Am Beginn jeder ernsthaften Auseinandersetzung über den Kampf gegen Faschismus steht die Frage, was Faschismus eigentlich ist. Denn um den Faschismus zu bekämpfen, ist es notwendig, ihn zu verstehen.
Oft erfahren wir, dass der Faschismus etwas rein Historisches sei, längst vorüber und ohne aktuelle Bedeutung. Wir hören, dass er etwas sei, dass nur in der speziellen Situation der 20er Jahre möglich gewesen sei und uns heute nicht mehr betreffen würde. Manchmal ist auch zu erfahren, dass Faschismus eigentlich ausschließlich in Deutschland und Österreich möglich gewesen wäre. Beginnen wir also, diese Argumente zu überprüfen!
Der Faschismus ist in den 20er und 30er Jahren in den meisten entwickelteren Staaten auf diesem Planeten aktiv geworden. Vornehmlich handelte es sich hierbei um die Industriestaaten Europas und um die USA, aber auch in Südamerika oder unter der weißen Bevölkerung Südafrikas gab es Sympathien für faschistische Ideen. Das erste Land, in dem der Faschismus an die Macht kam, war 1922 Italien. Es folgten unter anderem 1923 Bulgarien, 1926 Polen und Portugal, 1933 Deutschland, 1934 Österreich und 1939 Spanien. Auch in den Ländern, in denen der Faschismus nicht die Macht ergriff, gab es durchaus Sympathien für seine Ideen. So war der US-amerikanische KKK (Ku-Klux-Klan) zweifellos eine der größten faschistischen Organisationen weltweit und hatte an seinem Höhepunkt 1925 fünf Millionen Mitglieder.
Aus der Aufzählung faschistisch dominierter Länder wird klar, dass es kein "Faschismus-Gen" der Deutschen oder ÖsterreicherInnen gibt. Ge-nauso wie in jedem anderen Land, war die Situation in Deutschland und Österreich polarisiert. Der ArbeiterInnen-bewegung stand das Großkapital gegenüber, das den Faschismus an die Macht brachte. Die Basis des Faschismus waren v.a. das KleinbürgerInnentum (LadenbesitzerInnen, AkademikerInnen, …) oder Bauern/Bäuerinnen. Es gab auch ArbeiterInnen und Arbeitslose, die die FaschistInnen unterstützten, doch waren diese immer absolut unterrepräsentiert, wie sich etwa an WählerInnenströmen oder Mitgliederstatistiken sehr gut dokumentieren lässt. Von einer sogenannten "Kollektivschuld" aller Deutschen oder ÖsterreicherInnen kann keine Rede sein. Auch der Widerstand gegen den Faschismus in Deutschland und Österreich wurde zu rund 90% aus der ArbeiterInnenbewegung getragen.
Ausgangspunkt des Faschismus
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die ArbeiterInnenbewegung in den meisten Ländern deutlich gestärkt. In vielen westeuropäischen Ländern ging das Ende des Krieges mit revolutionären Situationen einher. In Russland hatte die bolschewistische Oktoberrevolution den Kapitalismus beseitigt, in Ungarn und Bayern kamen kurzfristig Räteregierungen an die Macht. In Österreich und Deutschland wurde die Monarchie durch eine Revolution gestürzt, in Italien und einer ganzen Reihe anderer Länder stellte die ArbeiterInnenbewegung eben-falls die Machtfrage. In den meisten europäischen Ländern entstanden starke kommunistische Parteien (z.B. in Deutschland, Frankreich, Italien), in anderen ging die Sozialdemokratie deutlich nach links, um das Entstehen kommunistischer Massenparteien zu verhindern (dies betraf vor allem Österreich). Die Situation war äußerst polarisiert, die Kapita-listInnen mussten darauf reagieren. Und das taten sie …
Der willkommene Helfer des Kapitals
Die ersten faschistischen Organisationen spielten anfänglich keine sehr große Rolle in der Innenpolitik ihres Landes. Doch als entschiedene GegnerInnen der Linken waren sie für das Kapital ein willkommener Rammbock gegen die ArbeiterInnenbewegung. Sie wurden finanziert, aufgerüstet und medial hoch gelobt. In Italien, wo 1919 eine sozialistische Revolution zu jedem Zeitpunkt möglich war, die Situation für das Kapital zu kippen drohte, kamen die FaschistInnen mit Unterstützung der MonarchistInnen bereits 1922 an die Macht. Andere Ländern folgten dem italienischen Vorbild. Dazu waren in diesen Ländern allerdings wesentliche Niederlagen der jeweiligen ArbeiterInnenklasse notwendig, die sie in die Defensive drängten. Solche Ereignisse waren in Österreich etwa der Justizpalastbrand 1927, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 oder die Ausschaltung des Parlaments 1933.
Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess spielten die Sozialdemokratie und, nach ihrer Stalinisierung Mitte der 20er, auch die kommunistischen Parteien. Durch ihre Politik ermöglichten sie es dem Faschismus überhaupt erst, an die Macht zu kommen. Die Sozialdemokratie verhinderte 1918/19 in fast allen europäischen Ländern die sozialistische Revolution, teils mit schönen Worten, teils aber auch mit Waffengewalt oder durch Terror. So erfolgte die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, zweier ehemals führender So-zialdemokratInnen, die 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands gründeten, auf Befehl der deutschen SPD. Im und nach dem revolutionären Zyklus von 1918 – 1923 erfüllte die Sozialdemokratie die Rolle perfekt, die ArbeiterInnen immer wieder zurückzuhalten – so lange, bis es zu spät war.
Die stalinistischen Parteien schwankten unterdessen zwischen ultralinken Phrasen (sie bezeichneten die Sozialdemokratie als "sozialfaschistisch" und erklärten, Sozialdemokratie und Faschismus seien Zwillinge) und Anpasslertum. So erklärten die stalinistischen Parteien ab Mitte der 30er Jahre, es müssten möglichst breite Bündnisse unter Einschluss bürgerlicher Parteien gebildet werden, sogenannte "Volksfronten". (Die Auseinandersetzung um die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften im antifaschistischen Kampf ist innerhalb der Linken auch heute noch lebendig.) In Konsequenz führten diese Bündnisse allerdings dazu, dass die KPen darauf verzichteten, sozialpolitische Losungen nach vorne zu tragen, aus Angst, ihre bürgerlichen PartnerInnen zu verschrecken (gleichzeitig schwiegen sie darüber, dass der Faschismus eine Konsequenz des kapitalistischen Systems war und ist). Im Gegensatz dazu hatte die frühe Kommunistische Internationale unter Lenin und Trotzki das Konzept der Einheitsfront erstellt, also die Zusammenarbeit aller ArbeiterInnenorganisationen gegen den gemeinsamen Feind.
In Spanien ging der Stalinismus allerdings sogar noch weiter. Im Bündnis mit seinen bürgerlichen Partnern ließ er zwischen 1936 und ´39 zahlreiche TrotzkistInnen, AnarchistInnen und Linksoppositionelle foltern und umbringen, während gleichzeitig ein BürgerInnenkrieg gegen den Faschismus tobte. Mit dieser Politik musste der Krieg ver-loren gehen, der Faschismus kam in Spanien an die Macht.
Die Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung
An der Macht, erfüllten die faschistischen Organisationen die Anforderungen, die der Kapitalismus an sie hatte, hervorragend. Die ArbeiterInnen-bewegung wurde vollständig zerschlagen, die Gesellschaft wurde militarisiert, die Hetze gegen angebliche volksfremde Elemente fand vor allem im deutschen Nationalsozialismus ihren Ausdruck in der Massenvernichtung von Jüdinnen/Juden, Roma und Sinti, Behinderten, Schwulen/Lesben und politischen GegnerInnen.
