Die Textzeile "I want to salute the ashes of American flags" der Gitarrenband Wilco traf kurz vor Beginn des Irak-Kriegs wie ein stumpfer Pfeil in die amerikanische Seele. Doch anders als von den bürgerlichen Medien der USA dargestellt, war dies keine "grausame" Ausnahme in der heutigen Zeit. Kritische Betrachtung der Politik ist in der Musik von Beginn an üblich und nicht selten radikaler und augenscheinlicher als in der Form von Wilco.
Die Geschichte des Rock'n'Roll begann Anfang der 1950er im Süden der USA und war von Beginn an eng mit politischen Tagesthemen verbunden. Das hat zwei Gründe: Auf der einen Seite war Rock'n'Roll von Anfang an vom Establishment verpönt und wurde wegen seiner – im schwarzen Rhythm'n' Blues liegenden – Wurzeln als "Negermusik" abgestempelt, andererseits symbolisierte er für die damalige Jugend Freiheit und Unabhängigkeit. Rock'n'Roll war rebellisch, die Gitarre war billig, sie konnte schon mit wenigen Akkorden gespielt werden. Sie war also das perfekte musikalische Instrument der amerikanischen und britischen "Working Class".
I still love you, NY!
Die ersten InterpretInnen, die sich in den USA politisch zu äußern begannen, waren die Country- und FolksängerInnen der 1930er. Sie versuchten, fortschrittliche Ideen und US-Patriotismus zu verbinden. Ähnliches findet sich später in unterschiedlichem Ausmaß bei Songwritern wie Hank Williams, Bob Dylan, Johnny Cash, Bruce Springsteen, Bright Eyes oder Ryan Adams. Die wohl bekannteste Vertonung der Liebe zum Vaterland USA in Verbindung mit kritischen Texten ist neben Springsteen's "Born in the USA" Woody Guthrie's "This Land is your Land".
Einer der ersten "kommunistischen" Songwriter war Pete Seeger. Er setzte den Popsong als politisches Kampfmittel ein, als Höhepunkt seiner Karriere trat er zusammen mit Bob Dylan, Woody Guthrie und Billy Bragg 1986 in Ostberlin auf. Er war Frontman der Band "The Weavers", die wegen ihrer politischen Gesinnung aus dem Musikgeschäft gedrängt wurde. Seeger sah Musik als Waffe des Klassenkampfes und war Mitglied der stalinistischen KP der USA. Seine erste Band, "Almanac Singers", zu der später auch Woody Guthrie gehörte, gründete er in New York. Ihr erster bedeutender Auftritt fand vor 20.000 streikenden Mitgliedern der TransportarbeiterInnen-Gewerkschaft im New Yorker Madison Sqare Garden statt.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Leben für gesellschaftskritische KünstlerInnen zunehmend schwieriger und so fand Seeger's Karriere bald ein Ende. Dieses Schicksal teilte er mit Paul Robeson. Der Gewinn des internationalen Stalin-Friedenspreises 1952 und seine "kommunistischen" Ideen machten den schwarzen Sänger und Schauspieler zu einer umstrittenen Figur. Er wurde zum Opfer der antikommunistischen Hetzjagd der 1950er. Als er sich gegen den Korea-Krieg äußerte, wurde sein Pass eingezogen, als Antwort darauf aber auch eine internationale Kampagne namens "Let Paul Robeson sing" gegründet, die seine Konzerte per Telefon nach Großbritannien und in die UdSSR übertrug.
Eine weitere Künstlerin, die in ihren Texten auf die Probleme ihrer Zeit aufmerksam machte, war die schwarze Jazzsängerin Billie Holiday. Sie kämpfte vor allem für die Rechte von Schwarzen in den USA, was sie u.a. in "Strange fruit" zum Ausdruck bringt. Das Lied handelt vom Rassenmord im Süden der USA. Nachdem sie aber daraufhin von den großen Plattenfirmen kaltgestellt wurde, verzichtete sie zunehmend auf eindeutige Aussagen.
