Full Metal Jacket: Ein Kommentar zum Folter-Skandal im Bundesheer

Nach den schon seit einigen Wochen bekannten Vorfällen von Folter-Methoden und anderen Übergriffen innerhalb der deutschen Bundeswehr hat nun auch Österreich seinen Folter-Skandal.

Kniende Rekruten mit Säcken über den Köpfen, Inszeniertes Anpinkeln, gestellte Prügelszenen … was in den kürzlich in der "Zeit im Bild 2" ausgestrahlten Szenen aus dem Video eines ehemaligen Grundwehrdieners zu sehen ist, erinnert eher an aktuelle Bilder aus dem Irak denn an eine österreichische Kaserne. Die Bilder sind bereits über ein Jahr alt. Nur durch Zufall gelangte die Videokassette in den Hände des im Frühjahr abgerüsteten Thomas F. Die Foltervorfälle in der deutschen Armee veranlassten ihn schließlich, sie an die Medien weiterzugeben.

Der ehemalige Rekrut war dabei, als die Grundwehrdiener am Ende ihrer "allgemeinen Basisausbildung" im Rahmen einer gestellten Geißelnahme misshandelt wurden. Sie mussten Plastiksäcke über den Kopf ziehen und durch einen Komposthaufen robben. Mittels einer Wasserflasche wurde ihnen vorgespielt, es würde gerade auf sie uriniert. Außerdem wurde das Verprügeln ihrer Kameraden simuliert. Zu schlechter Letzt mussten die jungen Soldaten noch am Boden liegend und unter lautem Kriegslärm einen Test absolvieren.

Angesichts dieser Vorwürfe sprachen Verteidigungsminister Günther Platter und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von "skandalösen Vorfällen" und kündigten ein hartes Durchgreifen an. Wir dürfen gespannt sein. Der Militärkommandant von Oberösterreich, Kurt Raffetseder sprach von einem "bedauerlichen Einzelfall" wie er ihm "noch nie in seiner Karriere untergekommen" sei. Natürlich wird nun seitens der Bundesheers versucht, die Vorfälle als einzigartig und abnormal darzustellen. Seltsamerweise häufen sich nun aber die Vorwürfe: Auch in der Tiroler Pontlatz-Kaserne in Landeck sollen Rekruten im Rahmen eines "Kampftages" misshandelt worden sein. Dabei sei es zu Fesselungen mittels Kabelbindern und stundenlangem Schlafentzug sowie Scheinfolterungen gekommen.

Der Wahnsinn hat Methode

In Wirklichkeit haben diese Vorfälle Methode und entspringen nicht gänzlich dem Sadismus einzelner Unteroffiziers-Rambos. Allein der Umstand, dass die an der "Geißelnahme" von Freistadt beteiligten Ausbildner ihre "Übung" auf Video aufgezeichnet haben, spricht Bände. Anscheinend waren sie der Meinung, sie täten etwas völlig normales. Über die "Geiselnehmer"-Aktion in der Landecker Kaserne wurde sogar in der Truppenzeitung berichtet – sie fand also planmäßig statt. An dieser Stelle müssen wir uns auch die Frage stellen, wie viele solche Vorfälle nicht an die Öffentlichkeit geraten, weil Rekruten nicht darüber berichten. Auch die Äußerungen eines Offiziers, der meinte, es habe früher oder später zu einem Skandal kommen müssen, da eine solche Ausbildung einfach notwendig sei, lassen weitere Schlüsse zu.

Wofür diese Übungen gut sein sollen wissen die Offiziere natürlich. Schließlich gilt es "den neuen Anforderungen an das Bundesheer gerecht zu werden". Was viele Grundwehrdiener in ihrer Ausbildung noch nicht wirklich bemerken, hat der Großteil der honorigen Herren in Grün begriffen. Die "Panzerschlacht am Tullnerfeld", die früher das Paradebeispiel für die Abwehr der "roten Gefahr" war, ist Geschichte. Das Bundesheer aber soll Zukunft haben. Und so müssen neue Gefahren für die "Demokratie" ge- und erfunden werden.

Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Länder 1989-91 hat auch das österreichische Heer seinen Feind verloren. Wurden vergangene Generationen von Grundwehrdienern noch auf einen "Einmarsch der Russen" und den Kampf gegen den "Kommunismus" eingeschworen, so ist die "Bedrohung aus dem Osten" heute passé.(1) Da kommt die Gefahr des "globalen Terrorismus" natürlich zur rechten Zeit, ungeachtet der Tatsache, dass islamistischer Terror in Österreich eher als Hirngespinst denn als Schreckgespenst existiert.

Aber diese Angstmache muss im Kontext der permanenten Angriffe auf den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse verstanden werden. Vom Bildungs- und Sozialabbau, vom Pensionsraub, von den zahlreichen Privatisierungen der letzen Jahre, von der Demontage des Gesundheitssystems und von all den anderen "Reformen" soll abgelenkt werden.

