Revolution in Permanenz – Eine Einführung in Trotzkis Theorie der “Permanenten Revolution”

Die vom russischen Revolutionär Leo Trotzki entwickelten Ansichten über die Bewegungsgesetze des Kapitalismus spielten in der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der Sowjetunion eine wichtige Rolle. Sie stellen aber auch heute noch ein wichtiges und notwendiges Analyseinstrument dar. Als revolutionäre MarxistInnen sind sie für uns ein zentraler Punkt der trotzkistischen Tradition, auf die wir uns auch heute noch berufen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um theoretische Spitzfindigkeiten, sondern um Grundfragen, die für die revolutionäre Praxis große Relevanz haben.

Leo Trotzki (geboren als Lew Dawidowitsch Bronstein) war einer der wichtigsten Führer der russischen Kommunistischen Partei, der Bolschewiki, und spielte in der russischen Oktoberrevolution von 1917 und im darauf folgenden BürgerInnenkrieg eine zentrale Rolle. Für die theoretische “Weiterentwicklung” des revolutionären Marxismus waren seine Überlegungen von entscheidender Bedeutung.

Seine Ansichten über die “Permanenz” der Revolution hat Trotzki in Grundzügen bereits in seinem Werk “Ergebnisse und Perspektiven” (1906) formuliert , in dem er die revolutionären Ereignisse im Russland des Jahres 1905 analysiert,. Dort schreibt er gleich zu Beginn, dass die russische Revolution nicht einfach mit der Französischen Revolution von 1789-1793 und den bürgerlichen Revolutionen von 1848 gleichzusetzen sei. “Historische Analogien (…) können eine soziale Analyse nicht ersetzen.”[ 1 ] Damit legt er schon Fragen fest die es seiner Meinung nach zu untersuchen gilt: Wo liegen die Unterschiede dieser Revolutionen und der Situation in Russland? Und was bedeutet das für den Charakter zukünftiger revolutionärer Ereignisse? Bevor dieser Frage nachgegangen werden kann, müssen wir also zuerst einen Blick auf die angesprochenen “klassischen” Revolutionen und deren Charakter werfen.

Bürgerliche Revolutionen

Wenn MarxistInnen von bürgerlichen Revolutionen sprechen, meinen sie damit die Ergreifung der politischen Macht durch die KapitalistInnenklasse und den Sturz der Herrschaft des Adels. Für diese revolutionäre Umwälzung der politischen Ebene der Gesellschaft mussten allerdings erst auf ökonomischer Ebene die Grundlagen geschaffen werden. Noch in der feudalistischen Gesellschaft entwickelten sich in den Städten aus dem Handwerk die Manufakturen, aus denen schließlich, durch die zunehmende Zentralisierung und Erweiterung der Produktion, Fabriken entstanden.

Mit der beginnenden Industrialisierung entstand auch eine neue soziale Klasse: die Bourgeoisie oder KapitalistInnenklasse. Damit konzentrierte sich das Eigentum an Produktionsmitteln (Fabrik, Maschinen, Rohstoffe, Werkzeuge…) in den Händen einiger weniger, während die eigentlichen ProduzentInnen, die ArbeiterInnen, nicht EigentümerInnen ihrer Produktions-mittel waren. Die KapitalistInnen eignen sich den von den ArbeiterInnen erzeugten Mehrwert, aus dem deren Profit stammt, an. Um dies tun zu können benötigen sie allerdings den/die “doppelt freie/n LohnarbeiterIn” (Marx). Diese/r muss sowohl frei sein, sich auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen, d.h. nicht durch Leibeigenschaftsverhältnisse gebunden, und andererseits frei von Produktionsmitteln, d.h. dadurch dass er/sie über keine eigenen Produktionsmittel verfügt, ist er/sie auch gezwungen die eigene Arbeitskraft als Ware zu verkaufen.

