Rebell oder Hofnarr – Michael Moore als Hoffnungsträger der amerikanischen Linken?

Seine Fans liegen ihm zu Füßen, Reaktionäre rümpfen die Nase und die bürgerlichen Medien präsentieren ihn uns abwechselnd als "schärfsten Kritiker des US-Präsidenten", "Amerikas letzen Rebellen" oder gar "Kultfigur der amerikanischen Linken". Doch wie progressiv ist der Satiriker, Autor und Filmemacher Michael Moore tatsächlich? Und welche Alternative hat er anzubieten?

Spätestens seit seinem Oskar-gekrönten Film "Bowling for Colum-bine", der sich kritisch mit der Politik und dem Waffenfanatismus in den USA auseinandersetzt, ist Michael Moore in aller Munde. Sein Film "Roger and Me" wurde zum erfolgreichsten Dokumentarfilm aller Zeiten, seine Veranstaltungen sind stets ausverkauft und sein bisher wohl größter Erfolg – das Buch "Stupid White Men" – führte hierzulande monatelang die Bestsellerlisten an. Und jetzt will der Regisseur auch noch im Präsidentschaftswahlkampf 2004 mitmischen. Grund genug um sich dem Phänomen Michael Moore einmal kritisch anzunähern.

Antiamerikanismus

Es besteht eine große Gefahr, dass Moores Werke im deutschsprachigen Raum zur Bestätigung der eigenen anti-amerikanischen Voreingenommenheiten degenerieren. (Moore ist allerdings zu Gute zu halten, dass er selbst bei seinem Vortrag in Wien sehr wohl auch die österreichische Regierung thematisierte und das Publikum fragte, was denn die Entschuldigung der ÖsterreicherInnen für diese Regierung sei). Doch selbst für viele in der Linken war "Stupid White Men" eine weitere Bestätigung für die angebliche Dummheit "der AmerikanerInnen" denen sie ein fortschrittliches, humanistisches und kultiviertes Europa gegenüberstellen. Dass dieses Konstrukt nicht existiert, dürfte klar sein. Außerdem gilt es einen deutlichen Trennstrich zwischen der US-Bourgeoisie und der amerikanischen ArbeiterInnenklasse zu ziehen. Denn letztere wird nicht nur ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, sondern ist auch unsere erste Bündnispartnerin im Kampf gegen den US-Imperialismus.

"Gut, dass es ´good old Europe´ gibt" meint Moore und verzapft damit einmal mehr das Märchen von der Kriegsgegnerschaft Deutschlands und Frankreichs. Auffallend auch seine unangebrachte Euphorie für das "europäische Modell" der ach so sozialen Marktwirtschaft (Irritierend übrigens auch sein beständiger positiver Bezug auf Kanada. Zweifelsohne hat Kanada im Gegensatz zu den USA soziale Standards, die eher denen in Westeuropa entsprechen. Doch der Sozialabbau und die Widersprüche in der kanadischen Gesellschaft werden weitgehend ausgeblendet.).

Zudem spricht Moore – in völliger Nichtbeachtung der Klassengegensätze – andauernd von "uns Amerikanern" oder "euch Österreichern", von "uns Weißen" oder "den Schwarzen". "Wir sind es, die Bomben auf den Irak werfen" heißt es in Moores neuester Veröffentlichung "Dude, where's my country?". Wen meint Moore mit "wir"? Und seit wann spricht ein Linker von "seinem" Land?

Das Buch, dessen deutschsprachige Version mit "Volle Deckung, Mr. Bush" betitelt wird, resümiert die Politik des amerikanischen Präsidenten und erklärt die wahren Gründe für den Krieg im Irak. Mit viel Witz listet der brillante Polemiker Moore außerdem die zahlreichen Verbindungen der Familien Bush und Bin Laden und deren Kontakte zum saudischen Königshaus auf.

Shame on you, Mr. Moore!

Doch mit seiner Erklärung, er werde bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2004 den demokratischen Kandidaten General Wesley Clark unterstützen, hat Moore den Vogel abgeschossen. Clark, der schon im Vietnamkrieg als Captain (Hauptmann) tätig war, leitete 1996-97 das US Southern Command in Südamerika, welches die Ermordung von rund 2400 politischen AktivistInnen zu verantworten hat. 1999 forderte er als NATO-Oberbefehlshaber eine härtere Gangart im Kosovo-Konflikt, sprich: die Ergänzung der massiven Bombardements durch Bodentruppen in Serbien und im Kosovo. Unter seinem Kommando wurden Streubomben und Uranmunition verwendet.

Angesichts solcher Tatsachen muss es dem Antimilitaristen Moore ja richtig warm ums Herz werden. Ist ihm jedes Mittel recht um seinen Lieblingsfeind George W. Bush aus dem Amt zu hieven? Oder ist er wirklich so naiv, einen Kriegsverbrecher als Friedenskandidaten zu präsentieren?

