Wiener Gemeinderatswahlen 2001

Nachdem die Demos offenbar bisher nichts gebracht haben, will so manche/r die schwarz-blaue Rechtsregierung nun mit dem Stimmzettel besiegen. Viele setzen auf ein "rot"-grünes Modell. Manche aus der Widerstandsbewegung versuchen ihr Glück mit eigenen Wahllisten.

Tatsächlich waren die bisherigen Widerstandsformen nicht geeignet, um die neoliberalen Angriffe von FPÖVP aufzuhalten. Die Regierung ist spätestens seit dem Sommer eindeutig stabilisiert und sie hat bereits eine ganze Reihe von reaktionären Maßnahmen gegen die Lohnabhängigen durchgebracht: Verschlechterungen bei den Pensionen, für Kranke und Arbeitslose, neue Massensteuern, reaktionäre Familienpolitik, Studiengebühren etc., insgesamt eine Belastung der Lohnabhängigen mit 135 Mrd. ATS in dieser Legislaturperiode bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmer/innen, Steuerbegünstigungen für Großbauern und steuerfreier Mietzinsrücklage für Zinshausbesitzer/innen. Ab 2003 werden die Kapitalist/inn/en sogar mit einem Plus von 3 Mrd. abschneiden.

Die neuesten Attacken wurden zum Jahresbeginn 2001 gesetzt bzw. verkündet: 1) politische Eingriffe in die OIAG und die ÖBB, die zu einer raschen und weitgehenden Privatisierung, d.h. zur Verschleuderung des staatlichen Vermögens an regierungsnahe Privatkapitalisten, zu einer völlig kapitalkonformen Verkehrspolitik und zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen werden. 2) Angriff auf die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen zwecks "Reformierung", d.h. zur finanziellen Aushungerung der staatlichen Versicherung und zur Teilprivatisierung des Systems, von der private Firmen profitieren sollen und die noch stärker zu einer Klassenspaltung im Gesundheitswesen führen wird. Damit soll gleichzeitig der Einfluss der Gewerkschaften im Sozialsystem und in der Gesellschaft insgesamt reduziert werden. 3) Vorbereitung einer NATO-Mitgliedschaft, indem mit Gesetzen schrittweise vollendete Tatsachen geschaffen werden.

Das österreichische und internationale Kapital ist mit dieser Entwicklung zufrieden. Nachdem Österreich schon vor dem Amtsantritt der Rechtsregierung eine sehr geringe Kapitalbesteuerung hatte und bereits die SPÖ/ÖVP-Regierungen eine Umverteilung von unten nach oben durchgeführt hatten, wird die Alpenrepublik durch den verschärften Kurs in diese Richtung als Wirtschaftsstandort noch attraktiver. Die ausländischen Investitionen in Österreich haben sich im Jahr 2000 mehr als verdoppelt, und auch die EU lobt die FPÖVP-Regierung für ihren erfolgreichen Sparkurs, der aber unbedingt konsequent fortgesetzt werden müsse. Es ist mittlerweile eindeutig, dass die sogenannten Sanktionen der EU-14 bestenfalls halbherzige diplomatische Warnungen waren, um das (teilweise unberechenbare) Agieren der FPÖ an die Gepflogenheiten des EU-Establishments anzupassen, und dass sie v.a. den Effekt hatten, die schwarz-blaue Regierung durch den nationalistischen Schulterschluss zur Verteidigung Österreichs gegen das Ausland zu stabilisieren.