Mit der schrittweisen Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse entstand ein zunehmender Widerspruch zu den feudalistischen Eigentumsverhältnissen und den politischen Rahmenbedingungen. Mit der ökonomisch gestiegenen Macht der KapitalistInnen strebten diese nun auch nach der politischen Macht, um ihre Stellung abzusichern und ihre Interessen besser durchsetzen zu können. Da sie selbst aber nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachten, konnten sie die politische Macht nicht alleine ergreifen. Dazu war es notwendig, alle unterdrückten Klassen der Gesellschaft gegen die alte feudalistische Ordnung zu führen. Trotzki fasst es so zusammen: “Die europäische Bourgeoisie entwickelte sich aus dem Dritten Stand des Mittelalters. Sie erhob das Banner des Protests gegen Plünderung und Gewaltausübung seitens des ersten und zweiten Standes im Namen der Interessen des Volkes, das sie selbst auszubeuten wünschte.”[ 2 ]

In Folge der klassischen bürgerlichen Revolutionen kam es zur Beseitigung der feudalistischen Eigentumsverhältnisse (z.B. Leibeigenschaft) und damit konnten sich die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse als die dominanten durchsetzen. Damit kam es, auf Grund der Konkurrenz im Kapitalismus, die die einzelnen KapitalistInnen dazu zwingt, immer profitabler zu produzieren und somit die Produktivkräfte weiter zu entwickeln, zu einem ungeheuren wirtschaftlichen Fortschritt. Auf dieser Grundlage entwickelte sich die moderne bürgerliche Gesellschaft (Nationalstaat, bürgerliche Demokratie).

Im Zuge der sich nun immer stärker entfalteten kapitalistischen Widersprüche kristallisierten sich die zwei Hauptklassen, KapitalistInnenklasse und ArbeiterInnenklasse stärker heraus. Das bedeutete aber auch, dass nach dem Sieg über die reaktionäre feudalistische Ordnung, die die Grundlage für diese Entwicklungen geliefert hat, die Bourgeoisie ihre historisch fortschrittliche Mission erfüllt hatte. Ihr reaktionärerer Charakter wurde umso klarer, je mehr sie das sich verstärkt herausbildende Proletariat, dessen Interessen denen der KapitalistInnen genau entgegengesetzt sind, unter Kontrolle halten musste.

Russlands Entwicklung

Diese Entwicklungen vollzogen sich in den verschiedenen Ländern jedoch nicht gleichzeitig, linear und vor allem nicht unabhängig voneinander. Diese Einsichten fasste Trotzki im “Gesetz der ungleichzeitigen und kombinierten Entwicklung” zusammen. Was er damit meinte, wird am Beispiel Russland sehr gut ersichtlich: während sich in Westeuropa die kapitalistischen (Produktions-)Verhältnisse in der feudalistischen Gesellschaft langsam entwickelten, größere Teile der Gesellschaft erfassten und schließlich die Bourgeoisie als herrschende Klasse an die Macht brachten, stellte sich das Bild in Russland ganz anders dar.

Russland war insgesamt ein sehr rückständiges Land, in dem die Leibeigenschaftsverhältnisse noch viel länger bestanden und die politische Macht in der Hand des parasitären Adels lag. Demgegenüber war der Kapitalismus im Westen bereits so stark entwickelt, dass das Kapital zur Expansion drängte. In Russland konzentrierten sich diese ausländischen Kapitalinvestitionen auf einige wenige Städte und führten dort zum Entstehen von riesigen Fabriken und einer zwar verhältnismäßig kleinen, aber hochkonzentrierten und daher mächtigen ArbeiterInnenklasse. Das führte zur Koexistenz von moderner Großindustrie einerseits und sehr rückständiger Landwirtschaft andererseits. Kapitalistische Verhältnisse entwickelten sich in Russland nicht, wie in den west-europäischen Ländern, langsam auf dem Boden des Feudalismus, sondern sind mehr oder weniger ein Produkt ausländischer Kapitalinvestitionen. Das führte auch zum “Fehlen” einer (bzw. zu einer zahlenmäßig eher bedeutungslosen) russischen KapitalistInnenklasse.

Russland ist “auf ökonomischem Gebiet durch ein relativ niedriges Niveau der kapitalistischen Entwicklung charakterisiert, in der politischen Sphäre durch die Bedeutungslosigkeit der kapitalistischen Bourgeoisie und die Macht des revolutionären Proletariats.”[ 3 ] Viele gesellschaftliche Veränderungen, die in Westeuropa im Zuge der bürgerlichen Revolution durchgesetzt wurden (Abschaffung der Leibeigenschaft, Lösung der Agrarfrage, Einführung einer bürgerlichen Demokratie…), standen in Russland allerdings noch an.

