Viel Zoff um den Stoff: Zur Debatte um das Kopftuch-Verbot

Die Anschläge auf das World Trade Center am 11.09.2001 lösten in der gesamten westlichen Welt eine Welle von antiarabischen Vorurteilen und Übergriffen aus. Im Zuge dieser Entwicklung wurde das Kopftuch vor allem in Frankreich und Deutschland als ein wesentliches Symbol benützt, um den Islam als Ganzes zu attackieren.

Muslimischen Frauen wird im Koran das Tragen eines Kopftuchs nahegelegt. Die Verschleierung der Frau dient der Verbergung ihrer "Unreinheit" und soll die männlichen Mitglieder der Gesellschaft sowohl vor der Sexualität der Frauen wie auch vor ihrer eigenen schützen. Das Kopftuch diskriminiert ausschließlich das weibliche Geschlecht und missachtet damit Frauenrechte als universale Menschenrechte.

Doch der in Frankreich und Deutschland parallel geführte Kopftuchstreit muss vor dem Hintergrund der verschiedenen politischen Traditionen der beiden Länder, unter Abwägung der Frage staatlicher Verbote vs. Religionsfreiheit, unter dem Aspekt der Frage der Frauenrechte sowie dem des antiarabischen Rassismus betrachtet werden.

Rassismus

Gemeinsam ist den Debatten ein verdeckter anti-islamischer Rassismus, der als Konsequenz eine rechtliche Etablierung erfuhr. Denn trotz der angeblichen Unparteilichkeit richtet sich das Verbot sowohl in Deutschland als auch in Frankreich, ganz klar gegen muslimische Kopftücher und ihre Trägerinnen. Begonnen hat die jüngste Debatte in Frankreich mit einer bewussten Provokation des französischen Innenministers Sarkozy im April 2003. Er hatte auf der Jubiläumsveranstalt-ung der Union französisch-muslimischer Organisationen das Recht auf freie Religionsausübung betont, war im Anschluss allerdings lautstark ausgebuht worden, weil er darauf bestanden hatte, dass muslimische Frauen für ihre Personalausweisfotos das Kopftuch abnehmen sollten. In Folge lösten diese Ereignisse eine antimuslimische Pressekampagne in Frankreich aus.

Unter dem Deckmantel des Laizismus, der eine radikale Trennung von Kirche und Staat vorsieht, und der Bezugnahme auf das Gesetz von 1905 (siehe Kasten) wurde eine gesetzliche Regelung gegen religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen gefordert. Das Verbot rechtfertigt die Einschränkung religiöser Freiheit, während paradoxer Weise mit der antiklerikalen Tradition der französischen Revolution und dem Gesetz von 1905 argumentiert wird, das eigentlich den Schutz von Minderheiten vor der katholischen Mehrheitsreligion vorsah.

Am 10.2.04 wurde von der französischen Nationalversammlung ein Gesetz verabschiedet, wonach an öffentlichen Grund- Mittel- und Oberschulen Symbole und Kleidungsstücke verboten sind, welche die Religionszugehörigkeit der SchülerInnen zur Schau stellen. Das Gesetz wird im September 2004 in Frankreich und den meisten französischen Überseegebieten in Kraft treten. Durch die geführte Debatte um das Verbot erhielt die Bildungspolitik der Raffarin-Regierung einen sich auf Säkularisierung und politische Freiheit berufenden, "pseudolinken" Touch, obwohl sie durch Renten- und LehrerInnengehälterkürzungen massiven Bildungsabbau betreibt.

Deutschland

In Deutschland wurde die Diskussion durch den Fall einer Lehrerin aus Baden-Württemberg ausgelöst, der die Einstellung verweigert wurde, weil sie nicht bereit war, während der Unterrichtsstunden ihr Kopftuch abzunehmen. Die Klägerin hat alle Instanzen bis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVG) verloren. Auch der BVG argumentierte, in der Schule müsse der Staat die Neutralität wahren, um die Religionsfreiheit andersgläubiger SchülerInnen, die noch jung und beeinflussbar sind, zu berücksichtigen und zu schützen. Da Lehrende Autoritätspersonen darstellen, könne eine Lehrerin mit dem Kopftuch als Religionszugehörigkeit demonstrierendes Kleidungsstück diese Neutralität nicht wahren.