Ebenso bestenfalls halbherzig war der Widerstand von SPÖ und Gewerkschaften. Durch verbale Proteste und symbolische Aktionstage seitens des ÖGB wurden lediglich einige kleine Rückzieher der Regierung bewirkt (zB bei der geplanten 4-wöchigen Sperre des Arbeitslosengeldes), die wesentlichen Angriffe der Regierung auf die Lohnabhängigen konnten ohne konsequente Streiks natürlich nicht verhindert werden. Die Gewerkschaften sind derart in ihrer staatstragenden sozialpartnerschaftlichen Logik gefangen, dass sie fast schon darum betteln, doch in eine "konstruktive" Zusammenarbeit mit der Regierung (zur Verwaltung der Attacken auf die Arbeiter/innen/klasse) einbezogen zu werden, und dass sie bisher nicht bereit waren, ernsthafte Kampfaktionen im entscheidenden Bereich der Betriebe durchzuführen. Erst langsam scheint es einigen im ÖGB zu dämmern, dass es für die bisherige Politik der kleinen Zugeständnisse kaum mehr Raum gibt und dass so auch der Einfluss des Gewerkschaftsapparates von der Rechtsregierung zunehmend demontiert wird.

Die Widerstandsbewegung gegen FPÖVP, die in den Donnerstagsdemos ihren sichtbarsten Ausdruck fand, bedeutet für Österreich nach Jahrzehnten sozialpartnerschaftlicher Friedhofsruhe eine beachtliche Veränderung. Dass sie bisher nicht erfolgreich war, liegt v.a. daran, dass eine Ausweitung zu Streiks in den Betrieben bisher nicht gelang. Dazu kam unter den Aktiven ein teilweise unzureichendes Bewusstsein. Manche hatten naive Hoffungen in die EU und viel zu viele sorgten sich — ganz in der Logik des von der Regierung verkündeten patriotischen Konsenses – um das Ansehen Österreichs. Viele verzettelten sich in teilweise durchaus originellen, aber für die Regierung ungefährlichen, meist medienorientierten kreativen Aktionen und verstanden nicht, dass die etablierten Medien als Teil des bürgerlichen Herrschaftsapparates kein taugliches Mittel zum Aufbau einer schlagkräftigen Bewegung sein können (siehe dazu auch unsere Broschüre: Die ZivilgesmbH und ihre Teilhaber — Zivilgesellschaft, NGOs und das Elend der kreativen Protestformen). Manche trauerten der anachronistischen Sozialpartnerschaft nach und verstanden nicht, dass nur eine Orientierung auf Streiks in Produktion, Transport etc., die das Profitsystem im Herz treffen, die Rechtsregierung wirklich aufhalten kann.

Viele Gegner/innen von FPÖVP hoffen nun darauf, die Regierung abzuwählen — oder ihr vielleicht schon jetzt bei den Wiener Gemeinderatswahlen einen so schweren Schlag zu versetzen, dass sie daran zerbricht. Tatsächlich kann ein Desaster der FPÖ in Wien diese Partei destabilisieren. Der rechtsextrem-populistische Flügel um Haider/Westenthaler könnte demagogisch eine stärkere Rücksichtnahme auf die proletarischen FPÖ-Wähler/innen einfordern und damit die neoliberale Eintracht zwischen dem Grasser/Prinzhorn-Flügel und der ÖVP stören. Ein Bruch der Regierung ist aber nur dann zu erwarten, wenn die FPÖ bei den Gemeinderatswahlen regelrecht vernichtet wird. Die österreichische Kapitalist/inn/enklasse hat sich — nach jahrelangem Zögern — nun auf diese Regierungskonstellation festgelegt, weil sie nur dadurch den ihren Klasseninteressen entsprechenden thatcheristischen Kurs und damit einen klaren Bruch mit der bisherigen Form der institutionalisierten Sozialpartnerschaft umsetzen kann. Einige Wahlniederlagen für die FPÖ sind da einkalkuliert und werden die strategische Weichenstellung nicht gefährden. Die realen Entscheidungen in der bürgerlichen "Demokratie" fallen — anders als naive zivilgesellschaftliche Demokrat/inn/en glauben — eben nicht bei Wahlen (siehe Kasten). Verlorene Posten für FPÖ-Funktionäre in Gemeinderäten, Landtagen etc. wird die Bourgeoisie diesen Leuten schon anderweitig abgelten und gegen eine Niederlage bei den nächsten Nationalratswahlen mit all ihren Medien und Finanzmittel zu verhindern suchen.

