Keine guten Aussichten für die Angestellten des Verbandes der Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland. Wenn am 3. Jänner 2005 die neuen Regelungen für die Arbeitslosenunterstützung in Kraft treten, werden Übergriffe von wütenden und verzweifelten Arbeitslosen erwartet …
Die von der "rot"-grünen Regierung beschlossenen "Hartz IV"-Gesetze – die in erster Linie eine eklatante Kürzung des Arbeitslosengelds bedeuten – polarisieren die Bevölkerung.(1) Vor allem in Ostdeutschland protestieren auf den sogenannten "Montagsdemos" hunderttausende gegen "Hartz IV". Doch das deutsche Kapital und seine Medien setzen alles daran, die Bewegung zu diffamieren bzw. totzuschweigen. So bezeichnet etwa die reaktionäre "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Hartz-Reformen als "sozialen Intelligenztest".(2)
Um einen Keil in die Bewegung zu treiben, wird versucht, eine – zweifelsohne vorhandene – Spaltung zwischen der Bevölkerung von Ost- und Westdeutschland zu forcieren. Überall im Land gäbe es große Unterschiede in den Lebensverhältnissen, die nicht aufgelöst werden könnten, meinte etwa der deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Und die Taktik scheint aufzugehen: Nach einer aktuellen Umfrage wünschen sich 24% der Westdeutschen den Eisernen Vorhang zurück.3
Polarisierung
Doch die verzweifelten Versuche des Establishments, den Leuten zu vermitteln, dass dies alles richtig und notwendig sei, sind nur bedingt erfolgreich. Die im September abgehaltenen Wahlen in den beiden ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg waren Zeugnis für den hohen Grad an gesellschaftlicher Polarisierung. Das erfolgreiche Abschneiden der beiden rechtsextremen Parteien NPD (9% in Sachsen) und DVU (6% in Brandenburg) ist die unmittelbare Folge des Versagens von SPD und PDS. Denn die PoststalinistInnen, die einerseits gegen "Hartz IV" protestieren, regieren in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mit, und betreiben dort selbst recht eifrig Sozialabbau.
Anstatt den FaschistInnen entschlossen entgegenzutreten und den Menschen wieder eine Perspektive anzubieten, überließen SPD und PDS die soziale Frage der extremen Rechten, die mit pseudo-sozialistischen Parolen auf Stimmenfang gehen konnte. Der "Spiegel" berichtet von Umfragen, wonach "86 Prozent der heutigen NPD-Wähler[Innen] nicht aus politischer Überzeugung sondern aus Protest gegen die anderen Parteien ihr Kreuz gemacht" haben.4 "Weg mit Hartz IV!" stand auf den Wahlplakaten der NPD. Kein Wunder, dass seitens des bürgerlichen Lagers, mittels der alten Mär von links = rechts, versucht wird, die Linke zu diffamieren. "Da mache ich gar keinen Unterschied zwischen ganz links und ganz rechts" meinte Altkanzler Helmut Kohl auf einer CDU-Wahlveranstaltung.
Aber nicht alle von der SPD enttäuschten Menschen laufen zur extremen Rechten über, auch innerhalb des linken Spektrums gibt es interessante Veränderungen. Die SPD wird – anders als noch in Österreich – ganz offensichtlich von breiten Teilen der ArbeiterInnen-bewegung nicht mehr als "ihre" Partei gesehen. Dieser Be-wusstseinswandel ist beachtlich, galt doch die deutsche Sozialdemokratie in den Köpfen vieler Menschen jahrzehntelang als Behüterin der so "erfolgreichen" und populären "sozialen" Marktwirtschaft.
Diesen Bonus hat sie längst verspielt. Stattdessen suchen viele ArbeiterInnen nach Alternativen. Während im Osten die PDS zulegt, stützen sich die Hoffnungen im Westen eher auf die neu gegründete "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG). Die WASG versucht sich – möglicherweise bald mit Oscar Lafontaine an der Spitze – als eine Art Ersatz-Sozialdemokratie zu etablieren. Dabei sollte doch klar sein, dass in Zeiten einer tiefgreifenden weltwirtschaftlichen Krise eine Politik der Sozialreformen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Schröder und Co. betreiben ja nicht deshalb Sozialabbau, weil sie dies so gerne tun, sondern weil sie die Logik des Kapitalismus akzeptieren und dadurch förmlich dazu gezwungen werden.
Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass viele ArbeiterInnen und Arbeitslose nicht nur mit "ihrer" Partei gebrochen haben, sondern auch ein Stück weit selbstständiger agieren, als wir es in den letzen Jahren gewohnt waren. Auf die Montagsdemos strömten bisher durchwegs unorganisierte Menschen, die vorher noch nie in ihrem Leben an einer Kundgebung teilgenommen hatten. Schon im November 2003 hatten in Berlin 100.000 an einer, im wesentlichen von trotzkistischen Organisationen initierten Anti-Sozialabbau-Demo teilgenommen – ganz ohne die Unterstützung des deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Auf der Welle der Proteste gegen "Hartz IV" schafften es TrotzkistInnen übrigens auch in die Stadtparlamente von Aachen, Köln und Rostock.
Die politische Landschaft Deutschlands befindet sich zweifelsohne im Umbruch. Doch dieser Prozess verläuft nicht linear und sein Ende ist offen. Abspaltungen erheblicher Teile des sozialdemokratischen Spektrums, und die Entstehung einer neuen, großen reformistischen ArbeiterInnenpartei sind genauso möglich, wie das Abflauen der Bewegung und die darauf folgende (möglicherweise jahrelange) Resignation vieler AktivistInnen.
Perspektiven
Wie jede Bewegung steht auch jene der "Montagsdemos" vor dem Problem der drohenden Perspektivlosigkeit und des damit verbundenen Absterbens. Denn längerfristig geben sich die Menschen nicht damit zufrieden, einmal in der Woche demonstrieren zu gehen. Hier wäre der DGB gefragt, weitergehende Maßnamen zu setzen, denn Demos alleine werden nicht reichen um "Hartz IV" zu Fall zu bringen. Doch von der sozialdemokratischen Spitze um Gewerkschaftspräsident Sommer ist wohl kaum ein Generalstreik gegen Schröders "Reformen" zu erwarten, zumal sie ja nicht einmal die Proteste dagegen unterstützt.
Momentan besteht jedoch noch Hoffnung, denn nach jahrzehntelanger Hemmung durch Sozialdemokratie im Westen und DDR-Stalinismus im Osten scheint die deutsche ArbeiterInnenbewegung zu erwachen (siehe Opel-Streik in Bochum). Wünschen wir ihr einen guten Morgen und der "rot"-grünen Schröder-Regierung einen baldigen Abgang. Auf Nimmerwiedersehen!
Fußnoten:
1) siehe MR 29, Zwischen Not und Elend – der Fall der SPD und die linke Alternativlosigkeit
2) FAZ, 07.09.04, Nr.208/Seite 33
3) http://www.stern.de/politik/deutschland/?id=529441
4) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,318797,00.html