Am 19. Mai 2002 beendete die UNO die Übergangsverwaltung in Osttimor, nachdem das Land 450 Jahre portugiesische Kolonie und 24 Jahre von der indonesischen Armee besetzt war. Der heutigen Unabhängigkeit ging ein jahrzehntelanger Kampf gegen diese Armee voraus.
Im 16. Jahrhundert wurde Timor zwischen Portugal und den Niederlanden aufgeteilt. 1702 wurde Osttimor offiziell portugiesische Kolonie und entwickelte sich unabhängig vom Westen Timors. Nachdem 1942 ganz Timor von Japan besetzt wurde, ging nach dem Ende der Besatzung 1949 der Westteil der Insel an Indonesien. Osttimor blieb weiterhin portugiesische Kolonie.
Revolution der Nelken
1974 wurde in Portugal die Salazar-Diktatur durch die Nelkenrevolution gestürzt. Die neue linke Regierung entließ alle Kolonien in die Unabhängigkeit. Im Zuge der Revolution in Portugal 1974 entwickelten sich auch in allen portugiesischen Kolonien linke Parteien. In Osttimor bildete sich die Fretilin (Frente Revolucionara do Timor Leste Independenta), welche die Macht übernahm und am 28.11.1975 die demokratische Republik Osttimor ausrief. Nur wenige Tage später, am 07.12., marschierte die indonesische Armee ein und annektierte mit dem Argument, Timor vereinigen zu wollen, den Ostteil der Insel. In den folgenden Jahren tötete die indonesische Armee ein Drittel der OsttimoresInnen, rund 200.000 Menschen, um ihre nationalistischen Ziele zu verwirklichen.
Internationale Reaktionen
Der damalige US-Präsident Ford und der US-Aussenminister Kissinger stimmten dieser Invasion zu, da die Unabhängigkeit Osttimors auf die anderen Unabhängigkeitsbewegungen in Indonesien positive Auswirkungen gehabt hätte, was zu einer Destabilisierung des Landes geführt hätte. Dass die USA bereit waren, diese Stabilität des strategisch wichtigen Landes um jeden Preis zu schützen, bewiesen sie bereits 1965/66. Damals wurden in einem US-unterstützten Putsch des Generals Suharto der Präsident Sukarno gestürzt, in den folgenden Monaten wurden weit über eine Million (!) Menschen, vor allem SympathisantInnen der Kommunistischen Partei (die PKI war eine der größten kommunistischen Parteien weltweit) und der Gewerkschaften umgebracht.
Widerstand
Der militärische Arm der Fretilin, die Falantil, nahm den bewaffneten Kampf gegen die Besatzung auf, wobei bereits vier Jahre später, 1979, fast die gesamte Leitung umgebracht und die Struktur zerschlagen wurde. Der heutige osttimoresische Präsident, Alexandre "Xanan" Gusmao, war einer der wenigen Überlebenden. Er organisierte ab 1979 den Widerstand erneut, allerdings als kleinräumig agierende Guerilla. Sie fand Unterstützung in Dörfern wie auch in der Hauptstadt Dili. Bis zum Abzug der Armee ist es dieser nicht wieder gelungen diese Struktur zu zerschlagen oder die Guerilla zu besiegen. 1998 wurden die KämpferInnen der Falantil auf 2.000 geschätzt.
Alexandre "Xanan" Gusmao
Gusmao selbst wurde nach zehn Jahren Kampf in den Bergen 1992 bei einer Operation des indonesischen Geheimdienstes Intel festgenommen. Er wurde psychischer Folter (z.B.: Schlafentzug) unterzogen, doch konnte durch die Intervention US-amerikanischer und europäischer Abgeordneter die physische Folter verhindert werden. Er wurde nach mehrmaligen Gefängnisverlegungen zum Tod verurteilt. Durch internationale Proteste wurde die Strafe auf 20 Jahre Gefängnis herabgesetzt. Im Gefängnis unterhielt Gusmao diplomatische Kontakte, Botschafter besuchten ihn. Unter anderem verhandelte er von der Zelle aus mit der australischen Regierung über die Anerkennung Osttimors.
Nicht nur Gusmao, auch andere Mitglieder der heutigen Regierung waren im Widerstand tätig und erfreuen sich daher einer großen Beliebtheit in der Bevölkerung. Jose Ramos Horta organisierte über 20 Jahre die Auslandsvertretung Osttimors nach der indonesischen Invasion. Er hielt Kontakt zu Solidaritätsgruppen und trat mit Regierungen und UNO in Gespräche ein. Durch diese Tätigkeit schaffte er es, dass Osttimor nicht aus den Medien verschwand.
Fernando de Araujo, der heutige Vize-Aussenminister, wurde für seine Tätigkeit im Widerstand von der Besatzung zu neun Jahren Haft verurteilt. Er leitete jahrelang an Menschenrechtsorganisationen Informationen über Verbrechen der indonesischen Armee weiter und erhielt auch Preise für diese Tätigkeit. Die Unabhängigkeitsbewegung bekam 1997/98 durch die Wirtschafts- und Währungskrise, welche in Indonesien eine revolutionäre Situation auslöste und die Diktatur stürzte, neuen Aufwind. Im März 1998 wurden Regierungsgebäude von StudentInnen besetzt. Ziel war es, über die Unabhängigkeit Osttimors neu zu verhandeln und die Freilassung von Gusmao zu erzwingen.
