„Das Schreiben und das Lesen ist nie mein Fach gewesen. Denn schon von Kindesbeinen befasst ich mich mit Schweinen.“ So lässt Johann Strauss im „Zigeunerbaron“ den Schweinezüchter Zsupan singen. Ist das heute noch so? Sind die Kinder und Jugendlichen in diesem Land dumm und dümmer? Die PISA-Studie, das österreichische Bildungssystem und der Versuch, schiefe Türme gerade zu rücken.
Die PISA-Studie, die das Wissensniveau von Kindern in 41 verschiedenen Staaten vergleicht, stellte im Spätherbst letzten Jahres Österreich ein schlechtes Zeugnis aus. Im immerhin viertreichsten Land der EU erreichten die SchülerInnen in Mathematik den 15. Platz, in Lesen den 19., in Naturwissenschaft den 20. sowie in Problemlösen den 15. Platz. Das bedeutet auch einen deutlichen Abfall gegenüber den Ergebnissen der letzten Studie.
Für Finanzminister Karl-Heinz Grasser ist das Abschneiden Österreichs „keine Frage des Geldes“. Mit dieser Meinung geht er allerdings ebenso haarscharf an der Realität vorbei wie in der Bewertung der Kosten seiner Homepage. Das österreichische Schulsystem war in den letzten Jahren massiven Kürzungen ausgesetzt. Stunden wurden zusammengekürzt, BegleitlehrerInnen gestrichen (was vor allem für Kinder mit migrantischem Hintergrund dramatische Folgen hat, weil somit die muttersprachliche Unterstützung fehlt), Freifächer oder außerschulische Lehrveranstaltungen wie etwa Skikurse, die für den Klassenzusammenhalt und die Motivation sehr wichtig sind, wurden abgeschafft. Vor allem in den Volksschulen wurden Klassen zusammengelegt, anstatt die KlassenschülerInnenzahlen auf ein erträgliches Maß zu senken. Mit der Schulautonomie wurden die Schulen dazu verpflichtet, Teile ihres Budgets selbst zu organisieren, was die Situation noch verschlimmert hat – das Gymnasium in einem Wiener Nobelbezirk hat es doch leichter beim Auftreiben von SponsorInnen als die Hauptschule in der krisengeschüttelten Obersteiermark.
Lehrinhalte
Nicht unbedingt erleichtert wird die Situation durch überfrachtete Lehrpläne und veraltete Unterrichtsformen. Das Schulsystem zwingt Kinder und Jugendliche dazu, Wissen auswendig zu lernen, um es zu einem bestimmten Zeitpunkt parat zu haben (und dann wieder zu vergessen). Verständnis und vernetztes Denken sind nicht gefragt. Und so kann es passieren, dass Jugendliche mit 15 Jahren zwar für eine Prüfung komplexe Fragen der Physik oder Chemie beantworten können, aber keine Ahnung von lebenspraktischen Dingen wie dem Ausfüllen eines Erlagscheins oder eines Formulars haben.
In den Hauptschulen und Polytechnischen Lehrgängen ist die Situation noch drastischer, hier können relevante Teile der Jugendlichen die Bedeutung längerer zusammenhängender Sätze kaum erfassen und beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. Die PISA-Studie stellt fest: „In Österreich gehören 20 Prozent aller 15-/16-jährigen Schüler-Innen, also ein Fünftel eines beschulten Jahrgangs, zur Lese-Risikogruppe“.
