Die Geschichte der Roma im Burgenland

Mit der Hungerrevolte der slowakischen Roma im Februar dieses Jahres ist auch die Situation der Burgenland-Roma wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Die Burgenland-Roma stellen zweifellos eine der am meisten unterdrückten Bevölkerungsgrup-pen in Österreich dar. Seit dem Mittelalter wurden sie verfolgt, 90% von ihnen wurden während des Holocaust von den Nazis umgebracht und auch nach 1945 wurden sie diskriminiert und an den Rand gedrängt. Höhepunkt dieser Entwicklung war der faschistische Anschlag in Oberwart 1995, bei dem vier Roma ermordet wurden.

Der umgangssprachlich verwendete Begriff "Zigeuner" ist eine Fremdbezeichnung, die mit negativen Assoziationen besetzt ist und Projektionen und Vorurteile auslöst. Er wird von den Roma selbst nicht verwendet. Sie verfügten ursprünglich über mehr als 60 Gruppenbezeichnungen, die geografische und berufliche Bezüge aufweisen. Als Überbezeich-nung bietet sich der Begriff "Roma" an, der aus dem indischen Wort für "Mensch" (doma/domba) hergeleitet wird. In ihrem Ursprungsland Indien bezeichnete er möglicherweise eine Kaste, der die Spielleute, Musikanten und Sänger angehörten.

19. Jahrhundert

Schätzungsweise lebten Ende des 18. Jahrhunderts ca. 450-500 Roma im heutigen Burgenland. Bis zur Mitte des 19. Jhdt. war die Zahl bereits auf etwa 3.000 (nach anderen Schätzungen 1.000) angestiegen.

Die soziale Situation der eingewanderten Roma war unterschiedlich. Ein Teil der Roma war in den von ihnen ausgewählten Orten bereits völlig mit der Bevölkerung verschmolzen. Zu Konflikten mit der bäuerlichen Bevölkerung kam es verstärkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch neue Gesetze kam es zum Zuzug sogenannter "deutscher Zigeuner", der das Ressentiment der Gemeinden ansteigen ließ, weil man vor den Kosten des Zuzugs Angst hatte.

Viele Roma lebten am Rande der Ortschaften und gingen mobilen Tätigkeiten (Korbflecht-erIn, ScherenschleiferIn, Kes-selflickerIn, SchmiedIn, Berufs-musikerIn und Saisonarbeiter-In) nach.

Um das Jahr 1909 wurde eine Verfügung erlassen, dass alle wandernden Roma sofort zu verhaften und ihre Wägen und Pferde zu konfiszieren seien. Durch diesen Entzug ihrer Lebensgrundlage gelangten viele Roma noch weiter in eine soziale Randlage.

1. Weltkrieg und Zwischenkriegszeit

Während des Ersten Weltkrieges wurden alle männlichen Roma zwischen 18 und 25 Jahren gemustert und einberufen. Alle kriegsuntauglichen Männer (und zum Teil auch Frauen) wurden zu öffentlichen Arbeiten zwangsverpflichtet. Ihre Entlohnung erhielten sie nicht in Geld, sondern in Naturalien.

Mit der Eingliederung des Burgenlandes 1921 an Österreich kam es auch zu einem erneuten Zuzug von Roma in dieses Gebiet. Eine Schätzung gibt ihre Zahl bei 7.000 an, scheint aber recht hoch gegriffen zu sein.

Die Zwischenkriegszeit war auch im Burgenland von hoher Arbeitslosigkeit und großer wirtschaftlicher Not geprägt. Die Frustration der Bevölkerung bekamen die sozial Schwachen zu spüren, in manchen Orten kam es sogar zu Fällen von Lynchjustiz (Stegersbach 1935). Auch bei vielen unaufgeklärten Diebstählen, Einbrüchen und Bränden wurden als erstes die Roma verdächtigt.

In dieser Zeit des Misstrauens begann die burgenländische Regierung, eine sogenannte "Zigeunerkartei" anzulegen (1938 wurde diese Kartei dann der SS übergeben und ermöglichte eine fast lückenlose Verfolgung der Roma). Schon 1922 erging ein Erlass der Regierung, welcher die Roma zwang, ihre Heimatgemeinden nicht mehr zu verlassen und einen neuen Zuzug verhindern sollte. 1925 wurden alle Roma fotografiert. Weiters kam es zur Nummerierung der Häuser. Wie sehr sich die Aggression gegenüber den Roma gesteigert hatte, zeigt ein bei der Bürgermeistertagung 1933 in Oberwart gemachter Vorschlag, alle Roma auf eine Insel im Stillen Ozean zu deportieren.