Das BVG hat der klagenden Lehrerin allerdings nur deswegen dennoch recht gegeben, weil es zur Einstellungsverweigerung keine gesetzlichen Grundlagen gibt. Im selben Verfahren wurde den Bundesländern ein Einstellungsverbot ausdrücklich zugestanden, woraufhin einige Landesregierungen (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Berlin) ein Kopftuchverbot angekündigt haben. Ein solches Einstellungsverbot stellt jedoch eine klare Verletzung in Sachen Meinungs- und Glaubensfreiheit dar und richtet sich darüber hinaus gegen einen Artikel des Grundgesetzes, in dem der Zugang zu öffentlichen Ämtern frei vom religiösen Bekenntnis geregelt ist.

Der große Trugschluss der Argumentationslinie des BVG liegt in der Tatsache, dass in Deutschland (wie auch in Österreich) keineswegs eine staatliche Neutralität in Religionsfragen gegeben ist. Ganz im Gegenteil, während der islamische Fundamentalismus die längste Zeit thematisiert wird, ist vom katholischen Fundamentalismus nie die Rede. Die Ungleichbehandlung der christlichen Glaubensgemeinschaft mit ihren rechten Teilen und UnterstützerInnen ist nicht nur offen sichtbar, sondern auch bewusst vom Staat toleriert und subventioniert (mehr im Kasten "Katholischer Fundamentalismus")

Eine neue gesetzlichen Grundlage müsse, so das BVG, alle Religionen gleich behandeln, könne jedoch "besondere Traditionen" des Landes berücksichtigen. Es zeigt sich also, dass eine Vormacht- und Sonderstellung der christlichen Großkirchen propagiert wird. Das verdeutlicht etwa auch die Landesverfassung Baden-Württembergs: "Die öffentlichen Schulen haben die Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule. In christlichen Gemeinschaftsschulen werden die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen."

Dass die Regierungen eben nicht bereit sind, eine allgemeine und effektive Trennung von Kirche und Staat durchzusetzen, zeigte die Kruzifixdebatte von 1995 in Deutschland. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sind heute Kreuze in Schulen zwar zulässig, müssen aber entfernt werden, wenn sich jemand durch sie bedroht fühlt. Diese halbweiche Alibiaktion änderte faktisch nichts, während neuerdings, durch die am Kopftuch festgemachte Debatte das Kreuz wieder als Schultradition ausgelegt, beziehungsweise vom BVG als "Kulturzeichen der Offenheit und Toleranz" bezeichnet wird. Eine verklärende und vor Absurdität strotzende Verharmlosung für ein Symbol der Kreuzzüge, KetzerInnenverfo-lgungen, Hexenverbrennungen oder des Massenmordes an der indigenen Bevölkerung.

Verbote stärken Fundis

In Deutschland wie in Frankreich geht es eigentlich nicht um die längst fällige Trennung von Kirche und Staat oder die Gleichberechtigung von Frauen, sondern um eine rassistische Attacke. Die Debatte zielte vor allem in Frankreich scheinbar generell auf religiöse Symbole, betraf aber real nur das muslimische Kopftuch. Mit dieser Debatte einher ging ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs, der offen antimuslimisch und rassistisch war und ist.

