionäre Methode – d.h. jenseits der halbreligiösen Lehrsätze der stalinistischen Staatsideologie ebenso wie jenseits der orientierungslosen Beliebigkeit der akademischen “Linken” – können diese historischen Errungenschaften schließlich mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kämpfen verknüpft werden. Auf diese Weise können neue revolutionäre Kader herausgebildet werden, die ihre politische Tätigkeit nicht auf parteimäßig verordnete illusionäre Hoffnungen stützen, sondern auf ein marxistisches Verständnis der ökonomischen und politischen Klassenverhältnisse und ihrer Dynamiken. So kann eine solide politische Grundlage für eine neue internationalistische ArbeiterInnenbewegung gelegt werden.

Das vorliegende Papier versteht sich als erster Ansatzpunkt, um – von einem solchen Grundverständnis ausgehend – revolutionäre Kräfte auf einer politischen Basis zu sammeln. Als notwendige Voraussetzung für so eine Sammlung halten wir die Übereinstimmung zu theoretischen Grundpositionen des Marxismus und zu grundlegenden Taktiken. Die Konkretisierung dieser Taktiken jedoch ist immer ganz entscheidend von den Kampfbedingungen und der jeweiligen Stärke der revolutionären Kräfte (also des “subjektiven Faktors”) abhängig.

1. Kapitalismus & Imperialismus

Im 20. Jahrhundert hat der Kapitalismus immer mehr einen destruktiven Charakter angenommen. Zwar war auch schon die Ausbreitung und Durchsetzung des Kapitalismus bis ins 19. Jahrhundert mit Ausbeutung, Unterdrückung und ökologischer Zerstörung verbunden. Gleichzeitig bedeutete die Konkurrenz (als zentraler Antriebsmechanismus der kapitalistischen Produktionsweise) aber auch eine Verdrängung von feudalen und anderen vorkapitalistischen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen, technische, medizinische und soziale Fortschritte.

Die Bewegungsgesetze des Kapitalismus, die durch ihre Dynamik die Grundlage für eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschheit schufen, führten zu einer rasanten Expansion, die schließlich Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker auf ihre Grenzen stieß. Der Kapitalismus war – wie es MarxistInnen später nannten – in sein imperialistisches Stadium übergegangen. Das Industriekapital war mit dem Bankkapital zum Finanzkapital verschmolzen. Die großen Konzerne und die mit ihnen verbundenen Nationalstaaten hatten die Welt unter sich aufgeteilt. Der Export von Waren hatte zugunsten des Kapitalexports an Bedeutung verloren.

Mit immer besseren technischen Möglichkeiten wurden aber weiter immer mehr Produkte hergestellt und immer mehr Kapital angehäuft. Dieses Kapital musste, sollte es nicht zu Kapitalvernichtung und Wirtschaftskrisen kommen, profitabel angelegt werden – was angesichts eines begrenzten Planeten immer schwieriger wurde. In der Folge spitzten sich die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise immer weiter zu. Das 20. Jahrhundert war schließlich geprägt vom ökonomischen und militärischen Kampf um Einflusszonen zwischen den imperialistischen Großmächten, von Kapitalvernichtung durch Kriege und Krisen.

Dabei wurde aber auch deutlich, dass es für den Kapitalismus – anders als von manchen MarxistInnen angenommen – keine ausweglose Situation gibt. Überproduktion von Kapital und sinkende Profitraten führen zwar immer wieder zu schweren ökonomischen Krisen. Es kommt aber dadurch keineswegs automatisch (wie das Teile der Linken erwartet hatten) zu einem Zusammenbruch des Kapitalismus. Ohne die bewusst systemüberwindende Intervention einer revolutionären ArbeiterInnenbewegung ist das Ergebnis einer kapitalistischen Überakkumulationskrise die Vernichtung von Kapital durch Kriege oder gigantische Firmenzusammenbrüche. Um die damit einhergehenden katastrophalen sozialen Folgen politisch durchzusetzen, ist eine brutale Vorgangsweise gegen die ArbeiterInnenbewegung (und oft auch gegen minimalste bürgerlich-demokratische Rechte) notwendig. Auf diese Weise kann der Kapitalismus immer wieder überleben.

Allerdings werden die Auswirkungen der weiter bestehenden Marktwirtschaft für die Menschheit und den Planeten immer dramatischer. Der Kapitalismus hat in diesem Jahrhundert nicht nur zwei imperialistische Weltkriege überlebt, sondern es gelang ihm auch, die proletarische Revolution zuerst auf Russland beschränkt zu halten, dann deren Degeneration maßgeblich zu begünstigen und schließlich die stalinistischen Staaten zu besiegen. Aber trotz des langen Wirtschaftsbooms, den der Kapitalismus nach 1945 auf der Grundlage der Kapitalvernichtung im Krieg und der internationalen Vorherrschaft des US-Imperialismus erlebte, und trotz des erneuten Aufschwungs der Produktivkräfte geriet der Motor des Systems seit den späten 60er Jahren immer stärker ins Stottern. Es waren bereits wieder zu große Mengen an Kapital angehäuft. Seit den 80er Jahren gelang es der KapitalistInnenklasse die Profitraten zu stabilisieren und sie in den letzten 15 Jahren teilweise sogar wieder zu erhöhen. Eine Grundlage dafür war die Unterwerfung der ehemals stalinistischen Länder, vor allem aber die intensivierte Ausbeutung der internationalen ArbeiterInnenklasse. Für die ökonomische Erholung des Kapitalismus zahlen die ArbeiterInnen weltweit einen immer höheren Preis.

Sogar in den imperialistischen Zentren spüren heute große Teile der ArbeiterInnenklasse die Grenzen des Kapitalismus am eigenen Leib. Armut, soziales Elend und Umweltzerstörung sind nur einige Stichworte. Noch viel dramatischer stellt sich diese Situation in den imperialisierten Ländern dar. Es ist offensichtlich geworden, dass die bürgerlich-nationalistischen Befreiungsbewegungen, die im Rahmen des Kapitalismus auf einen eigenen “nationalen” Weg gesetzt haben, angesichts des Druckes von Finanzkapital und IWF/Weltbank zum Scheitern verurteilt sind. Der Antiimperialismus der bürgerlichen Kräfte in den halbkolonialen Ländern hat sich dabei immer wieder als halbherzig und schwankend herausgestellt. Sie haben zwar gelegentlich versucht, ihre Profitmöglichkeiten auch in Konfrontation mit den imperialistischen Mächten zu verbessern, schrecken aber stets vor einer konsequenten Mobilisierung der Massen zurück – aus Angst, die anti-imperialistischen Kämpfe könnten sich zu einer sozialen Revolution entwickeln und sich so auch gegen die KapitalistInnen der imperialisierten Ländern richten.

Die Marktgesetze durchdringen nach der neoliberalen Offensive der 80er und 90er Jahre weltweit noch stärker als zuvor alle Bereiche der Gesellschaft – vom politischen System über das kulturelle Leben bis hin zu den persönlichen Beziehungen. Zu den unsolidarischen Verhältnissen kommen immer erniedrigendere und skurrilere Formen der psychischen Verelendung. Aber trotz des vorherrschenden Kampfes jeder gegen jeden (auf dem Weltmarkt ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt und dem Beziehungsmarkt), der heute vielen als naturgegeben erscheint, verlassen sich die KapitalistInnen doch nicht nur auf das freie Wirken der Marktkräfte. Zusätzlich setzen sie auf eine ideologische Präparierung der Bevölkerung durch Ausbildungsstätten (Schulen, Universitäten,…) und Massenmedien. Als Teil dieser Präparierung vertiefen und verfestigen sie die Spaltung der Bevölkerung in Männer und Frauen, Inländer und Ausländer, Angestellte und ArbeiterInnen, Alte und Junge, Heterosexuelle und Bisexuelle/Homosexuelle/Transgender.

Die KapitalistInnenklasse kann sich dabei auf etablierte soziale Strukturen und Traditionen der geschlechtsspezifischen, nationalen/rassistischen, sexuellen und altersspezifischen Unterdrückung stützen, die in unterschiedlicher Weise schon in früheren Klassengesellschaften existierten. Sie sind mit dem Kapitalismus nicht verschwunden, sondern haben vielmehr eine den Klasseninteressen der Bourgeoisie angepasste Form angenommen. Frauenunterdrückung findet im Kapitalismus insofern ihre entwickeltste Form, als sie tendenziell nicht mehr als rechtliche Ungleichheit erscheint und dadurch klarer als soziale Unterdrückung erkennbar wird. Wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung der sozialen Unterdrückung, der Hierarchisierung und Disziplinierung der Bevölkerung im Allgemeinen und für die Unterdrückung von Frauen, Kindern und Jugendlichen im Besonderen hat die bürgerliche (Klein-) Familie. Eine zentrale Funktion bei der kapitalistischen Herrschaftssicherung spielen auch Nationalismus und Rassismus. Sie sind in ihrer “modernen” Form erst mit dem Kapitalismus entstanden und schaffen auf systematische Weise eine Identifikation der Bevölkerung mit dem Projekten von bestimmten Kapitalgruppen, die in der Regel in Nationalstaaten organisiert sind.