Dass das Bild des "stehlenden und unehrlichen Roma" zwar in den Köpfen der Bevölkerung existierte, der Realität aber keineswegs gerecht wurde, zeigt, dass bei einer 1933 durchgeführten Erhebung von 7153 erfassten Personen nur 651 als "unstet" registriert waren. Ein Großteil der Vorstrafen der Roma in der Zwischen-kriegszeit läs-st sich sowohl durch die wirt-schaftliche Notlage als auch durch die Übertretung der neu erlassenen restriktiven Bestimmungen (Verbot des Hausierens und Bettelns etc.) erklären.

Verfolgung und Vernichtung

1938 wurde von Tobias Portschy, dem damaligen NS-Landeshauptmannes des Bur-genlands, eine "Denkschrift zur Zigeunerfrage" veröffentlicht. In dieser Denkschrift hetzte er mit Parolen wie "Kampf den Eindringlingen und Schmarotzern im nationalsozialistischen Reich. Beschütze dein Blut vor der Zersetzung durch die orientalischen Pestträger". Er forderte unter anderen die Einweisung aller Roma in Arbeitslager, das Schleifen der Siedlungen und die Sterilisation der Roma. Die NSDAP heizte die rassistische Propaganda mit der Parole "Das Burgenland zigeunerfrei" auf.

In diesem Klima begann die Verfolgung der Roma. An der Volksabstimmung im April 1938 durften sie nicht mehr teilnehmen, ab Mai 1938 erhielten sie ein Schulbesuchsverbot. Be-reits im Juli 1938 wurde im Burgenland die Zwangsarbeit für Roma eingeführt.

Am 5. Juni 1938 erging vom Reichskriminalamt Berlin an die Kriminalpolizeistelle Wien der Befehl, alle männlichen BurgenlandRoma – sofern sie nicht bei der Ernte eingesetzt waren – nach Dachau und Buchenwald zu schicken. Ab 1939 kam es zur Errichtung von Sammellagern, in denen KZ-ähnliche Zustände herrschten. Das größte Sammellager, das zynischerweise auch "Familienla-ger" genannt wurde, war das am 23. November 1940 eröffnete Lager Lackenbach. Die Mas-seneinweisungen begannen im Frühjahr 1941. In der Folgezeit lag der Lagerbestand zwischen 570-2000 Personen und erreichte im Oktober 1941 mit 2335 Personen seinen Höchststand. Die Menschen waren gezwungen, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu vegetieren, es kam zu Seuchen, es gab Prügelstrafen, Essensentzug und Zwangsarbeit.

Anfang November 1941 wurden fünf Transporte von ca. 1.000 Personen nach Lodz zusammengestellt. Die von den Roma in Lodz vorgefundenen Lebensbedingungen waren katastrophal. Zusätzlich hatten sich bereits viele in Lackenbach mit Fleckfieber infiziert. Nach heutigen Wissen hat kein einziger der 5007 nach Lodz transportierten Roma überlebt. Auch für die in Österreich verbliebenen Roma verschlechterten sich die Lebensbedingungen zunehmend. Im Jänner 1943 kam es zum "Auschwitz-Erlaß", der die Vernichtung aller "rassisch minderwertigen Personen" forderte. Ungefähr 2900 öster-reichische Roma wurden nach Auschwitz deponiert. Von den ca. 7.000 Burgenland-Roma überlebten nur ungefähr 600-700 den Holocaust. 90% aller hier lebenden Roma wurden also von den Nationalsozialisten ermordet.

NS-Landeshauptmann Portschy gilt heute als Hauptverantwort-licher für den Holocaust an den Burgenland-Roma. Nach 1945 saß er eine 6jährige Haftstrafe ab, danach lebte er weiter im Burgenland und starb 1996 friedlich im burgenländischen Rechnitz.

