Potenziale und Grenzen studentischer Proteste

Seit Anfang März versuchen wir nun, an den Unis Widerstand gegen die bevorstehende Einführung von Studiengebühren und gegen die schwarz-blaue Regierung im allgemeinen zu organisieren. Viele fragen sich, ob solche Proteste und insbesondere ein Streik überhaupt erfolgreich sein kann.

Tobias Heinisch von der BAGRU Gewi hat eine klare Antwort parat: "Ein Unistreik legt außer Unis gar nichts lahm und schadet auch der Wirtschaft nicht – somit ist er im herrschenden System ein vernachlässigbarer Faktor." (Volksstimme 12/00) Die Studis verfügten über keine Druckmittel, ein Streik schade daher "nicht der Regierung, sondern nur uns selbst" und v.a. – so Heinisch im Gleichklang mit der bürgerlichen Presse – den Bezieher/inne/n von Stipendien und Beihilfen. Deshalb seien ungefährlichere – und (noch?) wirkungslosere – Formen zu wählen, "kreativ" unseren "Unmut kundzutun".

Faktum ist, dass es uns noch viel mehr schaden wird, wenn die schwarz-blaue Kapitalistenregierung mit ihren Plänen durchkommen wird – dann wird«s vielleicht bald kaum mehr Stipendien etc. geben, wird der Zugriff des Kapitals auf Forschung und Lehre an den Unis noch direkter und massiver werden. Faktum ist aber auch, dass Viele (nicht nur "normale" Studis, sondern auch linke Aktivist/inn/en) nur dann bereit sind, von der individuellen Ausrichtung auf Schnell-Fertigstudieren abzurücken und etwas zu riskieren, wenn sie den Eindruck haben, dass das Ganze keine halbherzige Sache ist. Und auch sonst irrt sich Heinisch ganz ordentlich.

Grundsätzlich haben Unistreiks sehrwohl ein Potenzial. Zahlreiche Beispiele der letzten Jahrzehnte zeigen, dass breite studentische Bewegungen, die immer Streiks und Besetzungen beinhaltet haben, durchaus Zugeständnisse erringen können. Durch die Bestreikung, Besetzung und Blockierung von universitären Forschungsinstituten, die mit Konzernen verbunden sind, können in manchen Bereichen auch ziemlich rasch massive ökonomische Auswirkungen erreicht werden. Erfolge von Unistreiks sind wesentlich auch davon abhängig, ob es durch eine entsprechende Orientierung nach außen die Sympathie der lohnabhängigen Bevölkerung zu erlangen.

Eine Regierung stürzen, das kann ein Unistreik in der Regel nicht. Dazu – und erst recht für eine Bewegung, die das kapitalistische System in Frage stellt, brauchen wir Streiks in den Betrieben, die massiver an die Profite der Hintermänner von FPÖVP gehen. Unistreiks können aber zur Politisierung der Gesellschaft beitragen, die Widerstandbewegung ausweiten und für andere Bereiche eine Beipielswirkung haben. Auch wenn der Funke nicht gleich überspringt, sind heute, wo in der ÖIAG, bei der Post, der Austria Tabak etc. Betriebsversammlungen stattfinden und sich in manchen Gewerkschaften Unruhe breit macht, doch die Möglichkeiten für eine Beinflussung der Arbeiterklasse deutlich besser als etwa 1996 – als der Unistreik gerade deshalb scheiterte, weil die Verbindung zur Arbeiterbewegung so gar nicht klappte (und die damalige "linke ÖH" das auch gar nicht ernsthaft versuchte).

Studentische Streiks sind dabei ein besseres Mittel als die diffusen "anderen, bunten Protestformen", wo ein paar Aktivist/inn/en Transparente aus einem Fenster hängen oder als Beamten verkleidet durch Hörsäle gehen und irgendeinen fingierte Horror-Gesetzestext verlesen. Alle diese Dinge bekommen die meisten Studis nur so nebenbei mit, während der Lehrbetrieb weitgehend normal läuft. Eine sinnvolle Ergänzung können sie freilich dann sein, wenn in einem aktiven Streik die Aussetzung des universitären Normalbetriebes angestrebt wird. Für dieses klare Ziel sind auch wesentlich leichter (als für vereinzelte "Kreativaktionen") eine große Anzahl von Studis zu gewinnen, die in Gruppen von 10 oder 15 Leuten die noch stattfindenden Lehrveranstaltung abbrechen bzw. in Diskussionen umwandeln.

