Mozart und die Revolution

Heute jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag des berühmten Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Doch Mozart war nicht einfach nur Musiker, er war gleichermaßen Produkt und Akteur einer vorrevolutionäre Periode mit all ihren ökonomischen und politischen Widersprüchen …

Mozart ist in aller Munde: Der österreichischen Wirtschaft, verhilft "Amadeus" im Mozartjahr 2006 posthum zu enormen Einnahmen: Wer Mozart liebt, kauft Salzburger Mozartkugeln, Mozartwurst, Mozartdrinks, Mozartjoghurt, Mozartkipferln, Mozartknödel, Mozartkochbücher usw. Wer seine Musik liebt, geht in die Oper: eine "Zauberflöte" gibt es nicht unter 35 Euro, für viele also ein einmaliges Erlebnis. Und auch die Frage, wer Mozart für sich reklamieren darf, wird wiederum geführt, ist aber nicht neu: Als im Jahr 2003 der deutsche Fernsehsender ZDF zu einer Wahl der "bedeutendsten Deutschen der Zeitgeschichte" aufrief und unter anderen AnwärterInnen Mozart anführte, ging ein an Peinlichkeit kaum zu übertreffender Aufschrei durch die in ihrem Nationalstolz beleidigte bürgerliche Gesellschaft Österreichs. Naturgemäß tat sich die "Krone" dabei besonders hervor.

Angesichts dieses differenzierten Bezugs auf das Leben und Schaffen des Komponisten, der sich durch nationalistische Vereinnahmung, elitären Kunstgenuss und kapitalistische Verwertbarkeit manifestiert, ist es notwendig, den progressiven Charakter Mozarts dem Vergessen zu entreißen. Doch der Hinweis auf sein – zweifellos fortschrittlichstes – Werk "Die Hochzeit des Figaros" ist bei weitem nicht ausreichend. Vielmehr muss Mozart aus zwei Blickwinkeln gesehen werden: einmal als ein Produkt seiner Zeit und dann als ein Akteur in einer Zeit des Umbruchs.

Mozart – ein Produkt seiner Zeit

Fast 200 Jahre nach Mozarts Tod, erlangte ein aus der Wiener linken Undergroundszene stammender Sänger und Komponist mit seinem Hit "Rock Me Amadeus" internationales Ansehen. Wenn Falco darin Mozart als "Rockidol" und als "populär" bezeichnet, so bezieht sich diese Aussage vor allem auf seine erfolgreiche Zeit in Wien. In Wirklichkeit kann die Popularität des Komponisten aber auf sein gesamtes Leben ausgeweitet werden und zwar unter Einbeziehung der verschiedensten Bedeutungen des Wortes.

Der Komponist und Musiker Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Jänner 1756 in Salzburg geboren. Bereits als sein Vater Leopold den achtjährigen Wolfgang und dessen Schwester in einer Tournee durch Europa schleifte, machte er das Kind nicht nur bei allen Adelshäusern bekannt, sondern platzierte es in London auch im Pub vor das Klavier und ein rein bürgerliches Publikum. Für die elitäre Kunstauffassung des 18. Jahrhunderts war dieses Vorgehen reinster Frevel und kam einer Beleidigung gleich: die heute als "klassische Musik" bekannte Kunst war damals für den Adel reserviert.

Der Bürgerliche Leopold Mozart scherte sich wenig um feudale Privilegien, ihn interessierte die finanzielle Verwertbarkeit seiner Kinder, wobei es ihm egal war, aus welcher Hand das Geld in seinen Beutel gelangte. Die Tournee, welche Leopold jene Unabhängigkeit von einem einzelnen Adelshaus garantierte, für die Wolfgang lange wird kämpfen müssen, und der Londoner Skandal sind Ausdruck eines Bruchs der Bourgeoisie mit einem auf Privilegien des Adels basierenden System, das sich gegen Mitte des 18. Jahrhunderts längst überlebt hatte und seiner Zersetzung entgegensah.