Situation nach dem 2. Weltkrieg

Nur wenige der Überlebenden kamen in die Heimatdörfer zurück. Es gab keine Siedlungen mehr, die Sozialstruktur war zerstört. Die Situation der Heim-kehrerInnen war mehr als schwierig: wenn sie sich wieder in ihren alten Dörfer niederließen, mussten sie sich damit abfinden, dass sie jetzt mit den TäterInnen Tür an Tür lebten. Die alten Vorurteile der Bevölkerung bestanden noch immer, jetzt kam auch noch die Angst vor Wiedergutmachungsfor-derungen hinzu. Die ehemaligen InsassInnen der Konzentrationslager erhielten zu Beginn der 50er Jahren eine einmalige Zahlung von 860 Schilling pro Haftmonat. Lange mussten die Insassen des nicht als Konzentrationslagers anerkannten Lagers Lackenbach um Entschädigung kämpfen. Sie erhielten erst ab 1961 eine Zahlung für "Freiheitsbeschränkung" in Höhe von 350 Schilling pro Haftmonat. Die Diskriminierung in ihren Heimatgemeinden zeigte sich auch in den Nachkriegsjahren: Viele Roma lebten immer noch am Rande der Dörfer, wurden bei der Wohnungs- und Arbeitssuche diskriminiert, ihre Kinder oft in Sonderschulen abgeschoben.

Wie vorurteilsbeladen die Situation immer noch war, zeigt ein Schriftstück aus dem Jahre 1970: in der Broschüre "Geschi-chte der Pfarre und Gemeinde Jois", verfasst vom Fachlehrer Heinrich Weiss, herausgegeben vom Pfarrer Josef Schermann mit Unterstützung der burgenländischen Landesregierung, findet sich der Satz "Die radikale Lösung der Zigeunerfrage im Jahre 1938 brachte es mit sich, dass heute für die Gemeinde (derzeit) kein diesbezügliches Problem besteht".

Roma heute

Die heutige Situation der Roma ist von neuem Selbstbewusstsein geprägt. Eine ganze Reihe von Vereinen wurde neu gegründet. Bei der Volkszählung 1991 gaben im Burgenland 95 Personen als Umgangssprache Romanes an. 2001 waren es bereits 303 Personen. Öster-reichweit deklarierten sich bei der letzten Volkszählung (2001) 6.273 Menschen als Roma, 4.348 davon österreichische StaatsbürgerInnen. Die tatsä-chliche Anzahl der Roma in Österreich wird auf 15.000 bis 30.000 geschätzt (Die Mehrheit davon ist seit den 60er Jahren vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien eingewandert und lebt großteils in Wien).

Im Burgenland können zwei große Gruppen von Roma unterschieden werden: auf der einen Seite die vollständig assimilierten und in der Bevölkerung aufgegangen Roma, die keinen oder wenig Bezug zu ihrer ursprünglichen Kultur und Sprache mehr haben, auf der anderen Seite die ihrer Tradition und Sprache verbundenen und zum Teil auch in traditionellen Gruppenverbänden lebenden Roma.

Letztere kamen besonders durch das schreckliche Attentat von Oberwart (1995) wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung. Damals kam es auch zu zahlreichen Diskussionen über die soziale Randgruppenlage der burgenländischen Roma-siedlungen. Viele Roma leben weiter in Ghetto-ähnlichen Zuständen. Diese Lage geht ein-her mit sozialer Stigmatisier-ung. So wird die Arbeitslosigkeit unter den Roma in Oberwart auf rund 60% geschätzt. Auch Vorurteile und faschistische Übergriffe sind weiterhin präsent. Erst vor wenigen Monaten gab es in Oberwart Übergriffe von Nazi-Skinheads in einem Lokal, das bekannter-maßen gerne von Roma frequentiert wird. Der Kampf gegen Ausgrenzung und für völlige soziale Gleichstellung geht also weiter.

Quellen:
www.kv-roma.at
www.ida-equal.at
www.kbk.at/roma
www.humanrights.at
www.gruene.at
www.volksgruppen.orf.at
www.doew.at/thema
www.kbk.at/roma
Österreichische Volksgruppenhandbücher, Roma & Sinti, Band 3,
Österreichisches Volksgruppenzentrum
Claudia Mayerhofer, Dorfzigeuner, Wien 1988
Dieter Mühl, Die Roma von Kemeten, Oberwart 1999
Helmut Samer, Die Roma von Oberwart, Oberwart 2001
Miso Nikolic,…und dann zogen wir weiter, Klagenfurt 1997
Heidelinge Prüger, Zigeuner sein, Klagenfurt 2001
Gerald Grassel (Hg.) Karl Stojka, Nach der Kindheit im KZ kamen die Bilder, Wien 1992

Die frühe Geschichte der Roma in Österreich

"Zigeunerjagden" und Verfolgungen

Die Geschichte der Roma im Burgenland reicht bis ins 15 Jahrhundert zurück. Seit dieser Zeit wanderten verschiedene Romagruppen ins damalige Westungarn ein und sind zum Teil noch heute hier sesshaft.