Moore ist unterhaltsam, keine Frage. Aber es ist nicht unsere Aufgabe seine Qualitäten als Entertainer zu bewerten, sondern sein Handeln als politischer Aktivist. Denn durch seine ungeheure Popularität hat er Einfluss auf das Denken von sehr vielen Menschen. Wenn er etwa behauptet, der schwarze politische Gefangene Mumia Abu-Jamal, der seit Jahren in der Todeszelle sitzt, habe "den Typen wahrscheinlich umgelegt" ist das zweifelsohne ein Rückschlag für die Bewegung, die sich seit Jahren für die Freiheit von Mumia einsetzt. 1997 schrieb Moore übrigens noch: "Ich will, dass Mumia lebt, ich habe deshalb die Petitionen unterzeichnet und Geld für die Zeitungsanzeigen bezahlt."

Organize …

Hoch anzurechnen ist Moore sein beständiges Appellieren an die amerikanischen ArbeiterInnen, sich gewerkschaftlich zu organisieren.. Sehr wichtig in einem Staat, wo lediglich 13% der arbeitenden Bevölkerung Gewerkschaftsmitglieder sind, Gewerkschaften aber von vollen 65% gutgeheißen werden. Diese Statistik zeigt übrigens eindeutig, dass die Behauptung, Menschen würden Gewerkschaften aus politischer GegnerInnenschaft verlassen, bestenfalls ein Traum neoliberaler ChefideologInnen ist.

In "Downsize This", seinem ersten Bestseller (1996) prangert Moore die Machenschaften amerikanischer Großkonzerne an. Ganz gut zeigt der Autor anhand von zahlreichen Beispielen die absurde Logik der Börsenmärkte, d.h. wenn ein Unternehmen seinen Aktienkurs in die Höhe treiben will, werden Beschäftigte entlassen. Aber schon hier offenbaren sich seine naiven Illusionen in eine "freundliche" Marktwirtschaft: "Erinnert ihr euch noch an den Amerikanischen Traum? `Wenn du hart arbeitest und es geht deinem Unternehmen gut, dann geht es auch dir gut`. Dieser Traum ist in Rauch aufgegangen: Heute gilt der Amerikanische Alptraum: `Du arbeitest hart, dem Unternehmen geht es gut – und Du wirst entlassen!" Dass aber genau das das Wesen des Kapitalismus (und damit auch des Amerikanischen Traums) ist, scheint an Moore vorbeigegangen zu sein.

Der Durchbruch

Den Durchbruch erreichte Michael Moore mit dem Film "Bowling for Columbine". Anlass dafür war ein von zwei Schülern angerichtetes Massaker an der Columbine Highschool. Angenehm fällt auf, dass Moore hier nicht nur oberflächlich dokumentiert, sondern auch nach den tieferen Ursachen für Angst und Gewalt sucht.

Beispielsweise muss eine alleinerziehende Mutter dank eines staatlich geförderten Beschäftigungsprogramms täglich stundenlang mit dem Bus zur Arbeit fahren und kann sich folglich nicht ausreichend um ihren sechsjährigen Sohn kümmern, der währenddessen eine Mitschülerin erschießt. Tragische, emotionale Szenen wie diese wechseln sich ab mit satirischem Humor, zusammen ergibt das ein Gesamtkunstwerk, in dem der Regisseur zwar richtige Zusammenhänge darstellt, jedoch nicht die notwendigen Schlüsse daraus zieht.

Noch viel deutlicher wird dieses Fehlen von Schlussfolgerungen in "Stupid White Men". Moore bringt unzählige haarsträubende Daten und Fakten, zeigt Missstände auf und klagt an: 17% der amerikanischen Großkonzerne bezahlen keine Steuern. 44 Millionen AmerikanerInnen können keine Texte auf dem Niveau der vierten Schulklasse lesen. Detroit hat eine höhere Kindersterblichkeitsrate als Libyen. Und so weiter und so fort.

Konsequenzen

Wenn Moore in einem seiner Filme beim Nike-Boss Phil Knight vorspricht, erinnert er ein wenig an die von Marx und Engels kritisierten FrühsozialistInnen (oder auch utopischen SozialistInnen), die glaubten, sie könnten die KapitalistInnen mit guten Argumenten und moralischen Predigten zur Vernunft bringen. Doch jedeR der/die ins Wasser springt weiß, dass er/sie darin nicht wegen der schlechten Argumente gegen das Wasser untergeht, sondern aufgrund objektiver Bedingungen. Und so wie das Ertrinken nicht Folge falscher Ideen über das Wasser ist, so ist das Handeln der Reichen und Mächtigen in unserer Gesellschaft nicht die Folge falscher Vorstellungen, sondern beruht auf den Sachzwängen der kapitalistischen Profitlogik.

Deshalb ist es wichtig das System in allen seinen Zusammenhängen zu verstehen um schließlich eine grundlegende Alternative anbieten zu können. Diese hat Moore nicht. Er ist zwar radikal in seinem Aktionismus, nicht aber in seinen Forderungen. Seine Lösung ist letztendlich doch immer nur die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in Reinform in Kombination mit der "sozialen" Marktwirtschaft. Das ist wohl auch ein Grund, warum der Satiriker Liebkind sämtlicher liberal-bürgerlicher Medien ist. Hofnarren haben dem König noch niemals weh getan.

Allerdings besteht die Hoffnung, dass sich möglichst viele Menschen über ihn politisieren und anfangen, den Kapitalismus grundsätzlich ihn Frage zu stellen. Wir würden diesem Prozess selbstverständlich nicht im Weg stehen.