Schule oder Leergang? Die Frankfurter Schule kritisch betrachtet

Der Begriff „Frankfurter Schule“ ist die heute übliche Bezeichnung für einen einflussreichen Kreis von Wissenschaftlern, die seit den frühen dreißiger Jahren auf der Frankfurter Universität am „Institut für Sozialforschung“ tätig waren. Die „Kritische Theorie“ der Frankfurter Schule zieht sich durch die verschiedensten Bereiche der Wissenschaft, wie Soziologie, Philosophie und Psychologie. Auch innerhalb der 68er-Bewegung kam ihr eine gewisse Bedeutung zu. Von der kritischen Gesellschaftstheorie, die den „Ort der Ruhe“ nicht verlassen sollte.

Auf Initiative des jüdischen Gönners Fritz Weil wurde 1923 ein „Institut für Sozialforschung“ an die Frankfurter Universität angegliedert. Das Institut sollte marxistische Theoriebildung intensivieren und Forschungen über die Geschichte des Sozialismus und der ArbeiterInnenbewegung betreiben. Während der Zeit des Nationalsozialismus musste der Frankfurter Kreis in die USA emigrieren, der überwiegende Teil nahm die Arbeit an der Universität Frankfurt nach dem 2. Weltkrieg wieder auf. Die wichtigsten Vertreter der Frankfurter Schule waren Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Walter Benjamin und der um eine Generation jüngere Jürgen Habermas.

Die Frankfurter Schule kann nicht als eigenständige Strömung der Linken angesehen werden, dafür ist sie zu wenig einheitlich. Zu gering war die Übereinstimmung der Wissenschaftler, als dass von einer konstanten Linie die Rede sein könnte. Die Bezeichnung „Schule“ etablierte sich auf-grund der gemeinsamen Forschung im Institutsrahmen und der Überschneidungen in den einzelnen Themenbereichen, die wiederum zu Zusammenarbeiten führten. Der Begriff „Kritische Theorie“ wurde erst 1937 von Max Horkheimer eingeführt, und sollte zunächst die von ihm und Herbert Marcuse verwendete Bezeichnung für die marxistische Theorietradition sein. Heute werden alle Werke der zur Frankfurter Schule gezählten Wissenschaftler als Texte und Studien der Kritischen Theorie bezeichnet. Für die Frankfurter war sie kein geschlossenes Lehr- und Denkgebäude, im Gegenteil, nach ihrem ursprünglichen Verständnis war sie ständige Kritik am Bestehenden, war sie Theorie und zugleich Verhaltensweise.

Sie zielte auf Emanzipation und Aufklärung ab und sollte die verborgenen Zwänge bewusst machen, um die Befreiung aus diesen Zwängen, die „Herbeiführung des vernünftigen Zustands“(1) zu ermöglichen. Von Anfang an kritisierte die Kritische Theorie, das in den Wissenschaften gängige Trennungsverhältnis von „erkennendem Subjekt“ (WissenschaftlerInnen) und „erkanntem Objekt“ (Gesellschaft, Mensch). Kritisiert wurde, dass die Wissenschaft als objektiv und über den gesellschaftlichen Verhältnissen stehend begriffen wird, anstatt als politisch umkämpftes Terrain. Die Frankfurter Theoretiker wussten, dass die Wissenschaft im kapitalistischen Staat selbst nur unter bestimmten Bedingungen und mit bestimmten Denkmustern und Vorgaben forscht. („Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden“ – Marx).

Die Trennung zwischen ForscherInnen und Erforschten, welche von den Frankfurter Wissenschaftlern bemängelt wurde, haben die Vertreter der Frankfurter Schule sich später zurecht selbst vorwerfen lassen müssen. Auch ihnen fehlte der Praxisbezug, und auch sie verwehrten sich ihrer einstigen Verpflichtung zum Eingriff in die bestehenden Verhältnisse. Schrieb Horkheimer richtigerweise „der Beruf des oppositionellen Theoretikers ist der Kampf, dem sein Denken angehört und nicht das Denken als etwas Selbständiges, das von diesem Kampf zu trennen wäre …“(2), so könnte dies ein Argument sein, dass ihn später selbst verurteilt.

