Die Anschläge von Madrid und ihre Konsequenzen

Nun waren es sie also doch nicht. Für die verheerenden Anschläge von Madrid soll jetzt nicht die baskische Befreiungsorganisation ETA, sondern islamische TerroristInnen aus dem El Kaida Umfeld verantwortlich sein. Spaniens Innenminister Angel Acebes, der bis vor wenigen Tagen noch jeden Verdacht, der sich nicht gegen die ETA richtete, als "erbärmlich" abgetan hat, gibt jetzt zu, dass sich alle Ermittlungen gegen islamische FundamentalistInnen richten würden. Die SpanierInnen fühlen sich von der Regierung betrogen und im Stich gelassen – das erklärt auch den deutlichen Sieg der Sozialdemokratie bei den eben stattgefundenen Parlamentswahlen. Der Versuch der spanischen Volkspartei, die Anschläge als Beweis für die Notwendigkeit eines harten Kurses gegen die nationalistische ETA und die ihr nahe stehende Partei Batasuna zu verkaufen, ist gescheitert.

Was aber bedeuten diese Anschläge für die weitere Entwicklung? Zuerst einmal ist zu sagen, dass wir MarxistInnen uns – abgesehen von unserer prinzipiellen Kritik am "individuellen Terror" – selbstverständlich klar von solchen Taten, welche sich bloß gegen unschuldige Jugendliche und ArbeiterInnen richten, distanzieren. Was wir dabei aber nicht ausblenden, sind die politischen, ökonomischen und sozialen Faktoren, die das Entstehen des islamistischen Terrors hervorrufen und begünstigen.

Im Kurier vom 15.März schreibt Livia Klingl über "die EU, in der man vor Terror nicht mehr sicher ist". Ein wenig blauäugig ist das schon. Glauben die Damen und Herren VerfechterInnen der "westlichen Werte" etwa, dass sie ewig so weiter machen können wie bisher, ohne dass sich – wie in diesem Fall: kontraproduktiver – Widerstand regt? Dass sie, mit dem Vorwand des "War on Terror", jedes x-beliebige Land angreifen können, dessen Politik ihnen nicht in den Kram passt? Doch ganz so naiv ist die Welt anscheinend doch nicht: Wenn die Zeitungen von "unschuldigen ZivilistInnen" schreiben, die durch die Bomben ums Leben gekommen sind, dann deuten sie damit ungewollt an, dass es auch so etwas wie Schuldige geben müsste. Und die gibt es ganz bestimmt – sie sitzen in den Regierungen der westlichen Welt.

Fundamentalismus

Ebenso heuchlerisch sind die Sorgen um das "Aufflammen des islamischen Fundamentalismus" in der Welt im Allgemeinen und in Europa im Speziellen. Denn was wir momentan gerade beobachten können, ist eine massive De- Säkularisierung der Gesellschaft, und zwar von christlicher Seite her. Während in Europa Gott in der EU-Verfassung verankert werden soll, wurde in amerikanischen Bundesstaaten die darwinistische Evolutionstheorie im Unterricht bereits gegen die christliche Schöpfungslehre ausgetauscht. In der Politik ist die Religion stets präsent, kirchliche Einrichtungen bekommen weiterhin Subventionen und Steuererleichterungen en masse und die Kronen Zeitung ruft angesichts des Todes von Kardinal König die Staatstrauer aus. In den Kinos läuft der Film "Passion Chisti", der die Juden/Jüdinnen in alter antisemitischer Manier als Jesus-Mörder beschuldigt und vom Papst abwärts von den meisten kirchlichen Würdeträgern begeistert aufgenommen wurde. Die "Kopftuchdebatte" in Deutschland und Frankreich hat nichts mit Laizismus zu tun, wird sie doch in erster Linie von katholischen Rechtskonservativen geführt und ist als Kreuzzug gegen den Islam zu verstehen.

Noch wichtiger als dieser fundamentalistische Backslash sind allerdings die Konsequenzen, die die jüngsten Anschläge hinsichtlich der staatlichen Überwachung und Repression haben werden. Was in den USA bereits traurige Tatsache ist, könnte demnächst auch im ach so liberalen Europa Fuß fassen: Ein Überwachsungsstaat mit orwellschen Zügen, in dem die hart erkämpften demokratischen Rechte permanent ausgehöhlt werden. Die Abgabe sogenannter "biometrischer Daten" (z.B. Fingerabdrücke), der Assistenzeinsatz von SoldatInnen zur Unterstützung der Polizei oder die Aufstockung der Geheimdienste sind nur ein paar Schlagworte, die uns in Zukunft noch öfter begegnen werden.

Kampf der Kulturen?

Vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission mehrere Mrd. Euro für eine "Homeland-Security", angelehnt an das Beispiel des US-Heimatschutzministeriums, budgetiert. In einem Europa, in dem angeblich alle sparen müssen und kein Geld mehr für Sozialleistungen, Bildung und Pensionen da ist, wird also wieder massiv in die Rüstungsindustrie investiert. All das muss den Menschen aber irgendwie plausibel erklärt werden. Dazu braucht es ein klar definiertes Feindbild.

Hier bietet sich der islamische Terror an. Von PolitikerInnen und bürgerlichen Medien wird El Kaida oft als eine Art weltumspannendes, geheimes Netzwerk dargestellt, gesteuert vom "Terrorpaten" Osama Bin Laden. Nun ist es ja schon beinahe hirnrissig zu glauben, ein alter kranker Mann (von dem wir übrigens nicht einmal wissen, ob er noch lebt) könnte von einer Höhle in den Bergen Afghanistans aus den globalen Terror organisieren. Es ist zwar sehr wohl davon auszugehen, dass Teile der islamistischen Gruppen weltweit Kontakte haben (und es ist evident, dass der Terror dieser Gruppen in den letzten Jahren zugenommen hat), dennoch ist offensichtlich, dass nach dem Anschlag auf das World Trade Center jeder (islamistische) Anschlag ganz automatisch der El Kaida zugeordnet wurde und wird und damit ein vereinfachtes Feinbild geschaffen wird.

Klar ist aber auch, dass der Vormarsch der islamistischen Terrorgruppen direkte Folge der Politik der alten und neuen Kolonialmächte in den letzten 50 Jahren ist. Nachdem Großbritannien, Frankreich, die USA und Israel in Zusammenarbeit mit den einheimischen Eliten jahrzehntelang erfolgreich die gesamte Linke in der arabischen Welt dezimiert haben, können sich nun die IslamistInnen mit ihrer Sozialrhetorik erfolgreich als Alternative verkaufen.

Anschläge wie jener von Madrid sind den Herrschenden in dieser Gesellschaft nur recht. Denn sie lenken ab von den wahren Verbrechen. Sie lenken ab vom Sozialabbau. Sie lenken ab vom Pensionsraub. Sie lenken ab von den zehntausenden Toten, die das kapitalistische Weltsystem tagtäglich produziert. Und sie liefern Vorwände für mehr Repression, Überwachung, Kontrolle und Aufrüstung. Denn die "westlichen Werte" – also Ausbeutung, Sozialabbau, Umweltverschmutzung, Faschismus, Christentum, imperialistische Kriege, etc. – sollen schließlich gegen die "islamistischen Barbaren" verteidigt werden, koste es was es wolle.