Die Osterweiterung der Europäischen Union stellt die Linke vor eine schwierige Aufgabe. Zum ersten darf die grundsätzliche Kritik an der EU und den Kräften, die von der Erweiterung profitieren, nicht ins Hintertreffen geraten, zum zweiten müssen die realen Probleme für die Arbeitenden in den angrenzenden EU-Ländern beleuchtet werden und zum dritten darf der rassistische Hintergrund mancher ErweiterungsgegnerInnen nicht vergessen werden.
Die Union soll in den nächsten Jahren von gegenwärtig 15 auf 27 und mehr Mitglieder anwachsen. Mit 12 Ländern (großteils aus Mittel- und Osteuropa – MOEL) werden derzeit Beitrit-tsverhandlungen geführt. Einige weitere MOEL-Staaten stehen bereits in der Warteschleife, hinzu kommt die Türkei.
Alte Liebe rostet nicht
Deutsche Invasionen nach Osteuropa haben ja durchaus gewisse Tradition. Und tatsächlich gelingt derzeit wirtschaftlich, was vor 1945 militärisch gescheitert ist, nämlich die Verwandlung der MOEL-Staaten in Kolonien Deutschlands (und in geringerem Ausmaß Österreichs). Übrigens einer der Gründe, warum einige Staaten der Union die Erweiterung recht skeptisch betrachten. Realistisch gehen sie davon aus, daß ein Großteil der neuen Mitglieder meist mit Deutschland stimmen wird. Auch auf einer anderen Ebene wird derzeit Druck auf die MOEL-Länder gemacht. Kanzler Schüssel meldete jüngst seinen Wunsch auf Änderung der sogenannten Benes-Dekrete (die Enteignung der Sudentendeutschen in der Tschechoslowakei nach 1945) in Zusammenhang mit der Erweiterung an, pietätvoller Weise am „Sudentendeutschen Tag“ der rechtsaußen Organisation „Sudetendeutsche Landsmannschaften“. Alte revanchistische Rechnungen werden also beglichen.
Gewinner und Verlierer
Wie schon vor einigen Jahren in Österreich wird derzeit der EU-Beitritt in den Beitrittsländern da-zu benützt, umfangreiche Sozialabbaumaß-nahmen umzusetzen. Als Beispiel sei hier Polen genannt, mit fast 40 Millionen Einwohner-Innen der größte der Kandidaten und das Schlüsselland für die Erweiterung. Neben schon obligaten Themen wie Gesetzen zur raschen Privatisierung (im Fall Polens von Stahl und Bergbau) ist auch die Einhebung einer 3 prozentigen Mehrwertsteuer auf Agrarprodukte im Gespräch. Ideologische Schützenhilfe kommt von der polnischen Zentralbank, die die Werbetrommel für die Notwendigkeit eines Sparhaushalts rührt.
Die Bedingungen der EU für eine Aufnahme Polens bedeuten vor allem für den Agrar-Sektor große Probleme. Bestenfalls ein Drittel der Betriebe gilt als überlebensfähig gegenüber der Konkurrenz aus Westeuropa. Mehr als ein Viertel der polnischen Beschäftigten sind in der Landwirtschaft tätig, die meisten in kleinen Privatbetrie-ben. Es gibt daneben rund 1500 Staatsgüter und 1700 Genossenschaften. Dort wurden bereits 300.000 LandarbeiterIn-nen entlassen.
Nun würden viele der Sozialabbaumaßnahmen vermutlich auch ohne EU-Beitritt angegangen, doch ist (auch das ist aus Österreich noch gut in Erinnerung) die Formulierung eines ideologischen Leitbilds, daß eine blühende Zukunft verspricht („Beitritt”, oder aktuell „Nulldefizit”) sehr hilfreich dabei, Widerstände im Land zu überwinden.
Gleichzeitig behaupten Untersuchungen immer wieder, daß die Beitrittsländer vom Beitritt profitieren würden. Angeführt wird einerseits das Wirtschafts-wachstum, andererseits die Subventionen, die dann nach Osteuropa fließen würden. So geht etwa das Wifo (Wirt-schaftsforschungsinstitut) von einer “win-win“ Situation aus und spricht von einem deutlichen Wirtschaftswachtsum in den MOEL-Ländern, aber auch in den EU-Ländern, die in der Region liegen, also Österreich, Deutschland und Italien.
