Weltwirtschaft und Krise

Ostasien. Rußland. Lateinamerika. Bereits 40 Prozent der Weltwirtschaft sind von der Krise erfaßt. Gerade Japan und die ostasiatischen Tiger, die so lange als das Modell der Zukunft gepriesen worden sind, hat es schwer erwischt. Die großmäuligen Propagandist/inn/en des Kapitalismus, die Anfang der 90er Jahre das Ende der Geschichte und eine von Marktwirtschaft, Demokratie und Wohlstand geprägte neue Weltordnung verkündet haben, sind ratlos und verlegen geworden. Warum die jetzigen Krisenerscheinungen und ihre verheerenden sozialen Folgen erst der Anfang einer neuen Runde der kapitalistischen Barbarei sind und wer das wie verhindern kann, soll hier skizziert werden.

Die Asienkrise wurde im Juli 1997 durch den Zusammenbruch der thailändischen Währung ausgelöst. Daß sich der Baht nicht mehr halten konnte und daß sich die Krise rasch auf fast alle ost- und südostasiatischen Länder ausgeweitet hat, läßt sich freilich weder mit dem Hinweis auf böswillige Finanzspekulationen noch mit dem schlechten Zustand der asiatischen Banksysteme" hinreichend erklären. Die Ursachen der Krise liegen vielmehr im anarchischen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, konkret in den übermäßigen Investitionen in den ostasiatischen Ländern, die von – auch amerikanischen und europäischen – Banken und Konzernen in diesen Hoffnungsmärkten getätigt wurden. Die Folge war eine Anhäufung von zu viel Kapital (Überakkumulation) – und das in einem sich verengenden Weltmarktsegment, das für die exportorientieren Ökonomien der asiatischen Länder immer weniger ausreichend Platz bot. Einerseits wurden die klassischen Tiger Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong in technologisch weniger entwickelten Bereichen von den sogenannten Tigerbabies Indonesien, Thailand, Malaysia, den Philippinen und teilweise auch von der Volksrepublik China zunehmend herausgefordert. Und andererseits verschärfte sich in Bereichen wie Automobil, Halbleiter oder elektronische Massengüter die Konkurrenz zwischen Japan und insbesondere Südkorea, wo die großen Firmenkonglomerate, die Chaebols, ebenso wie in Japan auf eine vergleichsweise starke und systematische staatliche Unterstützung setzen konnten. Die Kombination aus internationaler Überakkumulation und verengtem Weltmarkt führte schließlich dazu, daß bereits vor dem Ausbruch der Krise etwa in Südkorea nur 70 Prozent der Industriekapazitäten ausgelastet waren.

Die Krise in Asien und ihre Folgen

Die Industrien der Tigerstaaten warfen für die Investoren nicht mehr so massive Profite ab wie zuvor. Und das wirkte sich nun fatal aus, denn viele Konzerne der Region agierten mit einer sehr geringen Eigenkapitalbasis und hohen Krediten, die jetzt immer weniger bedient werden konnten. Die Kette riß schließlich an ihrem schwächsten Glied, dem thailändischen. Die Abwertung der dortigen Währung zwang die Konkurrenten mitzuziehen, um nicht Exportmärkte zu verlieren. Im Oktober 1997 erreichte die Krise Südkorea und im November Japan, das bereits seit 1989 von anhaltenden wirtschaftlichen Problemen gezeichnet war. Da einerseits 44 Prozent der japanischen Exporte in andere asiatische Länder gingen und andererseits auch viel japanisches Kapital dorthin geflossen war, mußte der Krisenausbruch in Südostasien jetzt auch für die japanischen Konzerne verheerende Folgen haben. In Südkorea und Japan machten nun auch Firmen mit weltweiter Bedeutung Pleite – und rissen einige Großbanken gleich mit in den Abgrund. Kapital in der Höhe von zig Milliarden US-$ wurde mehr oder weniger über Nacht vernichtet. In Südkorea ist das BIP um 7 Prozent gesunken, in Indonesien um 15 Prozent.