Nun stellt sich die Frage welche gesellschaftliche Kraft zur Durchsetzung dieser Veränderungen in der Lage ist. Und damit sind wir bei der entscheidenden Frage: Welche Klasse kann unter diesen Umständen eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft durchführen und diese demokratischen Aufgaben lösen? Für den überwiegenden Teil der sozialdemokratischen “II. Internationale” (die vor dem 1. Weltkrieg die gesamte ArbeiterInnenbewegung mit Ausnahme der AnarchistInnen umfasste) war die Sache klar: rück-ständige Länder müssten, ebenso wie die entwickelten Länder Westeuropas in den Jahrhunderten davor, zuerst eine bürgerlich-demokratische Periode durchlaufen, in der die KapitalistInnenklasse das Land regieren würde. Erst danach könnte in einer unbestimmten Zukunft die ArbeiterInnenklasse an die Macht kommen. Doch Trotzki erwies sich als Ketzer wider die Orthodoxie der II. Internationale und stellte diese Entwicklung für Russland in Frage.

Die Bourgeoisie war, wie gesagt, in Russland zu schwach zur Lösung der demokratischen Aufgaben. Das KleinbürgerInnentum war ebenfalls kaum vorhanden und war, aufgrund seiner ökonomischen Stellung, nicht in der Lage, eine eigenständige politische Rolle zu spielen. Die Bauern/Bäuerinnen stellten zwar den größten Teil der Bevölkerung, waren und sind allerdings, auch durch ihre ökonomische Stellung und die ländliche Rückständigkeit, zu einer Führungsrolle nicht in der Lage. Die Rolle der revolutionären Kraft fiel also dem Proletariat zu, das als einzige Klasse an den wichtigen Schaltstellen der Gesellschaft konzentriert ist und daher auch potentiell die Macht für eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft besitzt.

Führungsrolle des Proletariats

Die revolutionäre Rolle der ArbeiterInnenklasse ergibt sich durch ihre besondere Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess – wo die Produktion zwar gesellschaftlich durch die ArbeiterInnen erfolgt, die Aneignung und damit Verteilung allerdings privat durch die KapitalistInnen stattfindet. Durch diesen kollektiven Produktionsprozess trägt der Kapitalismus bereits den Keim der neuen Gesellschaft, d.h. einer auf Gemeineigentum beruhenden nach-kapitalistischen Gesellschaft, in sich. Doch die KapitalistInnen werden ihre Privilegien nicht freiwillig abgeben. Deshalb können nur durch eine proletarische Revolution die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse (Privatbesitz an Produktionsmitteln) aufgehoben werden. Auch wenn sich in Russland die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse erst in Ansätzen durchgesetzt hatten, kam dem russischen Proletariat trotzdem diese revolutionäre Rolle zu. Denn Länder wie Russland mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung sind, durch den ungleichzeitigen und kombinierten Charakter dieser Entwicklung bedingt, durch verschiedenste Widersprüche gekennzeichnet – und eben auch schon durch den von Lohnarbeit und Kapital.

Was bedeutet die führende Rolle der ArbeiterInnen in der Revolution nun für deren Charakter? Zuerst wird sich das an der Macht befindliche Proletariat an die Lösung der demokratischen Aufgaben der Revolution machen. Dieses wird allerdings nach Lösung dieser Aufgaben die Macht kaum wieder abgeben, sondern eine immer weitere Umgestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen vornehmen. Dazu wird es auch, um die eigene Macht zu konsolidieren und die Konterrevolution zu verhindern, gezwungen sein. Damit wird es den anfänglichen Charakter der Revolution (als bürgerliche) durchbrechen und damit an die Grenzen der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft an sich stoßen. Denn: “Die politische Herrschaft des Proletariats ist unvereinbar mit seiner ökonomischen Versklavung.”[ 4 ] Das ist die Essenz von Trotzkis Theorie und darin liegt nun die “Permanenz” der Revolution.

