Zum Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek ist Literaturnobelpreisträgerin. Laut FPÖ, "Kronenzeitung" und Meinung der rechten Reichshälfte ist sie Nestbeschmutzerin und Vaterlandsverräterin. 17 Jahre lang war sie Mitglied der KPÖ und dennoch gehört sie "nirgends wirklich dazu".

 Jelinek entgegnet, dass sie sich natürlich ob des Nobelpreises für Literatur freut und geehrt fühlt, einen Orden oder ein Ehrenabzeichen der Republik Österreich hätte sie allerdings nicht angenommen. Sie wolle nicht für Österreich herhalten müssen. In dieser Richtung ging auch ihre Ablehnung des "Austrokoffers", einer von der Regierung unterstützten Sammlung österreichischer Literatur. Jelinek möchte kein schmückendes Beiwerk sein, um im selben Zug von den InitiatorInnen mundtot gemacht zu werden. Nicht zum Ruhm des derzeitigen, offiziellen Österreichs, nicht durch die Kronenzeitung gesponsert und beworben. Denn der Liebe Österreichs ist noch keineR entgangen.

Politische Aktivistin

Die FPÖ und die versammelte Reaktion haben auf die Preisverleihung erbost reagiert (die FPÖ hatte vor einigen Jahren sogar eine großflächige Plakatkampagne gegen Jelinek gestartet). Die Krone hat ihre LeserInnenbriefseite für spal-tenlange Jelinek-Beschimpfungen geöffnet. Im Gegensatz dazu freuen wir uns natürlich über diese Wertschätzung für eine kritische und deklariert linke Schriftstellerin. Dennoch stehen wir der politischen Aktivistin Jelinek nicht kritiklos gegenüber.

Jelinek wurde 1974 Mitglied der stalinistischen KPÖ, also zu einem Zeitpunkt, wo die Erinnerung an die Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch sowjetische Panzer im Jahr 1968 noch frisch war (und die meisten derjenigen, die das in der KP kritisiert hatten, bereits ausgeschlossen waren oder aus der Partei ausgetreten waren).

Die KPÖ verlassen hat Jelinek 1991, also – so wie viele andere – nach der Niederlage des Stalinismus. Sie folgte den beiden damaligen Parteivorsitzenden Silbermayer und Sohn, die gemeinsam mit dem Stalinismus die gesamte kommunistische Identität der KPÖ aufgeben wollten, damit aber gescheitert waren.

Zuerst hatte sie offensichtlich fast zwei Jahrzehnte die Rolle des Stalinismus ausgeblendet, dann aber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Konsequent ist Jelineks Aussage: "Mit einem Schlag wird mir klar, dass ich von der KPÖ aufs übelste getäuscht und als nützlicher Idiot missbraucht wurde." Sich selbst als politische Person mit eigenen Wünschen, Zielen und politischen Vorstellungen blendet sie so aus, die Partei war schuld an Jelineks Positionen. Das ist dann doch zu einfach.

Aufführverbot

Bisher zweimal hat Jelinek über ihre Stücke ein Aufführungsverbot in Österreich verhängt. Erst wegen des von Ressentiments getragenen Wahlkampfs der FPÖ 1996, und dann 2000 als die ÖVP/FPÖ-Regierung angelobt wurde. Was aber bedeutet es, wenn eine Künstlerin ihr Werk vom Publikum wegsperrt? Für wen schreibt sie, und wen "bestraft" sie gleichsam? Wem nützt es, wenn die Werke einer kritischen Schriftstellerin nicht mehr aufgeführt werden? Wohin will Jelinek mit ihrer Kritik, mit ihrer Empörung und Betroffenheit, wenn sie sich den Zugang zur Bühne verwehrt, das Podium scheut und das politische Red-nerInnenpult ablehnt?

Ähnliches gilt für ihren Zugang zur Nobelpreisverleihung in Stockholm. Diese wäre eine ausgezeichnete Möglichkeit, unter den Augen eines großen Auditoriums und der versammelten Medien ihre Kritik an den politischen Zuständen in Österreich zu formulieren.

Literatur darf alles sein, die LiteratInnen aber dürfen nicht berühmt werden, das wäre ein Fluch, ein Hindernis, denn laut Jelinek bleibt das "Beobachten aus dem Verborgenen heraus und das plötzliche Zustoßen" Quintessenz ihrer Kritik und ihres Widerstandes. Dies scheint uns dann aber doch zu wenig …

Widerruf der Autorin

Wie sich nach Redaktionsschluss herausstellte, leidet Elfriede Jelinek seit Jahren an Platzangst. Diese tritt in Phasen auf, die mal stärker, mal schwächer sind und damit ihren Lebensalltag je nach Situation unterschiedlich beeinträchtigen (ansonsten hätte Jelinek in der Bewegung gegen Schwarz-Blau nicht auf die Strasse gehen können). Jelinek: "Ich lebe wirklich vollkommen wie eine Einsiedlerin. Ich würde meine persönliche Anwesenheit in Stockholm gar nicht verkraften. Ich würde sterben. Wenn die Türen zugingen in dem Raum mit den vielen Menschen, würde ich tot umfallen" In unserem Artikel kritisieren wir ihre Abwesenheit bei der Nobelpreisverleihung, da wir der Meinung waren, sie wäre ein guter Ort gewesen um Kritik – beispielsweise an der österreichischen Regierung und der heuchlerischen Haltung all jener, die Jelinek plötzlich als "österreichische Heldin" feierten – zu üben. Dass Elfriede Jelinek wegen ihrer Platzangst lieber zuhause bleibt ist legitim und sollte keiner Rechtfertigung bedürfen. Unser Kritik die Nobelpreisverleihung betreffend war daher fehl am Platz. Wir entschuldigen uns bei der Schriftstellerin.