–„Selbst aktiv werden!–”

Interview mit Gilbert Karasek, frischgewählter Personalvertreter bei Wienstrom

Gilbert, kannst Du uns zu Beginn etwas über Dich selbst erzählen?

Gerne! Ich bin ein sogenanntes Besatzungskind, daher auch mein französischer Vorname. Mittlerweile bin ich 55 und arbeite seit meinem 14. Lebensjahr in der Industrie. Ich bin gelernter Feinmechaniker, also Metallarbeiter. In der langen Zeit habe ich schon in vielen Betrieben gearbeitet, beispielsweise bei General Motors, Siemens, Schrack und bei vielen kleineren Firmen. Bei Wienstrom bin ich seit mittlerweile 21 Jahren. Dort arbeite ich in der Schlosserei und betreue unterem anderem die Aufzüge.

Kannst Du ein paar Worte über Wienstrom sagen?

Wienstrom ist für die Energieversorgung der Hauptstadt zuständig. Es arbeiten dort ca. 3300 MitarbeiterInnen – vor zehn Jahren waren es noch ca. 4300. Die größten Standorte sind in der Mariannengasse mit ca. 1400 KollegInnen und in Simmering mit ca. 300 – 400 KollegInnen. Daneben gibt es Umspannwerke, kleinere Kraftwerke, den Störungsdienst, den Fuhrpark, …

Wienstrom ist ein strategisch sehr wichtiger Betrieb, den wenn der Strom weg ist, steht alles. Dies geschah zum Beispiel rund um den Justizpalastbrand. Am 14. Juli 1927 wurden drei Faschisten, die im burgenländischen Schattendorf einen Kriegsinvaliden und einen 8jährigen Buben erschossen hatten, von diesem Mord freigesprochen. Noch am selben Tag traten die Betriebsräte der EWerke vor den Wiener SPParteivorstand und verlangten Weisungen für den Streikbeginn. Doch die SP-Führung sah keinen Grund für einen Streik. Die Beschäftigten gaben trotz des Nein der Sozialdemokratie mit der Stromabschaltung das Zeichen für den Generalstreik. Die Polizei schoss dann in die ArbeiterInnendemonstrationen, wobei über 90 ArbeiterInnen starben, wogegen die SPÖ nichts unternahm. Doch die Stromwerker haben die Frage gestellt, wer die Macht hat.

Nach dem zweiten Weltkrieg waren die Stromwerke immer zu 100% sozialdemokratisch kontrolliert, es hat seither auch keine nennenswerten Kandidaturen gegen die FSG gegeben. Die SPÖ verteufelte alle anderen ArbeiterInnenorganisationen als Feinde. KapitalistInnen und Aktien- und Kapitalgesellschaften sind heute bei Wienstrom herzlich willkommen, aber "fremde" ArbeiterInnenorganisation werden bekämpft.

Warum hast Du Dich entschlossen, bei der Personalvertretungs- und Gewerkschaftswahl zu kandidieren?

Früher war Wienstrom im direkten Eigentum der Gemeinde Wien, damit gab es für mich keine ausreichende Notwendigkeit, um zu kandidieren. 1995, mit der Umsetzung des Dienstleistungsabkommens GATS und der Richtlinien der Welthandelsorganisation WTO, wurden öffentliche Dienstleistungen zur Handelsware.

Grundbedürfnisse wie Energie, Gesundheit, Wohnung, Bildung oder Pensionen wurden dem freien Markt ausgeliefert und zur Profit- und Handelsware umstrukturiert. Die alte Sozialdemokratie war dagegen, in diesem Bereich Profite zu machen. Doch nun wurden kommunale Einrichtungen ausgegliedert und unterliegen dem kapitalistischen Profitsystem. Die Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen, FSG, sagt zwar, sie ist gegen Kapitalismus, Ausgliederung, Privatisierung, doch im Wiener Gemeinderat stimmten die FunktionärInnen des ÖGB und der GdG, der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, der Kapitalisierung zu.

