Wenige Tage vor Beginn der Urabstimmung im ÖGB über die Sozialpolitik der schwarzblauen Klassenkampfregierung des Kapitals feuern vor allem die Freiheitlichen aus allen Rohren nicht nur auf die ÖGB-Spitze, sondern auf die Gewerkschaften als grundlegende Interessensvertretung der Arbeiter/innen und Angestellten überhaupt.
Am 7. September etwa teilt eine Presseaussendung der FPÖ trocken mit: „Bundesparteiobfrau VK Dr. Susanne Riess-Passer hält die Gewerkschaft für nicht mehr zeitgemäß. Als Grundübel sieht Riess-Passer in der Gewerkschaft die personelle Vermengung zwischen Parteifunktion und Gewerkschaftsfunktion“.
Zwei Tage vorher äußert sich FPÖ-Klubobmann Peter Hojac-Westenthaler zur Sonderditzung des Nationalrats: „Weiters kündigte Westenthaler an, daß man in der Sondersitzung Fraktur reden werde über den "Österreichischen Gagenbund". Man werde deutlich machen, daß der ÖGB auch inhaltlich versagt habe, weil er in den vergangenen Wochen und Monaten keine Konzepte vorlegen konnte.“ (FPÖ-Aussendung, 5.9.)
Am deutlichsten aber bringt der Vorarlberger FPÖ-Vorsitzende Hubert Gorbach die FPÖ-Position auf den Punkt: „Nach Gorbachs Ansicht sind die Zeiten vorbei, in denen Gewerkschaften eine wichtige Rolle gespielt haben. Stellenwert und Sinnhaftigkeit einer Gewerkschaft müsse überprüft und hinterfragt werden und "ob sie heute noch zeitgemäß ist", so Gorbach. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten zwar weiterhin alle Angelegenheiten der Berufswelt gemeinsam regeln, allerdings "am liebsten nach dem Subsidiaritätsprinzip direkt vor Ort in den Betrieben", sagt der Vorarlberger FPÖ-Landesobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter (ORF online 9.9.)
Die „Wende“ erwischt den ÖGB am falschen Fuß – dem soziapartnerschaftlichen
Unmittelbar nach der Angelobung der FPÖVP-Regierung hat der ÖGB alles getan, um die spontane Empörung über die Bildung der „Wenderegierung“ in den Betrieben im Zaum zu halten. Oberste strategische Überlegung war offen-sichtlich, auch unter geänderten politischen Rahmenbedingungen die Sozialpartnerschaft aufrecht zu erhalten. Obwohl letztlich die SP-Gewerkschafter eine Neuauflage der Großen Koalition durch ihr Veto gegen die von der ÖVP geforderte Pensionsreform verhindert hatten, mobilisierte der ÖGB nicht sofort ab dem 4. Februar 2000 gegen die Regierung, deren Programm ja nicht nur eben diese Pensionsreform sondern noch viel weitergehende Angriffe auf das Sozialsystem enthielt. So machten die Koalitionäre etwa nie aus ihrem Ziel ein Hehl, eine der Grundlagen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung demon-tieren zu wollen: Die Kollektivvertratsfähigkeit. Lohnverhandlungen und Einigungen über Arbeitszeitmodelle sollen nach Wunsch von FPÖVP auf die Betriebsebene verlagert werden.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es den rund 30 Jahren zuvor gegründeten Freien Gewerkschaften gelungen, für Branchen mit hohem gewerk-schaftlichen Organisationsgrad – Buchdrucker, Metallindustrie – Kollektiv-verträge zu erzwingen, die Mindeststandards für alle in der Branche Beschäf-tigten festlegten, also auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder. Die Kollektiv-vertragsfähigkeit ist eine der wichtigsten Waffen der Gewerkschaftsbewegung. Verhandlungen auf Betriebsebene zerschlagen die Branchensolidarität der Arbeiter/innen und machen jene Werktätigen zur leichten Beute der Kapita-list/innen, die in Klein- und Mittelbetrieben oder gewerkschaftlich schwach organisierten Sektoren tätig sind (z. B. Gastronomie, Einzelhandel). Die Regierung des Papierindustriellen Prinzhorn, des Pharma-Millionärs Bartenstein, des Großgrundbesitzes Haider, des Ex-Magna-Managers Grasser und wie die Blutsauger noch alle heißen mögen hat vom ersten Tag ihrer Existenz an keinen Zweifel daran gelassen, wo sie steht: Nicht auf Seiten des „Kleinen Mannes“, sondern auf Seiten des Großkapitals – der angebliche „Robin Hood“ aus dem Bärental hat die Maske fallen gelassen und sich als das entpuppt, was er wirklich ist – ein Sheriff von Nottingham, der mit seinen Bütteln die Armen ausplündert und die Truhen der Reichen füllt. Die ÖGB-Spitzenbürokratem hatten auch