USA, EU-Staaten, UNO: Raus aus dem Irak!

Nein, so hatte sich die USA gemeinsam mit ihrer „Koalition der Willigen“ das nicht vorgestellt. Trotz der Rekordgeschwindigkeit in der der Angriff auf den Irak im Frühjahr 2003 gewonnen wurde, will sich die Bevölkerung des Irak nicht so recht in das Schicksal ihrer neuen „Freiheit“ fügen. Streiks, Selbstmordattentate, Enthauptungen auf Video, Massendemonstrationen und konsequenter bewaffneter Widerstand treiben den Preis für die Besatzung in die Höhe. Auch wenn die US-Besatzung mittlerweile zweifellos einige Erfolge im Aufbau eines Kollaborationsregimes verbuchen kann, ist ein Ende des Widerstandes und eine Stabilisierung der US-Herrschaft im Irak nicht absehbar – in Falludja ebenso wenig wie in Nadjaf oder Bagdad.

 

Liegt es etwa daran, dass die Irakis Saddam Hussein und sein korruptes Regime zurück wollen? Daran, dass die Mehrheit der irakischen Bevölkerung einen islamischen Gottesstaat befürworten würde? Die Sachlage, abseits der dominanten Medienberichterstattung, erscheint bei näherer Betrachtung deutlich einfacher: Die Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit sind in der irakischen Gesellschaft tief verankert. Die irakische Bevölkerung wehrt sich gegen die Invasion ihres Landes, gegen die Umstände, in die sie die US-amerikanische Besetzung zwingt. 60% der Irakis sind arbeitslos, die Folge der Auslösung des gesamten Militärapparats aber auch der Entlassung von LehrerInnen und BeamtInnen. Durch die Auflösung der Polizei und vor dem Hintergrund der ansteigenden Armut hat sich die Sicherheitssituation drastisch verschlechtert, ganz zu schweigen von den willkürlichen Verhaftungen von Irakis durch US-Truppen und der Internierung in Lagern. Die Bilder der Folterungen waren und bleiben hier nur die Spitze eines Eisberges aus brutaler Gewaltherrschaft durch die militärische Supermacht Nr.1.

 

Die US-Streitkräfte setzen bei der Bekämpfung dieses Volksaufstandes ihre militärische Überlegenheit ein. Falludja, wo als Vergeltungsmassnahme für die Ermordung von vier Söldnern 600 Iraker in einem Kessel ihr Leben lassen müssten, ist dafür nur ein Beispiel. Ein Beispiel aber, an dem sich die Taktik des brutalen Vorgehens der USA deutlich manifestiert: belagern, aushungern, bombardieren. Dennoch hat sich auch nach US-Schätzungen im letzten halben Jahr die Zahl der bewaffneten Untergrundkämpfer vervielfacht.

 

Zersplitterte Fronten

 

Wer sind die Gruppen, die sich gegen die US-Besatzung mit Waffengewalt zur Wehr setzen? Sozial stützen sie sich überwiegend auf junge Männer aus den unteren Schichten ohne berufliche Perspektive. Der Name, der zuletzt am häufigsten gefallen ist, ist der von Moktada al Sadr.  Sadr gehört den unter Hussein unterprivilegierten SchiitInnen im Irak und genießt aufgrund seiner Familiengeschichte großen Respekt unter der schiitischen Bevölkerung. Al Sadr ist ein Geistlicher, der ganz im Sinne Khomeinis eine Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten errichten möchte. Aber Al Sadr hat ein Problem: Er ist zu jung, um in der klerikalen Hierarchie des schiitischen Islam aufsteigen zu können, und versucht nun den Unmut der städtischen Armut zu kanalisieren, um auf politischem Weg zu Einfluss und Macht zu gelangen. Kern seiner Gruppe „Jama’at al-Sadr al-Thani“ sind die islamischen Geistlichen aus dem klerikalen Mittelstand, die mit ihm an die Macht wollen. Sein Ziel ist die Errichtung einer klerikalen Diktatur ähnlich der des Irans. In den Stadtteilen, wo die al Sadr-Kräfte bereits das Sagen haben, arbeiten sie bereits nachdrücklich an der Durchsetzung repressiver Vorschriften, insbesondere gegen Frauen. Die unzufriedenen Massen sind für al Sadr das willkommene Druckmittel gegen die Besatzung. Wo er anti-imperialistische Worte findet, bleiben sie Rhetorik.

