Zwischen Not und Elend

Die im Juni 2004 geschlagene Europawahl brachte einen Negativrekord für die SPD und damit eine weitere Verschärfung der Parteikrise. Nur noch knapp 22% der gültigen abgegebenen Stimmen entfielen auf die traditionsreiche Partei der deutschen ArbeiterInnenklasse.

MeinungsforscherInnen erachten ein Bundestagswahlergebnis von unter 20 % für die SPD für realistisch. Vor dem Hintergrund der Politik des sozialen Kahlschlags, für den Kanzler Schröder und seine Partei stehen, sind solche Effekte allerdings wenig verwunderlich.

Blenden wir zurück: Bereits vor mehr als einem Jahr – am 1. Juni 2003 – haben fast 90 % der Delegierten des SPD-Sonderparteitags im Rahmen der sogenannten Agenda 2010 massiven Einschnitten im deutschen Sozialsystem zugestimmt.

Die Agenda 2010 bedeutet folgendes:
– Pensionen: Geringere jährliche Anpassungen, Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Lohnabhängige auf eineinhalb Jahre.
– Gesundheit: Krankenversicherung ist künftig nur mehr von ArbeitnehmerInnen zu leisten, der Zahnersatz wird privatisiert.
– Änderungen bei Arbeitslosen- und Sozialhilfe: Siehe Kasten

Dem Beschluss der Agenda 2010 gingen heftige parteiinterne Diskussionen voraus. Es folgten Massenaustritte und offene Konflikte mit den Gewerkschaften. Es bildeten sich zwei oppositionelle Gruppen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Die "Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (ASG) war ein informeller Zusammenschluss von hochrangigen FunktionärInnen und Vorstandsmitgliedern der IG Metall. Die "Wahlpolitische Alternative" bestand aus einem Bündnis linker GewerkschafterInnen sowie einer bunten Mischung von enttäuschten Mitgliedern von SPD, Grünen und PDS. Beide oppositionelle Strömungen unterschieden sich inhaltlich nur wenig von einander und haben sich daher vor kurzem zur "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) vereinigt.

Ängstliche SPD

Diese neue Formation jagt der SPD-Bürokratie einen gehörigen Schrecken ein. In Umfragen erklären bis zu 20%, dass sie sich vorstellen könnten, die WASG zu wählen. Doch hat die neue Organisation gehörige Schwächen. Sie stellt den Kapitalismus nicht grundsätzlich in Frage, vor allem VertreterInnen der ASG betonen, dass keine "linke Partei" gebildet werden soll.

Die WASG verharrt in einer sozialdemokratischen Denkrichtung, die einen humaneren, besseren und sozialeren Kapitalismus möchte, doch ist dies unter den Bedingungen des gesteigerten Konkurrenzkampfes eine gefährliche Illusion. Tatsache ist, dass alle europäischen Regierungen, egal ob rechtsextrem-konservativ, konservativ-sozialdemokratisch oder sozialdemokratisch-grün (in Frankreich sogar mit der KP) in den letzten Jahren eine weitgehend austauschbare Politik betrieben und betreiben. In Folge ihrer Alternativlosigkeit ist zu befürchten, dass die WASG den selben Weg beschreiten könnte, wie ihn schon viele oppositionelle Tendenzen innerhalb der SPD gegangen sind.

Wohin der Weg geht, werden die nächsten Monate entscheiden. Ist die WASG bereit, tatsächlich gegen die SPD zu kandidieren? Eine Gelegenheit wären die Landtagswahlen im Frühjahr 2005 in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland und industriellen Kernland der BRD. Vor allem: Mit welchem Programm wird sie antreten? Wird es eine tatsächliche Alternative zu dem von SPD, Grünen und PDS sein?

Als ein weiteres Ergebnis der SPD-Parteikrise hat die PDS in der ehemaligen DDR wie die letzten Wahlergebnisse auf kommunaler Ebene gezeigt haben, die Rolle der SPD übernommen und sie vielerorts überflügelt. Dies ist um so erstaunlicher, als die PDS in den Bundesländern Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mit ihrer Politik des Sozialabbaus gezeigt hat, dass sie um keinen Deut besser ist, als die SPD. Offensichtlich schwanken viele Ostdeutsche zwischen Verzweiflung und DDR-Nostalgie.

Über kurz oder lang werden die arbeitenden Menschen im Westen, als auch im Osten Deutschlands erkennen müssen, dass die Sozialdemokratie – egal ob in Gestalt von SPD, PDS oder WASG – keinen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus bietet und der Aufbau einer revolutionären Partei mit dem Ziel des Sturzes der AusbeuterInnenklasse der einzige Ausweg ist.

Angriffe auf Arbeitslose

"Hartz-IV" heißt die neueste Keule der SPD für die arbeitenden Menschen. Die Fakten:

– Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werden zusammengelegt. Damit erhalten ungefähr 2,1 Mill. Langzeitarbeitslose (12 Monate bei unter 55-jährigen, 18 Monate darüber) in Zukunft "Arbeitslosengeld II", dass sich nicht mehr nach der Höhe des früheren Einkommens richtet.

– Das Arbeitslosengeld II beträgt gerade einmal 345 Euro im Westen, 331 im Osten (jeweils plus Miet- und Heizkosten)

– Rund 500.000 Menschen werden überhaupt nichts mehr bekommen, weil das Einkommen ihrer PartnerInnen eingerechnet wird.

– Wer Hilfe in Anspruch nehmen will, muss zuerst alle Rücklagen auflösen (Sparbücher, Lebensversicherung, Altersvorsorge, …)

– Jeder Job ist zumutbar, die Entlohnung kann bis zu 30% unter dem Tarifvertrag (ähnlich wie unser Kollektivvertrag) liegen.