Von den verschiedenen Formen der sozialen Unterdrückung sind Angehörige aller Klassen betroffen. Allerdings wird die Unterdrückung etwa von reichen AusländerInnen oder von Frauen aus der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, durch ihre privilegierte ökonomische Stellung stark gemildert, während etwa ArbeitsimmigrantInnen oder Arbeiterinnen die rassistische beziehungsweise geschlechtsspezifische Unterdrückung mit voller Wucht zu spüren bekommen. An sich sind Frauenunterdrückung oder Rassismus keine (von den ökonomischen Mechanismen her) notwendigen Bedingungen des Kapitalismus. Aber die bürgerliche Ordnung ist auch ein politisches Herrschaftssystem. Da die KapitalistInnenklasse von der sozialen Unterdrückung profitiert und sich ihr System entscheidend auf die Spaltung der Bevölkerung und insbesondere der ArbeiterInnenklasse gründet, war und ist auch die “demokratischste” Variante des Kapitalismus nicht zur Überwindung von Frauenunterdrückung, Rassismus etc. in der Lage. Vielmehr werden sämtliche Formen der sozialen Unterdrückung vom Kapitalismus immer wieder reproduziert.

Zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung sind der herrschenden Klasse aber auch die ideologische Indoktrinierung und Verhetzung nicht sicher genug, denn die Widersprüche des Systems sorgen trotz Allem immer wieder für Opposition, Organisierung, Widerstand und Aufbegehren der unterdrückten Klassen. Um dem zu begegnen und um das tagtägliche Funktionieren der Klassenherrschaft durchzusetzen und zu verwalten, hält sich der Kapitalismus einen Staatsapparat, der im Kern aus Polizei, Militär und Justiz besteht, der dem Schutz der bestehenden Eigentumsverhältnisse verpflichtet und von der Mehrheit der Bevölkerung abgehoben ist.

Solche besonderen Formationen bewaffneter Menschen sind keine Neuerung des Kapitalismus. Sie existieren vielmehr seit dem Bestehen von Klassengesellschaften, seitdem ein Mehrprodukt vorhanden ist, das sich ein Teil der Bevölkerung – mit der Hilfe von staatlichen Strukturen – aneignet. Die konkrete Ausprägung der Staatsapparate war dabei jeweils der entsprechenden Produktions- und Ausbeutungsweise (SklavInnenhalterInnengesellschaft, asiatische Produktionsweise, Feudalismus, Kapitalismus) angepasst. Im Kapitalismus nehmen sie typischerweise die Form von Nationalstaaten an, die dem Bedürfnis des Kapitals nach einem einheitlichen Markt und nach einheitlichen rechtlichen Verhältnissen entsprechen. Diese Nationalstaaten stellten Ausgangspunkte und Instrumente für die weltweite Expansion des Kapitals dar, gleichzeitig waren die nationalen Grenzen aber auch Hindernisse für diese Expansion, weshalb die imperialistischen Staaten zur Bildung von Einflusssphären, Freihandelszonen und Blöcken Zuflucht nehmen.

In diesem Sinn ist die Europäische Union ein kapitalistisches Einigungsprojekt, das für die Kapitalien sinnvoll geworden war, um die Profitmöglichkeiten in den bereits zu engen nationalen Märkten zu verbessern. Die an Nationalstaaten gebundenen Nationalismen werden zwar partiell durch eine europäische Festungsmentalität ersetzt und es bildet sich in Ansätzen ein vorwiegend gegen EinwandererInnen aus ärmeren Regionen Osteuropas, Nordafrikas und Vorderasiens gerichteter Euro-Nationalismus heraus, aber auch dabei bleibt die Funktion dieselbe: die Klassengegensätze zu verschleiern und die Interessen der Herrschenden, eben auch die Blockbildung, die den europäischen Imperialismen ein stärkeres Gewicht in der Weltpolitik und -ökonomie geben soll, als im Interesse “aller” gelegen zu legitimieren.

All die Angriffe auf den Lebensstandard der lohnabhängigen Bevölkerung, die weltweite Ausbreitung des Elends und die staatlichen Gewaltapparate der KapitalistInnen können aber die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise auch nicht lösen. Der Kapitalismus muss unvermeidlich an die Grenzen seiner Expansion stoßen, die Überakkumulation des Kapitals wird weiter zunehmen. Die Entwicklung in eine neue ökonomische und/oder politisch-militärische Katastrophe kann – im Rahmen des Systems – nur hinausgezögert, nicht aber verhindert werden. Angesichts des mittlerweile entwickelten Zerstörungspotenzials des Kapitalismus stellt sich immer krasser eine Alternative: eine neue, verschärfte Runde der kapitalistischen Barbarei bis hin zur Möglichkeit, dass die gesamte Menschheit vernichtet wird, oder der Sieg der revolutionären ArbeiterInnenklasse über das herrschende System.

2. ArbeiterInnenklasse und ArbeiterInnenbewegung

Die ArbeiterInnenklasse hat sowohl für den Kapitalismus als auch für seine Überwindung eine besondere Bedeutung. Die ArbeiterInnen sind doppelt frei, frei von vorkapitalistischen Zwängen, also frei um sich auf den kapitalistischen Arbeitsmarkt begeben zu können, aber auch frei von der Möglichkeit zur selbständigen Produktion, also gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Sie sind dabei dem Kommando der KapitalistInnen beziehungsweise ihrer Handlanger unterworfen. Das gilt sowohl für die in der Produktion als auch für die in der Zirkulationssphäre (Handel, Transport, Bankwesen …) beschäftigten ArbeiterInnen. Erst durch die kombinierte Arbeitskraft der verschiedenen Teile der ArbeiterInnenklasse kann das Kapital seinen Profit realisieren und dadurch sein System in Funktion halten.

Durch ihre Stellung im Produktionsprozess haben die ArbeiterInnenklasse und hier vor allem ihrer Kernschichten, d.h. jene ArbeiterInnen, die in den wichtigsten Branchen des Kapitalismus (beispielsweise Öl, Stahl, Auto, Chemie, Maschinenbau, Transport, Telekommunikation) beschäftigt sind – potentiell – weit mehr Macht als andere unterdrückte Schichten im Kapitalismus, als etwa die BäuerInnen oder städtischen Armen in den Halbkolonien. Die ArbeiterInnenklasse, die international immer stärker anwächst, ist – wie der kapitalistische Produktionsprozess selbst – zwar ständig einer Umformung unterworfen. Diese permanente Neuzusammensetzung ändert aber nichts an ihrer grundlegenden Position im Produktions- und Reproduktionsprozess.

Und diese Position gibt ihr nicht nur die Möglichkeit, die kapitalistische Produktion und Zirkulation – und damit auch die Profitmacherei und Kapitalakkumulation – lahm zu legen, sondern macht die ArbeiterInnenklasse auch zum einzig möglichen sozialen Träger einer antikapitalistischen Revolution und einer sozialistischen Gesellschaft. Nur die ArbeiterInnenklasse kann das “naturwüchsige” Funktionieren des Kapitalismus beenden und gleichzeitig die Produktion und Zirkulation übernehmen und neu organisieren. Nur sie kann durch die eigene Machtübernahme die Klassenherrschaft der Bourgeoisie beseitigen und in Folge auch ein Absterben jeder Klassenherrschaft und der verschiedenen Formen der sozialen Unterdrückung einleiten.

Die ArbeiterInnenklasse übernimmt aber nicht automatisch diese Funktion, so dass man nur darauf warten müsste, bis “der objektive historische Prozess” diese Entwicklung von alleine vollzieht. Dazu müssen zuerst die vereinzelten Individuen mit einer bestimmten Stellung im Produktionsprozess zu einem Kollektiv werden, das ein Bewusstsein über seine Lage hat. Die ArbeiterInnenklasse an sich muss sich zur ArbeiterInnenklasse für sich konstituieren. Dabei handelt es sich um einen widersprüchlichen Prozess, der von mehreren Faktoren abhängig ist: von den Möglichkeiten, die das herrschende System in einem bestimmten Land in einer bestimmten Periode hat, den Lohnabhängigen Zugeständnisse zu machen und so die Hoffnungen auf einen individuellen Aufstieg zu nähren; von sozialen Strukturen und kulturellen Traditionen; vom Ausmaß der Verankerung beziehungsweise der Diskreditierung von bürgerlichen Ideologien und Strömungen (inklusive sozialdemokratischer und anderer reformistischer ArbeiterInnenparteien) in der ArbeiterInnenklasse; von den Klassenkampferfahrungen, durch die sich die Beteiligten ihrer Interessen in Abgrenzung zu anderen bewusst werden (können); und schließlich von der Stärke und der Intervention einer revolutionären ArbeiterInnenbewegung, die den sozialen Konflikten eine weiterführende politische Perspektive geben kann.