Marxismus-Kritik

Den traditionellen Strömungen der ArbeiterInnenbewegung warfen die Frankfurter vor, den Marxismus als „positive Wissenschaft“, und nicht als kritische Analyse der Gesellschaft zu verstehen. Dies war eine verständliche Reaktion auf die zwei großen historischen Entartungen der marxistischen Theorie: Sozialdemokratie und Stalinismus. Diese begriffen den Marxismus nicht als Mittel zur kritischen Analyse, sondern nahmen sich lediglich für sie passende Versatzstücke her, die, weil ja ohnehin „wissenschaftlich“, nicht mehr hinterfragt werden mussten, und folglich als Dogmen galten. Tatsächlich ist der Marxismus sowohl Wissenschaft, wie kritische Analyse und Anleitung zum Handeln. Weiters kritisierten die Vertreter der Frankfurter Schule auch Elemente des von Marx und Engels entwickelten „historischen Materialismus“.(3) Horkheimer bemängelte zurecht den „Determinismus“, den Marx und Engels zum Teil vertreten haben. Nämlich, dass sich revolutionäre Umbrüche automatisch und quasi von selbst einstellen. Dass also der kapitalistische Produktionsprozess durch seine eigene Gesetzmäßigkeit direkt auf eine sozialistische Revolution zusteuere. Wesentlich für das Gelingen einer solchen Revolution ist aber nicht nur der sogenannte „objektive Prozess“ (immer wiederkehrende Verelendung, Kriege, Unterdrückung, Massenarbeitslosigkeit…) sondern auch der „subjektive Faktor“, also eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei mit sozialistischem Programm.

Aufklärung

Mit dem Wachstum der fortgeschrittenen industriellen Gesellschaften unter den Bedingungen des Kalten Krieges, der Ende der 40er Jahre begonnen hatte, glaubten die Theoretiker der Frankfurter Schule, entscheidende gesellschaftliche Veränderungen erkannt zu haben. Diese analysierten Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ – einem der wichtigsten Texte der Kritischen Theorie – der 1947 erschienen ist. Die beiden Philosophen betrachteten auf dialektische Weise neben den positiven Aspekten (Säkularisierung, Förderung der Wissenschaft…) die negativen Auswirkungen der Aufklärung. „Aufklärung“, so Horkheimer, „hat im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht [vor der Natur, Anm. d. Autorin] zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.“(4)

Damit einher ginge die Unterwerfung der Natur, um sie den Menschen zu Eigen zu machen. Am Ende aber sind durch diese Unterwerfung und die auf sie folgende Verdinglichung(5) und Entzauberung der Welt, die Menschen selbst, um derentwillen doch diese Mechanismen begonnen wurden, durch diese soweit unterdrückt, verdinglicht und durch sich selbst entzaubert, dass ihre emanzipatorischen Anstrengungen ins Gegenteil umschlügen. Im Endeffekt hätten die Menschen also nicht nur die Natur, sondern auch sich selbst unterworfen. Die kapitalistischen Unterdrückungsmechanismen wirkten laut Adorno und Horkheimer nun auf andere Weise. Mit dem Begriff der „Kulturindustrie“ fanden sie erstmals eine Bezeichnung für die industrielle Massenverblendung durch Kultur als Konsumgüter (Pop-, Film-, oder Fernsehindustrie).

In die Analyse der Gesellschaft wurden durch eine „Psychologie des Unbewussten“ psychoanalytische und sozialpsychologische Erklärungsmuster eingebunden. Grundsätzlich ist dieser Ansatz zu befürworten, allerdings war er für den Frankfurter Kreis zunehmend die einzige Komponente. Mit dieser Kernorientierung der Frankfurter Schule ergab sich eine Ge-wichtsverschiebung zur Zivilisationskritik. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die aus diesem Zusammenhang entstandenen Texte durchaus neue und kritische Aspekte aufzeigten. Beispielsweise Horkheimers „Autorität und Familie“ von 1936, in dem die gesamte Struktur der bürgerlichen Familie analysiert wird. Die ihr typischen Gefühlsbeziehungen, die durch die vertretenen Erziehungsideale selbst vom gesellschaftlichen und klassenmäßigen Hintergrund der Familie bestimmt sind, wurden hier behandelt und aufgezeigt.

Unter anderem mit den Erkenntnissen der „Dialektik der Aufklärung“ kamen Horkheimer und Adorno zum Schluss, dass die ArbeiterInnen nicht länger bei ihrer entschiedenen Ablehnung des Kapitalismus blieben und damit nicht mehr das Subjekt der gesellschaftlichen Veränderung sein könnten.