Das Leben Wolfgang Mozarts fällt in eine vorrevolutionäre Periode mit all ihren ökonomischen und politischen Widersprüchen. Nicht nur in Frankreich, wo zwei Jahre vor Mozarts Tod die Revolution ausbrechen sollte, sondern in den meisten Gebieten des europäischen Kontinents wuchs im 17. und 18. Jahrhundert das Selbstbewusstsein der Bourgeoisie zusammen mit ihrem Selbstverständnis als Klasse enorm an. Dies hatte mehrere Gründe: Der Adel war teilweise dermaßen verarmt, dass er keine eigenständige wirtschaftliche Kraft der Gesellschaft mehr darstellte. Ehemalige Großgrundbesitzer fristeten ihr Leben als schmarotzende Höflinge des Königs (in Frankreich) oder einzelner noch mächtiger Feudalherren (Deutschland, Österreich, Italien …).

Obwohl der Adel wirtschaftlich bedeutungslos war und auch keine Steuern zahlen musste, hatte nur er Zugang zu politischen Ämtern. Diese feudalen Privilegien standen in keinem Bezug mehr zur Verteilung der Produktionsmittel bzw. zum realen Stellenwert der Feudalklasse in der Gesellschaft. Dem gegenüber stand die junge Klasse der Bourgeoisie, die nach und nach die wirtschaftliche Bedeutung des Adels übernommen hatte, einen großen Teil der Abgaben entrichtete und folglich auch die politische Kontrolle übernehmen wollte. Bei Entstehen der ökonomischen Voraussetzungen für den Kapitalismus wurde auch die ihm entsprechende politische Gesellschaftsordnung der bürgerlichen Demokratie geboren. Ideen von Aufklärern wie Voltaire, Rousseau und Kant fanden Eingang in das bürgerlich-feudale Kräftemessen und legitimierten es. Mit dem Sturm auf die Bastille in der französischen Revolution im Jahr 1789 fand ein bereits lang andauerndes Tauziehen um die Macht seinen Höhepunkt. (Mehr dazu in: Vive la révolution! (MR 22/03))

Die Vorzeichen der revolutionären politischen Umwälzungen hatten ihre Entsprechung im Bereich der Kunst. Die höfische Musik steuerte auf ihr Ende zu. Mozart wurde einer der ersten populären Musiker und Komponisten. Doch zunächst war auch er von der Gunst des Adels abhängig. Die erste Anstellung am Hof des Erzbischofs von Salzburg als "Dritter Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle" war unbesoldet, erst die zweite und die dritte als "Hoforganist" garantierten ihm ein bescheidenes Dasein. Seine gesellschaftliche Position war trotz der klingenden Titel die eines Dieners.

Mozart war sich dieser Tatsache und der damit verbundenen Ungerechtigkeit durchaus bewusst: Die Berühmtheit, die Produktivität, seine Bildung und das Genie, von dem er überzeugt war, standen im direkten Gegensatz zu seiner gesellschaftlichen und finanziellen Stellung. In diesem Bewusstsein manifestierte sich der wachsende Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen Kraft der Bourgeoisie und der politischen Macht des Adels. Die zahlreichen Reisen, die Mozart während seiner Anstellung am Salzburger Hof unternahm, können als Versuch angesehen werden, sich aus den feudalen Fesseln zu befreien und der buchstäbliche Tritt in den Arsch, mit dem der Fürst auf seine endgültige Kündigung reagierte, ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen dem Adel und den bürgerlichen Musikschaffenden: Keine Kunst ist außerhalb von Hof und Kirche akzeptierbar, wer sich nicht beugt und die Abhängigkeit nicht annimmt, wird verstoßen. Zugleich war dieser Tritt die Geburt des freischaffenden, populären Künstlers mit einer – relativen – Möglichkeit zur Kritikausübung. In Wien wird sich Mozart diese Freiheit nehmen.