 

Neben Al Sadr und seiner „Al Mahdi Armee“ existieren natürlich auch nach andere Kräfte, die bewaffneten Widerstand leisten. Viele dieser Kräfte rekrutieren sich aus den entlassenen Offizieren der Armee des Baath-Regimes. Die meisten der bekannten Gruppen, etwa Al-Awdah oder die „Nationale Front für die Befreiung des Iraks“ gehören dem sunnitischen Spektrum der irakischen Bevölkerung an und sind ebenso kleinbürgerlich-nationalistisch eingestellt wie sie es unter Saddam Hussein waren. Ein geringer Teil, der naturgemäß die meiste Medienpräsenz erhält, stellen islamistische Gruppen wie die „Salafistische Jihad Gruppe“ dar. Diese Gruppierungen arbeiten mit Märtyreraktionen oder auch dem Köpfen ihrer Geiseln vor laufender Kamera und orientieren sich, noch  deutlicher als Sadr, am Modell eines irakischen Gottesstaates.

Antiimperialistische Perspektiven für linke Kräfte bieten all diese Bewegungen nicht. Wie wir schon in der Vergangenheit eingeschätzt haben, gibt es für kleinbürgerlich-nationalistische Kräfte nicht mehr die Möglichkeit, sich an die Sowjetunion anzulehnen, und selbst als dies noch der Fall war, machte es das stalinistische Etappenkonzept beinahe unmöglich zu einer internationalen Politik zu finden. Davon abgesehen sind sowohl die IslamistInnen als auch die NationalistInnen rabiate Anti-KommunistInnen, was letztere ja schon unter Saddam Hussein bewiesen haben. Diese Reaktionäre würden jeder progressiven Entwicklung im Irak entgegenstehen, wären sie erst an der Macht. Wesentliche islamistische Kräfte im Irak, auch die mit dem Iran verbundenen (Dawa-Partei und der SCIRI), sitzen freilich in der US-Marionettenregierung von Allawi.

 

Linke Schwäche

 

Die irakische ArbeiterInnenbewegung ist seit der fast völligen Zerschlagung durch das Baath Regime nie mehr zu Kräften gekommen. Die vorhandenen Kräfte sind isoliert und ohne klares Konzept. Die Irakischen Kommunistischen Partei (IKP) hat sich als treuer Handlanger des Imperialismus profiliert und kann trotz ihren Beteuerungen gegen die Fremdbesatzung und die Wiedererrichtung des nationalen Souveränität nicht zu den Kräften des irakischen Widerstandes gezählt werden. Entgegen ihrer ursprünglichen schwankenden Haltung zwischen Imperialismus und Widerstand nahmen sie mit der ausnahmslosen Verurteilung der bewaffneten Aktionen des irakischen Widerstands eine klar proimperialistische Position ein. Die IKP saß seit Juli 2003 in dem von US-Statthalter Paul Bremer nominierten Regierungsrat und gab darin allen militärischen Offensiven der irakischen Streitkräfte politische Rückendeckung, ob in Falludja oder gegen die Miliz al Sadrs. Schließlich ging sie sogar soweit, ihre bewaffnete Miliz völlig in die irakischen Streitkräfte aufzulösen. Die IKP kontrolliert die vom Regierungsrat als einzige Repräsentanz der Arbeitenden anerkannte Gewerkschaft.

 

Neben der proimperialistischen IKP gibt es im Irak noch drei wesentliche Kräfte, die aus einer linken Tradition kommen. Die IKP (Zentralkommando) entstand 1967 als an Mao und Che Guevara orientierte Abspaltung der IKP, wurde in den 70er Jahren durch Repression weitgehend zerstört und in den 90er Jahren wieder aufgebaut. Sie existiert isoliert im Untergrund, von wo aus sie den bewaffneten Widerstand zwar unterstützt, aber ihre Priorität auf die Verankerung in Betrieben legen möchte. Im Gegensatz zur IKP (ZK) hat sich die IKP (Kader) erst in den 80er Jahren von der IKP losgesagt, ihr Ziel ist, ganz dem stalinistischen Volksfront-Schema verhaftet, die Bildung einer nationalen Widerstands- und Befreiungsfront aller GegenerInnen der Besatzung über alle Klassengrenzen hinweg. Schon im Laufe der iranischen Revolution von 1979 hat die Volksfront der dortigen StalinistInnen mit dem Islamismus zu einer weitgehenden Vernichtung der linken durch den „antiimperialistischen“ Bündnispartner geführt.