Die Situation wies in einzelnen faschistischen Ländern durchaus Unterschiede auf. So kannte der spanische oder der österreichische Faschismus im Gegensatz zum deutschen keine Massenvernichtungslager. Das gemeinsame Merkmal aller Faschismen war aber die Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung. In Deutschland und Österreich war diese so erfolgreich, dass die Linke nach dem zweiten Weltkrieg nie wieder an ihre Stärke in den 20er Jahren anschließen konnte.
Der zweite Weltkrieg wurde offiziell als Kampf gegen Faschismus und Rassendiskriminierung geführt. Tatsächlich handelte es sich hier aber um den Kampf der verschiedenen Großmächte über die Kontrolle auf dem Planeten. Als Beispiele für die Verlogenheit der Westmächte sei genannt, dass in den USA die Rassentrennung erst Mitte der 60er Jahre aufgehoben wurde oder dass es nach dem Zweiten Weltkrieg in Portugal und Spanien weiter (bis 1974 bzw. 1975!) faschistische Regierungen gab. Diese hatten sich rechtzeitig mit den Westaliierten arrangiert, wurden in Ruhe gelassen und waren sogar fest ins westliche Bündnis integriert.
Auch in Mittel- und Südamerika waren nach dem zweiten Weltkrieg in fast allen Staaten über einen längeren Zeitraum faschistische bzw. rechtsextreme Militärdiktaturen an der Macht (z.B. Argentinien, Brasilien, Chile, Peru). Hintergrund war die instabile Situation und die starke Linke in der Region, die führende kapitalistische Kreise dazu brachte, die FaschistInnen an die Macht zu bringen.
Offensichtlich ist also, dass der Faschismus weder etwas ist, dass nur in einer ganz bestimmten Zeit existiert hätte, noch, dass er nur in einer ganz bestimmten Region anzutreffen gewesen wäre.
Aktuelle Rolle der Nazis
Klar ist, dass heute in Westeuropa keine Gefahr für eine Machtergreifung des Faschismus besteht. Der Kapitalismus in Westeuropa ist stabil, es gibt keinen Grund zur Errichtung einer Diktatur. Dementsprechend klein sind offen faschistische Gruppen, oft werden sie auch durch staatliche Verbote behindert, da der Staat in der gegenwärtigen Situationen kein Interesse an ihnen hat. Dennoch können sie in zugespitzten gesellschaftlichen Situationen eine gewisse Rolle spielen. So wurde der Straßendruck der Neonazis Anfang der 90er Jahre in Ostdeutschland von der konservativen Regierung Kohl dazu benützt, das Asylrecht drastisch zu verschlechtern.
Und auch, wenn keine Gefahr einer Machtergreifung droht, sind Nazis heute auf der Straße eine ganz reale Gefahr für Linke, für MigrantInnen, für Behinderte, für Schwule/Lesben, für Menschen, die "anders" aussehen, aber (wie in anderen Ländern oft gesehen) genauso für streikende ArbeiterInnen, für GewerkschafterInnen, ….
Ein anderes Phänomen sind rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien, die die Gesellschaft nach rechts drängen wollen, selber aber im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus bleiben (z.B. die FPÖ). Diese Parteien sind heute eine viel größere Gefahr als offen faschistische Gruppen, da sie in einigen Ländern Masseneinfluss haben (z.B. in Österreich, Frankreich, Italien oder Belgien). Es wäre aber ein fataler Fehler, diese Parteien mit faschistischen Parteien zu verwechseln. Etwa zu behaupten, die FPÖ wäre faschistisch, würde uns daran hindern, zu begreifen, was der Unterschied zwischen einer FPÖ-Regierung und einer faschistischen Regierung wäre und könnte dazu führen, zu meinen, faschistische Parteien oder der Faschismus an der Macht wären ja doch nicht so schlimm. Ein Irrtum, den die ArbeiterInnenbewegung in der Vergangenheit bereits einmal teuer bezahlen musste.