Macht Prag zu Seattle!

Im September 2000 findet in Prag eine internationale Konferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) statt. Die letzten Treffen von IWF, Weltbank und WTO waren von massiven Demonstrationen und Blockaden begleitet. Und auch für die Konferenz in Prag laufen die Protest-Vorbereitungen schon auf Hochtouren.

 Bereits Ende letzten Jahres tagte in Seattle (USA) der Ministerrat der WTO (World Trade Organisation-Welthandelsorganisation). Nachdem unter dem Druck des weltweiten Widerstands das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) im Oktober 1998 scheiterte, sollte nun auf dieser Tagung eine weitere Runde der Liberalisierung der Weltwirtschaft zugunsten der internationalen Konzerne initiiert werden.

Die Verhandlungen konnten jedoch leider nicht stattfinden, weil es am Tag der ersten Gespräche zu Ausschreitungen kam und auf diesem Treffen nichts beschlossen werden konnte. Diese Bewegung zum Vorbild nehmend, läuft die Mobilisierung für Prag unter dem Motto „Macht Prag zu Seattle“. Ein guter Grund, sich die Organisationen des internationalen Kapitalismus einmal näher anzusehen.

WTO

Die WTO wurde im Januar 1995 gegründet. Sie ist der krönende Abschluß eines langen Prozesses gewesen: In den 80er Jahren wurde in den meisten kapitalistischen Ländern – unter der Führung der Regierungen von Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien und- später auch von Helmut Kohl in der BRD – die neoliberale Politik der radikalen Deregulierung, Privatisierung, des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben eingeführt. Diese allgemeine Politik wurde auch im Welthandel durchgesetzt. In achtjährigen internationalen Verhandlungen – der sogenannten Uruguay-Runde des Allgemeinen Handels- und Zollabkommens (GATT) – wurden mehrere Verträge abgeschlossen, die die Befugnisse von gewählten Regierungen und Parlamenten im Bereich des internationalen Handels drastisch beschneiden und den Unterzeichnerstaaten auch Kompetenzen über weitere Bereiche der Wirtschaft (wie z.B. über das Patentrecht und die Landwirtschaft) entziehen – zugunsten der großen internationalen Konzerne.

Die Uruguay-Runde wurde im Dezember 1994 abgeschlossen. Im Januar 1995 übernahm die WTO die Aufgabe, über die Einhaltung der GATT-Verträge zu wachen und die weitere, unumkehrbare Deregulierung der Weltwirtschaft zu betreiben. Sie sollte auch fünf Jahre nach ihrer Gründung eine kritische Auswertung ihrer Arbeit und der Auswirkungen der Verträge vornehmen. Aber bevor diese Auswertung überhaupt begonnen hat, verlangen die großen Wirtschaftsmächte eine neue Verhandlungsrunde – über Investionen, über Wettbewerb und über das öffentliche Beschaffungswesen. Durch Verträge über die letzten zwei Bereiche wollen sie die noch bestehenden Rechte der einzelnen gewählten Regierungen und Parlamente beseitigen, Wettbewerb in ihren eigenen Ländern zu regulieren und bestimmte schwache oder sonst unterstützungswürdige Wirtschaftsakteure durch Aufträge zu unterstützen.

Wer hat das Sagen in der WTO?

Die WTO ist eine Organisation, in der die Entwicklungsländer die Mehrheit haben. Man könnte also meinen, da könne doch kein neuer Vertrag zustande kommen, der nicht ihrem Interesse dient. Aber alle Entwicklungsländer sind bei den G-7-Ländern, dem IWF und der Weltbank hoch verschuldet. Sie sind von deren Wohlwollen abhängig, viele sogar erpressbar geworden. Zwar lehnen einige von ihnen die „Millenniumrunde“ ab, weil sie fürchten, daß die vorgeschlagenen neuen Verträge sie in eine noch tiefere, neokoloniale Abhängigkeit von einigen Transnationalen Konzerne (TNK) bringen würde.

Die herrschenden Kreise aber unterstützen oft den Vorschlag einer neuen Liberalisierungsrunde, weil der übliche Interessensgegensatz zwischen der herrschenden Elite und der Mehrheit des Volkes natürlich auch im Bereich des Welthandels und grenzüberschreitender Investitionen besteht, und sie hoffen, von sozialen Verschlechterungen zu profitieren. Ähnlich läuft die Entwicklung auch in den Industrieländern einschließlich der EU-Länder.

Natürlich gibt es auch immer wieder innerkapitalistische Widersprüche, wie sie auch auf der Konferenz in Seattle zwischen USA und EU an die Öffentlichkeit kamen. Die geplanten neuen Verträge werden jedenfalls zu einer weiteren Verfestigung der weltweiten Konzernherrschaft und zur weiteren Entdemokratisierung führen. Sie würden der Mehrheit der Menschen schaden – auch in den Industrieländern. Darum gibt es in vielen WTO-Mitgliedsländern eine große Protestbewegung gegen die geplante Millenniumrunde, die Demonstrationen in Seattle, Washington und Prag werden nur der Anfang sein.

Fakten zu MAI und IWF

MAI (Multilateral Agreement on Investment): Neoliberale Verschärfung der NAFTA (Nordamerikanische Freihandelszone – Mexiko, USA, Kanada). Es ist ein Abkommen um Investoren vor Enteignung und Teilenteignung zu schützen. Wichtigsten Bestimmungen: Öffnung von geschlossenen und regulierten Märkten, Schutz vor Enteignung, Investitionsschutz, Völlige Freiheit für Investoren die erzielten Gewinne unbeschränkt aus dem Land abzuziehen und Schutz vor Unruhen.

IWF(Internationaler Währungsfond): Internationale Organisation, welche 1945 zur Förderung der weltweiten Zusammenarbeit in währungspolitischen Fragen, zur Sicherung der Stabilität der Währungen und zur Erleichterung des Welthandels gegründet wurde. Derzeit sind es über 160 Mitgliedstaaten, u a. auch ein Großteil der Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Im Rahmen seiner Aufgaben vergibt der IWF auch Kredite an Mitgliedstaaten mit Zahlungsbilanzdefiziten, bindet diese Kredite aber an wirtschaftspolitische Auflagen zur Beseitigung des Zahlungsbilanzdefizits (sog. Konditionalität der IWF-Kredite). Diese Konditionalität bedeutet für die Betroffenen unglaubliche sozialen Härten, der IWF hingegen sieht darin die Lösung von sozialen Problemen und nennt es die „Schaffung einer soliden Wirtschaftspolitik“.