Trotzki fasst es so zusammen: “Die Diktatur des Proletariats[ 5 ], das als Führer der demokratischen Revolution zur Herrschaft gelangt ist, wird unvermeidlich und in kürzester Frist vor Aufgaben gestellt sein, die mit weitgehenden Eingriffen in die bürgerlichen Eigentumsrechte verbunden sind. Die demokratische Revolution wächst unmittelbar in die sozialistische hinein und wird dadurch allein schon zur permanenten Revolution.”[ 6 ] Trotzki hat den Gang, den die Entwicklungen in Russland schließlich genommen hatten, und die Führungsrolle des Proletariats, die es in der Oktoberrevolution 1917 gespielt hat, also bereits 1906 analysiert. Spätestens im Oktober 1917 hat die Geschichte also die Richtigkeit von Trotzkis Theorie bestätigt.

Es ist allerdings auch klar, dass die zahlenmäßig relativ schwache ArbeiterInnenklasse diese revolutionäre Umgestaltung nicht als kleine, isolierte gesellschaftliche Gruppe durchführen kann: “Das Proletariat kann seine Macht nicht konsolidieren, ohne die Basis der Revolution zu verbreitern.”[ 7 ] Sie kann diese nur erfolgreich als Führerin der anderen unterdrückten Klassen durchführen.

Wiederholbarkeit?

Die Ansicht, die die große Mehrheit der II. Internationale vertrat, dass gesellschaftliche Entwicklungen (in unserem Fall die bürgerliche Revolutionen) einfach in anderen Ländern nochmals wiederholt werden können, wird durch die Theorie der permanenten Revolution eindeutig verneint. Klar ist nämlich, dass gesellschaftliche Verhältnisse nur durch ihre Entwicklung im Weltmaßstab beurteilt werden können und sich nicht isoliert von einander vollziehen. So sind z.B. die Besonderheiten der Entwicklung in Russland gerade auch ein Ausdruck der Veränderungen in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern zu dieser Zeit, nämlich deren Drang zum Kapitalexport und damit ihre Investitionen in Russland, die dessen Entwicklung massiv beeinflusst haben.

Eine Orientierung darauf, zuerst eine bürgerliche Revolution durchzuführen, auf deren Grundlage sich dann der Kapitalismus entwickeln kann und auf dessen Grundlage dann eine proletarische Revolution möglich wird, geht jedoch davon aus, dass diese historische Entwicklung in der selben Art und Weise wieder vollzogen werden kann. Für Trotzki geht es nun auch nicht um das “Überspringen” einer Entwicklungsetappe, sondern um die Frage, wie die Kräfteverhältnisse sich darstellen und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden müssen.

Internationalismus

Damit musste auch die Frage, ob Russland als rückständiges Land, in dem sich der Kapitalismus noch nicht völlig durchgesetzt hat, reif für den Sozialismus war, anders gestellt werden: War die Entwicklung der Produktivkräfte im Weltmaßstab reif für den Sozialismus? Diese Frage muss man/frau eindeutig mit ja beantworten und somit war auch die Basis für eine Revolution gegeben. Dass die russische Oktoberrevolution schließlich degeneriert ist und zur bürokratischen Herrschaft einer privilegierten Kaste geführt hat, ist nicht Ausdruck davon, dass diese Revolution in Russland zu früh statt gefunden hat, sondern der Isolierung des jungen ArbeiterInnenstaats geschuldet. Sowohl Lenin als auch Trotzki formulierten bereits vor der Ergreifung der Macht durch das Proletariat, dass im Falle einer Isolierung, d.h. wenn sich die proletarische Revolution nicht auch auf die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder ausdehnt, die Revolution nicht erfolgreich sein kann.

Die Entwicklung des revolutionären Russlands wurde durch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, den BürgerInnenkrieg von 1918-1921 und die Rückständigkeit Russlands massiv erschwert. Die Isolierung wurde besiegelt, nachdem sowohl die revolutionären Ereignisse in Deutschland von 1918-1923 als auch die ungarische Räterepublik 1919 schließlich in Niederlagen endeten und keine neuen ArbeiterInnenstaaten hervorbrachten.

Bürokratisierung der Sowjetunion

Mit der Degeneration der Sowjetunion, rückte nun mit Trotzki und seinem Kampf gegen diese Erscheinungen auch seine bisher kaum thematisierte Theorie der permanenten Revolution in den Blick der Kritik durch die Bürokratie. Mit dem “Trotzkismus” wurde ein neues Feindbild geschaffen. Um ihre privilegierte Stellung beibehalten zu können, wurde von einer Weltrevolution Abstand genommen und diese Haltung mit der “Theorie” des “Sozialismus in einem Land” erklärt. Nun sollte es möglich sein, den Sozialismus isoliert in Russland aufzubauen. Trotzki hingegen trat weiterhin für die Ausweitung der Revolution auf andere Teile der Welt ein. In dieser Auseinandersetzung spielte die chinesische Revolution von 1927 eine besonders wichtige Rolle.