Die Großkonzerne der verschiedenen asiatischen Länder und ihre Regierungen setzen seitdem – oftmals mit nationalistischen Parolen – natürlich darauf, die Kosten für die Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Durch Firmenzusammenbrüche und Entlassungen in angeschlagenen Unternehmen haben bereits Millionen Arbeiter/innen ihre Jobs verloren. Die Reallöhne werden gesenkt (in Indonesien bereits um etwa 50 Prozent) und die soziale Absicherung, die in Ländern wie Japan oder Südkorea stark über die Zugehörigkeit zu einem Großbetrieb läuft, scharf angegriffen. Die ohnehin schon mageren staatlichen Sozialprogramme werden weiter reduziert. In Indonesien lebt bereits über die Hälfte der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze. Allerdings schaut insbesondere die südkoreanische und indonesische Arbeiterklasse dieser Entwicklung keineswegs tatenlos zu, sondern versucht mit teilweise militanten Kämpfen ihre Interessen zu verteidigen.

Die Asienkrise hat aber nicht nur zu sozialen Konflikten in den unmittelbar betroffenen Ländern geführt, auch die Weltwirtschaft ist massiv betroffen. Europäische und US-Konzerne mußte bei ihren Exporten nach Asien bereits Einbrüche hinnehmen. In einigen amerikanischen Städten kam es schon zu einem Verfall der Immobilienpreise, weil japanische Firmen dort ihre Besitztümer abstoßen, um mit den Erlösen überhandnehmende Kreditzinsen zu begleichen. Darüberhinaus bedeuten die Währungsabwertungen der Tigerstaaten natürlich auch, daß deren Exporte billiger werden, was auf dem Weltmarkt in einigen Branchen für europäische und US-Konzerne, insbesondere aber für lateinamerikanische auf eine noch härtere Konkurrenz hinausläuft. Das war dann auch eine Ursache für die zunehmenden Probleme der lateinamerikanischen Ökonomien seit Herbst 1997, die schließlich zum Zusammenbruch des brasilianischen Real geführt haben. Der Hintergrund war freilich auch hier der verengte Weltmarkt, der den auf Exportorientierung getrimmten lateinamerikanischen Ländern das Leben zunehmend erschwerte. Zusätzlich haben nach dem Ausbruch der Krise in Asien viele westliche Investoren/Spekulanten gleich das Vertrauen in sämtliche ähnlich gelagerte Finanzplätze verloren, ihr Kapital in die vorerst sicheren kapitalistischen Zentren in Nordamerika und Westeuropa verschoben und damit die Krise in Lateinamerika erst so richtig losgetreten.

Eine vorläufige Stabilisierung & die Politik des IWF

Seit dem Winter 1997/98 ist es den Regierungen der wichtigsten kapitalistischen Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), in dem die G8-Länder über die Hälfte der Stimmen haben, gelungen, die Situation vorerst einigermaßen zu stabilisieren. Thailand bekam im August 1997 einen neuen IWF-Kredit in der Höhe von 4 Milliarden $, Indonesien im November 11,2 Milliarden $, Südkorea im Dezember 20,9 Milliarden $. Im Juli 1998 mußte schließlich für Rußland, das bereits 1996 9,2 Milliarden $ erhalten hatte, ein weiterer Kredit über 11,2 Milliarden $ locker gemacht werden, um dort einen völlige ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern und die prowestlichen Cliquen weiter an der Macht zu halten. Und auch die Kredite für die asiatischen Ländern hatten mit "Hilfsbereitschaft" rein gar nichts zu tun. Vielmehr geht es dem IWF darum, das westliche Finanzkapital vor Verlusten (in Form von uneinbringbaren Schulden) zu bewahren. Der größte Teil der IWF-Kredite geht sozusagen postwendend als Zinsen zurück an die Banken in New York, London oder Frankfurt/Main. Finanziert werden die IWF-Kredite aus den Beiträgen der Mitgliedsländer, d.h. überwiegend aus den Massensteuern der Arbeiterklasse.

Mit dieser Art der Umverteilung geben sich die IWF-Banker aber nicht zufrieden. Die Kredite sind stets an Auflagen gebunden. Einerseits wird eine Sparpolitik, also Kürzungen bei Sozialprogrammen, bei Subventionen für Grundnahrungsmittel etc. erzwungen. Andererseits wird eine völlige Öffnung der Wirtschaft der betroffenen Länder für den Weltmarkt, d.h. für den Zugriff der stärkeren westlichen Konzerne durchgesetzt: niedrigere Steuern für ausländische Investitionen, eine Umschichtung der staatlichen Subventionen von "nationalen" Industrien hin zu westlichen Konzernen, der Verkauf von strategischen Industrien und Banken an das internationale Finanzkapital. In Südkorea wird das jetzt Schritt für Schritt durchexerziert. Jahrzehntelang hatte man dort – um gegenüber der Sowjetunion, der VR China und Nordkorea ein stabiles kapitalistisch-prowestlich Regime abzusichern – massive finanzielle Unterstützung gewährt und ein relativ großes Ausmaß an Protektionismus geduldet, wodurch der Aufstieg der südkoreanischen Wirtschaft erst ermöglicht wurde. Damit war mit der Zeit aber auch ein lästiger Konkurrent herangewachsen, den man jetzt – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Einschwenken der VR China auf die Restauration des Kapitalismus – nicht mehr schonen mußte. Mit dem Ausbruch der Krise in Asien hat sich schließlich die Gelegenheit ergeben, die allzu selbstbewußt gewordene koreanische Bourgeoisie wieder in die Schranken zu weisen.