Times they are a-changin'
In den 50er Jahren kam mit dem Rock'n'Roll ein neues Phänomen auf. Elvis Presley (und James Dean auf der Leinwand) standen für die Rebellion der Jugend gegen verknöcherte Strukturen. Eigentlich handelte es sich beim Rock'n'Roll – wie schon bei Blues und Jazz – um "schwarze" Musik. Auch in Europa wurde die neue Musik von vielen jungen Menschen begeistert aufgenommen, die bald als "Halbstarke" oder Rocker bekannt wurden.
Den ersten Höhepunkt erfuhr die politische Variante dieser neuen Musikrichtung, gleichzeitig auf beiden Seiten des Atlantik, in den 60ern. In England wollte die Jugend der ArbeiterInnenklasse, die mit dem Rock'n'Roll aufwuchs, mit langen Haaren und wilden Texten die alte, konservative Gesellschaft provozieren. Bands wie "Rolling Stones", "Beatles", "Troggs" oder "Kinks" hatten Hochkonjunktur. Anfänglich waren sie sehr unpolitisch, doch im späteren Verlauf ihrer Karriere bekamen einige Songs auch konkretere politische Statements.
Working class hero
Die Beatles taten sich dabei als Vertreter des Establishments hervor, Songs wie "Back in the USSR" oder "Revolution" sprechen eine deutliche Sprache. Vor allem "Revolution" – gedacht als Antwort an die 68er – spricht durch seine zynische Ablehnung der Bewegung eine eindeutige Sprache ("You say, you want a revolution – well, you know, we all want to change the world…"). John Lennon wandte sich allerdings später nach links und schuf mit "Give peace a chance" eine Hymne der Hippie-Bewegung. In dieser Zeit fand sich allerdings auch ein stark religiös-esoterischer Zugang, der schon in der letzten Periode der Beatles sichtbar wurde. So wurde die Krishna-Sekte von Lennon und Harrison musikalisch beworben. Doch Lennon hatte auch eine andere Seite, er sympathisierte sogar eine Zeitlang mit dem Trotzkismus und finanzierte revolutionäre Gruppen. In dieser Zeit entstanden "Working Class Hero" und "Power to the people", auch "Imagine" ist deutlich von solchen Ideen beeinflusst.
In den USA, die in dieser Zeit durch den Vietnam-Krieg geprägt waren, standen große Teile der Bevölkerung zunehmend in Opposition zum Kriegskurs der Regierung. Gleichzeitig verstärkte die schwarze BürgerInnenrechts-bewegung ihren Druck und rückte deutlich nach links (diese Entwicklung sollte später in der Gründung der Black Panther Party und der Popularität von Malcolm X ihren Höhepunkt finden). Zu den entschiedensten KriegsgegnerInnen gehörten hier vor allem fortschrittliche Songwriter.
Der populärste war zweifellos Bob Dylan, der mit "Blowin' in the wind" wahrscheinlich das meistgehörte Zeichen gegen den Krieg setzte. Doch auch Don McLean's "American Pie" oder Joan Baez' Ballade über den Organisator der "Industrial Workers of the World" (IWW), Joe Hill, wurden in dieser Zeit populär. Joan Baez und Bob Dylan galten als das Traumpaar der Szene, sie sangen gegen den Vietnam-Krieg, gegen die Apartheid, für Frieden und freie Liebe. Wie viele andere hatten aber auch sie Illusionen in die demokratische Partei und sangen für John F. Kennedy.
Brothers in arms
Anfang der 70er geriet der politische Popsong kurzzeitig in Vergessenheit. Der US-amerikanische Punk und der britische Glam-Rock um "The Velvet Underground", "The Stooges"; "Roxy Music" oder "David Bowie" wollte primär mit Drogenexzessen schocken. Bowie äußerte sich sogar positiv zu rechtsextremen Ideen. Höhepunkt dieser Ära war, als sich Lou Reed bei einem Konzert auf der Bühne Heroin verabreichte.
Doch ab der Veröffentlichung von "Never Mind The Bollocks. Here's The Sex Pistols" im Jahr 77 und dem damit verbundenen Aufschwung des anarchischen Punk konnten politische Ideen wieder breitere Kreise erreichen. Einhergehend mit Bands wie The Clash oder The Dead Kennedys trieb der Punk Ende der 70er und Anfang der 80er sein "Unwesen" in Großbritannien und den USA, bevor er unter anderem auch in den deutschsprachigen Ländern Einfluss gewann. Hier stehen wohl vor allem TonSteineScherben und in jüngerer Zeit Normahl, Slime oder Wizo für politischen Punk.
