Einheitsfronten, Wahlen und Bündnisse

Positionen der RSO zu Wahlen, Kandidaturen und Bündnissen mit anderen Linken – in Thesenform.

 1.        In unseren Grundsätzen formulieren wir unsere grundlegende Position zur Einheitsfront, dass es nämlich für den Aufbau von revolutionären Organisationen notwendig ist, die Arbeiter/innen „von den reformistischen Parteibürokratien und vom Reformismus überhaupt“ zu lösen: „Zu diesem Zweck verwenden Revolutionäre die Taktik der Einheitsfront, bei der es darum geht, die – unter dem Druck ihrer Basis stehenden – reformistischen Organisationen in einen gemeinsamen Kampf für bestimmte anstehende Interessen der Arbeiterklasse zu ziehen und die Mitglieder und Anhänger dieser Organisationen in der konkreten Auseinandersetzung von der Inkonsequenz und/oder dem Verrat ihrer Führungen zu überzeugen. Solche Einheitsfronten können verschiedene Formen annehmen: Bündnisse bei Demonstrationen oder Streiks; kritische Wahlunterstützung für reformistische Parteien bei Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten; der Eintritt von Revolutionären in reformistische Parteien (Entrismus). Bei all diesen Formen ist entscheidend, dass die politische Unabhängigkeit der revolutionären Kräfte gewahrt bleibt, dass diese Taktik des revolutionären Organisationsaufbaus nicht mit einer politischen Anpassung an den Reformismus verwechselt wird. Besonders beim Entrismus ist wichtig, dass in den reformistischen Parteien tatsächlich Bruchlinien vorhanden sind, an denen der revolutionäre Hebel angesetzt werden kann, dass die Stimmung unter Teilen der Parteibasis ein offenes Auftreten mit revolutionären Positionen ermöglicht. Ein reales Zustandekommen von Einheitsfronten setzt freilich eine bestimmte Stärke der revolutionären Organisation voraus, die dann in der Regel auch die Freiheit der revolutionären Propaganda sichert.“ (GS, S. 19)

2.        Auch unsere grundlegende Position zum Parlamentarismus ist klar: Wir betrachten ihn als Betrug an der Arbeiter/innen/klasse, durch den die Ideologie von Demokratie und Volkssouveränität im Kapitalismus verkauft wird. Die Wahlsysteme sind nicht nur oft zugunsten der Bourgeoisie konstruiert (wie z.B. durch geografische Aufteilung der Sitze, Prozentklauseln, Mehrheitswahlrecht, Zwei-Kammern-System, ungleicher Medienzugang, Ausschluss von Arbeitsmigrant/inn/en etc.), sondern es fallen auch die wichtigen Entscheidung in den miteinander verflochtenen Bereichen Großkapital und Staatsapparat, die dann vom überlegenen Propagandaapparat der herrschenden Klasse verbreitet werden. Marxist/inn/en sind letztlich für die Zerschlagung der bürgerlichen Parlamente im Zuge der Zerschlagung des bürgerlichen Staates insgesamt und ihre Ersetzung durch eine Rätedemokratie. Bis dahin sind wir für die Entlarvung ihres reaktionären Charakters als Quatschbuden zur Verschleierung der Operationen des bürgerlichen Staates. Solange in relevanten Teilen des Proletariat aber noch Illusionen in die parlamentarische Demokratie hegen, können Kommunist/inn/en bürgerliche Wahlen nicht ignorieren, sondern müssen versuchen, die erhöhte politische Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für die eigene Propaganda zu nutzen.

3.        Grundsätzlich wird eine revolutionäre Organisation, insbesondere wenn sie sich im Stadium einer Partei befindet, eine Eigenkandidatur anstreben. Dabei geht nicht in erster Linie um Parlamentssitze (oder Gemeinderatssitze etc.), die als Propaganda-Tribüne für den Klassenkampf verwendet werden können, sondern um den Aufbau der Organisation. Eigenkandidaturen sind also auch legitim, wenn der Einzug in eine Struktur des bürgerlichen Parlamentarismus nicht realistisch ist. Trotzdem muss stets darauf geachtet werden, dass eine revolutionäre Propagandakandidatur nicht die Kräfte der Organisation überfordert (und damit verschleißt) und das Projekt angesichts der Stärke der Organisation nicht zu einer kontraproduktiven Lächerlichkeit verkommt.

4.        Wenn revolutionäre Organisationen für eine Eigenkandidatur zu schwach sind, ist es möglich, – in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Einheitsfront – einen kritischen Wahlaufruf für reformistische Arbeiter/innen/parteien (niemals für kleinbürgerliche linksliberale Grüne!) zu machen. Die Anwendung der Taktik muss dabei stets auf einer konkreten Analyse der Situation beruhen und darf nicht zu einem schematischen routinehaften Automatismus verkommen. Entscheidend ist zunächst einmal, ob tatsächlich unter relevanten Teilen der Arbeiter/innen/klasse Illusionen in die reformistische Partei vorhanden sind, die dann enttäuscht werden können. Wesentlich ist auch die Einschätzung, was ein Wahlsieg oder eine –niederlage der reformistischen Partei in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation bedeutet. Wichtig ist schließlich auch, ob die revolutionäre Organisation überhaupt in der Lage ist, sich mit dieser Taktik an Teile der reformistischen Parteibasis zu wenden.

5.        Dort, wo eine Minderheit von politisch fortgeschrittenen Arbeiter/innen und Aktivist/inn/en und insbesondere die, die von revolutionären Organisationen erreicht werden können, einer scheinbar linkeren reformistischen Partei (die sich durch nichts Grundsätzliches von der dominanten reformistischen Partei unterscheidet) anhängen, kann es sinnvoll sein, die kritische Wahlunterstützung auf diese Partei anzuwenden (z.B. PRC in Italien). Ein Aufruf für den minoritären „linkeren“ Reformismus ist auch möglich, wo eine solche Kandidatur kämpferische Schichten repräsentiert und wo ein Erfolg dieser Partei gesellschaftlich deutlich als Linksruck wahrgenommen wird (z.B. PDS in Deutschland). Schließlich ist unter bestimmten Bedingungen auch der Aufruf für die kritische Wahlunterstützung von mehr als einer bürgerlichen Arbeiter/innen/partei möglich.

6.        In verschiedensten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen kann es angebracht sein, dass revolutionäre Organisationen mit anderen Gruppen der radikalen Linken, insbesondere mit Gruppen mit trotzkistischem Selbstverständnis einen Block bilden, systematische Absprachen treffen, gemeinsam agieren und auftreten, um gemeinsam eher einen realen Faktor gegenüber reformistischen Kräften darzustellen. Voraussetzung dafür ist eine grundsätzlich mobilisierend und klassenkämpferische Ausrichtung in der jeweiligen Auseinandersetzung, eine ähnliche Perspektive für die Bewegung. Voraussetzung ist auch Propagandafreiheit innerhalb des Blocks, das Aufrechterhalten des eigenen politischen und organisatorischen Profils. Solche Blöcke sind auch auf Wahlebene möglich, wo es revolutionären Organisationen dadurch gelingen kann, gemeinsam mit anderen subjektiven Revolutionär/inn/en tendenziell eher gesellschaftliches Gewicht zu bekommen, in der politischen Auseinandersetzung wahrgenommen zu werden. Begrüßenswerte Beispiele in diese Richtung sind – trotz notwendiger Kritik an den beteiligten Organisationen – die LO-LCR-Kandidatur in Frankreich oder die LSA (und jetzt die nationale SA) in Großbritannien.