Die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung und ihre Theorie, der Marxismus, sind dabei einerseits ein sozialer und politischer Ausdruck der kapitalistischen Widersprüche, genauer gesagt: ein Ausdruck der Klasseninteressen des Proletariats. Gleichzeitig sind die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung und der Marxismus aber auch Subjekt mit dem Spielraum zur entscheidenden Beeinflussung der historischen Entwicklung, nämlich der entschiedenste Teil der ArbeiterInnenklasse, der vor den anderen die Einsicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die historischen Erfahrungen und die umfassenderen Kampfperspektiven der proletarischen Bewegung voraushat.

Die Notwendigkeit einer gesonderten revolutionären Organisation, das Ziel der Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, ergibt sich aus dem Charakter der sozialistischen Revolution selbst. Diese stützt sich unter anderem auf die Erfahrungen früherer Kämpfe und ihre Verallgemeinerung. Durch die Organisierung der bewusstesten Teile des Proletariats (unterstützt von RevolutionärInnen aus anderen Klassen) kann eine politische Kraft geschaffen werden, die nicht nur imstande ist, die nötigen Lehren aus den Klassenkämpfen zu ziehen und danach zu handeln, sondern auch die Beziehungen der Klassen zueinander, d.h. das konkrete gesellschaftliche Kräfteverhältnis und seine Dynamik, zu analysieren und daraus die entsprechenden Schlüsse für ihre Politik zu ziehen. Darüber hinaus muss die revolutionäre Partei berücksichtigen, dass das Proletariat keine homogene Klasse ist, deren Bewusstsein sich stets gleichlaufend und geradlinig entwickelt. Die soziale und politische Schichtung der ArbeiterInnenklasse zeigt vielmehr eine periodenhaft unterschiedliche Entwicklung des Klassenbewusstseins und eine dementsprechende Bereitschaft zum Kampf gegen das Kapital beziehungsweise seine Gesellschaft.

Nur eine politische Kraft, die zwar alle Strömungen in der Klasse analysieren und politisch berücksichtigen kann, die sich aber durch ihr theoretisches Verständnis vom Bewusstsein der rückständigeren Schichten, von unrealistischen Illusionen und raschen Demoralisierungen eine relative Unabhängigkeit erkämpft hat, kann die Interessen der gesamten Klasse vertreten und diese – vermittelt über die bewusstesten Teile – letztendlich anführen. Daher ist weder die politische Kommandierung der ArbeiterInnenklasse noch die bloße Zusammenfassung und Bündelung ihrer unmittelbaren Interessen und einzelnen Kämpfe die Funktion und Existenzberechtigung einer revolutionären Partei. Ihre Notwendigkeit ergibt sich vielmehr zwangsläufig aus dem historischen Interesse der ArbeiterInnenklasse (und der Menschheit), der kapitalistischen Ausbeutung und der mörderischen Dynamik des Kapitalismus ein Ende zu setzen. Die revolutionären Kräfte haben dabei ein grundlegendes Interesse, alle Formen der sozialen Unterdrückung soweit wie möglich zurückzudrängen, den Kampf gegen Frauenunterdrückung, Rassismus etc. in den Klassenkampf zu integrieren und so die Front gegen das kapitalistische System zu verbreitern.

Die Organisierung der ArbeiterInnenklasse und der unterdrückten Schichten muss aus zwei Gründen international und internationalistisch erfolgen: Einerseits ist – wie die Erfahrungen der stalinistischen Staaten zeigen – der Sozialismus, die klassenlose Gesellschaft, nur auf internationaler, ja weltweiter Ebene möglich. Und zum anderen folgt eine die nationalen Grenzen sprengende proletarische Praxis aus der Internationalisierung des Kapitals. Die revolutionäre Internationale stellt also nicht den Ausdruck eines abstrakten Ideals dar, sondern ergibt sich als politische Konsequenz aus der Entwicklung des Kapitals selbst. Sie soll das politische Instrument sein, das es der ArbeiterInnenklasse ermöglicht, den Klassenkampf auf internationaler Ebene zu führen und dem internationalen Agieren des Kapitals ein ebensolches auf Seiten des Proletariats gegenüberzustellen. Antiimperialistische Kämpfe sind dabei ein wichtiger Bestandteil des internationalen Klassenkampfes zur Überwindung des kapitalistischen Systems. Die ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Zentren wird sich selbst nicht befreien können, solange sie die imperialistische Unterdrückung (und damit stillschweigend die Herrschaft ihrer eigenen AusbeuterInnen) duldet. In diesem Sinne ist die aktive Unterstützung von antiimperialistischen Kämpfen ein nicht unwesentlicher Maßstab für das Klassenbewusstsein in imperialistischen Ländern.

Der Aufbau einer revolutionären Internationale und das angestrebte international vereinheitlichte Agieren der ArbeiterInnenklasse bedeuten natürlich nicht, national unterschiedliche Bedingungen und Aufgaben des Klassenkampfes zu negieren. Der Aufbau der nationalen und internationalen Organisation sind miteinander verbunden. Es handelt sich dabei außerdem um einen Prozess: Eine neue revolutionäre Internationale kann nicht einfach proklamiert werden. So wie eine proletarische Revolution nicht als einmaliger Willensakt der ArbeiterInnenklasse missverstanden werden sollte, wird die revolutionäre Partei und Internationale aber auch nicht automatisch und linear aus den Klassenkämpfen hervorgehen. Die Entwicklung von Klassenkämpfen und Klassenbewusstsein machen es vielmehr unumgänglich, dass sich die revolutionären Kräfte theoretisch und praktisch relativ unabhängig von der großen Mehrheit der ArbeiterInnenklasse formieren. Einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die in den Massen verankert ist, wird ein langwieriger und kombinierter Prozess der Diskussion, Bewusstwerdung und kämpferischen Massenaktion vorausgehen. Aber auch in Ländern und Perioden, in denen die Herausbildung von marxistischen Organisationen vor allem in der Form kleiner, vom Proletariat oft weitgehend isolierter Gruppen erfolgt, werden die MarxistInnen ihre Tätigkeit immer auf das Ziel einer revolutionären Partei ausrichten.

Die Verbindung von revolutionärer Theorie und Praxis, die Verschmelzung der revolutionären Organisation mit der Masse der ArbeiterInnenschaft und damit das Umschlagen des revolutionären Programms in einen entscheidenden gesellschaftlichen Faktor sind das Ziel revolutionärer Politik. Auf dem Weg dorthin gibt es aber unterschiedliche Phasen, die durch unterschiedliche Aufgaben gekennzeichnet sind. Sie ergeben sich aus der allgemeinen Lage des Klassenkampfes und dem Grad der Entwicklung der revolutionären Organisationen. Solange MarxistInnen gezwungen sind, eine von der überwiegenden Mehrheit der ArbeiterInnenklasse relativ abgetrennte Existenz zu führen, muss sich dabei notwendigerweise ein Spannungsfeld zwischen opportunistischer Anpassung an reaktionäre Tendenzen im ArbeiterInnenbewusstsein und sektiererischer Abschottung ergeben. Um beides so weit wie möglich zu verhindern, sind nicht nur eine Bewusstheit über dieses Faktum und ein klares politisch-theoretisches Verständnis notwendig, sondern auch eine realistische Einschätzung der gesellschaftlichen Situation und insbesondere auch der politischen Strömungen und Organisationen in der ArbeiterInnenklasse und ArbeiterInnenbewegung.

3. Reform oder Revolution?

Heute dominieren in der ArbeiterInnenbewegung ganz eindeutig reformistische Kräfte, Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien, die sich nicht auf eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus orientieren. Früher orientierten sich die reformistischen Parteien, bei denen – losgelöst von ihrer politischen Praxis – teilweise ein sozialistisches Endziel formal vorhanden blieb, auf Reformen im Rahmen des Kapitalismus. In den letzten Jahrzehnten ging es ihnen oft nur noch um die Verhinderung von allzu drastischen Konterreformen und immer häufiger waren sie selbst die Exekutorinnen von brutalen Attacken auf die ArbeiterInnenklasse. Da die Politik der reformistischen Strömungen nicht über die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse hinausweist, sondern sich um ihr gutes und gerechtes Funktionieren bemüht, handelt es sich dabei um eine Form von bürgerlicher Politik.