Keine wilden Jahre

Was Adorno und Horkheimer hier beobachteten, ist unter an-derem erklärbar durch eine historisch einzigartige Wachstumsphase der Wirtschaft in den „westlichen“ Ländern. Voraussetzung dafür war die gigantische Kapitalvernichtung durch den Zweiten Weltkrieg. Schließlich musste zuerst Infrastruktur im großen Stil wieder aufgebaut werden, anschließend folgte die Entfaltung einer durch Massenproduktion gekennzeichneten Konsumgüterindustrie.

In dieser Phase, die mit den „68er“-Protesten und der Wirtschaftskrise der 70er Jahre ihr Ende nahm, war es den Herrschenden gelungen, die grundsätzlichen Klassengegensätze weitgehend zu verwischen. Tatsächlich kam es in den 50er und 60er Jahren zumindest in Westeuropa kaum zu großen Arbeitskämpfen, schließlich stiegen die Reallöhne Jahr für Jahr und die Menschen spürten die erheblichen Verbesserungen ihres Lebensstandards. Solche „ruhigen“ Perioden kommen in der Geschichte des Kapitalismus immer wieder vor. Der Frankfurter Kreis folgerten daraus allerdings die endgültige Integration der ArbeiterInnenbewegung in das System. Doch die ArbeiterInnen-bewegung war in ihrer Gesamtheit niemals entschieden revolutionär, genauso wenig war sie jedoch jemals komplett in das System integriert.

Ein weiterer wichtiger Grund für das Nichtvorhandensein einer systemkritischen Bewegung in dieser Periode war schließlich, dass viele der wichtigsten Kader der deutschsprachigen Linken durch den Faschismus schlicht und einfach ausgerottet worden sind. In diesem Sinne hatte der Faschismus seine historische Aufgabe – die Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung – erfüllt.

Indem die Vertreter der Kritischen Theorie die deutsche wie die internationale ArbeiterInnenbewegung in der Zeit des Faschismus durch deren Spaltung und Zerschlagung scheitern haben sehen, war das Proletariat für ihrer Theorie obsolet geworden. Es konnte für sie fortan weder Ort der Erkenntnis, noch Träger der Revolution sein. Mit der Aufgabe ihres ursprünglich zu beobachtenden Subjektes, der „revolutionären ArbeiterInnenklasse“, hatte die Kritische Theorie auch ihren Blickpunkt verloren und negierte damit die Ideen von Marx und Engels.

Die Frankfurter Schule kritisierte, teilweise zu Recht, die „Ticket-Mentalität“ vieler Linker, die Gesellschaftskritik nur dann akzeptieren, wenn es dazu ein bis in den letzten Winkel durchdachtes Gegenkonzept – ein „Flugticket zum Kommunismus“ gibt. Auch Marx und Engels hielten nichts davon, die zukünftige Gesellschaft auf dem Reißbrett zu entwerfen, wohl aber konnten sie ihre Grundzüge skizzieren. Für Horkheimer und Adorno war mit Ende der 30er Jahre von sozialistischer Umgestaltung und Planwirtschaft allerdings überhaupt keine Rede mehr, sie weigern sich, in der Dialektik der Aufklärung prinzipiell auch nur irgendeinen Gegenentwurf zu zeichnen.

Autoritätstudien

Bekannt wurde die Frankfurter Schule insbesonders für ihre Studien zur Autorität und Faschismus. Die „Studie zu Autorität und Familie“ wurde erstmals 1936 in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ erwähnt. „Bei der Analyse der politischen, moralischen und religiösen Anschauungen der neueren Zeit trat die Autorität als ein entscheidender Faktor (…) hervor. Die Stärkung des Glaubens, daß es immer ein Oben und Unten geben muß und Gehorsam notwendig ist, gehört mit zu den wichtigsten der bisherigen gesellschaftlichen Dynamik [Prozesses, Anm. Autorin].“(6) Der Frankfurter Kreis war fest davon überzeugt, dass dieser psychische Zwang bei allen gesellschaftlich und sozial Unterdrückten verinnerlicht sei. Dieser Ansatz ist erstens nie belegt worden, und zweitens problematisch, da er jene bestärkt, die uns stets weiß machen wollen, es gehe nicht ohne Hierarchie- und Machtstrukturen. Sicher hatten damals (und haben auch heute) viele Menschen autoritäre Züge, allerdings wurde verschwiegen, dass Bewusstsein etwas Veränderbares und nichts Deterministisches ist.