Die Gewerkschaft verschleiert die Kapitalisierung der E-Werke und gibt auch keine Informationen an die Basis. Alles hat nur "Umstrukturierung" geheißen, nichts wurde erklärt. Doch die letzten Jahre waren dramatisch: Es gibt einen enormen Stellenabbau, indem der natürliche Abgang nicht nachbesetzt wird. So wurden in den letzten 10 Jahren rund ein Viertel der Jobs abgebaut. Ein Teil der Arbeit wurde wegrationalisiert, ein anderer, zum Beispiel die Produktion der Stromzähler, wurde an Fremdfirmen abgegeben, die unter deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen arbeiten.

Die Pensionen wurden von 1995 bis heuer de facto eingefroren. Durch neue Disziplinarregeln ist es viel schneller möglich, Leute zu entfernen. Die Sicherheitsstandards wurden gesenkt. Die Zulagen und Überstunden sind immer mehr in Gefahr. Diese Zulagen, die meist zwischen 200 und 400 Euro monatlich ausmachen, sind die Butter aufs Brot und machen für viele KollegInnen einen notwendigen Gehaltsbestandteil aus. Ich selbst zum Beispiel bekomme nach 21 Dienstjahren ohne Zulagen gerade einmal ca. 1150 – 1200 Euro Netto. Auch die Angst um den Arbeitsplatz ist sehr gestiegen.

Währenddessen erklärt die FSG, es sei eh nichts geschehen. Sie hat nur beschwichtigt, hat sich nie gegen den Verlauf gewehrt. Sie hat nichts gemacht, die KollegInnen im Regen stehen lassen. Sie hat alle juristischen, menschlichen und psychologischen Mittel verwendet, um die KollegInnen in Unwissenheit zu halten.

Ausschlaggebend für meine Kandidatur war dann die Ausgliederung von WienNetz, also dem Stromnetz, den Kabeln, im Herbst 2005. Das ist wie bei einem guten Auto, das kann auch nicht fahren, wenn ich ihm die Achse und die Räder wegnehme. Diese Ausgliederung war eine Amputation. Diese Ausgliederung hat die SPÖ vorbereitet, im Wiener Gemeinderat haben dann die SPler- Innen, auch die aus der Gewerkschaft, das abgesegnet.

Wie lief es mit Deiner Kandidatur?

So eine Kandidatur bei Wienstrom ist sehr schwierig. Es ist kaum möglich, zu kandidieren, wenn Du nicht in der FSG bist. Die FSG und die Direktion sind eng verbunden, 95% der leitenden Angestellten sind bei der FSG. Die SPÖ/FSG entscheidet, wird Direktor wird, führende Funktionen im Betrieb, wie die Abteilungsleiter, werden oft von wichtigen FSGlern eingenommen.

Ich habe auf der Liste der KIV ("Konsequente Interessensvertretung") kandidiert. Die KollegInnen der KIV waren sehr hilfreich und eine wichtige organisatorische und finanzielle Hilfe. In vielen Tagesfragen stimmen wir überein, so sind wir gemeinsam gegen die Privatisierungen. Ich würde aber viel weiter gehen: die ArbeiterInnen müssen aus der geistigen Kontrolle des bürgerlichen Staats befreit werden. Und solange es den Kapitalismus gibt, bleibt das Wesen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Strukturen der Arbeitsteilung bleiben erhalten.

Für meine Kandidatur brauchte ich eine ganze Reihe von Unterschriften, rund 20 für den Personalvertretung, den Dienststellenausschuss in der Mariannengasse, rund 30 aus dem gesamten Betrieb für die betriebsweite Kandidatur als GdG-Mandatar und rund 90 aus dem gesamten Betrieb für den Betriebsrat.