Daß eine Ausweitung der Krise der Tigerstaaten auf Nordamerika und Westeuropa bisher verhindert werden konnte, liegt in erster Linie daran, daß sich diese beiden kapitalistischen Zentren stärker auf ihre Binnenmärkte stützen und mit den Krisenländern wirtschaftlich weniger verbunden sind als etwa Japan. Die amerikanische Regierung hat außerdem durch Leitzinssenkungen dafür gesorgt, daß Kredite billiger werden und so die Wirtschaft – auch als Ersatz für entgangene Exporte – einen zusätzlichen Impuls erhält. Darüberhinaus haben die westeuropäischen und US-Konzerne nicht so hohe Fremdkapitalanteile und sind deshalb nicht so anfällig wie die ostasiatischen. Allerdings ist mit der vorläufigen Stabilisierung die ganze Sache für die Weltwirtschaft noch keineswegs ausgestanden.

Das erste Problem liegt schon darin, daß viele von den Krediten, die die asiatischen Ländern vor und nach dem Krisenausbruch aufgenommen haben, eine äußerst kurze Laufzeit haben. Gegen Ende des Jahres werden für Thailand, Indonesien, Südkorea etc. große Summen fällig werden – und es ist noch völlig unklar, wie die aufgebracht werden sollen. Da für die neuen Kredite außerdem sehr hohe Zinsen verlangt werden, kann es durchaus sein, daß damit die Verschärfung der Krise nicht nur verzögert, sondern gleichzeitig eine neue und noch tiefere Krise vorbereitet wurde.

Der IWF bemüht sich unterdessen hektisch, sein Budget weiter aufzustocken, um Spielraum für weitere Interventionen zu bekommen. Einige Regierungen von westlichen Großmächten haben bereits entsprechende Zusagen gemacht, und es ist klar, daß das durch neue Massensteuern und durch Sozialabbau auf Kosten der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Zentren finanziert werden soll. Allerdings könnten die Schwierigkeiten des kapitalistischen Weltsystems noch schneller wachsen als die Finanzreserven des IWF.

Vor neuen Problemen

Die Mittel, die die japanische Regierung locker gemacht hat, um den Abwärtstrend zu stoppen, werden bei weitem nicht ausreichen. Nach Schätzungen machen die uneinbringlichen Kredite der japanischen Banken 30 Prozent des japanischen BIP aus – und eine Summe in diesem Ausmaß kann kein Staat der Welt seinen Banken einfach schenken. Etliche japanische Banken und Konzerne sind nach kapitalistischen Kriterien schwer kränklich und einige davon letztlich nicht mehr überlebensfähig. Verschärft durch die Krise der Tiger wird es für die japanische Regierung immer weniger möglich sein, mit staatlichen Schutzmaßnahmen die "notwendige Marktbereinigung" weiter zu verzögern. Durch eine Reihe von Deregulierungsmaßnahmen wird das klassenübergreifende Bündnis zwischen dem Großkapital, den schwächeren Teilen des Kapitals, der Bauernschaft und den privilegierteren Teilen der Arbeiterklasse aufgebrochen werden. Das wird unvermeidlich zu Firmenzusammenbrüchen, Rationalisierungen, höherer Arbeitslosigkeit, niedrigeren Steuereinnahmen und sozialen und politischen Konflikten führen. Insbesonders wird das japanische Großkapital versuchen, seine Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen und nun auch die Errungenschaften der Stammbelegschaften in den großen Konzernen (Keiretsu), insbesondere deren Lohnniveau und deren Arbeitsplatzgarantien, zu attackieren.

