ߜber die Organisation von Demonstrationen

Wenn jemand heute in Österreich mit einem Gewehr auf eine Demonstration kommt, würden wir ihn fragen, ob er/sie verrückt geworden ist oder wären der Meinung, es handle sich um einen Polizeispitzel. In jedem Fall würden wir versuchen, diese Person von der Demonstration auszuschließen…

Wenn jemand das Gleiche im Jahr 1918 getan hätte, hätte er/sie möglicherweise ein Flugblatt in der Tasche gehabt, in dem die damaligen MarxistInnen ihn/sie dazu aufrufen, sein/ihr Gewehr nicht zu vergessen. Die Frage des Auftretens auf Demonstrationen und darüber hinaus ist also immer eine Frage der gesellschaftlichen Situation.

In der heutigen Situation stellt sich vor allem die Frage, das Bewusstsein in der Bevölkerung und unter ihren fortschrittlichen Schichten zu heben. Das Niveau der Eskalation immer mehr zu steigern, an der "Gewaltschraube zu drehen" ist dabei nicht sinnvoll. Im Gegenteil, genau daran ist der Staat interessiert, denn eine entpolitisierte und daher rein militärische Auseinandersetzung wird er gewinnen.

Die Stärke der Linken ist die Stärke ihrer Ideen und deren Verankerung in der Bevölkerung. Die Auseinandersetzung wird politisch, nicht militärisch entschieden. Sogar vordergründig militärische Auseinandersetzungen sind oft von politischen Faktoren abhängig. So konnte die junge Sowjetunion der Kampf gegen 21 ausländische Armeen im Krieg von 1918-1921 nur deshalb gewinnen, weil relevante Teile der westlichen ArbeiterInnen auf ihrer Seite standen, das Kapital ein Übergreifen der Bewegung auf andere Länder fürchten mußte und daher nicht fähig war, alle notwendigen Kräfte zu mobilisieren.

Aber natürlich muss die Linke auch heute in der Lage sein, ihre Demonstrationen, ihre Veranstaltungen und ihre Strukturen zu schützen und darf dabei nicht auf den bürgerlichen Staat vertrauen. Dazu sind gut organisierte OrdnerInnengruppen notwendig. Doch wird es in der momentanen politischen Lage in den meisten Fällen, gerade bei Demonstrationen, nicht sinnvoll sein, wenn diese über Selbstverteidigung hinausgehende politische Aktionen setzen. Das Messer ist zweischneidig. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Anti-Nazi-Demo am 8.5.02 wäre ohne die Auseinandersetzungen auf der ersten Demo am 13.04.02 wohl kaum in diesem Ausmaß gegeben gewesen.

Doch muss immer diskutiert werden, bis zu welchem Zeitpunkt der Konflikt nützlich ist. Am 13.4. war das erste Wegziehen der Polizeiabsperrung ein richtiger Akt, weil er den grundsätzlichen Ansatz der Demonstration verdeutlicht und das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt hat. Die nachfolgenden Auseinandersetzungen verstehen wir als berechtigte Wut vieler, vor allem junger, AntifaschistInnen, glauben aber, dass sie noch zu einem Zeitpunkt fortgesetzt wurden, wo aufgrund der Stärke der Polizeikontingente keinerlei Aussicht auf Erfolg gegeben war. Gleichzeitig waren sie aber für die bürgerliche Presse in ihrer Diffamierung der radikalen Linken sehr nützlich, wobei natürlich festzuhalten bleibt, dass die radikale Linke, will sie ernsthaft bleiben, ihre Aktionsformen nach einer politischen Analyse und nicht nach dem Schielen auf die bürgerliche Presse bestimmen muss.

Nach der darauffolgenden Demonstration am 8.5. wurden große Teile der radikalen Linken (vor allem die AL), dafür kritisiert, dass sie mit einer gemeinsamen Demoleitung, einem gemeinsamen OrdnerInnendienst und gemeinsamen Strukturen agiert hätten, die eine Auseinandersetzung mit der Polizei verhindert hätten. Natürlich muss allen AntifaschistInnen das Herz bluten, wenn sie sehen, wie hunderte Burschenschafter in Sichtweite vorbeiziehen und keine Gegenaktionen gesetzt werden. Doch auch diese Frage bewerten wir nicht emotional, sondern analysieren sie. Und da stellt sich die Frage der politischen (und auch militärischen) Sinnhaftigkeit, mit 5 bis 6.000 großteils unerfahrenen (und zu einem Gutteil nicht an einer Auseinandersetzung interessierten) DemonstrantInnen den Konflikt mit 2.000 hochgerüsteten PolizistInnen zu suchen.

Was erreicht wurde, ist in weiten Teilen der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die meisten "nationalen" Burschenschaften rechtsextrem bzw. faschistisch sind und wichtige Verbindungen in die FPÖ haben. Dieses Bewusstsein ist der bleibende Erfolg des 8.5. Und noch ein weiterer Erfolg bleibt: es wurde ein erster Schritt dazu getan, innerhalb der Bewegung gewisse Traditionen zu etablieren. Es ist notwendig, zu verstehen, dass gegen gut organisierte staatliche Strukturen ebenso gut organisierte Strukturen der radikalen Linken notwendig sind.

Ähnliche Fragen stellen sich für die Demonstration gegen das WEF-Treffen am 15.9. Was wollen wir erreichen? Was brauchen wir dazu? Wie wollen wir uns organisieren? Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Wir wollen, dass das WEF-Treffen nicht mehr stattfinden kann. Die zweite Frage ist etwas komplexer. Wir wollen erreichen, dass das Bewusstsein in fortgeschrittenen Schichten der Bevölkerung dahin geht, dass das WEF-Treffen nicht ihren Interessen dient und dass sie daher aktiv werden sollten. Wenn es uns gelingt, dieses Bewusstsein zu schaffen, sind wir bereits einen großen Schritt weiter.

Den Kampf, etwa durch Anschläge, auf eine militärische Ebene zu verlagern, würde dieser Entwicklung hinderlich sein. Die dritte Frage ist ebenso komplex. Wir organisieren uns so, dass wir unsere Demonstration nicht Übergriffen ausliefern, aber wir wollen auch nicht in die Fallen tappen, die die Polizei zweifellos für uns aufstellen wird. Für die weitergehende Organisierung schlagen wir die Mitarbeit in einer marxistische Organisation, zum Beispiel in der AL, vor.