Die 90 Unterschriften habe ich nicht geschafft, aber die anderen beiden Hürden habe ich überwunden und so konnte ich betriebsweit kandidieren. Es war dabei nicht ungefährlich für KollegInnen, für mich zu unterschreiben. Es besteht die Gefahr von Repressionen in Form von Kürzungen, in dem die Zulagen oder Überstunden gestrichen werden oder zukünftige Beförderungen dahin sind.

Es hat dann ja unglaublichen Druck gegeben. Kannst Du darüber mehr erzählen?

Bei diesen Gewerkschaftswahlen hat die FSG ihr wahres Demokratieverständnis gezeigt. Es wurde auffallend viel wahlgekämpft, es gab Wahlgeschenke. Ihr Wahlkampf richtete sich allerdings nicht gegen den Neoliberalismus, sondern gegen mich als Person. Anstatt sich mit meinen Forderungen auseinanderzusetzen, haben die SP-Gewerkschaftsfunktionäre mich zum Feind der Kolleg- Innen erklärt. Ihre "gewerkschaftliche Tätigkeit" bestand darin, Verunsicherung, Hass und Angst gegen mich zu schüren. Sie haben direkt an meinem Arbeitsplatz die Emotionen der ArbeitskollegInnen gegen mich aufgeschaukelt und überdies ihre Organisationsstrukturen dahingehend missbraucht, alle ihre Vertrauenspersonen gegen mich zu mobilisieren. So wurde ich körperlich und verbal bedroht und bei jeder Gelegenheit verunglimpft. Die FSG hat auch Druck ausgeübt, so dass ich im Wahlkampf nicht in fremde Dienststellen gehen konnte. In Simmering allerdings haben mir einige Kollegen sehr geholfen, damit ich das Kraftwerk besuchen konnte.

Führende FSGler erklärten mir, sie müssten den KollegInnen "die Wahrheit" über mich erzählen, sie könnten dann "für nichts garantieren" und meinten "wenn Dir was passiert, können wir Dir nicht helfen". Auch aufgehetzte Arbeiter bedrohten mich.

Das alles zeigt, wie wenig Sinn für Demokratie die FSG hat. Doch das alles hat nichts genützt. Schließlich haben 60 KollegInnen für mich unterschrieben, 40 aus dem Kraftwerk Simmering und 20 aus der Mariannengasse. Interessanterweise habe ich dann in Simmering bei der Auszählung nur 20 Stimmen bekommen, obwohl im Vorfeld 40 KollegInnen für mich unterschrieben hatten. Viele Kollegen, die wussten, wer mich aller gewählt hatte, waren sehr verwundert, wohin denn die Stimmen gewandert sind. Die Urnen waren übrigens während der Wahl unversperrt …

Ich selbst habe dennoch geglaubt, 4 – 5% könnten schon drin sein. Das Ergebnis war dann aber viel besser. Bei den gesamtbetrieblichen Gewerkschaftswahlen habe ich 9,5% der Stimmen bekommen und in der Mariannengasse sogar 11,65%. Damit habe ich ein Mandat im Dienststellenausschuss und eines in der GdG.

Was wirst Du nun tun, wofür stehst Du?

Ich stehe für eine Gewerkschaft, die von den ArbeitnehmerInnen kontrolliert wird und die ein Instrument für sie ist. Ich werde alle Informationen an die KollegInnen weitergeben, mein Chef sind die Kolleginnen und Kollegen. Wir werden aber nur dann Erfolg haben, wenn wir selbst aktiv werden, ohne Bevormundung durch bürgerliche Parteien oder Bürokrat- Innen.

Ich stehe für eine klassenlose und sozialistische Gesellschaft, wo die Arbeitsteilung aufgehoben ist, wo der Mensch als universelles Wesen seine Talente anwenden kann. Kein Mensch soll sich auf Kosten eines anderen bereichern. Ich möchte mit Karl Marx schließen: "Die freie Entwicklung jedes Einzelnen ist die Bedingung für die freie Entwicklung aller!"