In der Zeit von 1949/50 erschien eine Reihe von Texten und Studien, die sich mit Antisemitismus und dem „potentiell faschistischen Individuum“(7) auseinander setzen. Jene Studien wurden vom gesamten „Institut für Sozialforschung“ getragen und unterstützt. Dafür wurde eine eigene Faschismus-Skala (F-Skala) entwickelt. Sie sollte die verborgenen Züge in der Charakterstruktur aufdecken und messen, in wie weit die Menschen für faschistische Ideen empfänglich wären. Adorno meinte zur Studie über den „autoritären Charakter“, dass die Überzeugungen eines Individuums häufig durch eine „Mentalität“ oder einen „Geist“ bestimmt und zusammengehalten würden, die Ausdruck verborgener Züge der individuellen Charakterstruktur seien.

Doch das Aufkommen des Faschismus lässt sich nicht durch psychologische Kräfte oder gewisse Charakterstrukturen vieler Menschen erklären, sondern durch soziale und ökonomische Faktoren. Die Nazis kamen nicht an die Macht, weil die ArbeiterInnen so autoritär gesinnt waren, sondern weil sie vom deutschen Großkapital (Siemens, IG Farben, Krupp, Thyssen, …) unterstützt wurden, um eine mögliche Revolution zu verhindern und die Linke zu zerschlagen.

Den Gegenpol zum autoritären Charakter sollte nach Horkheimer und Adorno nicht mehr der revolutionäre, sondern der „demokratische“ Charakter bilden. Auch die Zielsetzung der Studien und ihrer Publikationen hatten sich geändert, nicht die Veränderung der Gesellschaft sollte erreicht werden, sondern eine Erziehung zur Toleranz. Hier kokettieren die Frankfurter mit der bürgerlichen Totalitarismustheorie, welche besagt, dass „Links“ und „Rechts“, also konkret „Kommunismus“ und Faschismus, eigentlich ein und dasselbe wären. Davon würde sich lediglich die „goldene“, die bürgerliche „Mitte“ positiv abheben.

Praxis?

Ein weiterer Kritikpunkt, den sich die Frankfurter Schule gefallen lassen muss, ist ihr fehlender Praxisbezug. Dies zeigte sich v.a. in der fehlenden Unterstützung für die aufkommenden StudentInnenproteste der späten 60er Jahre. Anfangs sympathisierten die Vertreter der Frankfurter Schule zwar mit den Studierenden, dabei sollte es aber auch schon bleiben. In Folge wurde auch Adorno zur Zielscheibe studentischer Aktionen. 1969 beendete er wegen der vielen Störungen seine Vorlesungen, mit der Begründung, die Universität als Ort des Denkens sei ein Ort der Ruhe und kein Ort der Empörung. Adorno sollte sich allerdings noch selbst übertreffen: Er ließ das von StudentInnen besetzte Institut polizeilich räumen!

Hier hob sich Herbert Marcuse positiv ab. Er sprach von „totaler Revolution“ und hielt an der Rebellion und ihren Möglichkeiten fest(8), wofür er von Adorno als „radikaler Intellektueller“ bezeichnet wurde. Er protestierte gegen den Viet-namkrieg, den er als „Fortsetzung des Faschismus“ sah, was jedoch nicht gerade für eine differenzierte Analyse spricht.

Horkheimer gestand zwar zu, dass in Vietnam furchtbares geschah, fürchtete aber gleichzeitig eine „chinesische Weltherrschaft“(9). Schließlich war der Stalinismus für ihn (neben dem Faschismus und der Kulturindustrie) eine der „drei Höllen“(10). Die stalinistischen Staaten in Russland, Osteuropa und China bezeichneten die Frankfurter zurecht als „totalitären Vulgärmarxismus“. Allerdings schütteten sie dabei das Kind mit dem Bade aus, und verwarfen so zunehmend grundsätzlich die Idee einer sozialistischen Veränderung.