Nicht unbedingt förderlich sind dabei die Größe der Klassen und der Prüfungsdruck, der die LehrerInnen oft zu frontalen Unterrichtsformen zwingt, die für das Verständnis – freundlich formuliert – wenig zielführend sind. Gleichzeitig wurden die LehrerInnen (gemeinsam mit EisenbahnerInnen und anderen Berufsgruppen des Öffentlichen Dienstes) in den letzten Jahren zu Sündenböcken der Nation erklärt, was ebenfalls nicht dazu beiträgt, die Motivation derer zu erhöhen, die – als SchülerInnen oder LehrerInnen – in der Schule tätig sind. Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Pisa-Studie bekam auch die Debatte um die Gesamt- und Ganztagesschule neuen Auftrieb. Wir stehen dieser Schulform sehr positiv gegenüber. Sie kann ausgleichend für die Frage der sozialen Herkunft wirken und auch die Eltern entlasten. Dies kann sie allerdings nur leisten, wenn sie sich nicht als „Aufbewahrungsstätte“ versteht (wie das heute in den meisten Fällen die Nachmittagsbetreuung in den Schulen ist), sondern wenn LehrerInnen in ausreichender Anzahl die Freiheit haben, über den ganzen Tag verteilt lernende und spielerische Elemente abzuwechseln.
Geld ist genug da!
Festzuhalten gilt allerdings, dass eine Veränderung hin zu Ganztagesschul-Modellen nicht auf dem Rücken der LehrerInnen ausgetragen werden darf, etwa, in dem diese zu längeren Anwesenheitsdien-sten verpflichtet werden. Klar ist, dass ein gutes Schulsystem auch gutes Geld kostet. Solange allerdings Geld für Abfangjäger oder Steuergeschenke für Multis da ist, sollten wir uns darüber wirklich nicht den Kopf zerbrechen …
Soziale Herkunft entscheidetDas wesentlichste Kriterium für die Schullaufbahn in Österreich ist immer noch die soziale Herkunft, wie Andreas Schleicher, Leiter der OECD-Abteilung für Bildungs-Indikatoren und Analyse, feststellt. Das lässt sich mit Zahlen sehr gut belegen. Im Bundesländervergleich gehen österreichweit rund 70 Prozent der SchülerInnen nach der Volksschule in die Hauptschule, der Rest ins Gymnasium. In Wien allerdings ist – auf den ersten Blick – ein ausgewogenes Verhältnis festzustellen. Tatsächlich aber gehen in den gutbürgerlichen Bezirken Hietzing und Döbling mehr als 90 Prozent nach der Volksschule in die AHS-Unterstufe, in den ArbeiterInnenbezirken Simmering und Brigittenau sind es deutlich unter 50 Prozent. Der MigrantInnenanteil kann hier nur beschränkt als Argument gelten, da dieser zwar in der Brigittenau, nicht aber in Simmering signifikant hoch ist. Die Entscheidung über den Wechsel nach der Volksschule bestimmt bereits stark den weiteren Lebensweg. Laut einer Statistik des Bildungsmini-steriums gehen nach der 4. Klasse AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) rund 61 Prozent der SchülerInnen in eine AHS-Oberstufe und weitere 38 Prozent in eine Berufsbildende Höhere Schule (BHS). Nur weniger als zwei Prozent wählen einen anderen Bildungsweg, meist eine Berufsbildende Mittlere Schule (BMS). Ganz anders hingegen die HauptschülerInnen: Von ihnen entscheiden sich nur etwas mehr als fünf Prozent für eine AHS-Oberstufe und knapp 29 Prozent für eine BHS. Hingegen besuchen 29 Prozent eine Polytechnische Schule und knapp 26 Prozent eine BMS, weitere zwölf Prozent wechseln direkt in einen Lehrberuf, weil sie das 9. Schuljahr bereits absolviert haben (etwa weil sie ein Jahr in der Vorschule waren oder eine Klasse wiederholt haben). Vor allem in den städtischen Ballungszentren sind die Hauptschulen zu Ghetto-schulen für MigrantInnen und Kinder aus besonders benachteiligten Familien geworden. Das spiegelt sich auch in den PISA-Ergebnissen wieder: So ist der Abstand der beim Test der Lese-Kompetenz