Der Umgang der Herrschenden mit den einwanderten Roma war recht unterschiedlich: So erteilte Graf Christoph Batthyány dem Roma Martin Sárközi und seinen Leuten das Recht zur Ansiedlung auf seinen Besitzungen im Südburgenland. Anders war die Situation im Mittel- und Nordburgenland, wo insbesondere die Adelsfamilie der Esterházy (die im Burgenland heute noch eine wesentliche Stellung einnimmt) versuchte, die Roma von ihren Gütern zu vertreiben und ihnen die Ansiedlung zu verbieten.

Die Zeit der grausamen Verfolgung der Roma im Burgenland begann bereits zu Beginn des 18 Jahrhunderts. In vielen Orten kam es zu sogenannten "Zigeunerjagden". Weitere Maßnahmen gegen die Roma in Österreich ergriff Karl IV. Er sah sie als Bedrohung für sein Land und bestimmte,. dass die "Zigeuner und jegliches liederliche Gesindel in Österreich" ausgerottet werden sollten. Wegen dieser Gefahr flohen viele Roma nach Ungarn.

1726 verordnete Karl VI., dass alle männlichen Roma hinzurichten und den Frauen und Kindern unter 18 Jahren ein Ohr abzuschneiden sei. Nicht nur die Bevölkerung wurde aufgefordert, gegen sie Roma vorzugehen, aus einem Dokument aus dem Jahre 1758 aus dem Komitat Ödenburg geht hervor, dass auch Richter, die Roma in ihren Dörfern duldeten mit schweren körperlichen Strafen (40 "Brügl") zu rechnen hatten.

Maria Theresia und Joseph II.

Mit der Zeit Maria Theresias änderte sich das Verhalten der Obrigkeit gegenüber den Roma. Hatte auch sie noch zu Anfang ihrer Regierungszeit dazu tendiert, sie aus ihrem Herrschaftsbereich zu vertreiben, so lag bald ihr Hauptaugenmerk auf falsch verstandener "Integration". Aus den herumziehenden und somit für die Obrigkeit nicht zu kontrollierenden Roma sollten "gute Untertanen" gemacht werden.

Die Roma erhielten als "Neubauern" zwar eigenen Grund zugesprochen, allerdings erschienen zwischen 1758 bis 1767 verschiedene Verordnungen, die die Roma zum Militärdienst verpflichteten, das Erlernen eines Handwerks vorsahen, den Pferdehandel und somit eine der traditionellen Einnahmequellen der Roma verboten und Mischehen förderten.

Zu den grausamsten Verordnungen Maria Theresias zählte jene vom 3. Februar 1773, in welcher den Roma alle Kinder über fünf Jahre abgenommen und christlichen Bürgern in entfernten Ortschaften zur Erziehung übergeben werden sollten. Der Befehl zur Kindswegnahme galt für ganz Ungarn (wozu damals auch das Burgenland zählte). Gewissenhaft durchgeführt wurde er in den Komitaten Pressburg und Ödenburg. Die aufnehmenden Familien erhielten jährlich 18 Gulden Entschädigung. Aus zeitgenössischen Berichten wissen wir von den schrecklichen Szenen, die sich bei solchen Kinderwegnahmen abspielten. (Die Praxis der Kindsabnahme wurde übrigens in der Schweiz von der Organisation "Pro Juventute" noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts durchgeführt.)

Unter dem Sohn Maria Theresias, Joseph II, wurde das Vorgehen gegen die Roma noch verschärft. Zwar wurden die bis dahin leibeigenen Roma der Bukowina befreit, allerdings gingen auch unter ihm die Maßnahmen zur Sesshaftmachung der Roma weiter.

In seinen 1783 herausgegebenen Richtlinien "de Domiciliatione et Regulatione Ziganorum" befinden sich unter anderen das Verbot des Romanes, der Sprache der Roma (24 Stockhiebe standen auf deren Gebrauch). Die Heirat untereinander und der Pferdehandel wurden erneut verboten und die Kindswegnahme (ab dem 4. Lebensjahr) blieb aufrecht. Zum Großteil kehrten die Kinder nicht mehr zu ihren leiblichen Eltern zurück, sondern blieben als Knechte und Mägde am Hof ihrer Pflegeeltern.