Im Juli 77 spielten "The Sex Pistols" ein illegales Konzert auf der Themse (GB) am Tag des silbernen Thronjubiläums von Elisabeth II. und wurden daraufhin verhaftet. Die verändernde, subversive Kraft des Punk spiegelt sich vor allem in den Songs "Anarchy in the UK", dem Anti-Touristen-Song "Holidays in the sun" oder der Anti-Nationalhymne "God save the Queen" wider. Allerdings war die Band auch sehr diffus. So trat Bassist Sid Vicious aus Lust an der Provokation auch mit Hakenkreuz-T-Shirts auf.
Eindeutiger waren hier schon "The Clash". Ihre Texte zeigten starke Sympathien zur ArbeiterInnenklasse, Feindschaft gegenüber Rassismus und Unterstützung des revolutionären politischen Kampfes, gleich ob er vom marxistischen Sozialismus, Anarchismus oder nationalen Befreiungsarmeen geführt wurde. Mit "Spanish Bombs" setzten sie den KämpferInnen des spanischen BürgerInnenkriegs ein Denkmal, mit "Revolution Rock" holten sie die Kämpfe auch in die Gegenwart.
Die meisten Bands waren allerdings in ihren Ideen sehr unklar, viele britische MusikerInnen der 60er und 70er waren politisch im Umfeld der sozialdemokratischen Labourparty angesiedelt, die damals allerdings teilweise eine sehr linke Rhetorik pflegte. Bekannte Beispiele dafür sind der britische Liedermacher Billy Bragg oder der Songwriter Paul Weller.
World Leader Pretend
Einen letzten Höhepunkt erlebte die politische Punk-Ära während des 358 Tage andauernden BergarbeiterInnenstreiks. Viele Bands, allen voran die trotzkistischen Redskins, engagierten sich, brachten Benefizplatten heraus und veranstalteten Konzerte für die Streikenden. Ziel der Redskins war es immer "wie die Supremes zu singen und sich wie die Clash aufzuführen". Ihre, vom Soul und Punk beeinflussten Songs, handelten von revolutionären Bewegungen und ihren Lehren für die Gegenwart, von der Organisierung der ArbeiterInnenklasse, von der Anti-Apartheid-Bewegung, etc.
Einhergehend mit dem Abschwung der Bewegung verlor auch der politische Pop in den 80ern deutlich an Radikalität. Als Beispiele für politische Gemäßigtere mögen U2 oder R.E.M dienen. So meinte Bono Vox bei einem Auftritt im Rockpalast Mitte der 80er: "This song is not a rebel song, this song is Sunday Bloody Sunday" (Das wohl bekannteste Lied der Gruppe setzt sich mit dem Konflikt in Nordirland auseinander.) Ihre Kollegen in den USA, die Studentenband R.E.M., schrieb aus Angst, Ronald Reagan könnte die US-amerikanische Linke ähnlich behandelt werden wir unter dem KommunistInnenjäger Senator McCarthy 1987, "Exhuming McCarthy". Der Gewinn der Single "It's the end of the world as we know it (and I feel fine)" sollte dem Bau eines Greenpeace-Büros in der UdSSR dienen, das darauffolgende Album Green wurde am Tag der Präsidentschaftswahlen 1988 veröffentlicht und beinhaltet den Anti-Reagan-Song "World Leader Pretend".
Bei den Wahlen 1992 warb Michael Stipe mit dem Slogan "Vote Smart! Don't get bushwhacked!" R.E.M. stehen hier für eine grundlegende Schwäche des US-amerikanischen Kulturbusiness, das traditionell den Demokraten sehr nahe steht. Kein Wunder, schließlich sind die Interessen durchaus übereinstimmend. Sowohl das Musikestablishment wie die Demokraten lehnen das reaktionäre Hinterwäldlertum der Republikaner ab, sind aber gleichzeitig mit dem kapitalistischen System größtenteils einverstanden.
