Von Blöcken und Kurven: Fuߟballfans und Politik

Fußballfans und fortschrittliche Politik? Zwei Begriffe, die nicht gerade viele Menschen miteinander assoziieren. Im Gegenteil, das Bild vom dumpf-nationalistischen, stockbesoffenen Schläger ist allgegenwärtig und wird von den bürgerlichen Medien auch immer wieder gerne heraufbeschworen. Gewalt verkauft sich, Fußballfans die sich nicht gegenseitig die Zähne ausschlagen, sind journalistisch uninteressant – oder etwa doch nicht?

Zugegebenermaßen wird das Klischee leider auch allzu oft bestätigt. Wenn sich etwa Fans von Rapid und der Austria gegenseitig Hasstiraden wie "Judenschweine" oder "FC Jugo" (1) an den Kopf werfen, können antifaschistische StadionbesucherInnen schon einmal verzweifeln. Die Situation ist zwar bei weitem nicht mehr so schlimm wie noch in den Achtzigern, als der bekannte Rechtsextreme Gottfried Küssel im Block West – dem grün-weißen Fansektor – versuchte, Neonazis für seine VAPO zu rekrutieren; fortschrittliche Projekte oder Fangruppen sind in Österreich aber nach wie vor klar in der Minderheit.

Die Masse der Fanklubs gibt vor "unpolitisch" zu sein, wohl um sich nicht mit den Nazis auf der eigenen Tribüne auseinandersetzen zu müssen. Als positive Gegenbeispiele wären hier etwa die "Verrückten Köpfe" aus Innsbruck, die sogenannte "Friedhofstribüne" beim Wiener Sportklub, der Vienna-Fanclub "Coyoten" oder Fans von Blau-Weiß Linz zu nennen. Organisationen, die sich gegen Rassismus, Repression und die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballsports zu Wehr setzen und nicht nur in der Kurve (2) politisch engagiert sind. Dass dies bitter nötig ist, zeigen die aktuellen Erfahrungen.

Der Fußball – traditionell ein Sport der ArbeiterInnenbewegung – wird immer mehr zum perfekt inszenierten Werbe-Spektakel nach angloamerikanischem Vorbild. Doch wie bei so vielen Dingen im Leben geschieht auch hier nichts zufällig, vielmehr machen die neoliberalen Tendenzen auch vor dem Stadion nicht Halt.

Die Vertreibungspolitik des Geldes

Immer öfter werden repressive Maßnahmen gegen kritische Fußballfans mit dem Argument der Sicherheit gerechtfertigt. Als in den 80er Jahren die Katastrophen von Hillsborough, Bradford und Heysel (jeweils mehrere Dutzend Tote durch überfüllte Sektoren und fehlende Fluchtmöglichkeiten) die Sportwelt erschütterten, war ein Anlass gegeben, um den Event Fußballmatch neu zu konzipieren und profitabler zu machen.

Stehplatzsektoren wurden durch Sitzplatztribünen ersetzt, die dadurch entstandenen Kosten durch eine eklatante Erhöhung der Eintrittspreise finanziert. Nicht gerade unerwünscht dürfte der dadurch erfolgte Austausch des Publikums gewesen sein. Singende, oftmals aufsässige StehplatzbesucherInnen mussten zahlungskräftigeren, unkritischen SitzplatzbesucherInnen weichen.

Jahreskarten um 1500 Euro oder mehr, so wie in England, gibt es hier zu Lande zwar noch nicht, vor der totalen Verwertungslogik des Kapitals sind aber auch die österreichischen Fußballplätze nicht gefeit. Eintrittskartenpreise werden erhöht, Stadionverbote erlassen, Fan-Choreographien sowie Spruchbänder verboten und Überwachungskameras installiert.

Bilder von bengalischen Feuern werden zwar nur allzu gern als Untermalung für Werbekampagnen benutzt, deren Verwendung wird den Ultras allerdings untersagt. Während es Fanklubs oft nicht mehr erlaubt ist, die Tribünen mit ihren Transparenten zu schmücken, wird dem Kapital immer mehr Platz eingeräumt um das Stadion mit Werbung zu überfluten.

