Bilanz der NR-Wahl in Österreich

Das Wahlergebnis vom 24. November 2002 ist eine Niederlage für die gesamte österreichische Arbeiter/innen/bewegung. Keine katastrophale Niederlage, aber doch eine deutliche Niederlage. Der rechte Bürgerblock hat zwar insgesamt leicht verloren, aber erstmals seit 1970 ist es der ÖVP gelungen, bei Wahlen die stärkste politische Kraft zu werden. Mit 42,27% der Wähler/innen/stimmen gegenüber 36,90% für die Sozialdemokratie konnte sie massiv Stimmen der von 26,9 auf 10, % erodierten FPÖ für sich gewinnen. Die Grünen konnten mit einem Plus von 1,6% und 9% der Wähler/innen/stimmen auch diesmal die FPÖ nicht vom dritten Platz der Parlamentsparteien verdrängen. Unser Mitleid mit der trotz eines leichten Zugewinns geschlagenen SPÖ hält sich in Grenzen. Der "Erdrutschsieg" Schüssels ist nicht zuletzt ihr zuzuschreiben.

Bereits seit dem Zustandekommen der Wenderegierung im Februar 2000 hat die SPÖ alles getan – oder besser: nicht getan – , um die schwarz-blaue Kapitalist/inn/enregierung am Leben zu halten. Während FPÖVP ihr neoliberales Umbaukonzept trotz aller Pannen durchziehen konnten, wechselte die Position der Sozialdemokratie von Paralyse über anbiedern und "konstruktiver Kritik" (siehe "nationaler Schulterschluss", Sozialpartnergipfel etc.) bis hin zur Übernahme wesentlicher Leitmotive der Regierungspolitik (Nulldefizit) im Wahlkampf.

Die wachsende Empörung der Arbeiter/innen über die asoziale Politik des schwarz-blauen Gesindels verpuffte in der pseudodemokratischen ÖGB-Urabstimmung, die keinerlei Konsequenzen in den Betrieben hatte. "Dampf ablassen, Ruhigstellen, weiterschauen" – das war die Strategie der SP-Bürokratie.

An den Unis bildete sich eine buntscheckige Volksfront gegen militante Kampfaktionen der Student/inn/en gegen Studiengebühren und Privatisierung der Hochschulen – VSStÖ, KSV, Grüne und Basisgruppen kanalisierten und erstickten die Proteste und Streikansätze in plattestem Elektoralismus, um als "linke ÖH-Mehrheit" tatenlos der Zerschlagung der universitären Ausbildung zuzusehen.

Eine vollständige Bankrotterklärung der rechten SP-Führung war die gemeinsame Pressekonferenz von Parteivorsitzendem Gusenbauer und Ex-Finanzminister und Großkapitalisten Hannes Androsch, bei der letzterer von "notwendigen schmerzlichen Sparmaßnahmen" und neuen Belastungspaketen schwadronierte, ohne dass "Gusi" ein Wort des Widerspruchs über die Lippen brachte.

Genau dieses permanente Zurückweichen von SPÖ und ÖGB und die daraus resultierende Lähmung der Arbeiter/innen, Angestellten, Student/inn/en, die keinen spontanen breiteren Widerstand leisten konnten, ließen der Bourgeoisie und ihrer traditionellen Partei, der ÖVP, den Kamm schwellen.

Die FPÖ wurde in ihrer neuen Rolle als "staatstragende Partei" zusehends zerrieben. Während der neoliberale "Wirtschaftsflügel" – der Klüngel um Prinzhorn und dessen männliche Barbiepuppe "Ken" Grasser – die harten Schnitte setzte, welche die ÖVP aus taktischen Gründen lieber anderen überließ, blätterte der Lack der Partei des "Kleinen Mannes" zusehends ab. Zudem musste eine Partei, die Minister/innen stellte, Zweifel an ihrer politischen Zurechnungsfähigkeit auslösen, wenn sie sich einem der klarsten Ziele der heimischen Kapitalist/inn/enklasse, nämlich der EU-Osterweiterung, entgegenstemmte. Die Implosion der FPÖ bot der ÖVP und Kanzler Wolfgang Schüssel die willkommene Gelegenheit, zum Schlag gegen die "Rüpel" in der FPÖ und die "Proleten" der SPÖ gleichermaßen auszuholen.