Bisher hatte Trotzki die Theorie der permanenten Revolution nur auf Russland angewendet. Die von ihm analysierte Führungsrolle der ArbeiterInnenklasse und der proletarische Charakter der Revolution haben sich auch tatsächlich bewahrheitet – und diese Grundlagen der russischen Oktoberrevolution wurden natürlich auch von niemandem in Frage gestellt.

Wie sahen nun die Rahmenbedingungen der Ereignisse in China aus? China war, ähnlich wie Russland, ein rückständiges Land in dem das Wirken der ungleichzeitigen und kombinierten gesellschaftlichen Entwicklung zu ähnlichen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen geführt hatte. Stalin orientierte die chinesische Partei nun, getreu der stalinistischen Etappentheorie, zuerst auf die Etablierung des Kapitalismus in China und erst in weiterer Folge auf eine proletarische Revolution. Die bürgerliche Revolution sollte vom Bündnis der vier Klassen – “demokratische” Bourgeoisie (die, die angeblich nicht mit dem Imperialismus zusammen arbeitet), KleinbürgerInnentum, Bauernschaft und Proletariat – durchgeführt werden. Anstelle einer erfolgreichen Revolution bedeutete dieses Bündnis allerdings eine Unterordnung der Interessen der ArbeiterInnenklasse unter die der KapitalistInnenklasse, Repression der ersteren durch die zweite und schließlich eine verheerende Niederlage der Revolution.

Kapitalistische Produktions- und Eigentumsverhältnisse hatten sich zwar noch nicht vollkommen entwickelt, allerdings hatten sich die Gegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie bereits zugespitzt. Eine eigenständige Rolle der ArbeiterInnen bedeutete für die KapitalistInnen immer auch die Gefahr einer proletarischen Revolution und damit das Ende ihrer eigenen Existenzgrundlage. Die Kontrolle über das Proletariat zu behalten war daher deren zentrales Anliegen – selbst um den Preis, keine bürgerliche Revolution durchführen zu können. Ihren direktesten Ausdruck fand dieser Umstand, als in Shanghai 1927 die ArbeiterInnenklasse ihre potentielle Stärke zeigte und die Macht ergriff. Die Folge war die Niederschlagung dieses Aufstandes, welcher die dringlichste Aufgabe für die Bourgeoisie war, und folglich ein Massaker mit zehntausenden toten ArbeiterInnen. Das zeigt ganz eindeutig, dass die KapitalistInnen, aufgrund der bereits weiter ausdifferenzierten gesellschaftlichen Widersprüche, die bereits ganz andere waren als zur Zeit der klassischen bürgerlichen Revolution, unfähig sind, die Führungsrolle in einer bürgerlichen Revolution zu spielen.

Trotzki betonte deshalb die Notwendigkeit der Eigenständigkeit und der Führungsrolle des Proletariats. Die an der Macht befindliche ArbeiterInnenklasse werde durch die Logik der Ereignisse zu sozialistischen Maßnahmen gezwungen und werde daher den Rahmen der bürgerlichen Revolution sprengen. Damit ändert sich allerdings auch der Charakter der Revolution. Für Trotzki wäre China eine weitere Möglichkeit gewesen, die Isolierung der Sowjetunion zu durchbrechen und die proletarische Revolution auf Weltebene voranzutreiben. Aber das lag natürlich nicht im Interesse der stalinistischen BürokratInnen – denn die Machtergreifung durch das Proletariat und ihre politische Herrschaft hätte die Frage nach der Existenzberechtigung der russischen Bürokratie gestellt.