Was den Reformismus von den offen bürgerlichen Parteien unterscheidet, ist das Faktum, dass er von seiner Verankerung in der ArbeiterInnenklasse abhängig ist. Anders als klassische bürgerliche Parteien wie die US-Demokraten, die CDU oder die ÖVP, halten sich die sozialdemokratischen Parteien nicht nur so nebenbei einen Gewerkschafts- oder ArbeitnehmerInnen-Flügel. Die britische Labour-Party, die SPD oder die SPÖ stützen sich in ihrer Existenz auf eine (vielfach rückläufige) Verbindung mit den organisierten Teilen der ArbeiterInnenklasse, die meist wesentlich über die Gewerkschaften läuft. Gerade diese Verbindung macht die reformistischen Parteien für die KapitalistInnenklasse interessant, weil dadurch eine politische Integration der ArbeiterInnenklasse in das System erreicht werden kann. Allerdings gibt es insgesamt eine Tendenz zu einer Verringerung des Einflusses der Gewerkschaften in den sozialdemokratischen Parteien (der allerdings in unterschiedlichen Ländern immer sehr unterschiedlich groß war). Als Reaktion auf diese Entwicklung entstanden in einigen Ländern neue linksreformistische Parteien und Wahlbündnisse bzw. wuchsen traditionelle kleine linksreformistische Parteien substanziell. Da, wo diese Parteien Regierungsverantwortung übernehmen, zeigen sie allerdings sehr schnell, dass sie zumeist keine grundlegend andere Politik machen, da auch sie keine über den Kapitalismus hinausreichende Perspektive haben. Dennoch bleiben perspektivisch die sozialdemokratischen Parteien besondere Formationen und sind nicht mit den anderen bürgerlichen Parteien gleichzusetzen. Aufgrund ihrer bürgerlichen Politik bei gleichzeitiger organischer Verankerung in der ArbeiterInnenklasse können die reformistischen Parteien auch als bürgerliche ArbeiterInnenparteien bezeichnet werden.

Der Reformismus der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften kann sich auf das Bedürfnis der ArbeiterInnen nach einer unmittelbaren Verbesserung ihrer Lebensumstände in- und außerhalb der Betriebe, nach einem vorteilhafteren Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft stützen. Dieser Wunsch nach Reformen steht aber nicht notwendigerweise in Widerspruch zu einer revolutionären Ausrichtung der ArbeiterInnenbewegung. In einen solchen Widerspruch gerät er erst durch Organisierung und Eindämmung durch reformistische Parteien. Erst der politisch organisierte Reformismus ist an das kapitalistische System gebunden. Er ist Ausdruck der kurzsichtigen Interessen der ArbeiterInnen, die der Imperialismus mit verschiedenen Brosamen besser gestellt und korrumpiert hat (oft als ArbeiterInnenaristokratie bezeichnet), die eine Schicht von BürokratInnen herausgebildet haben, die ihr sozialpartnerschaftliches Verhältnis zum Kapital nicht durch revolutionäre Aktivitäten gefährden möchte.

Die reformistischen Organisationen spielen für die KapitalistInnenklasse eine wichtige Rolle. Sie tragen dazu bei, die bürgerliche Ideologie im Proletariat zu verbreiten und die bürgerlichen Klasseninteressen im Proletariat durchzusetzen. Sie binden die ArbeiterInnenklasse politisch an das Wohlergehen des eigenen Kapitals und des eigenen Nationalstaates – von der Standortlogik bis zur Vaterlandsverteidigung. Während die ReformistInnen in der Regel die von der KapitalistInnenklasse geführten imperialistischen/nationalistischen Kriege unterstütz(t)en, werden sie – sobald es um eine antikapitalistische Revolution oder auch nur um militantere Klassenkämpfe geht – zu ausgesprochenen PazifistInnen. An der oft blutigen Niederschlagung von ArbeiterInnenkämpfen und Revolutionen haben sich reformistische Parteien freilich immer wieder beteiligt, was ihren bürgerlichen Charakter besonders deutlich aufzeigt.

Die reformistischen Partei- und Gewerkschaftsbürokratien sehen durch revolutionäre Entwicklungen ihre Privilegien bedroht und propagieren deshalb dort – wo sie überhaupt noch formal an einer langfristig sozialistischen Perspektive festhalten – einen schrittweisen und friedlichen (meist parlamentarischen) Weg zum Sozialismus. Das hat sich bisher immer als Desaster herausgestellt. Die Bourgeoisie ist nicht bereit, ihren Reichtum und ihre Macht kampflos abzugeben. Sie wird je nach Bedarf ihr ganzes Arsenal an staatlicher Repression, reaktionären MörderInnenbanden und nationalistischer Verhetzung aufbieten, um ihre Herrschaft zu retten. Eine auf die graduelle und gewaltlose Reformierung des Kapitalismus ausgerichtete ArbeiterInnenbewegung kann angesichts dessen nur entweder kapitulieren oder sie wird der KapitalistInnenklasse ins offene Messer rennen.

Die Überwindung der kapitalistischen Barbarei wird nur durch eine Revolution möglich sein. Und diese Revolution wird umso unblutiger verlaufen, je besser die ArbeiterInnenklasse und insbesondere die revolutionären Kräfte auf eine gewaltsame Auseinandersetzung mit den Repressionsinstrumenten des Kapitals vorbreitet sind. Eine Konterrevolution der Bourgeoisie kann nur verhindert werden, wenn die Revolution den bürgerlichen Staat, also im wesentlichen Polizei, Justiz, Armee und Bürokratie, zerschlägt. Dazu braucht die ArbeiterInnenklasse ihre eigenen Organisationsstrukturen: erstens eine revolutionäre Organisation, die in der Regel schon vor der Revolution bestanden haben wird, die die bewusstesten Teile der Klasse organisiert und die der Revolution eine politische Perspektive geben kann; zweitens Räte oder ArbeiterInnenkomitees, die nicht eine willkürliche Erfindung von irgendwelchen RevolutionärInnen sind, sondern die in jeder proletarischen Revolution “natürlich” aus den unmittelbaren Erfordernissen des Kampfes entstehen, die die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse umfassen, die den Kampf auf betrieblicher oder lokaler Ebene organisieren, in denen die ArbeiterInnen demokratisch über die weiteren Kampfmaßnahmen entscheiden und die regional und national (und wo immer möglich international) miteinander verbunden sind; drittens ArbeiterInnenmilizen, die den Räten untergeordnet sind und die sich aus der unmittelbaren Notwendigkeit zur Verteidigung der Demonstrationen und Streiks, der Fabriken und Stadtteile und schließlich der Revolution gegen reaktionäre Übergriffe ergeben.

ArbeiterInnenräte und ArbeiterInnenmilizen sind aber nicht nur Kampfinstrumente in der Revolution, sondern auch Machtorgane, die die Organisation (Produktion, Verteilung, Soziales etc.) und Verteidigung der neuen Gesellschaft übernehmen. Anders als in den Klassengesellschaften sind diese Machtorgane nicht von der Mehrheit der Bevölkerung abgehoben. Die Delegierten in den Räten auf betrieblicher, lokaler, regionaler und nationaler Ebene sind jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar. Ihr Einkommen geht nicht über einen FacharbeiterInnenlohn hinaus. Die Milizen sind direkt mit der ArbeiterInnenklasse verwoben. Da die ArbeiterInnenmacht die größtmögliche Demokratie für die ArbeiterInnen und die arme Landbevölkerung aber gleichzeitig mit der Niederhaltung der um die Wiedererlangung ihrer Privilegien kämpfenden AusbeuterInnenklassen verbindet, sind in gewissem Ausmaß weiterhin staatliche Strukturen vorhanden, die als proletarischer Halbstaat bezeichnet werden können.

Die Herrschaft der großen Mehrheit der Bevölkerung, der ArbeiterInnenklasse, über die Bourgeoise wird als Diktatur des Proletariats bezeichnet (dieser Begriff stellt somit etwas ganz anderes dar, als bürgerliche PropagandistInnen uns glaubhaft machen wollen, die hiermit den “totalitären” Charakter des Marxismus “beweisen” wollen). Diese Diktatur des Proletariats wird solange notwendig sein, solange die Weltbourgeoisie noch über Machtmittel zur Organisierung der Konterrevolution verfügt, solange die Revolution nicht international ausgeweitet und stabilisiert ist. Die halbstaatlichen Strukturen werden solange bestehen, bis die meisten Güter ihren Warencharakter verloren haben (also nicht mehr primär für den Verkauf auf dem Markt zum Zweck der Realisierung des Mehrwerts produziert werden), bis durch die Verwendung der menschlichen und technischen Produktivkräfte entsprechend den menschlichen Bedürfnissen auf internationaler Ebene der Mangel soweit zurückgedrängt ist, dass seine Verwaltung immer weniger notwendig ist. In diesem Sinne können die Klassen und der proletarische Halbstaat nicht einfach abgeschafft werden, sie sterben mit der Warenproduktion ab. Die Grundlage dieser Entwicklung ist die nachkapitalistische Produktionsweise, die nach einem Plan funktioniert, der von der ArbeiterInnenklasse demokratisch bestimmt wird. Von einer sozialistischen Gesellschaft kann erst dann gesprochen werden, wenn Warenproduktion, Klassen und Staat weitgehend verschwunden sind. Bereits in der Übergangsgesellschaft und erst recht im Sozialismus wird auch die Organisation des Produktionsprozesses massiv verändert und den Bedürfnissen der Beschäftigten angepasst werden. Materielle Absicherung und das Absterben der (Klein-) Familie werden außerdem die Grundlage für die Befreiung der Frauen schaffen. Die Menschen werden selbst bestimmen, in welchen Formen sie zusammenleben. Allerdings stirbt soziale Unterdrückung im Zuge des Aufbaus des Sozialismus nicht automatisch ab. Dazu ist – auch in der revolutionären Übergangsgesellschaft – die bewusste politische Bekämpfung und Zurückdrängung von konservativen Ideologien notwendig.