Stadien als Übungsfeld für Repression

Bei Auswärtsfahrten ist es schon vorgekommen, dass sich sämtliche BusinsassInnen vorbeugend (!) von der Polizei fotografieren lassen mussten. Samt Bekanntgabe der persönlichen Daten, versteht sich. Solche Schritte führen in Deutschland u.a. bereits dazu, dass Fußballfans beim Urlaubsantritt die Einreise am Flughafen verweigert wird, bloß weil diese einmal zufällig in der Nähe eines polizeibekannten Hooligans kontrolliert und dadurch in die berüchtigte Datei "Gewalttäter Sport" eingetragen wurden. Dass derartige Gesetze auch schon gegen linke AktivistInnen, die zu den Demonstrationen nach Salzburg und Genua reisen wollen, angewendet wurden, liegt auf der Hand.

Fußballfans als "Versuchskaninchen" für repressive Maßnahmen, die bald auch in anderen Gesellschaftsbereichen eingeführt werden? Diesen Schluss wollen die meisten Fans noch nicht ziehen.

"Die Kurve gehört uns"

Aber die Fans beginnen sich zu wehren. In Österreich gab es vor 2 Jahren zum ersten Mal eine derartige Initiative. "Die Kurve gehört uns!" nannten VertreterInnen von führenden Fanklubs aller 10 Bundesligavereine ihre Kampagne, mit der sie sich zusammenschlossen und in die Offensive gehen wollten. Zu viel mehr als zu ein paar Spruchbändern und einem bis heute unausgearbeitetem Manifest (pikanterweise lässt die darin versprochene Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus noch immer auf sich warten) hat es leider nicht gereicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Hierbei empfiehlt sich einmal mehr ein Blick über den rot-weiß-roten Tellerrand.

Linke Kurve, rechte Kurve

Während viele österreichische Fans meinen, dass Politik im Stadion nichts verloren hätte, haben die meisten italienischen Ultras (3) ein klares politisches Selbstverständnis. Dem szene-kundigen Fußballfan fällt es nicht schwer, die dortigen Fansektoren in "linke" (Atalanta, Ternana, Livorno, Ancona, …) und "rechte" (Lazio, Inter Milano, Hellas Verona,…) Kurven einzuteilen. Da die italienische Fanklubs zumeist einen doch beträchtlichen Einfluss auf die Geschehnisse im jeweiligen Verein nehmen können, bekommt diese Politisierung zusätzliche Brisanz.

Beispielsweise musste Verona-Präsident Giambattista Pastorello vor 3 Jahren eingestehen, dass er einzig und allein wegen der rassistischen Hellas-Fans den kamerunischen Star Patrick Mboma nicht verpflichten konnte. Nachdem im Fanblock von Lazio bei einem Stadtderby gegen AS Roma ein Spruchband mit den Worten "Auschwitz euer Vaterland, die Öfen eure Häuser" präsentiert wurde, wurden von offizieller Seite Sanktionsmaßnahmen, wie etwa die Spiele unter Publikumsausschluss stattfinden zu lassen, diskutiert. Nicht besonders verwunderlich, weshalb solche Strafen nicht angewandt werden, denn Geld stinkt bekanntlich nicht. Scheinbar nicht einmal dann, wenn es aus braunen Händen kommt. Allerdings würde es verwundern, wenn es in einem Land mit einer verhältnismäßig so starken und selbstbewussten ArbeiterInnenbewegung nicht auch anders ginge.

Das Fanprojekt "Progetto Ultrà" hat sich zur Aufgabe gestellt, durch Zusammenarbeit mit den Fußballfans frem-denfeindlichem und intolerantem Verhalten in- und außerhalb der Fußballstadien entgegenzuwirken und gleichzeitig die Werte der Fankultur zu verteidigen. Alljährlich wird von dieser Initiative die "Mondiali Antirazzisti" veranstaltet, ein antirassistisches Fußballturnier, an dem dieses Jahr 168 Teams – Ultras, Fanprojekte, MigrantInnenorganisationen, antifaschistische Gruppen, usw. – teilnahmen. AnhängerInnen von AS Roma wiederum haben ein sogenanntes "Ultrà-Manifest" verabschiedet. Darin ist unter anderem zu lesen, dass "alle Kurven dieser Welt zusammen halten sollten, um eine mächtige Einheit gegen die Fußball-Fabrik bilden zu können." Ungewöhnliche Töne? Nicht unbedingt!

