Manipulation durch Kunst: Stalinistische Architektur

Auf dem Gebiet der Architektur, aber vor allem der bildenden Kunst, herrschten in der UdSSR bis Anfang der 30er Jahre avantgardistische Strömungen vor. Doch nach 1932 begann eine neue Phase des Stalinismus, der für die bildende Kunst den "Sozialistischen Realismus" bedeutete. In der von nun an von der Moskauer Bürokratie gelenkten Architektur herrschte Konservativismus vor, dessen einziger Wille war, den "Sowjetmenschen als Beherrscher der Natur" und Lenin – später Stalin – als dessen unbestrittenen, unfehlbaren Führer darzustellen.

Bei der Architektur des Stalinismus handelt es sich keinesfalls um "Kunst aus der Stalinzeit", also nicht um alles, was in der "Stalinzeit" geschaffen wurde, sondern um "Kunst der Stalinzeit". Kunst, die nicht direkt mit dem Stalinkult verbunden war, war aufgrund der Zensur äußerst gering und entstand größtenteils geheim und wurde illegal weitergegeben.

Sozialistischer Realismus

Es handelte sich beim sozialistischen Realismus auch keineswegs um eine Fortsetzung der vorstalinistischen Kunstrichtungen, allen voran der künstlerischen Blüte proletarischer Kunst Anfang der 20er Jahre oder der kreativen, sowjetischen Strömung des Avantgardismus. Im Zuge der Stalinisierung ab 1923 wurden auch in der Kunst die davor existente Vielfalt verschiedener künstlerischer Strömungen durch die politische Totalität erstickt. Insbesondere die Strömungen der abstrakten Moderne wurden in der Malerei durch fast ausschließlich konkrete Motive ersetzt, in der Architektur wurden gigantomanische Konzepte geplant und teils umgesetzt.

Stalin verwendete die Kunst, und hier vor allem Malerei und Architektur, um seine Führungsposition zu untermauern und einen Mythos aufzubauen, einen Mythos vom nun eingeleiteten "Goldenen Zeitalter, getragen vom neuen, sozialistischen Menschen". Es handelte sich also um eine Kunst, die bewusst ihre eigene Zeit glorifizierte und pries.

Der/die KünstlerIn ist ein Teil der Gesellschaft und seine/ihre Werke sind deshalb auch ein Spiegelbild der Gesellschaft, doch gerade davor hat jedes diktatorische Regime Angst. Aus diesem Grund wird Kunst in totalitären Herrschaften nicht gefördert oder gar subventioniert, sondern sie wird gelenkt und benützt. Die Führung will eine Scheinwirklichkeit erzeugen, um den Blick des Volkes zu verändern und zu trüben. Dem Volk werden nicht verschiedenen Stile und Werke geboten, sondern immer nur ein Produkt, der unbestrittene Führer!

Selbst die Bezeichnung "sozialistischer Realismus" ist eine Lüge. Der Realismus besteht wohl darin, zu zeigen, was Stalins reale Vorstellungen von der Welt waren. Er an der Spitze einer streng hierarchischen Pyramide, unter ihm das proletarische Volk – ausschließlich das der Sowjetunion. Das Ziel der Weltrevolution wurde ja mit dem "Aufbau des Sozialismus in einem Land" aufgegeben. Und "der sozialistische Charakter besteht offensichtlich darin, mit den Mittel einer verfälschten Photographie Ereignisse darzustellen, die niemals stattfanden." (Leo Trotzki: Kunst und Revolution, 1939.)

Stalin selbst wusste schon immer, die Malerei und Architektur zu seinen Gunsten zu verändern. So zeigt ein Gemälde, abgebildet 1938 im offiziellen Regierungsblatt Iswestija, Stalin als den Organisator des Tiflis-Streiks 1902, obwohl belegt war, dass Stalin zu dieser Zeit in Batum im Gefängnis saß.

Die Metro

Das bekannteste, innovativste und bis heute wohl bedeutendste Bauvorhaben unter Stalin war und ist die Moskauer U- Bahn, die Metro. Im Juni 1931 im Plenum des Zentralkomitees der Partei, als Teil einer Resolution über die Entwicklung der Moskauer Stadtwirtschaft beschlossen, wurde am 15. Mai 1935 die erste Metrolinie mit sieben Stationen eröffnet. Es war ein großer Tag, nicht nur für ganz Moskau, sondern für den ganzen sowjetischen Staat. Ab 7.00 Uhr morgens strömten die Menschen in die Metro, um mit dem neuen Verkehrsmittel zu fahren. Doch typisch, wie auch für alle anderen Bauvorhaben des Stalinismus, war, dass nicht Funktionalität, sondern Prunk und Glanz im Mittelpunkt standen. Die Metro verdeutlichte einerseits die Führerideologie und wurde gleichzeitig der Bevölkerung als Ausdruck des angeblichen Reichtums des Proletariats verkauft.

Die einzelnen Stationen galten als "pompöse Paläste unter der Erde". Die Passagiere sollten nicht merken, dass sie mehrere Meter unter der Erde waren, so wurden die Metrostationen monumental ausgebaut und mit Stuck und Plastik verziert, riesige Säulenhallen aus Marmor mit Statuen, Malereien und Mosaiken entstanden, wie etwa das Kunstwerk über die Eroberung des Berliner Reichstags 1945 von P. D. Korin für die Metrostation "Komsomol'ska-jakol'cevaja".