Unabhängigkeitsreferendum
Am 27. August 1999 fand schließlich ein Referendum in Osttimor statt. 78,5% der OsttimoresInnen entschieden sich für die Unabhängigkeit. Daraufhin begann eine pro-indonesische Miliz, Aitarak, erneut massiv zu morden. Dies löste die Massenflucht von 250.000 OsttimoresInnen aus. Menschenrechtsverletzungen beging diese Miliz vor allem auch in den Flüchtlingslagern Westtimors. Diese Miliz wurde von Eurico Guterres geleitet, der nun wegen Menschenrechtsverletzungen steckbrieflich gesucht wird. Noch heute leben 60.000 OsttimoresInnen die damals geflüchtet sind, in Westtimor.
Am 15.9.1999 beschloss die UNO nach über 20 Jahren des Nichtstuns, eine Friedenstruppe unter dem Vorsitz Australiens zu entsenden. Dies löste zurecht massive Kritik aus, da Australien eng mit der indonesischen Diktatur zusammengearbeitet hat und die "Aitarak"-Miliz (mit-)ausgebildet hat. Offensichtliches Ziel ist es, Australien als örtliche imperialistische Ordnungsmacht, stellvertretend für die USA, zu installieren.
Am Beispiel Osttimors ist sehr gut zu beobachten, wie die UNO handelt. Als Zusammenschluss von (kapitalistischen) Ländern agiert sie natürlich auch dementsprechend. Während in anderen Regionen der Erde ein Land, das ein anderes besetzt, selbst bombardiert wird, wie dies die UNO-unterstützte USA zum Beispiel im Irak/Kuwait Konflikt getan hat, hat die UNO beim Überfall Indonesiens auf Osttimor 24 Jahre zugesehen. Grund für die jahrelange Nichtintervention der UNO ist die bereits seit dem Militärputsch in den 60ern sehr enge Verbindung Indonesiens mit den USA. Die Unabhängigkeit Osttimors ist natürlich auch eine Gefahr für die Stabilität Indonesiens und der gesamten Region, da es in anderen Teilen Indonesiens zu einem Aufflammen anderer Unabhängigkeitsbewegungen kommen könnte, woran die westliche Welt kein Interesse hat.
UNO beendet Übergangsverwaltung
An der Unabhängigkeitsfeier am 19.05. 2002 nahmen 100.000 der 740.000 OsttimoresInnen teil. Es wurde gefeiert, aber auch der vielen Toten gedacht. James Wolfensohn, Präsident der Weltbank, wurde bei der Feier mit Sprüchen wie "Keine IWF- und Weltbankkolonialisierung Osttimors" empfangen. DemonstrantInnen verlangten von Gusmao eine offizielle Solidarisierung mit West-Papua (Neuguinea) und Aceh (Sumatra), welche noch immer von Indonesien besetzt sind. Im benachbarten Australien gab es vor dem Handelszentrum eine Demonstration mit dem Motto "Australien, hör auf, Osttimors Öl zu stehlen". Gleichzeitig dürfte hier aber auch die Fretilin, die insgesamt eher bürgerlich-nationalistisch als links zu definieren ist, keine große Hilfe sein.
Auf einem Kongress in der Nähe von Lissabon im Jahr 1998 wurde eine gemeinsame Organisation von Fretilin und einer zweiten Gruppen, der UDT, gegründet. Eine der ersten Resolutionen dieser neuen Organisation, der CNRT, versprach, dass ein osttimoresischer Staat Ölkonzernen und anderen Investoren ein "sichereres und berechenbareres Umfeld zu Gunsten der Anleger" bieten würde.
In Osttimor stellen sich heute zwei Hauptprobleme. Zum Einen muss die Vergangenheit, in der ein Drittel der osttimoresischen Bevölkerung von der indonesischen Armee umgebracht wurde, bewältigt werden, kann doch davon ausgegangen werden dass in jeder Familie Opfer zu beklagen waren. Zum Anderen soll der Staat, der einer der zwanzig ärmsten der Welt ist, im kapitalistischen Sinne aufgebaut werden. Wirtschaftspolitisch ist Osttimor von anderen Ländern völlig abhängig. Die einzige Einnahmequelle für das kleine Land sind die Erdgas- und Erdölvorkommen in der Region.
Verbrechen aufklären!
Aber auch die Verbrechen während der indonesischen Besatzung aufzuklären, stellt sich als schwierige Herausforderung dar, zusätzlich verschärft durch die reale Gefahr, dass Indonesien die Miliz "Aitarak" neu organisieren könnte. Es befinden sich auch noch immer führende Milizangehörige in Indonesien auf freiem Fuß, Indonesien verweigert die Untersuchung der Vorfälle ebenso wie die Auslieferung der VerbrecherInnen. Diese Tatsache begründet sich darauf, dass jeder Soldat, der in der Militärhierachie aufsteigen wollte, einen Osttimoreinsatz mitmachen musste, aber auch darauf, dass die Staatspräsidentin Mega-wati Sukarnoputri (Tochter des ersten Staatspräsidenten Sukarno) nationalistisch denkt und in der Folge dieses Gedankengutes der militärischen Bereinigung von ethnischen Konflikten zustimmte. Ihr Mann Taufik Kiemas war führend am Aufbau der pro-indonesischen Miliz beteiligt. Mit diesem Hintergrund ist ihre Bitte um Vergebung für Menschenrechtsverletzungen bei der Unabhängigkeitsfeier wohl eher als "freundliche Geste" zu verstehen als als ernstgemeintes Anliegen.