"Ich sage nicht, dass der Traum vorbei ist, aber ich denke, dass ich den falschen Traum geträumt habe." Das erklärte Fernando Gabeira, ehemaliger Abgeordneter aus Rio de Janeiro, als er seinen Austritt aus der Arbeiterpartei von Brasiliens Präsident Lula erklärte.
So wie Gabeira sind sehr viele AktivistInnen der Arbeiterpartei (PT) von der Politik von Luis Inácio Lula da Silva, genannt Lula, enttäuscht. Doch weit davon entfernt, zu resignieren, gründeten rund 1000 Delegierte aus fast allen Bundesstaaten Anfang Juni in der Hauptstadt Brasília eine neue Linkspartei, die Partei für Sozialismus und Freiheit. Bereits im Vorfeld der Gründung hatte es in vielen Städten Vorbereitungstreffen gegeben, an denen insgesamt rund 20.000 Menschen teilnahmen.
Die Politik der PT
Die Wahl von Lula zum brasilianischen Präsidenten im Oktober 2002 weckte in weiten Teilen der Bevölkerung enorme Hoffnungen. Die PT entstand gegen Ende der 70er Jahre aus den Kämpfen gegen die Militärdiktatur (die bis 1985 das Land beherrschte) und galt lange Jahre als nichtkorrumpierbare Vertreterin der Interessen der brasilianischen ArbeiterInnen. Doch vor allem in den letzten Jahren ist die PT mit erstaunlicher Geschwindigkeit nach Rechts gegangen und hat bereits im Wahlkampf, der zum Sieg von Lula führte, enorme Zugeständnisse gemacht. So ist sie Bündnisse mit bekannten Grosskapitalisten wie José Alencar, dem Vize-Präsidenten des UnternehmerInnenverbandes, der u.a. den rechtsextremen Militärputsch von 1964 positiv beurteilt, eingegangen und hat sich mit kleineren rechten Parteien verbündet. Dennoch waren mit der Wahl Lulas große Erwartungen verknüpft.
Doch die Regierung belehrte die Menschen bald eines Besseren. Tatsächlich unterscheidet sich Lulas Politik nicht einen Deut von der seines Vorgängers, Fernando Henrique Cardoso. Die Regierung unterschrieb eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die diesem mehr Zugeständnisse machte, als er tatsächlich forderte. Eine Pensionsreform wurde eingeführt, die das Pensionsalter erhöhte und alle Errungenschaften angriff, die die Angestellten der Bundesstaaten gemacht hatten (woraufhin 600.000 Bundesangestellte rund einen Monat gegen die Regierung streikten). Die Reform, die ursprünglich von Cardoso vorgeschlagen worden war, wurde ursprünglich von der PT abgelehnt.
Studiengebühren sollen ebenfalls eingeführt werden und die Regierung will ein Arbeitsreformprogramm etablieren, das Gewerkschaften und ArbeiterInnenrechte angreift. Selbst Cardoso war mit einigen der Vorschläge nicht durchgekommen, die jetzt von der PT-Regierung erwogen werden, einschließlich der Beseitigung des 13. Monatsgehalts, das die ArbeiterInnen jährlich bekommen.
Die herrschenden Eliten zeigen sich darüber natürlich beruhigt. So schrieb die Financial Times am 31. 12. 2003: "Eine reiche Einkäuferin, die gefolgt von einem halben Dutzend DienstbotInnen das Elite-Modegeschäft Daslu Sao Paulo verließ (wo Designerschuhe für 1.500 US-Dollar verkauft werden), drückte ihre Beruhigung über die Politik der PT aus. ,Lula scheint zu Verstand gekommen zu sein. Ich dachte, ich müsste nach Miami übersiedeln."
Auf der anderen Seite ist das Niveau der Reallöhne während der ersten 12 Monate von Lulas Regierung um 15% gefallen. 2003 hat die Regierung 54.61% des Budgets in den Schuldendienst bezahlt (deutlich mehr als die Cardoso-Regierung), währenddessen wurden die Sozialausgaben gekürzt. Die Durchschnittslöhne sind zwischen Jänner 2003 und Jänner 2004 um 6.2% gefallen. Die Arbeitslosigkeit erreicht neue Rekordhöhen: In Rio de Janeiro bewarben sich 160.000 Menschen um 1.000 freie Stellen bei der Müllabfuhr. Die Schlange der BewerberInnen war mehrere Kilometer lang!
Die Logische Folge
Die Politik der PT-Führung ist allerdings nicht auf persönliches Versagen, Korrumpierbarkeit oder Unfähigkeit zurückzuführen (auch wenn all das eine Rolle spielen mag). Das Problem ist, dass die PT das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht grundsätzlich ablehnt und damit nach den Regeln dieses Systems spielen muss. Sozialabbau, Schuldendienst, Kürzungen im öffentlichen Dienst und ähnliches sind die logische Folge.
Noch immer erklären sich 60% der brasilianischen ArbeiterInnenklasse für Lula. Doch die Unzufriedenheit wächst, die zahlreicher werdenden Streiks sind ein guter Gradmesser dafür. Auch innerhalb der PT fand diese Unzufriedenheit ihren Ausdruck in der Debatte rund um die Pensionsreform. Zahlreiche Abgeordnete sprachen sich dagegen aus, doch schlussendlich stimmten nur drei Abgeordnete im Unterhaus sowie die extrem populäre trotzkistische Senatorin Heloísa Helena im Oberhaus gegen die Reform – und wurden prompt aus der PT ausgeschlossen.
Die Sonne geht auf
Helena ist nun auch die Vorsitzende der neuen Partei für Sozialismus und Freiheit (SOL, was in portugiesischer Sprache Sonne bedeutet), in deren Führung AktivistInnen aus zumeist trotzkistischer Tradition sind. Die Struktur der neuen Partei ist sehr demokratisch, sie beinhaltet das Recht auf öffentlich auftretende Fraktionen, ihr Programm ist klar antikapitalistisch. So erklärt Heloísa Helena, die "neue Partei wird das Banner des Sozialismus hochhalten und ruhelos gegen ein System kämpfen, dass die ArbeiterInnen und die Armen tötet.".