In Deutschland existieren bereits seit längerem Initiativen von fortschrittlichen AnhängerInnen. Allen voran das Bündnis aktiver Fußballfans, kurz BAFF, welches heuer sein 10-jähriges Bestehen feiert und sich als Reaktion auf die zunehmende Mobilisierung von Rechtsextremen innerhalb der Fankurven bildete. Mittlerweile besteht die Organisation bereits aus rund 150 verschiedenen Institutionen und Einzelmitgliedern und kann auf einige erreichte Ziele zurückblicken. So wurde z.B. ein Neun- Punkte-Plan gegen Rassismus erarbeitet, der an die Vereine übermittelt und bereits von einigen umgesetzt wurde. Außerdem erstellte BAFF einen Forderungskatalog gegen Homophobie und veranstaltete Demonstrationen vor dem Sitz des DFB (Deutscher Fußball Bund) und einer Tagung der UEFA (Europäischer Fußballverband) in Genf. Die Wanderausstellung "Tatort Stadion", welche rassistische Vorfälle rund um den Fußball behandelt, sorgte für großes Aufsehen.

Britische TrotzkistInnen haben 1999 das mittlerweile professionalisierte Netzwerk FARE (Football against Racism in Europe) ins Leben gerufen. FARE enstand im Rahmen der Kampagne YRE (Youth against Racism in Europe), aus deren österreichischen Sektion übrigens die AL hervorgegangen ist (siehe dazu den Artikel "25 Ausgaben Morgenrot").

Reclaim the Game!

Alles in allem haben Bündnisse wie BAFF aber aufgezeigt, wie die bekannte Losung "getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen" erfolgreich in die Tat umgesetzt werden kann. Denn noch immer ist es nicht selbstverständlich, dass Fans die rosarote (oder andersfarbige) Vereinsbrille abnehmen, gemeinsame Interessen erkennen und auch dafür kämpfen. Letztendlich wird die entscheidende Frage sein, ob es aktiven AnhängerInnen wichtiger ist, szeneinterne Grabenkämpfe auszutragen, oder lieber vereint gegen Rassismus und Angriffe auf die Fankultur in den Stadien aufzutreten.

Klar ist, dass das Fußballstadion auch weiterhin nicht unbedingt ein Hort der Fortschrittlichkeit sein wird, sondern vielmehr ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellt. Es liegt an uns allen, diese Gesellschaft zu verändern! Fortschrittlich denkende Menschen – auch solche, die mit Fußball nichts am Hut haben – sollten also nicht auf die Propaganda der bürgerlichen Medien hereinfallen, sondern begreifen, dass Repression und Angriffe auf soziale Freiräume, zum Zwecke der profitbringenden Umgestaltung der Gesellschaft, letztendlich uns alle treffen können und auch werden. Es sei denn, wir wehren uns.

Fußnoten:

1) Hierbei ließen sich rechte Dumpfbacken durch historische Gegebenheiten inspirieren: Austria Wien beschäftigte in der Zwischenkriegszeit zahlreiche jüdische Spieler und Funktionäre, wohingegen der SK Rapid in den letzten Jahrzehnten viele jugoslawische Fußballer unter Vertrag hatte.

2) Kurve: So werden die Tribünen auf der Breitseite des Spielfelds, also direkt hinter den Toren, genannt. Für gewöhnlich sind dort die fanatischsten AnhängerInnen anzutreffen.

3) Ultras: Organisierte, besonders enthusiastische Fans, die erstmals vor rund 35 Jahren in Italien versucht haben – im Gegensatz zu den britischen Anhängern – im Stadion auch optisch, mittels Pyrotechnik, Zettelchoreogra-phien oder Riesenfahnen, auf sich aufmerksam zu machen. Mittlerweile wird die Fanszene in Deutschland, Österreich, Frankreich und allen südeuropäischen Ländern von Ultrà-orientierten Fanklubs dominiert.