erreichten Punkte zwischen AHS (572 Punkte) und Polytechnischen Schulen (397 Punkte) in Österreich mit 175 Punkten größer als jener zwischen der Gesamtwertung des Siegers Finnland (543) und dem letztgereihten Tunesien (375 Punkte). In Österreich hat ein Fünftel aller „Poly“-Schüler-Innen eine Lese-Kompetenz, die nicht ausreicht, die einfachsten Lese-Aufgaben in PISA zu bewältigen („Level Unter 1“). „In Österreich gehören 20 Prozent aller 15-/16-jährigen SchülerInnen, also ein Fünftel eines beschulten Jahrgangs, zur Lese-Risikogruppe“, heißt es in den zusammenfassenden Ergebnissen der PISA-Studie |
Sind „die Ausländer“ schuld?In der Debatte um die PISA-Studie wurde der hohe MigrantInnenanteil in Österreichs Schulen als ein Grund für das schlechte Abschneiden genannt. Wie ist die Realität? In ganz Österreich gibt es in allen Schultypen durchschnittlich 11% SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache, in den Volksschulen sind es 16%. In Wien beträgt der Anteil in allen Schultypen 29%, in den Volksschulen 39% (Standard, 4.12.04). Das geht mit der allgemeinen Bevölker-ungsentwicklung einher. In Wien leben derzeit knapp 440.000 Menschen mit „fremder“ StaatsbürgerInnenschaft, Eingebürgerte oder deren direkte Nachkommen („zweite Generation“). Das sind 28% der Bevölkerung (Presse, 4.12.04). Nachdem die meisten MigrantInnen in klassischen ArbeiterInnenbezirken- oder vierteln wohnen, ist der Anteil allerdings sehr ungleich verteilt. Es gibt in Wien Volksschulen, in denen 90% der Kinder einen migrantischen Hintergrund haben. In Folge sind MigrantInnen im österreichischen Schulsystem deutlich benachteiligt. Personen mit migrantischem Hintergrund haben in Österreich nur halb so oft eine Lehre abgeschlossen und doppelt so oft nur einen Pflichtschulabschluss wie muttersprachliche ÖsterreicherInnen. Anstatt aber jetzt die MigrantInnen selbst für die Misere verantwortlich zu machen, sollten die Rahmenbedingungen hinterfragt werden. Klar ist, dass SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache in den ersten Jahren einen höheren Förderbedarf haben. Statt dessen wurden in den letzten Jahren im Rahmen der Stundenkürzungen unter anderem massiv (muttersprachliche) BegleitlehrerInnen eingespart. Gleichzeitig gibt es eine Fülle arbeitsloser JunglehrerInnen, die auf der Straße stehen. |
Pisa-Studie – was ist das eigentlich?
Der größte internationale SchülerInnen-Leistungstest PISA (Program for International Student Assessment) testet Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der SchülerInnen, in derzeit 30 Industriestaaten sowie in elf Nicht-OECD-Ländern am Ende der Schulpflicht. Veranstalterin ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Abgetestet werden die Kompetenzen der 15- und 16-jährigen Jugendlichen in den Gebieten Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen.
Für die aktuelle Studie wurden im Jahr 2003 weltweit über 275.000 SchülerInnen getestet, davon rund 4.600 in Österreich. Bei Pisa erhoben wird nicht Lehrplan-Wissen, sondern vielmehr die Beherrschung von Fähigkeiten, die zur Bewältigung von vielfältigen Aufgaben nötig sind und mit denen jede Person einmal konfrontiert werden könnte. Neben den Tests mussten die SchülerInnen auch einen Fragebogen über demographische Daten (Alter, Geschlecht, Muttersprache, etc.) sowie ihren sozioökonomischen Hintergrund (z.B.: Beruf und Bildung der Eltern) ausfüllen. Außerdem wurden etwa Fragen zum Unterricht und über Zukunftspläne der Schüler-Innen gestellt. In einem eigenen Fragebogen wurden darüber hinaus vorhandene Schulressourcen, die Lernumgebung sowie die Basisdaten der jeweiligen Schule erhoben.