Um aber überhaupt die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse für die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus zu gewinnen, werden freilich bloße Aufklärung und Propaganda für Sozialismus und Revolution nicht ausreichen. Das Proletariat entwickelt ein sozialistisches Bewusstsein nicht automatisch aus seinen Kämpfen. Allerdings stoßen sowohl innerhalb als auch außerhalb der unmittelbaren Produktionssphäre immer wieder Kämpfe an die Grenzen des Systems. Entweder zerschellen sie dann an diesen Grenzen (an der Hilflosigkeit gegenüber den kapitalistischen Sachzwängen oder auch an den staatlichen Repressionsinstrumenten) oder sie entwickeln durch eine Kombination aus eigenen Erfahrungen und der bewussten Intervention von RevolutionärInnen eine systemüberwindende Perspektive. Für eine solche erfolgreiche Intervention ist die Verwendung von Übergangsforderungen wesentlich. Sie setzen an den (oft zersplitterten) ökonomischen oder politischen Tageskämpfen der ArbeiterInnenklasse an, versuchen sie zu vereinheitlichen und weiter zu treiben, ihnen eine zentrale Ausrichtung zu geben, sie zu internationalisieren und sie schließlich mit der Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse zu verbinden. In Streikbewegungen kann beispielsweise der Forderung nach ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion wichtige Bedeutung zukommen, weil sie die Frage aufwirft, wer in der Wirtschaft – und in der Konsequenz: in der gesamten Gesellschaft – die Macht hat: die KapitalistInnen und ihr Staat oder die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen.

Das erfordert aber auch zwingend die Überwindung des Reformismus als dominierende politische Kraft innerhalb der ArbeiterInnenbewegung. Der Einfluss des Reformismus wird auch in Perioden des revolutionären Aufschwungs nicht “von selbst” verschwinden. Vielmehr können reformistische Organisationen aufgrund ihrer traditionellen Verankerung in der Klasse eine entscheidende Rolle beim Abwiegeln und Verhindern von Revolutionen spielen. Das bedeutet, dass beim Aufbau von revolutionären Parteien die reformistischen Massenorganisationen nicht ignoriert oder einfach “entlarvt” werden können. Es müssen vielmehr Wege und Möglichkeiten gefunden werden, die politischen Entwicklungen in den reformistischen Parteien zu beeinflussen – nicht mit dem illusionären Ziel, diese Parteien zu reformieren, sondern um die Basis dieser Parteien von den reformistischen Parteibürokratien und vom Reformismus überhaupt zu lösen.

Zu diesem Zweck verwenden RevolutionärInnen die Taktik der Einheitsfront, bei der es darum geht, die – unter dem Druck ihrer Basis stehenden – reformistischen Organisationen in einen gemeinsamen Kampf für bestimmte anstehende Interessen der ArbeiterInnenklasse zu ziehen und die Mitglieder und AnhängerInnen dieser Organisationen in der konkreten Auseinandersetzung von der Inkonsequenz und/oder dem Verrat ihrer Führungen zu überzeugen. Solche Einheitsfronten können verschiedene Formen annehmen: Bündnisse bei Demonstrationen oder Streiks; kritische Wahlunterstützung für reformistische Parteien bei Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten; der Eintritt von RevolutionärInnen in reformistische Parteien (Entrismus). Bei all diesen Formen ist entscheidend, dass die politische Unabhängigkeit der revolutionären Kräfte gewahrt bleibt, dass diese Taktik des revolutionären Organisationsaufbaus nicht mit einer politischen Anpassung an den Reformismus verwechselt wird. Besonders beim Entrismus ist wichtig, dass in den reformistischen Parteien tatsächlich Bruchlinien vorhanden sind, an denen der revolutionäre Hebel angesetzt werden kann, dass die Stimmung unter Teilen der Parteibasis ein offenes Auftreten mit revolutionären Positionen ermöglicht. Ein reales Zustandekommen von Einheitsfronten setzt freilich eine bestimmte Stärke der revolutionären Organisation voraus, die dann in der Regel auch die Freiheit der revolutionären Propaganda sichert.

Neben reformistischen und revolutionären Kräften gibt es in der ArbeiterInnenbewegung auch Strömungen, die wir als zentristisch bezeichnen können. Dabei handelt es sich um Organisationen oder Parteien, die zwischen revolutionären und reformistischen Positionen schwanken, beziehungsweise solche, die sich zwar zum revolutionären Sturz des Kapitalismus bekennen, aber in der Realität eine weitgehend reformistische Politik betreiben. Zentristischen Organisationen gegenüber ist ebenfalls eine Einheitsfrontpolitik möglich. Oftmals sind viele ihrer Mitglieder subjektiv aufrechte RevolutionärInnen, die bei diesem Anspruch gepackt werden können.

4. Das gescheiterte stalinistische Modell

Die russische Oktoberrevolution von 1917 war die erste erfolgreiche proletarische Revolution. Ihre Auswirkungen hatten wesentlichen Einfluss auf die weitere Geschichte des 20. Jahrhunderts. Durch die von W.I. Lenin und Leo Trotzki unter der Losung Alle Macht den Räten! geführte Oktoberrevolution war der Staat der Bourgeoisie zerschlagen und durch einen auf die ArbeiterInnen- und Soldatenräte (Sowjets) gestützten Halbstaat ersetzt worden. Die Verstaatlichung der Großbetriebe und Banken, die Einführung eines Außenhandelsmonopols und vor allem die Ausschaltung der Marktmechanismen in den entscheidenden Bereichen führten zur Errichtung einer geplanten Wirtschaft.

Die ehemalige herrschende Klasse Russlands nutzte aber ihre im Ausland angelegten Reichtümer und ihre Verbindungen zu den imperialistischen Staaten, um einen BürgerInnenkrieg zu beginnen. Sie wurde dabei von der internationalen Bourgeoisie mit Geld, mit einer Wirtschaftsblockade gegen die Sowjetrepublik und durch die direkte Militärintervention ausländischer Truppen unterstützt. Zeitweise war die Sowjetmacht am Höhepunkt des von 1917/18 bis 1920 (im Fernen Osten bis 1922) dauernden BürgerInnenkrieges auf weniger als ein Viertel des sowjetischen Territoriums zurückgedrängt. Dass die von Trotzki aufgebaute und geführte Rote Armee aus dem Kampf trotzdem siegreich hervorging, ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Erstens unterstützte die überwiegende Mehrheit der ArbeiterInnenschaft die Bolschewiki. Zweitens zogen die meisten BäuerInnen die Bolschewiki allemal den konterrevolutionären GroßgrundbesitzerInnen vor. Und drittens wurde die alliierte Intervention in Russland durch revolutionäre Erhebungen und eine Solidaritätsbewegung in der internationalen ArbeiterInnenbewegung erschwert.

Der militärische Sieg der Bolschewiki ging aber mit einer politischen Niederlage einher. Die Folgen des dreijährigen BürgerInnenkrieges waren für die junge Sowjetrepublik ökonomisch und politisch verheerend. Die Wirtschaft war durch Krieg und Blockade ruiniert. Durch das System des Kriegskommunismus konnte durch eine zentralisierte und autoritäre Leitung während der Kriegswirren zumindest teilweise eine Grundversorgung aufrechterhalten werden – damit wurde aber der Untergrabung der ArbeiterInnenkontrolle in den Betrieben und der späteren Bürokratisierung Vorschub geleistet. Der Zusammenbruch der Industrieproduktion, die unvermeidliche Schließung vieler von Blockade und Krieg betroffener Großbetriebe während des BürgerInnenkrieges und die massive Abwanderung der politisch aktivsten ArbeiterInnen zur Roten Armee entzog den Sowjets ihre Grundlage – was ebenfalls die Ausschaltung der Rätedemokratie und die Errichtung einer bürokratischen Diktatur über die ArbeiterInnenklasse begünstigte.

Am schwersten wog aber das Scheitern der Weltrevolution (besonders mit den Niederlagen der revolutionären Bewegung in Deutschland zwischen 1918 und 1923 und schließlich in China 1927). Die Bolschewiki hatten ja von Anfang an die russische Revolution nur als Auftakt zur internationalen Revolution betrachtet, die als Voraussetzung für eine weitere positive Entwicklung des russischen Sowjetstaates angesehen wurde. Durch die internationale Isolierung und die Rückständigkeit der Produktivkräfte in Russland gelang es der neuen Bürokratie, die sich zu großen Teilen aus alten zaristischen BeamtInnen rekrutierte, die Macht der Sowjets und die ArbeiterInnendemokratie immer mehr zu ersticken.