Bereits die ersten Reaktionen der österreichischen Topkapitalist/inn/envertreter Leitl und Mitterbauer (Wirtschaftskammer und

Industriellenvereinigung) zeigen, dass der herrschenden Klasse sehr viel daran gelegen ist, die SPÖ in eine Regierung unter offen bürgerlicher Führung einzubinden, um drohenden Widerstand gegen Sozialabbau, Deregulierung, Flexibilisierung und breite Angriffe gegen das öffentliche Bildungswesen, das Sozialversicherungswesen und die Krankenversorgung von Haus aus im Keim zu ersticken. Auch die EU-Osterweiterung soll so gemütlicher über die Bühne gehen.

Nach wie vor ist die SPÖ die politische Kraft in Österreich, in der sich die Arbeiter/innen, Angestellten und anderen lohnabhängigen Schichten wieder erkennen. Wir haben wiederholt auf den Charakter der bürgerlichen Arbeiter/innen/partei SPÖ hingewiesen und wiederholen die Argumentation hier daher nicht. Genau dieses besondere Verhältnis zwischen Proletariat und SPÖ macht ja die SP für das Kapital so wertvoll: Nur mit ihrer Hilfe kann sie ihre Pläne durchsetzen, ohne auf relevanten Widerstand zu stoßen.

En passant – das Wahlergebnis hat endgültig das dumme Gerede der bürgerlichen Journaille von der FPÖ als der "neuen Arbeiter/innen/partei" widerlegt. Der Wechsel hunderttausender FPÖ-Wähler/innen zur ÖVP macht klar, dass die FPÖ eine stinknormale, rechte bürgerliche Partei war und ist und mit ihrem tiefen Hass gegen alles "Rote" Fleisch vom Fleische der herrschenden Klasse ist.

Dass die FPÖ in den vergangenen Jahren erfolgreich im proletarischen Milieu fischen konnte, ist nicht zuletzt eine der Auswirkungen der von der Sozialdemokratie systematisch betriebenen Entpolitisierung, ihrer Verknöcherung und saturierten Integration in den bürgerlichen Staatsapparat, der von ihr gepredigten Sozialpartnerschaftsideologie und ihres Patriotismus, der auch diesmal an der Wiege eines Regierungseintritts stehen könnte.

Unsere Aufgabe kann es nicht sein, uns den Kopf der Sozialdemokratie zu zerbrechen. Trotzdem müssen wir in den nächsten Tagen und Wochen all jene, die SPÖ gewählt haben, weil sie sich von dieser Partei "eine andere Politik" erwartet haben, vor dem zu erwartenden nächsten "Umfaller" ihrer Führer/innen warnen. Denn es ist durchaus möglich, dass der Parteivorstand der SPÖ nach einigen Wochen hinhaltenden Widerstandes und empörter verbaler Proteste letztlich mit dem Argument des Österreichpatriotismus gemeinsame Sache mit der ÖVP machen wird. "Wir müssen den Standort Österreich sichern", "Das Wohl des Staates geht über das Wohl der Partei", "Die EU-Erweiterung ist eine Herausforderung, der sich alle verantwortungsbewussten Österreicher/innen gemeinsam stellen müssen" – so oder ähnlich werden die Argumente für den Kniefall vor Schüssel und Konsorten klingen, "entschärft" durch zahnlose Versprechen, in der Regierung eine "Kontrollfunktion" auszuüben und die "schlimmsten sozialen Angriffe abfedern" zu wollen.

Egal, welche Regierung in den kommenden Wochen angelobt werden wird – die österreichischen Arbeiter/inn/en und die Jugend müssen sich auf brutale Angriffe seitens der herrschenden Klasse vorbereiten, die ihren Siegestaumel nutzen wird, um ihren "Umbau" so zügig wie möglich fortzusetzen. Wir haben weder in die SPÖ- noch in die ÖGB-Führung das geringste Vertrauen – sie werden den notwendigen Widerstand nicht organisieren.

Auch wenn sich innerhalb von SP- und Gewerkschaftsbürokratie Risse zeigen und wenn Gewerkschafter/innen wie Sallmutter oder Nürnberger gegen die asozialen Maßnahmen von FPÖVP polemisieren, so sind all die bürokratischen Fraktionen nicht zu einem konsequenten Kampf bereit. Deshalb muss jede Widerstandsaktion gegen die neoliberale Offensive der neuen Regierung, wie immer sie auch zusammengesetzt sein wird, ein Baustein sein im Kampf um eine neue, revolutionäre Arbeiterpartei, eine Klassenführung, die der alten Losung der Arbeiter/innen/bewegung treu ist: "Die Befreiung der Arbeiter/innen kann nur das Werk der Arbeiter/innen selbst sein"!