nach der Angelobung der neuen Regierung Illusionen in eine Fortsetzung der „bewährten österreichischen Sozialpartnerschaft“ nach bekanntem Muster. Zwar beteiligten sich an der „zivilgesellschaftlichen“ Großdemonstration am 19. Februar 2000 einige Gewerkschaften (GdE, GPA, GPF) mit eigenen Blöcken – der ÖGB als Gesamtorganisation blieb jedoch durch seine Statuten gelähmt. Beschlüsse des Bundesvorstandes müssen einstimmig sein, wenn sie für alle Mitglieder bindend sein sollen. Aber weder die Fraktion Christlicher Gewerkschafter noch die aus opportunistischen Überlegungen mit Fraktionsstatus ausstaffierten „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ zeigten in irgendeiner Weise List, sich gegen „ihre“ Regierung zu stellen. Die Idee der Einheitsgewerkschaft scheiterte, zumindest in dieser Form, an der klassenpolitischen Realität: Mit FCG und FA verfügt das Kapital über zwei trojanische Pferde im ÖGB und kann so lähmend und zurückzerrend in die innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen einfgreifen. Seine prinzipielle „Gesprächsbereitschaft“ demonstrierte der ÖGB auch durch seine Beteiligung an den von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppen welche die Vorarbeiten zum infamen „Bericht zur sozialen Treffsicherheit“ leisteten. Auch an der entsprechenden Enquete am 4. August vergangenen Jahres nahmen Spitzen-Gewerkschafter wie Verzetnitsch und Sallmutter teil. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch setzte inhaltlich und optisch noch eins drauf, als er im Winter 2000 – als sich die Attacken auf den Hauptverband der Sozial-versicherungsträger bereits anbahnten und die Regierung mit ihren Angriffen auf das soziale Netz voll in Fahrt kam – zur Ski-WM nach St. Anton reiste, um dortselbst freundlich mit den schwarz-blauen Ministern zu parlieren und sich für die „Zeit im Bild“ bei einer neckischen Schneeballschlacht mit Vizekanzlerin Riess-Passer filmen zu lassen. Der Angriff auf die Sozialversicherungen als Test Der Angriff, vor allem der FPÖ, auf die Sozialversicherungen (SV) war ein geschicktes Manöver: Einerseits gab es klare politische und ökonomische Gründe für die Wahl dieses Ziels: Das erklärte Ziel der internationalen Bourgeoisie ist die Zerschlagung staatlicher oder „selbstverwalteter“ Sozialsysteme. Statt dessen wird für den Krankheitsfall die private Versicherung, für die Altersvorsorge vor allem die Anlage seitens der Arbeiter/innen und Angestellten in Pensions-investmentfonds (PIFs) oder andere spekulative „Sparformen“ beworben. Der Griff nach den Spargroschen der „kleinen Leute“ ist für das Kapital tatsächlich sinnvoll und keineswegs ein „Gröscherlgeschäft“: Allein in den USA sind 30 – 40 % des täglichen Transaktionsvolumens an den US-Börsen Aktivitäten von PIFs. Gleichzeitig hat die völlige Privatisierung des Gesundheitswesens in den USA 47 Prozent der Bevölkerung jeglichen medizinischen Schutzes beraubt. Die Sozialversicherungsanstalten und ihr Hauptverband (HVSV) waren bis zu diesem Zeitpunkt den meisten Österreicher/inne/n zwar irgendwie als sozialpartnerschaftlich beeinflusste Einrichtungen bekannt – die sogenannte „Selbstverwaltung“ war aber nur einem extrem kleinen Personenkreis bekannt, für die meisten Versicherten waren Krankenkassen oder Pensionsversicherungs-anstalten ganz einfach „irgend ein Amt“. Mit der Demontage Hans Sallmutters verfolgte die FPÖ zwei klare Ziele: Einerseits durch eine Umdrehung der Mehrheitsverhältnisse den Kapitalisten-vertretern in den SV-Gremien den vollen Zugriff in die Kassen, die zu über 80 Prozent von den Beiträgen der Arbeiter/innen und Angestellten gespeist werden zu ermöglichen; und zweitens durch ein eigenes „Unvereinbarkeitsgesetz“ führende Gewerkschaftsvertreter von öffentlichen Ämtern auszuschließen.
Während Ambulanzgebühren eingeführt und die Pensionsregelungen verschärft werden, „reformiert“ die Regierung den HVSV in einer Weise, dass sich die Aufstockung der Führungsgremien mit Kapitalistenvertreter/innen in einer Verdreifachung der Verwaltungskosten zu Buche schlägt! Offener kann die Verlogenheit der Sparappelle der Nulldefizit-Fetischisten von FPÖVP gar nicht mehr gezeigt werden!