Ein Ende der Krise in Japan ist jedenfalls nicht abzusehen – sie könnte vielmehr auf die Weltwirtschaft weiter negative Auswirkungen haben. Falls in Folge einer Vertiefung der Krise in Japan die japanischen Konzerne beginnen, ihre Firmenanteile, Wertpapiere und Aktien in den USA systematisch abzustoßen (um mit den Erlösen Verluste abzudecken), würde das auf die US-Ökonomie und insbesondere auf die Wall Street ernste Auswirkungen haben. Außerdem könnte sich das japanische Kapital angesichts der Krise gezwungen sehen, immer billiger zu exportieren, um sich mit dem Gewinn neuer Weltmarktanteile halbwegs über Wasser zu halten. Das wiederum würde sämtliche Konkurrenten unter Druck setzen und tendenziell auf einen Handelskrieg hinauslaufen, den alle beteiligten Konzerne und Staaten auch auf Kosten der Lohnabhängigen zu finanzieren versuchen würden. Und schließlich könnte Japan versuchen, Südkorea, China und Südostasien stärker als japanische Einflußzone abzusichern, was auf einen Konflikt mit den USA hinauslaufen müßte.

Damit aber noch nicht genug. In Rußland befinden sich die wirtschaftlichen Strukturen weitgehend in Auflösung, das Land wird von der neureichen kapitalistischen Mafia rücksichtslos ausgeplündert, ein großer Teil der Bevölkerung hungert und friert, und ein Ausweg aus der Situation ist im Rahmen der glorreichen Marktwirtschaft nicht abzusehen. Und auch wenn Rußland nur einen kleinen Anteil an der Weltwirtschaft hat, so wird es doch für den IWF weiter eine nicht unbedeutende finanzielle Belastung darstellen, will man verhindern, daß von dort eine politische Destablisierung des Weltsystems ausgeht.

Dazu kommt die Situation in der VR China, die in Ostasien zuletzt als hoffnungsvoller Hort von Wachstum und Stabilität gegolten hatte. Auch dort mehren sich jetzt zunehmend Krisenanzeichen. Das seit den späten 70er Jahren sehr hohe Wirtschaftswachstum hat sich 1998 massiv abgeschwächt. Die Exporte sind deutlich eingebrochen, ebenso wie das Interesse ausländischer Investoren. Auch in der chinesischen Industrie haben sich enorme Überkapazitäten aufgebaut, viele Betriebe machen Verluste, und davon ist nicht nur der Staatssektor betroffen, sondern auch und gerade die neuen kapitalistischen Vorzeigekonzerne, die angesichts geringerer Wachstumszahlen von ihren Schulden erdrückt werden. Dementsprechend gelten die vier größten chinesischen Banken als de facto insolvent. Ihre uneintreibbaren Kredite betragen mehr als ein Drittel des chinesischen Bruttoinlandsproduktes. Wenn sich dieser Trend fortsetzt – und wo sollten neuerlich ausgeweitete Exporte ihren Absatz finden? -, könnte die chinesische Regierung durchaus der Verlockung erliegen, ihre auf Druck der USA zuletzt "verantwortungsbewußte" Haltung aufzugeben und den Yuan (wie schon 1994) abzuwerten. Das wiederum würde die Asienkrise erneut anfachen.

Und schließlich häufen sich auch jenseits des Pazifiks die Probleme. In Lateinamerika ist der Höhepunkt der Krise sicherlich noch nicht erreicht, und eine weitere Verschlechterung der Lage in Brasilien, Argentinien, Venezuela oder Mexiko wird sich – ganz abgesehen davon, daß es für den IWF finanziell langsam eng wird – noch direkter und rascher auf die USA auswirken als die Asienkrise. Dabei kündigt sich in den USA selbst, nach acht Jahren Aufschwung, immer deutlicher eine hausgemachte Rezession an, die durch diverse Turbulenzen in der Weltwirtschaft beschleunigt und vertieft werden dürfte. Hintergrund und Hauptursache für die weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist freilich die internationale Überakkumulation von Kapital, das immer weniger profitable Anlagemöglichkeiten findet. Allein in Japan stehen fast so viele Neuwagen auf Halde, wie in Westeuropa in einem Jahr verkauft werden.

