Antiamerikanismus: Fortschritt oder Nationalismus im linken Gewand?

Spätestens seit dem Irak-Krieg fühlen sich viele in "Good old Europe" den "Amis" wieder überlegen. Bücher wie Michael Moores "Stupid white men" stehen oben auf den Bestsellerlisten, Aufrufe, amerikanische Unternehmen zu boykottieren, sind im Umlauf. Wir wollen hinter dieses Phänomen blicken, seine mögliche Berechtigung und seine potentiellen Gefahren analysieren.

Antiamerikanismus kann durchaus Ausdruck einer richtigen Opposition gegen den Imperialismus an sich sein. Genauso sehen ihn auch viele, sei es in Europa, in Lateinamerika oder in der arabischen Welt. Doch grundsätzlich ist das Denken in Nationen und Völkern niemals etwas positives, das Unterstützung verdient.

Alles Trottel?

Das Bild vieler fortschrittlicher EuropäerInnen über die US-Bevölkerung ist klar: der Präsident ein Idiot (was stimmen mag), die Bevölkerung fahnenschwingend, rassistisch, hinterwäldlerisch, kulturlos (was für Teile der US-Bevölkerung ebenfalls stimmen mag). Entscheidend ist jedoch die Verallgemeinerung, die sich in ihrer Pauschalität nicht wesentlich von plumpen Rassismus unterscheidet.

Vor allem muss die europäische Linke aufpassen, nicht in zwei gefährliche Fallen zu tappen: Zum einen hat der Antiamerikanismus gerade in der deutschsprachigen Bevölkerung sehr wohl auch ein reaktionäres Element, das auf die "Niederlage" im zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist. Kein Zufall zumindest, dass die burschenschaftlich-dominierte Wiener FPÖ einen Friedensmarsch gegen den Irak-Krieg organisiert hat und fast die gesamte österreichische und deutsche Naziszene gegen den Krieg mobil gemacht hat.

Zum anderen muss die Linke aufpassen, nicht zur nützlichen Idiotin des EU-Imperialismus zu werden, wenn sich dieser einmal in Opposition zu seinem US-Zwilling begibt. Wenn etwa auf spanischen Anti-Kriegs-Demos von SozialdemokratInnen ein Transparent mit der Aufschrift "Danke Gerhard" mitgetragen wurde, und damit Deutschlands Kanzler Schröder für seine angebliche Anti-Kriegs-Haltung gelobt wird, sollten die Alarmglocken läuten. Auch der im deutschen "Spiegel" veröffentliche Ge-heimplan von Schröder und Frankreichs Jaques Chirac zeigte sehr deutlich, woher der Wind tatsächlich wehte: eine Besetzung des Iraks durch UN-Truppen war durchaus im Sinn der angeblichen KämpferInnen gegen den Krieg. Tatsächlich waren ihre spezifischen Interessen schlicht durch einen Alleingang der USA bedroht (mehr dazu: "Es kann nur einer gewinnen …" in: MR 23, zu finden unter www.sozialismus.at).

Und das die EU nicht grundsätzlich friedensliebend ist, beweist etwa BRD-Bundesverteidigungsminister Struck. Er spricht davon, dass sich die Bundeswehr "von der Landesverteidigung hin zu einer territorial unabhängigen Krisenbewältigung" verändern muss. Für alle Begriffsstutzigen erklärte Struck bereits Anfang Dezember 2002: "Die Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt." Allgemein gilt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. In Afghanistan etwa sind mittlerweile kaum mehr US-Truppen stationiert, die Führung der internationalen Truppe hat nunmehr Deutschland übernommen.

Statt also den Ewiggestrigen oder dem EU-Imperialismus auf den Leim zu gehen, sollten wir eigenständige Positionen entwickeln. Einerseits muss die Linke betonen, dass nicht alle Nationalismen in einen Topf zu werfen sind (mehr dazu im Kasten auf Seite 9). Dabei sollte aber klargemacht werden, dass auch der angeblich "fortschrittliche" Antiamerikanismus die Welt in Nationen und nicht in Klassen mit unterschiedlichen Interessen aufteilt.

Andererseits muss herausgestrichen werden, dass die US-Bevölkerung differenziert betrachtet werden muss. Schließlich ist die amerikanische arbeitende Bevölkerung natürliche Bündnispartnerin in jedem Kampf gegen den US-Imperialismus. Das dies nicht völlig absurd ist, zeigen auch die durchaus kämpferischen Traditionen der US-ArbeiterInnenklasse. So wurde der Vietnamkrieg wesentlich durch die Zersetzung der US-Armee und die amerikanische Antikriegsbewegung gestoppt (mehr dazu in MR 23, zu finden unter www.sozialismus.at).

Doch auch die Gegenwart gibt Bezugspunke: So hat die weltweite Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung im US-amerikanischen Seattle ihren Ausgang genommen (und an den Demos waren auch zehntausende ArbeiterInnen beteiligt). Einige der größten Demonstrationen gegen den Krieg fanden in den USA selbst statt.

Schlussendlich darf jede (notwendige) Auseinandersetzung mit dem US-Imperialismus, immerhin der Leitmacht auf diesem Planeten, nicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Imperialismus verhindern. Die Worte des Antimilitaristen und Revolutionärs Karl Liebknecht, der 1919 auf Befehl der deutschen Sozialdemokratie ermordet wurde, sind weiterhin gültig: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land"

Nationalismus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Trotz unserer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Nationalismus unterscheiden wir zwischen verschiedenen Nationalismen. Der Nationalismus von Menschen in den USA gegenüber AraberInnen oder "Latinos" ist anders zu bewerten als der Antiamerikanismus von Menschen im Irak oder Syrien.

Es ist ebenfalls offensichtlich, dass zwischen dem Nationalismus von ÖsterreicherInnen, die der Mehrheitsbevölkerung angehören und nationalistische/rassistische Vorurteile haben und Menschen aus einer Zuwanderertradition, die sich in Reaktion darauf positiv auf das eigene "Vaterland" beziehen, ein Unterschied besteht. Das eine ist der Rassismus aus der Mehrheit, der die eigene Überlegenheit betont, das andere die Reaktion auf diese Ablehnung.

Dennoch ist auch dieser Nationalismus gefährlich, treibt er die Menschen doch zu rassistischen oder faschistischen Parteien. Ein Beispiel ist die wachsende Unterstützung für die faschistische MHP unter türkischen Jugendlichen in Österreich. Ebenso zu nennen wäre die antisemitische und frauenverachtende "Nation of Islam" von Luis Farrakhan in den USA, die unter Schwarzen eine gewisse Verankerung hat. Sie war als rechte Gegenbewegung eine Reaktion auf den Niedergang der linken Black Panther Party (mehr dazu in MR 20, 21 und 22, zu finden in der Rubrik Zeitung).