Fit für weltweite Angriffskriege

Das österreichische Bundesheer soll fit für "friedensschaffende Auslandseinsätze" – im Klartext also: für imperialistische Besatzungen – gemacht werden. Auch Österreichs Kapital will schließlich mitmischen, wenn es um die Ausbeutung eroberter Rohstoffquellen und die Erschließung neuer Märkte geht. Im Rahmen solcher Auslandseinsätze kann es natürlich zu Geißelnahmen kommen, da liegen die Strategen des Bundesheers gar nicht falsch. Sie wissen selbstverständlich, dass sich die Menschen in den besetzten Ländern (wie momentan im Irak) gegen ihre BesatzerInnen zu Wehr setzen.

Aus der Sicht des Bundesheer ist es daher nur logisch, sich auf Geißelnahmen vorzubereiten (wobei natürlich – derzeit – Grundwehrdiener nicht zu Auslandseinsätzen gezwungen werden können, eine entsprechende Ausbildung für sie also keinen Sinn ergibt), befürworten werden wir es aber trotzdem nicht.

Als MarxistInnen peilen wir eine klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Gewalt an. Die Forderung nach einer vollständigen Abschaffung von Militärstrukturen im Kapitalismus wäre allerdings blauäugig. Würde dies erfolgen, käme es zur Bildung von anderen paramilitärischen Einheiten, denn der kapitalistische Staat benötigt zwingend eine militärische Verteidigungs- und Angriffsorganisation zur Erhaltung oder Ausbau von bestehenden Herrschaftsstrukturen.

Deshalb sprechen wir uns gegenwärtig für die Beibehaltung der Wehrpflicht anstelle eines Berufsheers aus. Schließlich wird es etwa in einer gesellschaftlich polarisierten Situation wesentlich schwieriger sein, ein Milizheer, bestehend aus Wehrpflichtigen z.B. gegen Streikende einzusetzen, als ein Heer, bestehend aus Menschen, deren Job der "Dienst mit der Waffe" ist.(2)

Zurück zum Thema: Was sind die Konsequenzen der Vorfälle in Freistadt und Landeck? Wieder einmal werden Angehörige des bürgerlichen Staatsapparats (RichterInnen) über Angehörige des bürgerlichen Staatsapparats (Soldaten) urteilen. Den Verantwortlichen drohen bis zu 3 Jahre Haft – dazu wird es wohl kaum kommen.

Die Verantwortung kann auch nicht auf einzelne Unteroffiziere abgewälzt werden. Der ranghöchste Ausbildner in Freistadt war Wachtmeister (ein sehr niedriger Unteroffiziers-Dienstgrad); zur Ausbildung der Rekruten werden oft Soldaten herangezogen, die nicht älter sind als ihre Untergebenen. Dies ist natürlich keine Ausrede. Diese KlassenverräterInnen haben sich aus freien Stücken dazu entschieden im Bundesheer Karriere zu machen. Aber die Kette der Verantwortlichen reicht wahrscheinlich bis zum obersten Ausbildungsoffizier der Armee, Generalmajor Christian Ségur-Cabanac.

Angesichts dieses reaktionären Sumpfes braucht es eine starke SoldatInnenvertretung, damit solche Misshandlungen den Grundwehrdienern zukünftig erspart bleiben, sowie weitreichende Verbesserungen der Bedingungen für Wehrpflichtige. Deshalb fordern wir:

· Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes auf 4 Monate
· Volle, einheitliche Abgleichung der geleisteten Arbeit
· Aufbau einer starken SoldatInnenvertretung
· Effizienter Kampf gegen rechtsextreme und sexistische Umtriebe in den Einheiten unter Kontrolle der SoldatInnenvertretung
· Kein Eintritt in militärische Bündnisse wie WEU und NATO, keine Ratifizierung der EU-Verfassung
· Ausstieg aus allen militärischen Vereinigungen wie NATO-PfP, Amsterdamer Verträge, …

* Der Autor war Grundwehrdiener beim Panzerartilleriebataillon 9 in Baden

Fußnoten:

1.) In Wirklichkeit war es nie die Absicht der Moskauer Bürokratie, in Österreich einzumarschieren. Nach dem zweiten Weltkrieg war es die Absicht Stalins, Österreich und ursprünglich sogar Gesamtdeutschland (also inklusive der DDR) als neutrale Pufferzone zwischen dem Ostblock und den NATO-Staaten Europas zu installieren. Tatsächlich war Österreich niemals neutral, sondern fest in diverse westliche Militärbündnisse eingebunden. (angefangen vom Aufbau der paramilitärischen B-Gendarmerie mit US-Unterstützung vor 1955 bis hin zum Beitritt zur "Partnership for Peace" der NATO)