In der Bewegung gegen den Krieg des US-Imperialismus finden sich mehr oder weniger starke antiamerikanische Tendenzen – in arabischen Ländern oder in Lateinamerika ebenso wie in Südeuropa oder Deutschland. Da ist teilweise von "den Amerikanern" die Rede, die der Welt ihre Herrschaft aufzwingen wollen. Damit einher geht oft auch ein elitäres Bild einer kulturlosen, ignoranten und Hamburger-fressenden US-Bevölkerung, die sich von einem ungebildeten Provinzler als Präsidenten zu einer Masse von patriotischen fähnchenschwingenden Deppen manipulieren haben lassen.
Solche Bilder treffen wohl auf einen Teil der US-Gesellschaft zu. Auch ist ein antiarabischer oder ein anti-Latino-Rassismus in den USA anders zu bewerten als ein antiamerikanischer Nationalismus von Unterdrückten in halbkolonialen Ländern. Trotzdem muss der Antiamerikanismus von Marxist/inn/en aufs Schärfste bekämpft werden, denn im Kern denkt er – wie jeder Nationalismus – in den Kategorien von Nationen, die gut oder schlecht, "fortschrittlich" oder "reaktionär" seien, und nicht in Klassen. Vorurteile gegen "die Amerikaner" sind nicht dasselbe wie gegen "die Araber", trotzdem bewegen sich auch erstere auf einer oberflächlichen und falschen Ebene und erkennen nicht das Wesen der imperialistischen Klassengesellschaft.
Die westeuropäische Linke muss gegenüber antiamerikanischen Tendenzen sehr wachsam sein, denn hier besteht die Gefahr, dass solche Strömungen sich (eventuell unbeabsichtigt) zu "nützlichen Idioten" des EU-Imperialismus machen – gerade dann, wenn sich wie zuletzt Teile der europäischen Kapitalist/inn/enklasse pazifistisch geben, dabei aber nur ihre eigenen imperialistischen Interessen bemänteln. Auch wenn die USA heute unbestreitbar die imperialistische Hegemonialmacht sind und wenn sich die Antikriegsbewegung unmittelbar vor allem gegen die US-geführte Aggression in der Golfregion richten muss, so steht auch für uns europäische Marxist/inn/en insgesamt der Hauptfeind immer noch im eigenen Land. Wie die Versuche von Rechtsextremisten, sich mit einer antiamerikanischen Stossrichtung und traditionellen linken Parolen (zB. USA-Völkermordzentraaale!) in linke Antikriegsdemos zu mischen, zeigen, muss besonders die deutschsprachige Linke hier ganz eindeutig Position beziehen. In Deutschland und Österreich gibt es nämlich die zusätzliche Gefahr, dass deutschnationale Kräfte antiamerikanische Tendenzen zur Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus instrumentalisieren.
Für Marxist/inn/en besteht die Aufgabe in der Antikriegsbewegung im Eintreten für eine antiimperialistische Orientierung und auch in der Bekämpfung von antiamerikanischen Tendenzen, im Suchen einer Zusammenarbeit mit der Antikriegsbewegung in den USA. Wir müssen immer wieder betonen, dass die reaktionäre Politik der USA in Zentralasien, im Persischen Golf, am Balkan oder in Lateinamerika die der herrschenden Klasse ist, dass der Großteil der US-Bevölkerung entweder der Arbeiter/innen/klasse angehört oder subproletarischen Schichten, dass sich für diese Mehrheit die Lebensbedingungen in den letzten 20 Jahren deutlich verschlechtert haben, dass auch keineswegs alle die Politik von Regierung und Großkapital unterstützen, dass beispielsweise die Regierung Bush nur von etwa 1/4 der Wahlberechtigten gewählt wurde etc.