Als Mozart 1781 nach Wien kam, ließ er sich in einer Stadt nieder, die mehr als alle anderen Gebiete des Habsburger Reichs von den Reformen des Regenten betroffen war. Joseph der II. galt und gilt als Monarch, der mit den Ideen der Aufklärung sympathisierte oder sich diese zumindest als Instrument zur Bekämpfung des noch mächtigen Adels aneignete. Die Bourgeoisie gegen die feudalen Konkurrenten auszuspielen, lag durchaus in seinem persönlichen Interesse. Die so genannten "Josephinischen Reformen" beendeten unter anderem die Leibeigenschaft und schafften die Todesstrafe vorübergehend ab mit dem Zweck, die Verurteilten zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Auch der Bau von Schulen und Krankenhäuser wurde vorangetrieben. Eine für diese Zeit besonders fortschrittliche Verordnung war das Verbot des Korsetts für Mädchen. Jene, die den Lebkuchen verbot, fällt wohl eher in den Bereich der Kuriositäten.

Unter dem Motto "Alles für das Volk; nichts durch das Volk" sollte aber nicht nur jeder kleinste Bereich des gesellschaftlichen Lebens organisiert sondern auch kontrolliert werden. So wurde neben dem Meldewesen auch das erste polizeiliche Überwachungssystem inklusive Spitzel eingeführt. Gewagte Experimente mit der Pressefreiheit wurden bald wieder fallen gelassen.

Die unmittelbare Folge dieser Reformen, besonders die rudimentäre Meinungsfreiheit, war ein Aufschwung liberaler bürgerlicher Intellektuellen-Zirkel wie der Logen der Freimaurer in den Städten, besonders in Wien, deren Mitglieder ganz im Geiste der Aufklärung standen und die Politik Joseph II unterstützten (und teilweise auch weit radikaler als diese waren und mit den französischen Jakobinern sympathisierten). Die Politik Joseph II war allerdings auf lange Sicht gegen die Interessen des BürgerInnentums gerichtet, da sie diese durch Zugeständnisse ruhig halten sollte. Und tatsächlich stellte sich mit den ersten Meldungen über die Französische Revolution auch die Repression wieder ein und jeglicher Reformwille von Seiten der Monarchie war wie weggeblasen.

Mozart als Akteur

Zunächst aber war das durch diese oft als "Revolution von oben" bezeichneten staatlichen Eingriffe geschaffene Klima durchaus günstig, nicht zuletzt auch, um Kritik am herrschenden System sozialer Ungerechtigkeiten in die Kunst und im besonderen Maße in Theater und Oper einfließen zu lassen. In Wien traf Wolfgang Amadeus Mozart auf ein Publikum, das nicht mehr zur Gänze dem Adel angehörte, sondern sich zunehmend aus mehr oder weniger wohlhabenden und entsprechend gebildeten Bürger und Bürgerinnen zusammensetzte. Dass dieselbe Evolution nicht nur im Saal sondern auch auf der Bühne stattfand, bis hin zu proletarischen Protagonisten, dafür waren fortschrittlich gesinnte Musiker, Komponisten, Dichter und Regisseure wie Mozart und Emanuel Schikaneder ausschlaggebend.

Diesen fortschrittlichen Intellektuellen boten vor allem die Logen der Freimaurer ein ausgezeichnetes Forum. Ihre Mitglieder (theoretisch waren alle Stände vertreten, faktisch nur Männer des Adels und der Bourgeoisie) formulierten nicht nur die radikalsten Ideen und Forderungen, sie verfügten auch über den größten Einfluss bei Regierung und Hof. Durch die Inquisition der katholischen Kirche gleich nach ihrem Entstehen zu Beginn des 18.Jahrhunderts wegen der Praktizierung mystischer Rituale verfolgt, wurde die Freimaurerei von Joseph II zunächst legalisiert, überwacht und schließlich durch einen bürokratischen Vorwand handlungsunfähig gemacht.

Die kuriose Mystik mit all ihren Symbolen und Ritualen hat sich bis heute erhalten und gibt immer wieder Anlass zu Verschwörungstheorien und Bestsellerromanen. Der Einfluss der Freimaurer ist zwar nach wie vor als männerbündische Seilschaft nicht unerheblich, die fortschrittliche Gesinnung der ehemaligen "Meister" und "Gesellen" hat sich aber nicht im Geringsten erhalten. Im Gegenteil: besonders europäische Logen wie die italienische P2 (Propaganda Due) dienen nicht nur kapitalistischen Ausbeutern wie Silvio Berlusconi als Sprungbrett, sondern siedeln sich auch ideologisch oft am rechten Rand der Politik an.