 

Zuletzt bleibt noch die Arbeiter Kommunistische Partei des Iraks (AKPI). Sie lehnt jeden Widerstand ab, der im Sinne von Patriotismus und Nationalismus agiert, und richtet sich in ihrer Propaganda gegen den Aufbau eines bürgerlichen Staates. Darunter fällt für sie auch der irakische Widerstand, noch mehr als dieser durch die Dominanz des politischen (sowohl sunnitischen als auch schiitischen) Islams dem „islamistischen Faschismus“ zuzurechnen sei. Im Krieg zwischen dem Imperialismus und dem irakischen Widerstand, einem Krieg zwischen zwei reaktionären Kräften, nehmen sie eine defätistische Position ein und fordern die Schaffung einer „dritten Kraft der Werktätigen und der Humanität“. Zu diesem Zweck fokussiert die AKPI stark auf soziale Mobilisierungen, die Organisierung von Frauen und Arbeitslosen und die Gründung einer eigenen Gewerkschaft. Mit ihrer defätistischen Haltung hat sich die AKPI de facto ins politische Out manövriert, indem sie die Basis des Widerstandes völlig mit seiner reaktionären Führung identifiziert, nimmt sie sich jede Einflussmöglichkeit auf diese Basis. Die Massen des Widerstandes stehen durchaus nicht völlig unter der Kontrolle ihrer reaktionären Führung. Das zeigte beispielsweise die Tatsache, dass al Sadr, der zunächst zum Generalstreik aufgerufen hatte, aus Angst, die Kontrolle über die Mobilisierung zu verlieren, diesen wieder absagte und stärker auf seine Miliz setzte.

 

Angesichts der Schwäche bzw. der proimperialistischen oder abstentionistischen Haltung der irakischen Linken ist es kein Wunder, dass gerade nationalistische und islamistische Kräfte den Widerstand dominieren. Das bedeutet jedoch nicht dass die ArbeiterInnenklasse des Irak nur aus verhetzten SelbstmordattentäterInnen besteht. Der Klassenkampf geht auch weiter, wenn die potentielle Führung sich in einer Krise befindet. Es ist ein medial erzeugtes Missverständnis, dass der irakische Widerstand nur bewaffnet passieren würde. Generalstreiks und Klassenkämpfe gegen die Privatisierung der Erdölindustrie stehen ebenso auf der Tagesordnung wie Fabriksbesetzungen und Forderungen nach Lohnerhöhung oder der Auszahlung von Arbeitslosengeldern.

 

Perspektiven

 

Die USA haben ein vitales Interesse daran die Region zu kontrollieren, nicht nur aufgrund ihrer Ressourcen, sondern vor allem auch aufgrund ihrer geostrategischen Bedeutung. In der EU, genauer gesagt in Frankreich, Deutschland und den mit ihnen verbundenen Staaten, gibt es sicher das Element der Schadenfreude über die Schwierigkeiten der USA im Irak. Außerdem sieht es die EU-Bourgeoisie ganz und gar nicht gern, wenn sich vor allem US-amerikanische Konzerne die wesentlichen Profite der wirtschaftlichen Durchdringung des Irak und besonders der Privatisierung unter den Nagel reißen. Längerfristig hat aber auch das EU-Kapital ein Interesse an der langfristigen Stabilisierung. Die EU ist deutlich stärker als die USA von dem Öl aus der Golfregion abhängig. Und wer lässt sich schon gerne die eigenen Direktinvestitionen in einem langwierigen Bürgerkrieg zerstören? Was der EU-Imperialismus anstrebt, ist eine stärkere Mitsprache bei der Beherrschung und Ausbeutung des Irak.