Mitte der 20er Jahre gewann die Bürokratie endgültig die Oberhand. Im Gegensatz zur marxistischen Perspektive des Absterbens des Staates wurde der mit der ArbeiterInnenklasse verwobene Halbstaat durch einen Staat mit abgehobenem BeamtInnen- und Polizeiapparat ersetzt, der proletarische Internationalismus immer mehr durch großrussischen Nationalismus. Viele Errungenschaften, die die Revolution etwa für nationale Minderheiten oder Frauen gebracht hatte, wurden wieder beseitigt. Schrittweise wurde auf der politischen Ebene eine bürgerliche Konterrevolution durchgeführt. Die ArbeiterInnenklasse wurde endgültig von der politischen Macht abgeschnitten. Mit ihrem bürokratisch-militärischen Apparat errichtete die Bürokratie, geführt von Josef Stalin, eine Herrschaft über die ArbeiterInnenklasse. Gleichzeitig wurde auch in der Kommunistischen Partei die Parteidemokratie beseitigt und jede mögliche Opposition ausgeschaltet.

Mit der Zerschlagung der Linksopposition, die sich um Leo Trotzki gebildet hatte, in der Sowjetunion 1928/29 war die bürokratische bürgerliche Konterrevolution besiegelt. Hierbei konnte sich der stalinistische Apparat auf Maßnahmen stützen, die während des BürgerInnenkrieges zur Verteidigung der Revolution notwendig erschienen, allerdings der Bürokratisierung von Staat und Partei Vorschub leisteten (hier wären das – ursprünglich als kurzfristige Maßnahme gedachte – Fraktionsverbot und die Unterordnung der Gewerkschaften unter den Staatsapparat zu nennen). war die bürokratische bürgerliche Konterrevolution besiegelt. In der Folge wurden auch die Parteien der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) auf Linie gebracht und bürokratisiert. Die politischen “Säuberungen” in Russland richteten sich – während die Partei mit karriereorientierten BürokratInnen aufgefüllt wurde – insbesondere gegen die bolschewistischen Kader. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildeten die Moskauer Prozesse 1936-38, in denen die führenden Parteimitglieder (außer Stalin) aus der Zeit der Revolution durch gefälschte Anschuldigungen und erfolterte Geständnisse als KonterrevolutionärInnen verurteilt und ermordet wurden.

Allerdings blieben die ökonomisch-sozialen Grundstrukturen der Sowjetunion, die nachkapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse, weiter aufrecht. Zwar wurde von der Bürokratisierung auch die Planwirtschaft erfasst. Anstatt einer von den Räten – entsprechend den Bedürfnissen der ArbeiterInnenklasse – demokratisch geplanten Wirtschaft wurde nun eine bürokratisch geplante, auf die Bedürfnisse der neuen herrschenden Kaste zugeschnittene Wirtschaft verfestigt. Auch orientierte sich das Regime in den Betrieben neuerlich an den entfremdeten kapitalistischen Kommandostrukturen. Nichtsdestotrotz funktionierten die wesentlichen Bereiche der Ökonomie weiterhin nicht nach kapitalistischen Mechanismen. Die Beziehungen zwischen Betrieben und Staat und den Betrieben untereinander wurden nicht über den Markt abgewickelt. Charakteristika des Kapitalismus wie industrielle Zyklen, Überakkumulation von Kapital oder Arbeitslosigkeit spielten in der Sowjetökonomie keine Rolle.

Unter der stalinistischen Herrschaft wurde die marxistische Theorie, dogmatisiert als Marxismus-Leninismus, den Zielen der Bürokratie angepasst. Ausdruck davon war das Konzept des Sozialismus in einem Land. Waren Trotzki, Lenin und die Bolschewiki davon ausgegangen, dass nur die internationale Revolution eine Degeneration der Sowjetunion verhindern könnte, erklärten Stalin, Nikolai Bucharin und die Bürokratie nun, dass nicht nur ein Überleben der Übergangsgesellschaft unter der Diktatur des Proletariats auf Russland beschränkt möglich wäre, sondern sogar die Verwirklichung des Sozialismus. Das war freilich allein schon deshalb unmöglich, weil eine Unabhängigkeit von der Weltwirtschaft in der rückständigen Sowjetunion auf einen Rückfall hinter die bereits erreichte internationale Produktionsorganisation hinauslief und produktionstechnische Fortschritte – isoliert von der Weltwirtschaft – mit einem Zurückbleiben in anderen Bereichen bezahlt werden mussten. Eine sozialistische Gesellschaft muss aber vom Entwicklungsniveau der Produktivkräfte her im Vergleich zum Kapitalismus ein höheres Stadium darstellen. Nur durch die Zusammenarbeit von planwirtschaftlich organisierten hoch entwickelten Ländern kann die Grundlage für das Absterben der Warenproduktion, der Klassen und des Staates – also für den Sozialismus – geschaffen werden.

Hinzu kam, dass die Niederlagen der Revolution in Deutschland 1923 und in China 1927 die Macht der Bürokratie in der Sowjetunion stärkten, weil der Bevölkerung nun besser verkauft werden konnte, dass die Ausrichtung auf die Weltrevolution ja doch nichts bringe und man sich lieber auf den geduldigen und disziplinierten Aufbau des Sozialismus in Russland konzentrieren solle. Die Bürokratie war an einer erfolgreichen proletarischen Revolution und der Errichtung von funktionierenden Rätedemokratien in anderen Ländern auch gar nicht interessiert, hätte dadurch doch auch ihre Herrschaft gefährdet werden können. Ab 1927 setzte die stalinistische Führung der Sowjetunion und der Komintern auf die systematische Sabotage der internationalen Revolution.

Der Stalinismus kristallisierte sich zu einer – wie die Sozialdemokratie – reformistischen und letztlich konterrevolutionären Kraft. Nachdem die ultralinke stalinistische Politik zwischen 1928 und 1933 eine Einheitsfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie verunmöglicht und so entscheidend zur Niederlage der deutschen ArbeiterInnenbewegung gegen den Nazi-Faschismus beigetragen hatte, wurde der Kurs nun abrupt geändert. Das Konzept der Volksfront, das ab 1935 zur verbindlichen Leitlinie des Stalinismus wurde, orientierte sich nicht nur auf eine Einheitsfront mit reformistischen ArbeiterInnenparteien, sondern auch und insbesondere auf ein Bündnis mit der so genannten demokratischen Bourgeoisie, für das die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse aufgegeben wurde. Das bedeutete eine Abkehr von Klassenkampf und proletarischer Revolution. In den stalinistischen Parteien wurde das klassisch reformistische Etappenkonzept, die klassisch reformistische Trennung zwischen Minimal- und Maximalprogramm festgeschrieben und endgültig durchgesetzt (diese Volksfront-Orientierung ist bis heute ein Merkmal der meisten angeblich “kommunistischen” Parteien). Das Minimalkonzept umfasst demokratische und soziale Forderungen die im Rahmen des kapitalistischen Systems umsetzbar sind, wohingegen das Maximalprogramm diesen Rahmen sprengt und der Aufbau des Sozialismus und die politische Macht für die ArbeiterInnenklasse gefordert wird. Letztendlich führt diese Trennung immer dazu, dass beim Minimalprogramm stehen geblieben wird und in klassenkämpferischen Situationen ein Kompromiss gesucht wird. Weltweit beteiligte sich der Stalinismus nun daran, Klassenkämpfe im Rahmen des kapitalistischen Systems zu halten. Was den stalinistischen Reformismus noch von der Sozialdemokratie unterschied, war, dass er sich nicht in erster Linie auf die ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Ländern stützte, sondern auf die sowjetische Bürokratie. Das machte den Stalinismus für die Bourgeoisie auch weiterhin etwas verdächtig – obwohl sich die sowjetische Führung alle Mühe gab, auch die letzten Zweifel an ihrer Verlässlichkeit zu zerstreuen: Mit der Auflösung der Komintern 1943 und dem Konzept der friedlichen Koexistenz von stalinistischen Staaten und Kapitalismus wurde öffentlich der Weltrevolution abgeschworen.

Der Imperialismus war aber mit der aus dem 2. Weltkrieg gestärkt hervorgegangenen Sowjetbürokratie zu keinem dauerhaften Deal bereit und setzte stattdessen auf den Kalten Krieg zur Eindämmung der “kommunistischen Gefahr”. Die Feindschaft des Imperialismus galt freilich weniger der politischen Herrschaft des Stalinismus, sondern vor allem den nachkapitalistischen Eigentumsverhältnissen, deren bloße Existenz als gefährliche Bedrohung empfunden wurde, die nicht geduldet werden konnte. Als Gegenmaßnahme gegen die imperialistische Offensive ging die sowjetische Führung nun aber dazu über, die gesellschaftlichen Strukturen in den Ländern, die durch den Krieg in ihren militärischen Einflussbereich gelangt waren, den sowjetischen anzugleichen. In den osteuropäischen Ländern und in Jugoslawien, China, Kuba und Vietnam – wo der Prozess ohne direkte militärische Beteiligung der Sowjetunion ablief – wurde der kapitalistischen Wirtschaft ein Ende gesetzt und die Bourgeoisie von der unmittelbaren politischen Macht vertrieben. Die politische Macht wurde aber nicht von der ArbeiterInnenklasse und den Unterdrückten – organisiert in ArbeiterInnenräten und -milizen – übernommen. Der bürgerliche Staatsapparat wurde auch nicht zerschlagen. Vielmehr hat die nationale stalinistische Bürokratie (mit Rückendeckung der sowjetischen) diesen Staatsapparat übernommen, etwas gesäubert und mit eigenen Parteigängern besetzt, um ihn sowohl gegen die politischen Ansprüche des Proletariats als auch zur Unterdrückung der ökonomischen Herrschaft der Bourgeoisie einzusetzen.