Um dem neuen Verkehrsmittel einen eigenen Glanz zu verleihen, entstand ein neuer Architekturstil. Dies geschah beinahe unbemerkt. In einem kleinen Nebenzimmer des Architekturbüros der Metrostroj leistete eine Gruppe von ArchitektInnen ab Ende 1931 Pionierarbeit unterirdischer Kunst. Unter der Leitung von S. Kravec, der als einziger die U-Bahnen des Westens, von Paris, London und New York, kennen lernte, wurden zwei Stationstypen entwickelt: Die Stationen in geringer Tiefe mit Ausnahme der Leninbibliothek hatten flache Decken, die Stationen in großer Tiefe hingegen bekamen Gewölbe und zwei oder drei untereinander verbundene Tunnels. Vorschläge, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit ordinären Bahnhöfen hatten, wurden sofort verworfen.

Der Palast der Sowjets

Ein in seinem Ausmaß seinesgleichen suchende Projekt, ist der nie vollendete Palast der Sowjets im Zentrum Moskaus, als Symbol des Moskauer Stadterneuerungsplans. Bei diesem sollte die historische Ring- und Radialstruktur beibehalten werden, zusätzliche Prunkbauten, wie die Universität auf den Leninbergen, das Pantheon "Ewiger Ruhm für die großen Menschen des Sowjetlandes" oder das Lenin-Stadion (heute: Luzniki- Stadion vom Traditionsverein Spartak Moskau) an der Moskwa-Krümmung wurden in dieser Periode geplant. Weiters sollte ein Grüngürtel bis in Stadtzentrum dringen. Der Palast wäre somit nicht nur das höchste Gebäude der damaligen Welt gewesen, sondern auch Mittelpunkt Moskaus, umgeben von acht Hochhäusern, die, im Gegensatz zum Palast, realisiert wurden.

Die Planungen für dieses monumentale Bauwerk begannen bereits 1922 auf dem 1. Sowjet-kongress, als sie von Stalins potentiellen Rivalen Sergej Kirov geäußert wurden. In den Jahren 1931 – 1933 wurden die Wettbewerbe um den Palast ausgerichtet. Zuerst der Vorwettbewerb, 1931 der Allunionswettbewerb und danach 1932 – 1933 der erste und zweite geschlossene Wettbewerb. Ursprünglich war ein Grundstück im Zentrum Moskaus in der Nähe der Jagdzelle (Och-otnyj rjad) und der Trever-straße gewählt, jedoch wurde später der Vorschlag der Gruppe ASANOVA (dt.: Assoziationen neuer Architekt-Innen) auf dem Platz der Erlöserkirche gewählt, die Ende des 19. Jahrhunderts anlässlich des Sieges über Napoleon gebaut wurde.

Laut den Bedingungen des Wettbewerbes sollte der Palast als "ein monolithischer Komplex" und "kühne Hochhauskomposition mit einem beliebigen Abschluss" gestaltet werden. Der Entwurf Boris Iofans gewann. Er sah ein Hochhaus aus drei aufeinander stehenden zylindrischen Körpern vor, die auf einem zweistufigen Stylobat ruhten. Das Gebäude sollte von einer 57 – 75m hohen Leninstatue bekrönt werden. Insgesamt hatte das 1937 begonnene Gebäude eine Höhe von 415m. 1939 wurden die Fundamente fertig gestellt, 1941 wurde der Bau jedoch, aufgrund des Krieges eingestellt. Der 1956 neu ausgeschriebene Wettbewerb, für den die bestehenden Fundamente verwendet werden sollten, wurde jedoch nie realisiert.

Stalin begnügte sich anfänglich noch damit, als Statue neben Lenin zu stehen – da Iofan nicht im Stande war, dies zu realisieren, sollte nur Stalin den Abschluss des Bauwerks bilden. Er wollte damit sich selbst als Symbol des/der neuen sowjetischen Arbeiters/Arbeiterin, der über die Welt herrscht, zeigen. In Wahrheit spiegelt der Entwurf jedoch nur die Hierachiepyramide des Stalinismus wieder, an dessen Spitze der unbestrittene Führer thront.

Kunst und Revolution

Die Architektur seiner Zeit spiegelte das irrationale Machtstreben Stalins wieder. Er verwendete sie, um sich in den Mittelpunkt und an die Spitze des "Realsozialismus" zu stellen und sich als dessen unwiderruflichen Führer zu festigen.

Die Kultur des sozialistischen Realismus wurde von der Moskauer Bürokratie verwendet, um die Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren, aber auch um der westlichen, kapitalistischen Welt die Fähigkeiten und Kraft des Sowjetmenschen vor Auge zu führen, oder, wie Leo Trotzki meint: "Die Oktoberrevolution hat der sowjetischen Kunst in allen Bereichen einen wunderbaren Aufschwung geschenkt. Die bürokratische Reaktion hat dagegen das künstlerische Schaffen mit ihrer totalitären Hand erstickt. Das ist nicht erstaunlich. Die Kunst ist im Grunde eine Nervenfunktion und verlangt vollständige Aufrichtigkeit. Selbst die höfische Kunst der absoluten Monarchen beruht auf Idealisierung und nicht auf Verfälschung. Die offizielle Kunst der Sowjetunion – und es gibt dort keine andere – ähnelt der totalitären Justiz, d.h. sie beruht auf Lug und Trug. Ziel der Justiz wie der Kunst ist die Verehrung des "Führers", die künstliche Erschaffung eines heroischen Mythos. Die Geschichte der Menschheit hat noch nichts gesehen, was dem an Reichweite und Schamlosigkeit gleichkäme." (Leo Trotzki: Kunst und Revolution, 1939.).