Perspektiven

Die herrschende Klasse, die Anfang der 90er Jahre noch so selbstbewußt und siegessicher war, ist nun entsetzt und planlos. Während ihre Strategen und Politiker/innen halbherzig versuchen, die Krisenerscheinungen als vorübergehende Fehlentwicklungen zu beschönigen, haben sie in Wirklichkeit kein Konzept, mit dem das kapitalistische System längerfristig aus dem Desaster wieder herauskommen könnte. Einzelne Staaten, Staatengruppen und Großkonzerne haben freilich sehr wohl Konzepte, wie sie vorerst von den schlimmsten Auswirkungen der Krise verschont werden sollen. Sie verschärfen die Angriffe auf die Arbeiterklasse, um durch eine intensivere Ausbeutung der Arbeitskraft die Profitraten abzusichern. Und sie setzen auf Kapitalkonzentration, um ihre Konkurrenten durch größere Effizienz aus dem Feld zu schlagen. Das hat bereits im letzten Jahr in einer Reihe von Mega-Fusionen seinen Ausdruck gefunden: unter anderem Daimler-Chrysler in der Automobilbranche, Deutsche Bank-Bankers Trust im Bankensektor und – mit einem Volumen von 80 Milliarden $ – Exxon-Mobil in der Erdölbranche. Das Fusionsvolumen betrug 1998 insgesamt unvorstellbare 2,4 Trillionen $, eine Steigerung von 50 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 1997. Schon jetzt verfügen etliche der Großkonzerne über Budgets, die selbst die von einigen EU-Staaten deutlich übertreffen, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sich die Großfusionen weiter fortsetzen werden (etwa in den Bereichen Telekom und Chemie).

Damit können einige Kapitalgruppen noch einmal ihre Haut retten, die Probleme der Weltwirtschaft werden dadurch aber nicht gelöst, sondern perspektivisch eher verschlimmert. Erstens ist dieses Spiel für schwächere Konkurrenten tödlich und führt dort zur "Freisetzung" der Beschäftigten. Zweitens geht die Kapitalkonzentration auch bei den fusionierten Konzernen in der Regel mit umfangreichen Rationalisierungen und Entlassungen einher. Die Millionen betroffenen Arbeiter/innen sind dann – von den individuellen Tragödien ganz abgesehen – nicht nur für die Staatshaushalte kostspielig (Steuerausfall, Arbeitslosenunterstützung), sondern sie verlieren auch an Kaufkraft, wodurch die ohnehin schon engen Märkte für Konsumgüter weiter verkleinert werden. Denselben Effekt haben natürlich auch sämtliche Angriffe auf die Lohnniveaus und Sozialleistungen der Arbeiterklasse, mit denen Konzerne ihre Konkurrenzfähigkeit beziehungsweise Regierungen die des jeweiligen Wirtschaftsstandorts erhalten wollen. Dadurch werden zwar die Profite erhöht, was für das Kapital erstmal positiv ist, gleichzeitig werden aber die Absatzmöglichkeiten insgesamt verschlechtert, die Überakkumulation und die Konkurrenz um die Realisierung von Profiten weiter verschärft. Das mag zwar kurzsichtig erscheinen, liegt aber tatsächlich in der chaotischen Logik des kapitalistischen Systems, in dem sich jeder selbst der nächste ist und in dem in der Folge alle gemeinsam auf eine weitere Vertiefung der ökonomischen Widersprüche zusteuern.

Um die verheerenden Auswirkungen des "freien Marktes" wenigstens irgendwie zu begrenzen, setzen etliche besorgte Bürgerliche und Sozialdemokrat/inn/en ihre Hoffnungen mittlerweile wieder auf etwas stärkere politische Eingriffe in die Wirtschaft. Durch eine staatliche Regulierung der Finanzmärkte sollen die Möglichkeiten der Spekulant/inn/en zur Destabilisierung von Volkswirtschaften einigermaßen in die Schranken gewiesen werden. Ein neuer globaler Keynesianismus soll die Standortkonkurrenz mildern, unter anderem mit einer Steuer auf Finanztransaktionen (Tobin-Tax) soll wieder eine gezieltere staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik finanziert werden. Wenn auch durchaus vorstellbar ist, daß – je nach Konjunkturentwicklung und wirtschaftlichem Spielraum der Regierungen, v.a. in der EU und den USA – die eine oder andere Maßnahme in diese Richtung durchgesetzt wird, so ist eine solche Politik von einer Realisierung weit entfernt.