In diesen neuen stalinistischen Ländern war die kapitalistische Ökonomie – nach dem Vorbild der Sowjetunion – durch Staatseigentum an den Produktionsmitteln, durch ein Außenhandelsmonopol, durch eine bürokratisch geplante Wirtschaft ersetzt worden. Die Arbeitskraft war keine Ware. Dabei wurden in der Sowjetunion und in China Industrialisierungsprogramme phasenweise mit brutaler Repression gegen ArbeiterInnen durchgezogen. In den letzten Jahrzehnten hatten die Beschäftigten (besonders in Osteuropa, aber auch in der Sowjetunion und in Kuba) in etlichen Bereichen allerdings deutlich mehr Freiheiten als in kapitalistischen Betrieben und sie standen – solange sie politisch nicht auffällig wurden – weit weniger unter Druck. Das war Ausdruck der ökonomischen Enteignung der Bourgeoisie, eine Folge der verbliebenen und exportierten Errungenschaften der Oktoberrevolution, letztlich des noch vorhandenen Drucks der internationalen ArbeiterInnenklasse, da vor allem in den unterentwickelten Ländern (aber auch in industriellen Zentren wie Frankreich oder Italien) die Sowjetunion und die dortige Gesellschaftsordnung immer noch ein gewisses Prestige genossen. Die Freiheiten in den Betrieben nahmen jedoch – da die Kreativität und Selbsttätigkeit der ArbeiterInnenklasse unterdrückt wurde – überwiegend destruktive Formen an (niedrige Arbeitsmoral, ungenaue Arbeit).

Das Proletariat verfügte – wie in der Sowjetunion – weder über die Möglichkeit zur eigenständigen Gestaltung der Produktionsverhältnisse, noch bestimmte es die innere und äußere Politik des Staates. Und wie in der Sowjetunion konnte von einem Absterben des Staates keine Rede sein. Vielmehr stand auch hier an der Spitze des Staates eine parasitäre bürokratische Kaste, die (ebenfalls dem Konzept des Sozialismus in einem Land folgend) eine konterrevolutionäre internationale Strategie verfolgte. Aufgrund der bürgerlichen Staatsapparate bei gleichzeitig nachkapitalistischen Produktionsverhältnissen und den verbliebenen Errungenschaften der proletarischen Oktoberrevolution können auch die Gesellschaften in Osteuropa, Jugoslawien, China, Kuba und Vietnam – wie in der Sowjetunion seit Mitte der 20er Jahre – als degenerierte ArbeiterInnenstaaten bezeichnet werden (ArbeiterInnenstaaten aufgrund ihrer nachkapitalistischen Produktionsverhältnisse, degeneriert aufgrund der parasitären stalinistischen Bürokratie). Der grundlegende Widerspruch zwischen geplanter Wirtschaft und bürgerlichem Staat, der diese bürokratisch blockierten Übergangsgesellschaften prägte, musste auf kurz oder lang in die eine oder andere Richtung gelöst werden.

MarxistInnen mussten in den stalinistischen Staaten die Rest-Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen die kapitalistische Restauration und imperialistische Angriffe verteidigen. Und sie mussten sich – als beste Möglichkeit dazu – auf eine politische Revolution orientieren, wie sie sich in Ungarn 1956 relativ weit entwickelt hatte. Politische Revolution bedeutet die Beseitigung der Bürokratie durch eine Revolution der ArbeiterInnenklasse, um auf diese Weise den Weg für eine internationale Ausweitung des Kampfes gegen den Kapitalismus und für eine Weiterentwicklung in Richtung auf eine klassenlose Gesellschaft wieder frei zu machen. Ein zentraler Teil des Programms der politischen Revolution ist die Zerschlagung des bürgerlichen bürokratisch-militärischen Staatsapparates und seine Ersetzung durch den aus Räten aufgebauten proletarischen Halbstaat. Mit der politischen Revolution einhergehen musste auch eine massive Umstrukturierung und Reorganisation der Planwirtschaft – sowohl auf betrieblicher als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene.

Historisch durchgesetzt hat sich allerdings die Entwicklung in die andere Richtung: die Restauration der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Bereits in den 60er und 70er Jahren waren die Grenzen der bürokratischen Planwirtschaft immer deutlicher geworden. Zwar konnten Bergbau und schwerindustrielle Großprojekte entwickelt werden, bedeutende Fortschritte in der Konsumgüterindustrie waren aber ohne die demokratische Beteiligung von Beschäftigten und KonsumentInnen an der Planerstellung nicht zu machen. Angesichts der ökonomischen Stagnation schwankten die Bürokratien seit den 60er Jahren immer wieder zwischen der Zulassung von Marktelementen und doch wieder stärkerer Zentralisierung. Die grundlegenden Probleme konnten dadurch aber nicht in den Griff bekommen werden. Die Entwicklung der Produktivkräfte wurde durch die bürokratische Kommandowirtschaft, die enormen Kosten für Bürokratie und Repressionsapparat und durch die Isolation der nationalen stalinistischen Regime vom Weltmarkt beziehungsweise von der Weltrevolution zum Erliegen gebracht.

In den 80er Jahren wurde die Krise der bürokratischen Planwirtschaft noch durch die Hochrüstungspolitik des Imperialismus verschärft, die der Sowjetunion viel wirtschaftliche Substanz kostete. Am Ende stand schließlich der Zusammenbruch des stalinistischen Staatenblocks und die Unterwerfung seiner Bestandteile unter den Imperialismus. Die schrittweise Wiedereinführung des Kapitalismus – ob nach dem osteuropäischen oder dem chinesischen Modell – wird dabei meist von gewendeten stalinistischen BürokratInnen durchgeführt, die ihre Privilegien als ManagerInnen, UnternehmerInnen oder nationalistische PolitikerInnen in die Marktwirtschaft hinübergerettet haben. Da die Staatsapparate bereits bürgerlichen Charakter hatten, waren hier meist nur geringfügige Säuberungen notwendig. Die Bürokratien haben nur solange auf die nachkapitalistische Produktionsweise gesetzt, solange entsprechender Druck und entsprechende Sympathien von der sowjetischen und internationalen ArbeiterInnenklasse vorhanden waren. Spätestens in den 80er Jahren wurde aber deutlich, dass sich die bürokratische Planwirtschaft immer weniger als Quelle für die bürokratischen Privilegien eignete. Denn es war zu einer wachsenden Entfremdung zwischen der ArbeiterInnenklasse und der “sozialistischen Wirtschaft” gekommen, der eine Befriedigung der materiellen Bedürfnisse immer weniger zugetraut wurde. Die offenkundige ökonomische und politische Unterlegenheit der bürokratischen Herrschaft gegenüber dem Weltkapitalismus führte schließlich (vorerst) zu einer mehrheitlichen Zustimmung zum Projekt der kapitalistischen Restauration. Das Modell des Sozialismus in einem Land war endgültig gescheitert.

5. Revolutionäre Perspektiven

In den stalinistischen Ländern ist der Begriff Sozialismus jahrzehntelang zur Verschleierung der bürokratischen Herrschaft benutzt und dadurch in den Augen von Millionen ArbeiterInnen diskreditiert worden. Aber so sehr der Zusammenbruch des Stalinismus unmittelbar den ApologetInnen des Kapitalismus eine breit angelegte antisozialistische Offensive ermöglicht hat, so hat er auch seine positiven Seiten. Die politische Verwüstung, die die stalinistischen Kräfte – durch ihre Dominanz im “kommunistischen” Lager – in der ArbeiterInnenbewegung angerichtet haben, wirkt zwar nach, wird aber nicht mehr ständig reproduziert. Das bietet zunehmend die Möglichkeit, mit den bürgerlichen, stalinistischen und anarchistischen Zerrbildern des Marxismus aufzuräumen und eine neue Perspektive der ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Die Ausgangsbedingungen für eine internationalistische Neuorientierung sind aber nicht gerade leicht. Zurückzuführen ist das nicht nur auf die reformistische Dominanz in der ArbeiterInnenbewegung, sondern auch auf die fortgesetzte ökonomische und soziale Offensive des Kapitals. Die ArbeiterInnenbewegung befindet sich international insgesamt weiter in der Defensive. Neben den vorherrschenden Elementen Standortlogik, Nationalismus und politischer Teilnahmslosigkeit und/oder Resignation entwickeln sich – in Folge der sich verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüche – aber zunehmend auch Tendenzen nach links, Tendenzen des Klassenkampfes und der politischen Desintegration aus dem kapitalistischen System. Auch wenn das gegenwärtig bei den meisten ArbeiterInnen mit einer politischen Orientierungslosigkeit einhergeht, bieten sich doch zunehmend Anknüpfungspunkte für revolutionäre Kräfte.