Diese Auseinandersetzung zwischen der stalinistischen Bürokratie und Trotzki ist also weit mehr als eine abstrakt theoretische Diskussion. Es geht dabei um die Perspektiven für tatsächlich stattfindende gesellschaftliche Umbrüche. Trotzki nennt es “eine Frage nach Charakter, inneren Zusammenhängen und Methoden der internationalen Revolution.”[ 8 ] Somit ist diese Auseinandersetzung auch nicht auf die chinesische Frage beschränkt. Sowohl in den Ereignissen des spanischen BürgerInnenkriegs von 1936-1939 als auch in Griechenland[ 9 ] während und nach dem Ende des 2. Weltkriegs war diese Frage von äußerster Wichtigkeit. Für eine Analyse der nach 1945 entstandenen, von Beginn an degenerierten ArbeiterInnenstaaten (Jugoslawien, China, Vietnam, Kuba) ist die Theorie der permanenten Revolution ebenfalls von enormer Bedeutung. Weitere Beispiele wären die Ereignisse in Chile rund um die Volksfrontregierung Allende (1971-73)[ 10 ] oder auch die sandinistische Revolution in Nicaragua 1979. Auch hier führte schließlich die Orien-tierung auf eine
“freie” und unabhängige Entwicklung des Kapitalismus in die Sackgasse.

Zusammenfassung und Bedeutung

Wie könnte man/frau die zentralen Aussagen dieser Theorie nun kurz zusammenfassen? Aufgrund der un-gleichzeitigen und kombinierten Entwicklung sind in Ländern, in denen demokratische Aufgaben (d.h. solche die im Zuge von bürgerlichen Revolutionen gelöst werden sollten) noch nicht erledigt sind, die Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Widersprüche andere, als sie es zur Zeit der “klassischen” bürgerlichen Revolutionen waren. Aufgrund der bereits entfalteten Widersprüche zwischen Lohnarbeit und Kapital und der Schwäche der einheimischen Bourgeoisie kann diese nicht die Führungsrolle übernehmen. Diese kann nur der ArbeiterInnenklasse zufallen.

Durch die Logik der Ereignisse wird das, sich an der Macht befindliche, Proletariat nicht bei der Lösung der demokratischen Aufgaben stehen bleiben (können), sondern zur Umsetzung sozialistischer Maßnahmen, die den Rahmen des Kapitalismus sprengen, gezwungen werden. Damit ändert sich auch der Charakter der Revolution und es kommt zu einem “Hinüberwachsen” der bürgerlichen in eine proletarische Revolution. Darüber hinaus darf die Revolution nicht auf ein Land beschränkt bleiben, sondern muss ausgeweitet werden

Für uns stellt diese Theorie einen wichtigen Teil unserer trotzkistischen Tradition dar und ist auch heute noch ein entscheidendes theoretisches Instrument, um die Dynamik der Entwicklung der Welt zu analysieren. In vielen Ländern der halbkolonialen Welt finden sich, aufgrund der ungleichzeitigen und kombinierten Entwicklung, auch heute noch moderne und extrem rückständige Produktionsverhältnisse und -Methoden nebeneinander. Eine theoretische Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist daher heute eine wichtige Aufgabe von revolutionären MarxistInnen. Nicht als Selbstzweck, sondern um richtige Schlussfolgerungen für die Praxis daraus ableiten zu können n

Fußnoten:

[ 1 ] Trotzki, Leo: Ergebnisse und Perspektiven. basis Verlag, Frankfurt am Main 1971. S. 35
[ 2 ] ebd., S. 51
[ 3 ] ebd., S. 68
[ 4 ] ebd., S. 106
[ 5 ] Die marxistische Staatstheorie geht davon aus, dass, solange es Klassen gibt, immer eine Klasse über die Gesellschaft herrscht. Demnach ist die bürgerliche Demokratie auch eine “Diktatur der Bourgeoisie”, während der Begriff “Diktatur des Proletariats” für die Herrschaft der ArbeiterInnenklasse über die konterrevolutionären KapitalistInnen sowie für die ArbeiterInnendemokratie steht.
[ 6 ] Trotzki, Leo: Die permanente Revolution. basis Verlag, Frankfurt am Main 1971. S. 160
[ 7 ] Trotzki: Ergebnisse…., S. 72
[ 8 ] Trotzki: Die permanente … S. 158
[ 9 ] siehe dazu: AGM: Revolution und Konterrevolution in Griechenland, Marxismus Nr 25
[ 10 ] siehe dazu die Broschüre der AL: “Chile 1973 – Der Putsch der Generäle und das Versagen der Regierung Allende” oder die der AGM: “Chilenische Lehren”, Schulungstexte und Materialien