Ist das aber heute realistisch? Tatsächlich ist die Stimmung unter vielen Studis verunsichert, ängstlich und oft auch apathisch. Gleichzeitig ist aber eine deutliche Mehrheit gegen die Rechtsregierung und haben viele Studis an den Demos gegen FPÖVP teilgenommen. Und in der Hörer/innen/versammlung im Audimax am 15. März hat eine große Mehrheit der schätzungsweise über 1200 Anwesenden für eine Streikwoche gestimmt.

Die Position von Rosemarie Reitsamer (KSV), dass nur dann gestreikt werden kann, "wenn sich die Mehrheit der Studierenden dafür ausspricht" (Volksstimme 12/00), ist naiv, statisch und konservativ. Unistreiks (erfolglose wie erfolgreiche) werden nie von einer Mehrheit beschlossen, sondern – auf Grundlage einer vorhandenen Unzufriedenheit – von einer ausreichend großen aktiven Minderheit, die dann versuchen muss, die Mehrheit aufzuklären, zu gewinnen und den Rest zu neutralisieren. Es geht dabei eben gerade um die Veränderung von Bewußtsein im Kampf – statt eines selbstgenügsamen Hinnehmens der von der bürgerlichen Propaganda geschaffenen Situation in den studentischen Köpfen (was dann als Realismus ausgegeben wird).

In diesem Sinne ist auch die Haltung vieler linker Uni-Funktionäre zur ÖH, gelinde gesagt, unbrauchbar. Die Hoffnung, dass mit einer "linken ÖH" alles besser wäre, wird schon dadurch widerlegt, dass der 1987 gegen die AG-ÖH geführte Streik weit besser lief als der von der "linken ÖH" in die Niederlage geführte von 1996. V.a. aber erinnert die Argumentation, dass die gewählte ÖH – und nicht die HVs im Audimax und anderswo – den Willen der Studis repräsentiere, doch frappant an die Rülpser von Khol und Westenthaler gegenüber der Demobewegung. Dahinter steht bei den schwarz-blauen Herren ebenso wie bei den ÖH-verliebten linken Funktionär/inn/en die Auffassung, dass es Demokratie ist, wenn man/frau nach einem von unterschiedlichen Finanzmitteln geprägten Wahlkampf alle paar Jahre irgendwo ein Kreuz macht und damit die Gewählten bis auf weiteres mit einem Freibrief ausstattet

In Bewegungen kann sich Bewußtsein rasch verändern. Wahlergebnisse von gestern sind dann nur noch Relikte aus der Zeit der Passivität, denen sich die Aktivist/inn/en nicht unterordnen können. In Bewegungen müssen die Aktiven die Entscheidungen über ihre Vorgangsweise selbst treffen und sich – organisatorisch notwendige – Koordinationstrukturen schaffen, die sie jederzeit abwählen können. Solche Strukturen sprechen dann nicht für "die Studierenden", sondern für die Bewegung. Dafür müssen wir uns von den ÖH-Funktionären nichts vorschreiben lassen.

Am 15. März haben sich etwa 1000 Studis nicht für einen unbefristeten Streik (wie das von den Streik-Gegner/inne/n als Pappkamerad aufgebaut wird), sondern für eine Streikwoche ausgesprochen – im Bewußtsein darüber, dass eine Woche Streik keine Stipendien etc. bedroht, aber gleichzeitig doch einen substantiellen Widerstand darstellt, durch den außerdem überprüft werden kann, ob es möglich ist, apathische Stimmungen zu überwinden und den Kampf dann länger auszuweiten. Mit einigen hundert Aktivist/inn/en, die in systematisch eingeteilten Gruppen in die Lehrveranstaltungen gehen, wäre es durchaus realistisch, den universitären Normalbetrieb zumindest auf einigen Fakultäten ein Woche lang weitgehend in einen aktiven Streik umzuwandeln.

Ob das umsetzbar ist, hängt natürlich stark davon ab, ob die linken Organisationen an der Uni dabei eine vorwärtstreibende oder eine hemmende Rolle spielen. Bisher haben KSV und viele Basisgruppenfunktionär/innen (VSStÖ und GRAS waren kaum präsent) diese Ausrichtung systematisch torpediert.