Nach Hanoi, Bagdad und Belgrad: Luftkrieg gegen New York und Washington

Die USA haben am Dienstag das erlebt, was normalerweise ihre Militärmaschinerie auf der Welt verbreitet: Terror aus der Luft gegen Städte mit massiven Opfern unter der Zivilbevölkerung. Die Empörung der US-Politiker/innen und ihrer weltweiten Journaille über die Anschläge auf das World Trade Center (WTC) und das Pentagon, ihre mediale Stilisierung zum "größten Terroranschlag der Geschichte" und zum "Krieg gegen die gesamte Zivilisation" ist allerdings geschmacklose Heuchelei. Insofern ist es wenig überraschend, dass sich trotz dieser gegenwärtigen Medienpropaganda bei vielen Menschen – insbesondere in der halbkolonialen Ländern – das Mitgefühl mit den zahllosen unschuldigen Opfern mit einer heimlichen oder teilweise offenen Freude darüber mischt, dass diese Symbole des US-Imperialismus getroffen wurden, dass auch die Herren der Welt in Washington und New York nicht unverwundbar sind.

Das WTC ist einer der Orte der Welt, von wo aus die ökonomischen Massenmörder in den Konzern- und Bankzentralen den Hunger und das Elend für große Teile der Menschheit organisieren. Das Pentagon ist das Gebäude, von dem aus der weltweite feige Terror der US-Militärmaschinerie gegen all diejenigen organisiert wird, die die Profitinteressen und die globale Herrschaft des US-Kapitals auch nur ansatzweise in Frage stellen.

Auf Vietnam haben die amerikanischen Vorreiter für Demokratie und Freiheit in den 1960er und 1970er Jahren mindestens dreimal so viele Bomben angeworfen wie im gesamten 2. Weltkrieg auf allen Kriegsschauplätzen der Welt eingesetzt worden sind – und dabei etwa zwei Millionen Vietnames/inn/en (überwiegend Zivilist/inn/en) ermordet.

Im Krieg gegen den Irak 1991 haben die USA und ihre Verbündeten die irakischen Städte in monatelangen Bombardements in Schutt und Asche gelegt, dabei nach UN-Angaben an die 200.000 Menschen (meist Zivilist/inn/en) massakriert und mit dem nachfolgenden Embargo über eine halbe Million Menschen (überwiegend Kinder) getötet.

Bei den über zwei Monate andauernden Angriffen der überlegenen NATO-Luftwaffe auf Jugoslawien wurden tausende Menschen ermordet, Wohnviertel, Industrieanlagen und Infrastruktur jugoslawischer Großstädte zerstört und dabei nach Angaben eines spanischen Luftwaffenoffiziers auch toxisches Nervengas, uraniumhaltige Bomben, schwarzes Napalm und Sterilisationschemikalien eingesetzt.

Auch das reaktionäre Taliban-Regime in Afghanistan, der Hort des mutmaßlichen Terror-Drahtziehers Osama bin Laden, ist letztlich ein Kind des US-Imperialismus. Die islamistischen Extremisten der Taliban wurden lange Zeit vom US-Vassallen Pakistan und direkt vom CIA gegen die prosowjetische afghanische Regierung aufgebaut, finanziert und aufgerüstet. Gegen die "rote Gefahr" war den US-Menschenrechtsfreunden schon immer jedes Mittel recht. Die gerufenen islamistischen Geister werden sie jetzt nicht so leicht wieder los.

So sehr die USA die Hauptmacht der imperialistischen Weltordnung sind, so sehr Pentagon und WTC Zentren von Unterdrückung und Ausbeutung sind, so sehr sind die Anschläge in New York und Washington trotzdem abzulehnen – aus mehreren Gründen:

1) Die Anschläge haben nicht nur die Verbrecher/innen der herrschenden Klasse der USA, ihre Manager und ihre militärischen und politischen Handlanger getroffen, sondern auch Putzfrauen, Sekretärinnen und viele andere Lohnabhängige.

2) Die Zerstörung des WTC und des Pentagon (und der etwaige Tod eines Bankchefs oder eines Spitzenmilitärs) ändert nichts an der von dort aus organisierten kapitalistischen Barbarei.

3) Die Anschläge tragen nicht im geringsten zur Mobilisierung der Lohnabhängigen und Ausgebeuteten gegen dieses System bei, sondern werden es im Gegenteil der herrschenden Klasse erleichtern, einen "nationalen Schulterschluss gegen den Terror" herzustellen und eine verstärkte Repression gegen jede systemkritische Opposition zu legitimieren.

An all diesen Dingen können Marxist/inn/en und Antikapitalist/inn/en kein Interesse haben. Unsere Perspektive ist nicht Terror gegen Symbole des Systems, sondern Klassenkampf zur Vernichtung des Kapitalismus. Dazu aber muss erst einmal die Mehrheit der Arbeiter/innen/klasse für revolutionäre, marxistische Organisationen gewonnen werden.

 

Anhang (17. September 2001)

Die US-Regierung nützt den Terroranschlag gegen das WTC, um mit nationalistischer Hetze eine Einschränkungen der bürgerlich-demokratischen Freiheiten und vor allem einen Krieg vorzubereiten. Neben den NATO-Verbündeten spielen hier auch die angeblich „freien“ Medien voll mit: Aufgeheiztes Entsetzen und global organisierte „Trauer“ sollen die passende Stimmung für einen großangelegten Kriegszug der Neuen Weltordnung schaffen.

Diese Stimmungsmache der letzten Wochen hat letztlich auch eine zutiefst rassistische Tendenz: Oder haben wir rund um die Uhr live-Berichterstattungen, wenn in Zaire Zehntausende Zivilist/inn/en mit amerikanischen Waffen für amerikanische Kapitalinteressen massakriert werden? Gibt es behördlich verordnete Trauerminuten, wenn der NATO-Staat Türkei mit deutschen Waffen Tausende kurdische Zivilist/inn/en ermordet? Wurden europaweit die Fahnen auf Halbmast gesetzt, als die USA und ihre Verbündeten Bagdad in Schutt und Asche legten und Zehntausende Zivilist/inn/en ums Leben brachten? Sind Hunderte Kamerateams unterwegs, um die Eltern der Hunderttausenden Kinder, die im Irak durch das Embargo der westlichen Wertegemeinschaft getötet wurden, nach ihren Gefühlen zu befragen? Gibt es Tag für Tag mehrere Expertenrunden in jedem TV-Kanal, um die Hintergründe zu beleuchten, warum Tag für Tag Zehntausende Kinder an Hunger oder heilbaren Krankheiten sterben? Offensichtlich sind für die „demokratischen“ Medien, die jetzt vom „beispiellosen Anschlag auf die Menschlichkeit“ daherreden, die weißen Menschen in den imperialistischen Ländern eben deutlich mehr wert als die „Hungerleider“ in den Halbkolonien.

 

 

Broschüre:

Der blutige Weg in die Neue Weltordnung

Krieg nach außen – Krieg nach innen – Krieg dagegen!

Marxismus-Sondernr. 9 (Oktober 2001), 64 Seiten, 2 Euro (plus Porto)

 

Inhalt

Kommentar zum Anschlag auf das WTC

Hintergründe des US-Krieges in Afghanistan

Der Westen und der Islamismus

Die Bush-bin-Laden-Connection

Afghanistan – wie man Schurkenstaaten macht

Antikriegs- und Antiglobalisierungsbewegung

Antiamerikanismus?

Der Krieg nach innen

 

Bestellungen an:

bestellungen@sozialismus.net