Die neuen Gesetze können nicht isoliert betrachtet werden, sie sind Teil einer Serie von weltweiten Angriffen auf BürgerInnenrechte unter dem Deckmäntelchen des "Kampfes gegen den Terror", der sich vor allem gegen Menschen aus dem arabischen Raum/Ländern muslimischer Tradition richtet. Am Beispiel Frankreich wird auch augenscheinlich, dass die "heiße" Kopftuchdebatte immer dann einen parteipolitischen Anstoß bekam, wenn von akuten sozialen und politischen Krisensituationen abgelenkt werden sollte. Als Beispiele seien hier die Streik- und Protestwelle der LehrerInnen gegen den Bildungsabbau im April 2003 und die Schwierigkeiten der Raffarin-Regierung nach der Hitzewelle vom August 2003 erwähnt, als sie den Tod von 15.000 Menschen mehr oder weniger unbekümmert hingenommen hatte.

Dass das Kopftuch als Symbol der Frauenunterdrückung an sich abzulehnen ist, bedeutet nicht, mit den Herangehensweisen der deutschen und französischen Regierungen konform gehen zu müssen. Eine gesetzliche Regelung, eine Bekämpfung in Form von Einschränkung provoziert eine Stärkung nach innen. Ein diskriminierendes Gesetz wird dazu führen, die religiöse Abkapselung bereits unterdrückter Bevölkerungsschicht-en, die sich verständlicher Weise ausgegrenzt und verfolgt fühlen, voran zu treiben. Die muslimische Glaubensgemeinschaft an sich ist keine fundamentalistische. Doch staatliche Verbote, Diskriminierung und Repression spielen islamischen FundamentalistInnen in die Hände, die sich dann als VerteidigerInnen der Rechte der Betroffenen verkaufen können. Sie gewinnen an Zulauf und Einfluss und werden nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Das Kopftuch nur zu verbieten, wird die persönliche Einstellung dazu nicht verändern. Ein Verbot greift in seiner Ausschließlichkeit zu kurz und darüber hinaus in die falsche Richtung. Eine Muslimin, die vom deutschen, französischen oder österreichischen Staat, den sie im übrigen wohl als rassistisch empfinden wird, auf diskriminierende Art und Weise einen "Schritt in Richtung Befreiung" präsentiert bekommt, wird mit diesem nicht sonderlich viel anzufangen wissen.

Und die Katholen?

Unser Ziel ist klar: den Frauen zu helfen, sich aus religiösen Tradition oder unterdrückender Praxis zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wahrscheinlich hilft das Kopftuchverbot den Frauen, die es nicht tragen wollen. Gleichzeitig bietet es für sie ein neues Unterdrückungsszenario, da es ein weiterer Schritt zur rechtlichen Ungleichbehan-dlung von Menschen aus dem arabischen Raum/Ländern muslimischer Tradition ist. In Frankreich und Deutschland, oder auch in Österreich, ist es notwendig, für das Recht, ein Kopftuch zu tragen, einzustehen, um gleichzeitig und im selben Zug gegen die Pflicht zu kämpfen, es tragen zu müssen.

In islamisch dominierten Ländern ist die Situation eine andere, folglich erfordert sie eine andere Gewichtung samt einem anderen Umgang. Hier ist es notwendig, für das Recht zu kämpfen, kein Kopftuch tragen zu müssen, denn die Frage einer "Kopftucherlaubnis" ist dort kein Thema. Und im Übrigen: wo bleiben denn eigentlich die Gesetze, die die katholische Kirche einschränken?

Der französische "Laizismus" und das Jahr 1905

Der französische Laizismus, die Trennung von Kirche und Staat, ist eng verbunden mit der französischen Revolution von 1789 und den Kämpfen der letzten Jahrzehnte des 19. Jhdts. Die erste ArbeiterInnenregierung der Welt, die Pariser Kommune von 1871, proklamierte den Laizismus und verbot religiöse Symbole und Gebete an Schulen. Im Unterschied zur heutigen Situation richteten sich ihre Maßnahmen jedoch nicht primär gegen eine ethnische Gruppe. 1884 wurde der jüdische Offizier Alfred Dreyfus von Beamten des katholisch dominierten Armeestabs auf Grund von Spionagevorwürfen zu lebenslanger Einzelhaft verurteilt. Als Reaktion auf den öffentlichen Unmut über die Rolle der Katholischen Kirche und ihre Beziehungen zu hohen Armeekreisen wurde 1905 ein Gesetz zum Schutz von Minderheiten und zur Verteidigung der Gewissens- und Religionsfreiheit eingeführt

Freiwilligkeit des Kopftuchtragens?