Talkin' 'bout a revolution
Eine weniger kommerzielle Form für den politischen Kommentar in den 1980ern war die Neo-Akustik-Bewegung. Ihr Aushängeschild ist Tracy Chapman, eine reife, relaxte Künsterlin, deren Songs von alltäglichen Hoffnungen, aber auch vom unveränderten Elend vieler Schwarzen in den USA handeln. In Stücken wie "Across the Lines", in dem es um Rassenkonflikte geht, oder "Behind the Walls", einer schauerlichen Geschichte über Gewalttätigkeit gegen die eigenen Familienmitglieder und die Untätigkeit der Polizei, schwingt leise Verzweiflung mit. "Talkin´ `bout a revolution" hingegen ist ein Song, der keiner weiteren Erklärung bedarf.
Die Subkultur der 90er
Die aus Leeds stammende Band Chumbawamba wird von vielen als die "heile, revolutionäre Insel" im korrupten, geldgeilem Musikgeschäft angesehen, doch seit dem Wechsel vom kleinen, unabhängigen Label One Little Indian zum, schon von den Sex Pistols gehassten, Major EMI verärgerten sie viele ihrer ZuhörerInnen. Ein Bandmitglied meinte einmal, hätte er die politische Machtbefugnis, würde er alle Regierungen abschaffen, damit die Leute wieder Raum haben, sich selbst zu organisieren und selbst zu verwalten. Ihre politischen Aussagen lassen an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Eines davon, "Enough is enough" ("Give the fascist man a gunshot") ist auch in einer Anti-Haider-Version erschienen.
In den späten 90ern erregten vor allem die Waliser Formation Manic Street Preachers ob ihrer politischen Statements Aufsehen. Der Song über den spanischen BürgerInnenkrieg "If you tolerate this your children will be next" (basierend auf George Orwell's "Homage to Catalonia") wurde zur Hymne der britischen Musikszene, auch der Protestsong gegen Tony Blair und seine New Labour Party "Socialist Serenade" verdient Beachtung. Trotz ihrer oft Kuba-kritischen Texte, wie "Don't just sit in a rockin' chair if you've built a revolution", war es ihnen gestattet, als erste westliche Rockformation seit der Revolution im stalinistischen Kuba aufzutreten.
Ebenfalls bekannt durch ihr politisches Engagement ist die linke Crossover-Band "Rage Against The Machine". Tom Morello meinte über die ‚machine', gegen die sie wüten: "Die ‚machine' kann alles sein; von der Polizei in den Straßen von LA (…) über die internationale kapitalistische Maschinerie (…)." Im Dezember 1993 wurde das Video "Freedom" veröffentlicht, dass die Freilassung des indigenen politischen US-Gefangenen Leonard Peltier forderte. Im Frühling 1997 tourten sie zusammen mit U2, die kompletten Einnahmen wurden an politische und soziale Organisationen gespendet. Zusammen mit den Beastie Boys veranstalteten sie auch ein Wohltätigkeitskonzert für einen weiteren politischen Gefangenen, Mumia Abu-Jamal.
The final straw
Rund um den Irak-Krieg erweckten viele Popstars die Tradition des Protestsongs von neuem zum Leben. Allerdings ist es amüsant, wer da aller protestierte. Nicht nur "System Of A Down" oder R.E.M., sogar Madonna war auf einmal zu finden.
Musik ist ein wesentlicher Teil unseres Lebens. KünstlerInnen können das ihre dazu beitragen, fortschrittliche Ideen in breiteren Teilen der Bevölkerung zu verankern. Populäre revolutionäre Bands wie die Redskinds und Marxman aus Großbritannien oder Zebda aus Frankreich spielen eine essentielle Rolle dabei, die Idee einer anderen Gesellschaft in den Köpfen der Menschen zu verankern. Und wie es die Redskins so treffend in einem Lied über die Notwendigkeit einer Revolution ausdrückten: "99 and a half won´t do".
Anmerkung:
In diesem Artikel werden fast ausschließlich KünstlerInnen aus dem englischsprachigen Raum besprochen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns nicht der fortschrittlichen Traditionen im deutsprachigen Raum bewußt sind, die etwa von den Schmetterlingen, von Konstantin Wecker, von der frühen EAV und vielen anderen vertreten werden.