Und selbst wenn Rechtsregierungen nach Wahlniederlagen durch "rot"-grüne Koalitionen abgelöst werden, bedeutet das keinen grundlegenden Kurswechsel. Wie in Deutschland und Frankreich bestens zu sehen ist, sind auch diese Parteien derart in der kapitalistischen Konkurrenz- und nationalistischen Standortlogik gefangen, dass sie die neoliberale Sozialabbau- und Deregulierungspolitik weitgehend bruchlos fortsetzen. Bei diversen Attacken auf die Lohnabhängigen sind die verschiedenen Regierungen eben nur die Exekutive, hauptverantwortlich ist das kapitalistische Weltsystem, das von einer sich immer mehr verschärfenden Konkurrenz geprägt ist und die entsprechenden Zwänge auf Konzern- und Regierungszentralen ausübt.

Nichtsdestotrotz bieten die Gemeinderatswahlen in Wien die Möglichkeit, die Regierung kurzfristig etwas zu destabilisieren und das Tempo ihrer reaktionären Angriffe vorübergehend etwas zu drosseln. Das ist nicht viel, das ist nicht entscheidend für die weiteren Kämpfe gegen FPÖVP, aber es ist auch nicht ganz irrelevant. Deshalb sagen wir: Nehmt die Wahlen nicht zu wichtig, aber geht wählen. Wählt nicht die Grünen, sondern die SPÖ. Die Grünen haben zwar in der Rassismus-Frage noch eher eine erträgliche Position als die Sozialdemokratie, sind aber als Partei der aufgeklärten Mittelschichten vollständig in das kapitalistische System integriert und spielen in der jetzigen Auseinandersetzung nur eine Nebenrolle. Der reale Konflikt auf der elektoralen Ebene ist der zwischen Regierung und SPÖ, die leider noch immer die reale Arbeiter/innen/bewegung in Österreich verkörpert, v.a. mit ihren zehntausenden Betriebsrät/inn/en und Personalvertretern. Um deren Schwächung geht es den schwarz-blauen Reaktionären in erster Linie. Deshalb ist eine Niederlage der FPÖ zugunsten der SPÖ der Regierung — soweit Wahlen wie gesagt im Kapitalismus eben überhaupt relevant sind – am meisten ein Dorn im Auge.

Warum nicht kleinere linke Listen wählen? Die KPÖ unterscheidet sich von der Sozialdemokratie nicht qualitativ. Sie ist eine reformistische Partei, deren politische Konzeption sich ganz im Rahmen des Kapitalismus bewegt. Dort, wo sich die KPÖ-Schwesterparteien an Regierungen beteiligen, zB die KPF in Frankreich oder die PDS in Mecklenburg-Vorpommern, setzen sie die neoliberal-nationalistische Standortpolitik, inklusive Sozialabbau, Privatisierungen und Abschiebung von Migrant/inn/en, mit um. Der wesentlichste Unterschied zur SPÖ ist, dass die KPÖ gesellschaftlich und insbesondere auf Wahlebene (abgesehen von einigen Gemeinden in der Steiermark) nicht als relevanter Faktor wahrgenommen wird. Mehr oder weniger Stimmen für die KPÖ bzw. eine ihrer Tarnlisten auf Bezirksebene (Sternenstaub im 7. Bezirk, Linke Liste Alsergrund im 9. Bezirk) werden v.a. in der Linken und unter den Aktivist/inn/en der Widerstandsbewegung registriert, und in diesem Milieu bedeutet eine Simme für die KPÖ v.a. eine Stärkung für den rechten, zivilgesellschaftlichen Teil der Bewegung, trotz der irreführenden Bezeichnung Kommunistische Partei keine Stimme für eine Orientierung auf Klassenkampf, sondern eine Stimme für die Verzettelung in sogenannten kreativen Protestformen. Während wir also KPÖ-Wählen für absolut kontraproduktiv halten, ist die Sozialistische Linkspartei (SLP) sicher die Liste, die uns — auch wenn wir einige Kritikpunkte haben — politisch bei weitem am nächsten steht. Die SLP hat in der Bewegung des letzten Jahres eine grundlegend richtige Orientierung gehabt, nämlich eine klassenkämpferische, weshalb wir auch immer wieder mit ihr kooperiert haben. Sie kandidiert allerdings nur in einem Wahlkreis (1., 4., 5., 6. Bezirk) und repräsentiert in der jetzigen Wahlauseinandersetzung keine relevante Kraft.