Um das Vordringen der ChinesInnen in Ostasien zu stoppen, und gleichzeitig die Menschenrechte zu verteidigen und durchzusetzen, billigte, ja verteidigte Horkheimer sogar den Vietnamkrieg. In Anbetracht des Vorgehens der US-Truppen im Vietnam ist diese Argumentation und Bezugnahme auf die Menschenrechte bestenfalls als zynisch zu bewerten. Dazu käme, so Horkheimer, dass es im Zweiten Weltkrieg schließlich die USA waren, die Europa befreit und der Bevölkerung die Freiheit zurückgegeben habe. Das ist nicht richtig. Bei aller Kritik an den stalinistischen Gräueltaten war es im Wesentlichen die Rote Armee, die Europa vom Faschismus befreite. Sie verzeichnete mit Abstand die meisten Opfer, während die USA erst 1944 in den Krieg in Europa eingriffen, um ihre wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen gegen die Sowjetunion abzusichern.

Konsequenzen

Anstatt zu demonstrieren, sollten die StudentInnen in Deutschland laut Horkheimer in „anständiger Weise [sic!] versuchen, an dem Aufbau einer richtigeren Welt mitzuwirken.“(11) Was er unter „anständig“ verstand, verriet er allerdings nicht. Weiters meinte er, sollten sich die Völker der USA und BRD in denen er „unendlich viele geistvoll und gutgesinnte Menschen“(12) sah, zusammenschließen, um die Kultur zu schützen. So wurde in einem Zug das komplette Volk, das zuvor als Einheit autoritär und böse hingestellt worden war, zu einem Konglomerat aus gebildeten KulturschützerInnen. Der Brückenschlag hin zur Unterstützung des Imperialismus war also vollzogen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Kritische Theorie der Frankfurter Schule sicher zahlreiche wichtige Themen aufgegriffen und auch sehr ausführlich behandelt wurden. Jedoch übertrieben die Frankfurter in etlichen Fällen ihre eigenen neuen, durchaus guten Ansätze (z.B. Sozialpsychologie, Autoritätsstudien). Teilweise sogar soweit, dass sie in teils völlig untragbare Theorien abglitten. Was ihre heutigen AnhängerInnen, wie etwas Jürgen Habermas (siehe Kasten) oder die „Antinationalen“ (siehe Kasten) nun vertreten, ist bloß die logische Konsequenz dieses Abgleitens. Und so konnten die Frankfurter ihrem einstigen Anspruch, marxistische Theoriebildung zu intensivieren und die Gesellschaft zu verändern, leider nicht gerecht werden.

 Zum Weiterlesen:

Besuch im "Grand Hotel Abgrund" oder: Wie kritisch ist die Kritische Theorie?

 
Fußnoten:

1) Horkheimer 1937, zit. n. Amann; Soziologie, 1986, S358.
2) Horkheimer 1937, zit. n. Amann,; Soziologie, 1986, S359.
3) Der Historische Materialismus bedeutet im Wesentlichen, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften die Geschichte von Klassenkämpfen“ ist (Marx). Klassenkämpfe sind als Widersprüche zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu verstehen, die sich bisher jedes Mal soweit verschärft haben, dass sie in eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft mündeten. Als Beispiel seien die bürgerlichen Revolutionen in Europa genannt, mit denen sich die Machtablöse von Adel und Kirche hin zum Bürgertum vollzogen hat.
4) Horkheimer/Adorno; Dialektik der Aufklärung, 2001, S9.
5) Im Tauschverkehr des Kapitalismus werden Gegenstände, deren Gebrauchswert nicht mehr zählt, zu Dingen, in denen nur noch das Maß der investierten Arbeitskraft und der Tauschwert gesehen wird. Gegenstände werden nicht mehr danach bemessen, wozu sie gebraucht werden sollen, sondern danach, wieviel sie gekostet haben und welchen Gewinn man daraus ziehen kann. Ein Gegenstand wird verdinglicht, wenn man nur noch an seinen Geldwert denkt. Die Veränderung des Gegenstandes vom Gebrauchsgegenstand zur Ware (zum „Ding“) erfolgt durch die massenhafte arbeitsteilige Herstellung in kapitalistischen Industriebetrieben.
6) Zeitschr. f. Sozialforsch. 2/1936, S.162.
7) „The Authorian Personality“, 1950, zit. n. Amann; Soziologie, 1986, S 384.
8) z.B. in Marcuse; Versuch über die Befreiung, Frankfurt/Main, 1969
9) Horkheimer zit. n. Josef Hierlmeier; Internationalismus, Stuttgart 2002,
10) ebenda
11) Vortrag von Horkheimer im Amerikahaus, Frankfurt 7.5.1967
12) Horkheimer zit. n. Josef Hierlmeier, Internationalismus, Stuttgart 2002

 