Demgegenüber werden allerdings Länder wie Spanien, Portugal, Griechenland und Irland, die bisher stark von den Subventionen profitiert haben, massive Einschnitte zu spüren bekommen. „Vergessen” wird allerdings, daß auch die Gewinne sehr ungleich verteilt sein werden. Während eine Schicht des jeweiligen einheimischen Kapitals in Verbindung mit den großen multinationalen Konzernen (etwa bei der Privatisierung oder der Bodenspekulation) riesige Gewinne einfahren wird, sieht es für den Großteil der Bevölkerung weniger rosig aus. Und mit der Erweiterung werden sich die sozialen Spannungen in Ost- und Westeuropa zweifellos weiter zuspitzen. Das soziale Gefälle zwischen West und Ost ist enorm. Die Wirtschaftskraft aller Beitrittskandidaten zusammen macht laut Angaben von wsws.org nur sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU aus. Die Löhne liegen weit unter, die Arbeitslosigkeit dagegen weit über dem bisherigen EU-Niveau. Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne im Osten werden als Hebel dienen, um auch im Westen den Lebensstandard weiter zu senken.
Darf´s ein bisserl mehr sein?
Hier ist die westeuropäische Gewerkschaftsbewegung gefordert, Anworten zu geben. Und sie gibt sie. In vielen Fällen rassistisch, chauvinistisch und egoistisch. Im Einklang mit FPÖ und Kronen-Zeitung malen etwa Arbeiterkammer und ÖGB (in unterschiedlicher Deutlichkeit) das Gespenst der Hunderttausenden (bei FPÖ und Krone werden es dann Millionen), die aus dem Osten kommen, an die Wand. Der ÖGB gibt es intellektuell und meint, „dass ein Land erst dann der EU beitreten kann, wenn sein durchschnittliches Einkom-mensniveau 80 Prozent des österreichischen erreicht hat“ (was bis zu 20 Jahre dauern kann). AK-Präsident Tumpel hingegen spielt den Mann fürs Grobe und spricht von bis zu 334.000 Arbeitenden, die in einer “Migrationswelle“ nach Österreich “drängen“ würden.
Die siebenjährige Übergangsfrist für osteuropäische Arbeitende ist ihm noch zuwenig: “Fristen wie die angesprochenen sieben Jahre können verstreichen, ohne dass etwas pas-siert.“ Andere Studien gehen übrigens von nur rund 17.000 ArbeitnehmerInnen aus und stellen in Rechnung, daß etwa im Ballungsraum Bratislava das Pro-Kopf-Einkommen (nach Kaufkraftparitäten) höher ist als jenes der unmittelbar angrenzenden niederösterreichischen Grenzbezirke. Ein vernünftigeres Konzept als das Beschwören von “Migrationswellen” wäre die Vorbereitung gemeinsamer Kämpfe um gleiche Löhne in Ost und West. Das würde auch verhindern, daß UnternehmerInnen Standorte gegeneinander ausspielen und dann die “teuersten“ Werke schließen (wie jüngst bei Semperit). Ein Ansatz könnte dabei die Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn von 1000 Euro (13.760 ATS) sein.
ÖGB und StG77
Bei Verteidigung des Rechtes auf freie Niederlassung muß die Gewerkschaftsbewegung natürlich auch Antworten auf den dadurch vor allem in den grenznahen Regionen entstehenden Lohndruck geben. Eiserne Vorhänge und Zugangsbeschränkungen sind da nicht nur einfallslos, sondern auch dumm (sprechen wir nicht von ihrer rassistischen Komponente).
Da, wo es Nachfrage gibt, wird es auch ein Angebot geben. Da, wo Menschen sehen, daß es 30 km weiter deutlich höheren Wohlstand gibt, werden sie – berechtigt – versuchen, ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die einzige Alternative zu einem offenen Umgang mit dieser Frage ist ein polizeistaatsähnliches Regime in den grenznahen Regionen.
Wird sich dann ÖGB-Chef Verzetnitsch mit dem Sturmgewehr 77 an die Thaya stellen und den österreichischen Arbeitsmarkt beschützen? Zur Seite könnte ihm dabei der deutsche Innenminister Schily stehen, der zur Sicherung der Festung Europa internationale Grenztruppen für die zukünftigen EU-Ostgrenzen fordert, um den “Schutz vor Flüchtlingen und unerwünschten Einwanderern” zu gewährleisten Seit einiger Zeit sorgt er sich dementsprechend um den Schutz von Polens Grenzen nach Osten, Ausbildung von Offizieren der polnischen Grenztruppen und Entsendung von EU-Kontrolleuren inklusive.
Und wenn es all denen, die jetzt Krokodilstränen um den Erhalt der Lohn- und Sozialstandards vergießen, tatsächlich darum ginge, würden wir sie sehr gerne auf der Straße begrüßen, wenn wir das nächste Mal gegen Sozialabbau demonstrieren.
Die Linke muß also einen schwierigen Spagat bewältigen. Einerseits gemeinsam mit ihren Verbündeten in Osteuropa gegen den Beitritt in diese Union kämpfen, gleichzeitig aber den rassistischen Charakter vieler KritikerInnen der Erweiterung aufdecken. Aber sie wird auch ein Gegenkonzept auf den Tisch legen: die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.