Und das ist auch kein Wunder, denn die sogenannten politischen Eliten sind direkt oder indirekt korrumpierte Handlanger der tonangebenden Kapitalgruppen. Von ihnen ist nichts zu erwarten, was die Profite ihrer Sponsoren beeinträchtigen könnte. Vor allem aber bleiben die obigen Vorschläge bei oberflächlichen Problemen wie Spekulation oder Auswüchsen im Finanzsystem stehen und kriegen das zentrale Problem der Überakkumulation nicht in den Griff. Von den späten 40er bis in die späten 60er Jahre gab es tatsächlich wirtschaftlichen Spielraum für keynesianische Politik: auf Grundlage der Kapitalvernichtung des Krieges, der hohen Profitraten, der ökonomischen Hegemonie der USA und der technologischen Erneuerung in der Industrie. Mittlerweile hat die internationale Überakkumulation von Kapital aber wieder ein Ausmaß erreicht, das Kompromisse zwischen den Kapitalgruppen und Staaten einerseits und gegenüber der Arbeiterklasse andererseits immer weniger zuläßt. Um die gegenwärtige zerstörerische Dynamik in der Weltwirtschaft zu durchbrechen, wird es notwendig sein, dem "freien Wirken der Marktkräfte", also der freien Verfügungsgewalt der Bourgeoisie über Kapital, Betriebe und Arbeitskräfte, ein Ende zu setzen.

Die Kapitalistenklasse und ihre politischen Vertreter werden dazu nicht bereit und in der Lage sein – auch wenn immer offensichtlicher wird, daß das kapitalistische System für die Mehrheit der Menschheit nur Unsicherheit und Armut und für sich selbst nur zunehmende Widersprüche zu bieten hat. Eine Perspektive über die Logik des Kapitalismus hinaus kann nur von der Arbeiterklasse getragen werden. Diese Klasse, die in den letzten Jahrzehnten international immer stärker angewachsen ist, hat aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozeß nicht nur die Möglichkeit, die kapitalistische Produktion und damit die Profitmacherei lahmzulegen. Sie ist auch die einzige soziale Kraft, die die Produktion und Zirkulation übernehmen und neu organisieren und damit zum Träger einer neuen, planwirtschaftlich-rätedemokratischen, sozialistischen Gesellschaft werden kann.

Von einer revolutionären Ausrichtung ist die internationale Arbeiterbewegung allerdings – da soll man sich nichts vormachen – zur Zeit weit entfernt. Durch die jahrzehntelange sozialdemokratische Integration der bessergestellten Teile der Arbeiterklasse in das System (insbesondere in Europa) und die bürokratische Herrschaft des Stalinismus ist eine sozialistische Perspektive für viele Arbeiter/innen unvorstellbar und/oder diskreditiert. Reformistische Parteien und Gewerkschaften dominieren die Arbeiterbewegung, binden große Teile der Arbeiterklasse an die Interessen "ihrer" Kapitalistenklassen und ersticken Klassenkämpfe oft schon im Keim.

Das kann sich allerdings schnell ändern. In die weitverbreitete Identifikation mit dem nationalen Kapital und die Hoffnung auf eine geänderte Politik im Rahmen des Systems mischen sich bereits jetzt auch Elemente der Verweigerung, der Rebellion und der Einsicht, daß der Kapitalismus den Arbeiter/inne/n nur immer schlechtere Verhältnisse zu bieten hat. Angesichts einer Vertiefung der Krise des Systems und zugespitzter Klassenauseinandersetzungen können sich diese Elemente verstärken und schließlich zu einer antikapitalistischen Stoßrichtung verdichten. Kämpfe wie die Revolten in Indonesien, die Streiks und Betriebsbesetzungen in Südkorea und auch Arbeitskämpfe in Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern bieten reichlich Anknüpfungspunkte für revolutionäre Politik. Und die Klassenkämpfe werden in Zukunft – auch wenn es sich vorerst überwiegend um Abwehrkämpfe handeln wird – mit großer Wahrscheinlichkeit weiter zunehmen. Damit sie nicht orientierungslos an den Sachzwängen der Marktwirtschaft und dem internationalen Agieren des Kapitals zerschellen, braucht die Arbeiterbewegung allerdings eine internationalistische Neuformierung. Erst durch eine heftige politische Auseinandersetzung in der Arbeiterbewegung und der Linken wird sich in Wechselwirkung mit den Erfahrungen und Erfordernissen der Klassenkämpfe die einzig zukunftsweisende Perspektive durchsetzen können: Raus mit dem patriotischen Gift aus der Arbeiterbewegung! Internationaler Klassenkampf!