Freiwilliges Akzeptieren heißt oft, nicht in Konflikt geraten zu wollen. Es ist nötig, zu hinterfragen, wessen Willen die jeweilige Frau, das jeweilige Mädchen wirklich ausführt. Ihren, den ihrer männlichen Familienmitglieder oder den ihrer, sich auf Tradition berufenden, häuslichen beziehungsweise sozialen Umgebung? Das Kopftuch – und es gibt verschiedene Arten, von Ganzkörperverschleierung mit Sichtfenster bis hin zu lose getragenen – symbolisiert eine Form der Anständigkeit, die durch eine Ungleichstellung von Mann und Frau charakterisiert wird, die menschenverachtend ist, und für die sich Frauen eben nicht freiwillig entschieden haben. So gesehen ist das Kopftuch ein Symbol für das Gegenteil von Selbstbestimmung, womit das Argument der Freiwilligkeit ad absurdum geführt wird. Kopftuchtragende Mus-liminnen, die betonen, selbstbestimmt zu leben, gehören oft der Oberschicht an, einer privilegierten Minderheit, die ihre Standesprivilegien mit allgemeinen Frauenrechten verwechselt.

Einen weiterer Aspekt stellt die Umkehr der Verantwortung für sexuelle Übergriffe dar, die mit dem Kopftuch so unscheinbar einhergeht: Das Islamische Bildungs- und Kulturzentrum in Wien verteilte beispielsweise eine Schrift zur "Kopftuchfrage in Europa" in der der Schleier"am besten in der Lage dazu ist, Reinheit, Würde, Anstand, Treue und Keuschheit einer Frau auszudrücken", weswegen ein Schleierverbot Frauen den "Schutz gegen sexuelle Übergriffe verwehren" würde. Demnach würde eine keusche Frau nicht sexuell belästigt, während Frauen, die belästigt oder vergewaltigt wurden, durch ihre Unkeuschheit provozierten. Ein klassisches Beispiel für Täterschutz statt Opferschutz.

Katholischer Fundamentalismus

Der Einfluss der katholischen Kirche auf die Moral- und Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, das gesamte öffentliche Leben, ist unschwer zu dementieren. Dabei wird die katholische Kirche von allen Steu-erzahlerInnen (also auch von denen, die aus der Kirche ausgetreten sind) subventioniert. Allgemeine Steuermittel erhalten den kirchlichen Religionsun-terricht an staatlichen Schulen, die Priester- und TheologInnenausbildung an den Universitäten, die "kirchliche Seelsorge" z.B. beim Militär und in Gefängnissen, kirchliche Sendungen im öffentlichen Rundfunk und vieles mehr. Weiters gehen Subventionen an von Kirchen betriebene Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, … . Dazu kommen die Mittel aus der Kirchensteuer, die von allen Menschen geleistet wird, die durch ihre Zwangstaufe der katholischen Kirche beigetreten wurden.

Der Begriff des katholischen Fundamentalismus kann an Beispielen greifbar werden: sei es die Tatsache, dass extrem rechte bis offen faschistische Gruppen wie Opus Dei, Opus Angelorum oder die Prie-sterbruderschaften St. Petrus und St. Pius X immer mehr Einfluss gewinnen, sei es der Versuch, den christlichen Glauben in die Verfassung aufzunehmen oder sei es der Kampf gegen die Evolutionstheorie, der sich in zwei US-Bundesstaaten bereits im Verbot äußert, sie im Unterricht zu verbreiten (und durch den "Kreationismus", die Lehre von Adam und Eva, ersetzt wird).