 

Die Ziele der beiden wesentlichen imperialistischen Blöcke sind klar, die Perspektiven der imperialistischen Aggression im Irak weniger. Gegenwärtig ist eine Stabilisierung nicht in Sicht. Das heißt aber nicht, dass die USA keine Optionen mehr hätten. Sie könnten sich zunehmend auf die Sicherung strategisch wichtiger Gebiete im Süden und Norden des Landes, wo die wesentlichen Ölvorkommen sind, zurückziehen und den Rest, besonders die Städte sich selbst bzw. irakischen Kollaborationstruppen überlassen. Schließlich bliebe als Möglichkeit auch noch die Fragmentierung des Irak, die Herauslösung eines Schiitenstaates im Süden unter der Führung des kollaborationswilligen schiitischen Establishments und eines kurdischen Staates im Norden. Besonders bei letzterem würden für den Imperialismus aber vermutlich die Nachteile, nämlich die Probleme mit der Türkei, überwiegen; bis jetzt haben die kurdischen HelferInnen der US-Besatzer jedenfalls für ihre Dienste wenig bekommen.

 

Wir treten für das Selbstbestimmungsrecht der kurdischen Minderheit bis hin zu Bildung eines eigenen Staates ein – nicht nur aus der grundsätzlichen Überlegung, dass kein Volk in einem Staat festgehalten werden soll, dem es nicht angehören will, sondern auch weil dadurch die Frontstellung zwischen KurdInnen und arabischen IrakerInnen abgebaut und die Widersprüche zwischen USA und KurdInnen einerseits und USA und Türkei stärker würden.

 

Eine Niederlage des Imperialismus im Irak oder auch nur unabsehbare ernste Probleme bei der Besatzung würden eine empfindliche Störung für die imperialistischen Pläne darstellen und den Appetit der USA zu weiteren Aggressionen – ob gegen Syrien, gegen den Iran, gegen Venezuela oder gegen Kuba – mäßigen. Dem imperialistischen Herrschaftssystem würden dadurch ein empfindlicher Schlag versetzt. Deshalb müssen AntikapitalistInnen und erst recht MarxistInnen für die Niederlage der US-Armee und ihrer Hilfstruppen im Irak sein. Wir sind auch gegen eine UN-„Lösung“, weil das nur eine Legitimierung der imperialistischen Besatzung bedeuten würde.

 

Diese grundlegende Position bedeutet, dass wir den Imperialismus als Hauptfeind ansehen und für seine Niederlage eintreten. Der Kampf gegen die imperialistische Besatzung, in Form von Massendemonstrationen ebenso wie in Form von bewaffneten Aktionen, ist legitim und notwendig. Während wir islamistischen Kampfformen (Selbstmordattentaten oder öffentlich inszenierte Enthauptungen) wie dem Islamismus insgesamt ablehnend gegenüber stehen, muss für MarxistInnen die organisierte Massentätigkeit der ArbeiterInnenklasse (Streiks, Demonstrationen, Betriebsbesetzungen) die zentrale Perspektive sein. Entscheidend wäre für uns dabei der Aufbau von Klassenorganisationen des Proletariats, von Gewerkschaften und besonders einer revolutionären Partei, die die Organisierung des Widerstandes gegen die Besatzung mit dem scharfen politischen Kampf gegen die islamistischen und arabisch-nationalistischen Reaktionäre verbinden müsste. Für eine solche Ausrichtung müssen MarxistInnen gegenüber irakischen Linken eintreten.

 

Eine Herangehensweise an die Kräfte, die sich im Irak im Widerstand organisieren, kann und darf jedoch nicht im luftleeren Raum, nicht abseits der konkreten Kräfteverhältnisse passieren. Irakische MarxistInnen müssten sich, wo immer möglich, an Massenaktionen gegen die Besatzung, auch wenn sie von Islamisten oder arabischen Nationalisten ausgerufen werden, beteiligen, um Teile der verarmten Bevölkerung von diesen Reaktionären wegzubrechen. Bündnisse mit den rechten Kräften des Widerstandes sind nur dann gerechtfertigt, wenn dafür nicht auf die politische Kritik verzichtet wird, wenn für die MarxistInnen volle Propagandafreiheit gegeben ist – was unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum möglich ist. Die Konsequenz daraus ist, dass eine revolutionäre Organisation im Irak eigene Milizen aufbauen müsste, zum Kampf gegen die Besatzer, aber auch zur Verteidigung der eigenen Organisation, von Frauen und Gewerkschaften gegen reaktionäre Kräfte des Widerstandes.