Allerdings sind die revolutionären Organisationen – in verschiedenen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß – von der ArbeiterInnenklasse weitgehend abgetrennt. In der Folge stellen sich für die RevolutionärInnen mehr Aufgaben, als angesichts der relativ schwachen Kräfte erfüllbar sind. Daraus ergibt sich für sämtliche revolutionäre Gruppen und Strömungen die Notwendigkeit, Schwerpunkte zu setzen (bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer Bereiche). Dabei kann nicht nur von den objektiven Notwendigkeiten ausgegangen werden, sondern müssen auch die subjektiven Möglichkeiten einfließen.

Eine entscheidende Grundlage dafür, dass die revolutionären Kräfte in verschiedenen Situationen des Klassenkampfes die richtigen Schritte setzen, fähig sind, aus der Entwicklung und den Ergebnissen von Kämpfen die richtigen Schlüsse zu ziehen, dass sie nicht zu Getriebenen von reformistischen oder spontaneistischen Strömungen werden, liegt unseres Erachtens darin, dass sich die RevolutionärInnen auf ein festes politisch-theoretisches Fundament stützen: a) auf eine grundlegende Analyse des gegenwärtigen kapitalistischen Systems, seiner Widersprüche und seiner Substanz, b) auf die Einschätzung der ArbeiterInnenkämpfe und ihrer Entwicklungsdynamik, c) auf eine Aufarbeitung des stalinistischen Modells des Sozialismus in einem Land, d) auf ein Anknüpfen an den internationalistischen Traditionen der ArbeiterInnenbewegung. Theoretische Arbeit kann für MarxistInnen freilich kein akademischer Selbstzweck sein, sondern setzt immer eine politische Ausrichtung auf die ArbeiterInnenbewegung und ihre Kämpfe voraus. Auch wenn in den meisten Fällen keine unmittelbare persönliche Beteiligung gegeben sein kann, sind die Erfahrungen der Klassenkämpfe des Proletariats und anderer sozialer Auseinandersetzung ein wesentlicher Faktor bei der Entwicklung von politischen Einschätzungen und Positionen.

Dort, wo RevolutionärInnen direkt in Klassenkämpfe intervenieren, darf weder Anpassung an reformistische Strömungen noch idealistisches AufklärerInnentum die grundlegende Herangehensweise an solche Interventionen sein. Entscheidend ist, das Ansetzen an den unmittelbarsten Interessen mit einem Weitertreiben und einer Verallgemeinerung des Kampfes und schließlich mit einer systemüberwindenden Perspektive zu verbinden. Wenn Kämpfe gegen den Imperialismus, gegen nationale/rassistische Unterdrückung, gegen Frauenunterdrückung oder sexuelle Diskriminierung von bürgerlichen politischen Strömungen angeführt werden, die nicht der ArbeiterInnenbewegung angehören, müssen RevolutionärInnen diese Kämpfe dennoch unterstützen, da sie einen überwiegend fortschrittlichen Charakter haben und der Spaltung der ArbeiterInnenklasse entlang reaktionärer Linien entgegenwirken. So müssen etwa antiimperialistische Kämpfe gegen Angriffe des Imperialismus oder von proimperialistischen Regimes unbedingt verteidigt werden. Kämpfe von Frauen gegen Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt müssen bedingungslos unterstützt werden. Auf keinen Fall dürfen RevolutionärInnen – mit Berufung auf die “Einheit der ArbeiterInnenklasse” – national oder sozial unterdrückte Schichten auf eine Befreiung “nach der Revolution” vertrösten und sich so von einer Unterstützung des Kampfes gegen die Unterdrückung verabschieden. Eine solche Einheit der Klasse hebt die reale Spaltung nicht auf, gründet sich auf Unterdrückung und ist letztlich ebenso reaktionär wie brüchig. Eine wirkliche Einheit der ArbeiterInnenklasse kann sich nur auf einen konsequenten Kampf gegen nationale/rassistische und soziale Unterdrückung stützen, in den möglichst auch die Angehörigen der relativ privilegierten Schichten der Klasse einbezogen werden müssen.

Die Voraussetzungen für das tatsächliche Zustandekommen von Bündnissen mit bürgerlichen Strömungen sind, dass diese reale Massenmobilisierungen gegen nationale oder soziale Unterdrückung durchführen, dass die revolutionäre Organisation über eine relevante Stärke verfügt und vor allem, dass sie – anders als SozialdemokratInnen und StalinistInnen mit ihrer Volksfront-Konzeption – die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und den Klassenkampf (zugunsten dieses Bündnisses) um keinen Deut zurücknehmen. Die Kritik an den oft reaktionären bürgerlichen Führungen, die Bewegungen gegen nationale oder soziale Unterdrückung anführen, darf nicht im Geringsten gemildert werden. Das gilt sowohl für bürgerliche Führungen von antiimperialistischen Bewegungen, die oft nur einen besseren Deal mit dem Imperialismus suchen, als auch für die bürgerlichen Kräfte in antirassistischen oder Frauenbewegungen, die Klassenkampf und Antikapitalismus ablehnend gegenüber stehen. Die revolutionären Kräfte müssen immer versuchen, die Massen in imperialisierten Ländern und sozial unterdrückte Schichten und insbesondere ihre proletarischen Teile unabhängig von den bürgerlichen Führungen zu organisieren, sie in die ArbeiterInnenbewegung zu integrieren und ihnen eine antikapitalistische Perspektive zu geben. So wird sich beispielsweise zeigen, dass konsequent geführte anti-imperialistische Kämpfe vom Kampf der ArbeiterInnenklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung nicht zu trennen sind, sondern vielmehr zu einem Prozess der ununterbrochenen und kombinierten Revolution, zu einer permanente Revolution, verschmelzen, wo die von den ArbeiterInnenklasse geführte bürgerliche Revolution notwendigerweise nicht bei der Lösung der demokratischen Aufgaben stehen bleiben kann, sondern gezwungen ist, Maßnahmen zu ergreifen, die den Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise sprengen.

Dasselbe gilt für die Verbindung von Frauenbefreiung, Klassenkampf und sozialistischer Revolution. Bewegungen gegen verschiedene Aspekte der ökologischen Zerstörung können ein antikapitalistisches Potenzial haben und es sollte versucht werden, sie in die ArbeiterInnenbewegung zu integrieren und ihnen eine systemüberwindende Perspektive zu geben.

Für die Herausbildung einer Kraft, die im Stande ist, die verschiedenen Klassenkämpfe und Kämpfe gegen nationale und soziale Unterdrückung zu bündeln und gegen das kapitalistische System zu wenden, muss die relative Kluft zwischen den revolutionären Organisationen und dem Großteil der ArbeiterInnenklasse geschlossen werden. Das kann aber nicht auf voluntaristische Weise geschehen, indem weitgehend losgelöst von den tatsächlichen Kämpfen neue “revolutionäre Parteien” proklamiert werden. Die notwendige Überwindung der Kluft zwischen Klasse und revolutionären Kräften begreifen wir nicht als geradliniges Zusammenkommen der beiden Faktoren.

Eine neue revolutionäre Internationale wird nicht linear aus einer der bestehenden Organisationen mit revolutionärem Anspruch entstehen. Keine dieser Organisationen kann legitimerweise behaupten, dass nur sie “wirklich revolutionär” ist. Mit allen größeren subjektiv revolutionären internationalen Strömungen haben wir freilich so relevante Differenzen, dass wir uns nicht auf einer ernsthaften politischen Grundlage anschließen könnten. Wir wollen unsere Differenzen mit anderen Organisationen nicht verwischen oder totschweigen, aber wir wissen auch, dass wir von GenossInnen mit revolutionärem Anspruch in anderen Ländern/Kontinenten auch viele Dinge lernen können.

Wir sehen uns als Teil des Spektrums von subjektiven RevolutionärInnen, die nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, eine revolutionäre Organisation zum Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft aufzubauen. Wir sind überzeugt, dass eine neue revolutionäre Internationale nur durch einen Umgruppierungsprozess in diesem Spektrum entstehen kann. In diesen zukünftigen Prozess wollen wir mit einer politisch, organisatorisch und numerisch möglichst starken Organisation eintreten und für unsere Positionen kämpfen. Neue revolutionäre Massenparteien werden sich um bedeutende Klassenkampfereignisse entwickeln. Entlang von ihnen und ihrer theoretischen Verarbeitung wird es nicht nur zu einer Stärkung, sondern auch zu einer Neuzusammensetzung der revolutionären Kräfte kommen. Dabei werden sich die Erfahrungen und AktivistInnen von verschärften Klassenkämpfen, die Theorieentwicklung, die Intervention der revolutionären Organisationen und ihre Internationalisierung gegenseitig beeinflussen. Angesichts dessen, dass sich die kapitalistischen Verheißungen immer mehr als hohle Phrasen entlarven, stehen uns stürmische Zeiten bevor, in denen den marxistischen Organisationen große Bedeutung zukommen wird.