Wir halten es also in der gegenwärtigen Situation für notwendig, für die SPÖ zu stimmen — auch wenn einem/r dabei angesichts der sozialdemokratischen Politik das Kotzen kommen könnte. Den Lohnabhängigen, Jugendlichen und Aktivist/inn/en der Bewegung gegen FPÖVP, die jetzt gegen die Regierung SPÖ wählen, sagen wir aber eindringlich: Die SPÖ wird (genau so wie die Grünen) eure Ziele und Interessen verraten, sie wird versuchen, auf eurem Rücken Kompromisse mit Schüssel und Riess-Passer auszuhandeln, sie wird — eventuell unter Protest — die Regierungsvorgaben in Wien umsetzen, sie wird weiterhin Massenmobilisierungen bestenfalls halbherzig unterstützen und ernsthafte Klassenkampfmaßnahmen sabotieren. Deshalb ist mit einer Niederlage der FPÖ zugunsten der SPÖ noch nicht viel gewonnen.

Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die fortgesetzten Proteste gegen die schwarz-blaue Rechtsregierung zu einer Massenbewegung der Lohnabhängigen auszuweiten. In Italien und Frankreich gelang es 1994 bzw. 1995/96 auf diese Art und Weise, insbesondere mit massiven Streiks in Produktion und Transport, die Rechtsregierungen von Berlusconi bzw. Juppé zu stürzen. In Österreich sind wir davon offensichtlich noch einige Schritte entfernt. Wir sehen aber auch bereits hier, dass der Kampf dort am weitesten entwickelt ist, wo es eine Selbstorganisation der Beschäftigten gibt, konkret bei den Lehrer/inne/n, bei denen sich aktive Kolleg/inn/en in Komitees organisiert haben und so auch die Gewerkschaftsbürokratie unter Druck setzen. Das — und nicht ein vermeintliches anderes Temperament oder eine vermeintlich bessere Gewerkschaftsführung — ist es auch, was den Unterschied zu Italien und besonders zu Frankreich ausmacht, die Eigeninitiative und Kampftradition der Lohnabhängigen, die in Österreich nach Jahrzehnten sozialpartnerschaftlicher Passivität erst langsam wieder aufgebaut werden muss.

Allerdings sind auch solche Eigenschaften einer Arbeiter/innen-/klasse letztlich nicht ausreichend. Die Klassenkampfbewegungen in Italien und Frankreich waren zwar in der Lage, Mitte der 90er Jahre Berlusconi und Juppé zu stürzen, nicht aber, die Machtfrage in einem systemüberwindenden Sinn zu stellen, weshalb dann in beiden Ländern Mitte-Links-Bündnisse an die Regierung gekommen sind, die Privatisierungen, Deregulierungen, Angriffe auf Renten etc. weitgehend unverändert fortsetzen. Dass sich in dieser Situation in Frankreich nicht in dem Ausmaß wie in Italien Teile der Lohnabhängigen erneut dem rechten Populismus zuwenden, sondern sich viele nach konsequenteren Kräften auf der Linken umschauen, liegt entscheidend daran, dass in Frankreich mit Lutte Ouvrière eine in trotzkistischer Tradition stehende revolutionäre Organisation existiert, die in der Arbeiter/innen/klasse verankert ist und in Klassenkämpfen immer wieder eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch davon sind wir in Österreich weit entfernt. Das macht den Aufbau von revolutionären Organisationen um so dringender. Denn nur durch den Einfluss solcher Organisationen können Kämpfe eine über "rot"-grünen Neoliberalismus hinausgehende Perspektive gewinnen.