Im Jahr 1784 trat Mozart in die radikale Wiener Freimaurerloge "Zur Wohltätigkeit" ein. Hatte er in Salzburg die Ungerechtigkeiten der bestehenden Gesellschaftsordnung am eigenen Leib gespürt, so wurde sein Bewusstsein nun von den aufklärerischen, gesellschaftskritischen Ideen seiner Bekannten geprägt. Emanuel Schikaneder war es, der die "Die Hochzeit des Figaro" von Beaumarchais ins Deutsche übersetzt hatte. Die Entscheidung Mozarts, ein vom vorrevolutionären Geist Frankreichs geprägtes Stück, das bei seiner Premiere in Paris nicht nur einen außerordentlichen Erfolg feiern konnte sondern regelrechte Aufstände ausgelöst hatte, als Vorlage zu einer Oper heranzuziehen, kann durchaus als ein Versuch gewertet werden, den Kampf der französischen RevolutionärInnen nach Wien zu verlagern und populär zu machen.

Im Mittelpunkt der Handlung von Mozarts "Le nozze di Figaro" steht der Kammerdiener Figaro, der sich am Tag seiner Hochzeit mit seinem Boss, dem Grafen Almaviva, anlegt. Der Absicht des Grafen, sein Recht auf die erste Nacht mit der Braut wahrzunehmen, sollte Figaro im Laufe des Spiels mit List und Intrigen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen. Bemerkenswert ist, dass die Solo-Gesangsauftritte der beiden Antagonisten zu gleichen Teilen auf das Stück verteilt sind. Die Aussage ist deutlich genug: Herr und Knecht stehen auf einer Stufe. Dabei galt die Sympathie des Komponisten zweifellos dem Diener und seinem Kampf. Die Oper malt das Bild einer Adelsgesellschaft in all ihren degenerierten, wollüstigen und verdorbenen Auswüchsen. Es hält einer dem Untergang geweihten Klasse den schonungslosen Spiegel vor.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Das von der Bevölkerung gefeierte Werk wurde nach nur neun Aufführungen abgesetzt. Allerdings war der Funke bereits übergesprungen und Prag feierte Mozart noch lange, nachdem er in Wien aus der Mode gekommen war. Dem "Figaro" folgte die Oper "Don Giovanni" und als letztes großes Werk die "Zauberflöte". Sie enthält wesentliche freimaurerische Kennzeichen und wurde offensichtlich als Reaktion auf das Verbot der Logen geschrieben. Der Ausbruch der Revolution in Frankreich hatte den Adel das Fürchten gelehrt.

Mozart aus heutiger Sicht

Die Annahme, Wolfgang Amadeus Mozart kann unter Einbeziehung der verschiedensten Bedeutungen des Wortes als "populär" bezeichnet werden, hat sich bis zu einem gewissen Grad bestätigt. Er war zweifellos bekannt und beliebt. Er fühlte sich in seiner Ablehnung des Adels dem BürgerInnentum zugehörig. Er trug dazu bei, die Kunst aus den Fängen des Adels zu befreien. Dennoch führte er andererseits einen aufwändigen Haushalt mit unterbezahlten Angestellten und war selbst ein Ausbeuter – wie viele der bürgerlichen Revolutionäre des 18. und 19. Jahrhunderts.

Der Sieg des Kapitalismus über das Feudalsystem durch die bürgerlichen Revolutionen in Europa leitete eine historisch notwendige Epoche ein, die längst abgeschlossen ist. Diese Periode hat sich heute ebenso überlebt wie damals die feudale Herrschaft. Die Bourgeoisie hat den Platz der feudalen AusbeuterInnenklasse mit all ihren Privilegien und Repressionen übernommen und längst eine neue Klasse der Unterdrückten geschaffen. Diese Unterdrückten, die ArbeiterInnenklasse, das Proletariat, hat heute die Aufgabe, den geschichtlichen Prozess weiterzuführen und an die Stelle der bürgerlichen RevolutionärInnen von damals zu treten.