Tatsächlich verfügt die Arbeiter/innen/bewegung und die Linke in den USA durchaus über eine beachtliche Tradition (auch wenn sich ihre Entwicklung aufgrund spezifischer Elemente des US-Kapitalismus deutlich von der in Europa unterscheidet): Bereits 1877 und 1892/94 gab es die ersten großen Arbeiter/innen/aufstände, dann eine massive Streikwelle nach dem 1. Weltkrieg, die mit einer großen Solidaritätsbewegung mit Sowjetrussland verbunden war und während der in Seattle sogar kurzzeitig Arbeiter/innen/räte die Macht übernahmen. Es folgten riesige Streikwellen 1933/35 und 1944/46, die oft mit militanten Auseinansetzungen mit Polizei und Armee verbunden waren, in denen teilweise linke Organisationen wichtige Rollen spielten und die oft auch gegen die Gewerkschaftsbürokratien geführt wurden. In den 1960er und 1970er Jahren verbanden sich eine Bürgerrechtsbewegungen der unterdrückten Afroamerikaner/innen, eine linke Student/inn/enbewegung und eine Bewegung gegen den Vietnamkrieg zu einer massiven innenpolitischen Bedrohung für die herrschende Klasse und trugen wesentlich zur Niederlage des US-Imperialismus in Vietnam bei.
In 1990ern Jahren schließlich erlebte die amerikanische Arbeiter/innen/bewegung einen neuen Aufschwung. 1997 streikten bei der privaten Zustellfirma UPS hunderttausende ungeschützte Beschäftige für fixe Anstellung und Sozialversicherung. Durch Blockaden der Auslieferung muss UPS Verluste in Milliardenhöhe hinnehmen und schließlich den Streikenden deutliche Zugeständnisse machen. 1998 verhindern wochenlange Streiks bei General Motors, nachdem der Konzern Milliardenverluste schreibt, Fabriksschließungen und Lohnkürzungen. Ebenfalls mit Erfolgen enden 1998 ein 69-tägiger Streik bei Boeing und Arbeitsniederlegungen bei Bell Atlantic (Telekommunikation). Im Jahr 2000 streiken bei der Telefongesellschaft Verizon 85.000 Beschäftigte gegen u.a. angeordnete Überstunden, die Arbeitsbedingungen in den Call Centers und für die Einrichtung von Gewerkschaften. Nach zwei Wochen Streik und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikposten und der Polizei musste Verizon schließlich in die Knie gehen und den Forderungen der Beschäftigten in allen Punkten nachkommen.
Gleichzeitig gab es in der US-Arbeiter/innen/bewegung auch einige internationalistische Ansätze: Die US-Gewerkschaften der Elektro- und Elektronikindustrie arbeiteten immer stärker mit den entsprechenden mexikanischen Gewerkschaften zusammen. Seit Mitte der 90er Jahre in den USA die alte korrupte Gewerkschaftsführung durch eine jüngere und kämpferischere ersetzt wurde, gibt es dort systematische und erfolgreiche Versuche, die zehn Millionen lateinamerikanischen Lohnabhängigen in den USA zu organisieren – etwa das Putzpersonal, die Wäschereibeschäftigten und die Erdbeerpflückerinnen in Kalifornien, in deren Bereichen auch massive Streiks geführt wurden. An den Mobilisierungen gegen die kapitalistische Globalisierung in Seattle (November 1999) beteiligten sich starke Kontingente von Transport-, Metall- und Hafenarbeiter/inne/n, in Quebec (April 2001) zehntausende Arbeiter/innen aus Kanada (insbesondere Automobilarbeiter/innen und Postler/innen), aber auch aus den USA und aus Mexiko.
Und auch generell spielten die USA, d.h. die dortige Linke, eine wichtige Rolle für die Entwicklung der so genannten Antiglobalisierungsbewegung – sowohl was die Demonstrationen in Seattle und Washington betrifft als auch als Anstoß für die Bewegung international. Zwar ist diese Bewegung und auch die US-Arbeiter/innen/bewegung durch die nationalistische Hetzkampagne seit dem 11. September schwer unter Druck und in die Defensive gedrängt worden. Dennoch hat sich besonders seit dem letzten Herbst in den USA eine erhebliche Opposition gegen den Krieg entwickelt: Es gab wiederholt Antikriegsdemonstrationen, wie es sie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gegeben hatte. Während einige Gewerkschaften vor dem Nationalismus kapitulieren, haben zuletzt immer mehr gegen den Krieg Stellung bezogen. Auf eine Zusammenarbeit mit diesen Kräften muss sich die Antikriegsbewegung in Europa orientieren – und sich von antiamerikanischen Tendenzen klar distanzieren.