Erst nach langem Zögern entschloss sich die Gewerkschaftsbürokratie, den Kampf um die Sozialversicherungen aufzunehmen. Immerhin – für die Ver-teidigung einer Bastion zu kämpfen und sie nicht zu erkompromisseln bedeutete einen großen Sprung über den eigenen sozialpartnerschaftlichen Schatten. Handfeste innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen lähmten die Reaktions-zeit des ÖGB zusätzlich: Sallmutter hatte sich in den letzten Monaten massiv gegen die Umstrukturierungspläne von ÖGB-Präsident Verzetnitsch gestemmt, der die Zahl der Gewerkschaften reduzieren wollte. Die „Demo für Demokratie“ vom 5. Juli und die 50.000 Gewerkschafter/innen auf den Straßen Wiens waren nicht nur für Blauschwarz, sondern auch für die Gewerkschaftsbürokratie ein „Zeichen an der Wand“. Offensichtlich hatte die von der Basis abgehobene Bürokratie nicht begriffen, wie groß der Unmut in den Betrieben und Büros über die Asozialpolitik der Regierung wirklich ist. Dass der ÖGB-Vorstand kurz nach der Demo mit dem Vorschlag einer Urabstimmung herausrückte, hatte sehr zwiespältige Motive. Seit dem 5. Juli war klar: Die Gewerkschaftsmitgliedschaft erwartet zur Zeit mehr als unverbindliche, zahnlose Proteste. Zugleich war aber auch klar, dass weder die Gewerkschafts-bürokratie fähig und darauf vorbereitet war, wirkliche Kampfaktionen zu initiieren, ebenso wie man kaum von einer realen Kampfbereitschaft in den Betrieben sprechen kann. Die Urabstimmung soll hier den realpolitischen Spagat vollbringen – durch Mobilisierung der 1,4 Millionen Gewerkschaftsmitglieder zu demonstrieren, dass die Gewerkschaften nach wie vor ein gesellschaftlicher Machtfaktor sind gleichzeitig aber an Stelle der Vorbereitung echter Kampfaktionen die bloße Frage nach Kampfaktionen zu stellen.
Keine Illusionen, aber auch keine Ignoranz! Diese Urabstimmung ist nicht das, was sich revolutionäre Marxist/inn/en unter einer gewerkschaftlichen Urabstimmung vorstellen: Die Befragung der Basis zu konkreten Fragen, die auf der Grundlage von demokratischen Versammlungen der Gewerkschaftsorganisationen von den Mitgliedern selbst formuliert werden und wo schon im Vorfeld der Wahl jede Form der Mitbeteiligung am internen Entscheidungsprozess gewährleistet sein muss. Trotzdem können und dürfen wir diese Urabstimmung nicht ignorieren. Im Gegenteil – ohne den Spitzenverdienern an der Spitze des ÖGB und der Gewerkschaften auch nur einen Moment der Schonung vor unserer Kritik zu gewähren, müssen wir als Gewerkschafter/innen an der Urabstimmung teilnehmen und alle Kolleg/inn/en zur Teilnahme auffordern, weil eine geringe Beteiligung von der Bourgeoisie sofort – mit Recht – als Zeichen der Schwäche aufgefasst und neue, noch brutalere Angriffe auslösen würde. Die seit Ende August eskalierende rabiate Kampagne gegen die Gewerkschaften kann nur gestoppt werden, wenn wir bei der Urabstimmung demonstrieren: „Wir wollen und wir verteidigen die freiwillige Interessensvertretung der Arbeiter/innen!“. Ist es nicht auffallend, dass ausgerechnet die gleichen kapitalistischen Politiker/innen, die alles immer privatisieren wollen, ausgerechnet die Arbeitervertretung verstaatlichen wollen?
Die Gewerkschaften gegen die reaktionären Angriffe von FPÖVP verteidigen muss heute heißen, für den Sturz der ÖGB-Bürokratie zu kämpfen; für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom bürgerlichen Staat und für wirkliche Demokratie im ÖGB. Diejenigen, welche die Gewerkschaften durch ihren sozialpartnerschaftlichen Kurs in die Krise geführt haben, werden ihn weder verteidigen können noch die schandbare Rolle „einsehen“, die sie innerhalb der Arbeiter/innenbewegung spielen. Sie gehören aus ihren Positionen entfernt. Die Gewerkschaften müssen zu dem gemacht werden, was sie sein sollten: Ein Klasseninstrument der Arbeiter/innen, mit demokratisch wähl- und abwählbaren Funktionär/innen, die nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen qualifizierten Facharbeiterlohn. Diesen Kampf jetzt aufzunehmen und mit der Mobilisierung für die Urabstimmung , bedeutet keine Schwächung der eigenen Reihen angesichts der reaktionären Angriffe – im Gegenteil: In einer Situation, die entschlossenen Widerstand gegen die Pläne der Bourgeoisie erfordert, dürfen sich die Arbeiter/innen nicht mit dem Ballast der Klassenzusammenarbeit, des Konservativismus und der Feigheit belasten.
Raus mit den Architekten der Niederlage aus dem ÖGB – für einen ÖGB, der kämpft!