EU, Krieg, Habermas

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas unterscheidet sich von anderen bekannten Vertretern der Frankfurter Schule nicht nur dadurch, dass er um eine Generation jünger ist. Während Horkheimer, Adorno und vor allem Marcuse bis zum Ende zumindestens in Ansätzen radikal gesellschaftsverändernde Ansichten vertraten, sind Habermas’ Verbesserungsvorschläge in der Regel so formuliert, dass sie perfekt ins momentane SPD-Grundsatzprogramm passen. Bei einer Diskussionsveranstaltung der SPD meinte er, er würde nicht hier sitzen, wenn er dem Sozialabbaukanzler Gerhard Schröder nicht den Wahlsieg wünschen würde.

Von Habermas stammt die sogenannte „Theorie des kommunikativen Handelns”, die verziert mit reichlich Kauderwelsch, unterm Strich bloß besagt, was der Volksmund schon seit Urzeiten verkündet: „Beim Reden kommen die Leut’ zam”. Geredet wird viel. Vor allem auch in der EU, wo Habermas Ansätze zur Lösung sämtlicher Probleme dieser Welt entdeckt hat. „Die Wiedergeburt Europas” nennt der Philosoph sein Plädoyer indem er EU-Europa dazu auffordert „sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale zu werfen”. So sei den europäischen Staaten ja auch „die sozialstaatliche Befriedung von Klassengegensätzen”(1) geglückt. Habermas singt also mit im linksliberalen Chor über den „Sozialstaat”, der ja einerseits nie wirklich „sozial” war und andererseits permanent abgebaut wird.

Und wer der Schröder-Regierung derart nach dem Mund redet, hat natürlich auch kein Problem damit, den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien (1999) zu verteidigen, der ja auch von „Rot”-Grün unterstützt wurde. Der Krieg müsse als „eine bewaffnete, aber von der Völkergemeinschaft autorisierte, Frieden schaffende Mission verstanden werden“(2), so Habermas. Sprachs und trug die Frankfurter Schule zu Grabe.

Fußnoten:
1) Habermas zit. n. Junge Welt
2) Habermas zit. n. Junge Welt

Adorno und die „Antideutschen“

Innerhalb der deutschsprachigen Linken macht seit einigen Jahren eine kleine, aber nicht uneinflussreiche Strömung auf sich aufmerksam: Die Antinationalen (oder auch Antideutschen). Entstanden als berechtigte Reaktion auf die nationalistische Lobhudelei im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990, fanden sich die Antinationalen einige Jahre später im Lager des Imperialismus wieder. So unterstützten wesentliche Teile dieser Strömung die Kriege gegen Afghanistan und den Irak. Dabei beziehen sie sich auf die Frankfurter Schule, konkret auf Adorno und Horkheimer, die schon im Vietnamkrieg die Verteidigung „westlicher Werte” sahen.

Auschwitz denken

Ausgehend vom Adorno-Ausspruch „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken” unterstellen die Antinatio-nalen jedem/r Deutschen faschistische Elemente in sich zu tragen. Schließlich negieren sie die Klassengegensätze – und folglich auch den Klassenkampf – innerhalb der deutschen (und auch österreichischen) Gesellschaft. Stattdessen halluzinieren sie eine nicht vorhandene „deutsche Volksgemeinschaft” herbei, die angeblich kollektiv nur eines im Sinne hat: Juden und Jüdinnen zu vernichten. Somit predigen die Antideutschen eine absolut unkritische Solidarität mit „Israel”, konkret mit der israelischen Rechten. Dass dabei jede Kritik am Vorgehen des israelischen Staates als „Antisemitismus” verunglimpft wird, versteht sich beinahe von selbst. “Kritisches Denken” verlangt laut Adorno und Horkheimer „Parteinahme für die Residuen (Überbleibsel, Anm. der Autorin) der Freiheit, für Tendenzen zur realen Humanität”. Diese Eigenschaften sehen die Antinationalen anscheinend auf der Seite des US-Imperialismus verwirklicht. Innerhalb der israelischen Gesellschaft können sie ebenfalls keine Klassengegensätze erkennen, statt dessen sehen sie in Israel ein “antifaschistisches Bollwerk” gegen den „Islamfaschismus”, und befürworten den Mauerbau in Palästina. Wen wundern da noch Demosprüche wie „USA – Antifa!” oder „Sharon ist – ein Antifaschist”?