Eisenbahner: Von der orangefarbenen Warnweste zur gelben Weste

Seit einigen Jahren jetzt haben sich die Eisenbahner daran gewöhnt, sich für die « Lokomotive » der verschiedenen Protestbewegungen zu halten, die breite Massen erfassen oder es versuchen. Zu Recht oder nicht… Aber ihre Teilnahme in Form von verlängerten frankreichweiten Streiks an den Protestbewegungen von 1995, 2003, 2010 und in jüngerer Zeit im Jahre 2016 gegen das Arbeitsgesetz war immer von Gewicht. Das hat den Eisenbahnern einen besonderen Platz als kämpferischem Bestandteil der Arbeiterklasse verliehen. Dies erklärt zum Teil, warum sie sich am Anfang abwartend verhalten gegenüber der Gelbwestenbewegung  und nur zögerlich « auf den Zug aufspringen ». Aber zum Zeitpunkt, wo wir schreiben, fangen sie an, diese zögerliche Haltung aufzugeben. Und der Argwohn weicht der Bewunderung.

In der Woche vor dem 17. November, dem Anfangstag der Straβenblockaden und Demonstrationen der Gelbwesten, fand die Bewegung nur wenig Anklang bei den Eisenbahnern.

Die Versuche der Ultrarechten und Fabrikbosse, die Bewegung  für sich zu instrumentalisieren, wirkten ernüchternd auf viele in diesem vorrangig linksgerichteten Milieu. Man stellte sich Fragen, bevor man sich einer Bewegung anschloss, auf die Marine Le Pen und Laurent Wauquiez sich beriefen – zwar nur sehr halbherzig und ohne wirklichen Einfluss auf die Gelbwesten, die ihre Aktionen an der Basis organisierten.

Die dreimonatige Mobilisierung im Frühling gegen die Eisenbahnreform hat die Teilnehmer wenn nicht entmutigt, doch irgendwie ernüchtert : vor allem wegen der finanziellen Folgen. Und dies um so mehr als die SNCF laufend Umstrukturierungen durchführt, sprich : massenweise Stellen streicht. Vor allem unter den Gewerkschaftsaktivisten war für ein paar Tage die Erbitterung spürbar. Man stellte sich dauernd die Frage : Warum sollte man diejenigen unterstützen, die während des Streiks vom vergangenen Frühling die Eisenbahner angeblich kritisierten ? Die unerwartete Retourkutsche wegen der von der Regierung und der regierungsfreundlichen Presse organisierten Diffamierungskampagne gegen die Eisenbahner… Dennoch hatte diese Diffamierungskampagne damals keinen Erfolg : Davon zeugen die zahlreichen Spenden an den Streikkassen !

Die anfänglich abwartende Haltung der Eisenbahner gegenüber der Gelbwestenbewegung wurde von den Geschäftsführungen gefördert, auch von der CGT _und Sud-Rail. Um so mehr als hochriskante Betriebswahlen zur Besetzung von Gewerkschaftssitzen vom 16. bis 22. November stattfanden. Die Erklärungen vom CGT-Boss Philippe Martinez, der die Gelbwesten der Ultrarechte gleichsetzte, haben dazu beigetragen, die Kluft zu vertiefen zwischen den Eisenbahnern, oft mit festen Arbeitsverträgen und mehr als im Durchschnitt gewerkschaftlich organisiert – und den Gelbwesten, einer Gruppierung von Beschäftigten aus dem Niedriglohnsektor, weniger gewerkschaftlich organisiert, und Beschäftigten aus kleineren Betrieben.

Orangefarbene Westen, Gelbwesten : Unser Kampf ist derselbe !

Die Entschlossenheit der Gelbwesten hat diese Hindernisse beseitigt. Sie fangen an, breite Unterstützung bei den Eisenbahnern zu finden. Der Erfolg des 17. Novembers, der Umstand, dass die Blockaden in der folgenden Woche durchhielten, die immer sichtbarer werdende Verlegenheit der Regierung : Das alles hat dazu beigetragen, dass die Diskussionen zu einer Unterstützung der Bewegung führen. Wegen dem Ökogehabe Macrons und seiner Verkehrsministerin Elisabeth Borne schlug die Stimmung in der Öffentlichkeit schlieβlich um : Diese Gauner nehmen diejenigen aus, dessen einziges Transportmittel das eigene Auto ist, nachdem sie die Schlieβung von Eisenbahnlinien oder deren Privatisierung vorangetrieben haben !

Während des vergangenen Frühlingsstreiks hatte sich eine Handvoll Aktivisten in Organisationskomitees  zusammengeschlossen, um die Verbindung zwischen den einzelnen Bahnhöfen herzustellen : die so genannten «  Comités Intergares ». In der fiebrigen Stimmung von heute haben diese Aktivisten für Samstag, den 24. November zu einer Vollversammlung vor dem Bahnhof Saint-Lazare aufgerufen. Anschlieβend wollte man die Gelbwestendemonstation auf den Champs-Elysées wiedertreffen.

Die Versammlung war zahlenmäβig nur symbolisch – ein paar Dutzend Eisenbahner. Und zusammen 150 Personen, die sich ihnen angeschlossen haben. Aber mit dieser Versammlung  und ihren orangefarbenen Warnwesten konnten die Eisenbahnarbeiter  den Gelbwesten zeigen, dass sie sie unterstützen. Sie konnten auch an der Demonstration teilnehmen : Mit einem festgefügten Block, Parolen und einem breiten Transparent von 20 m, das im Pariser Gare de l’Est während des Frühlingsstreiks angefertigt wurde : « Lasst uns vereint Macron aus der Bahn werfen! ». Bei dieser Gelegenheit konnten die anwesenden Aktivisten die unbedeutende Anzahl vorhandener Ultrarechten vor Ort feststellen. Und die Unterstützung durch die Gelbwesten, die sie freundlich aufgenommen haben.

Die Eisenbahner, die an der Demonstration vom 24. November teilgenommen hatten, kamen dabei zu der Überzeugung, dass die Gelbwesten, die jetzt das Tagesgeschehen prägen, ein Teil der Arbeiterklasse sind. Sie sind weit entfernt vom Zerrbild, das die Massenmedien, die Regierung und die Gewerkschaftsbonzen von ihnen verbreitet haben. Sie sind in den Kampf getreten. Diesen Kampf müsste man generalisieren.

Wir sind alle Gelbwesten !

In der Woche vor dem 1. Dezember waren die Gespräche unter Arbeitskollegen sehr lebhaft. Der Argwohn wich dem Willen, sich der Bewegung anzuschlieβen. Nur wusste man nicht nicht sehr gut wie. Es wurde viel diskutiert über das Schweigen der Gewerkschaftsführungen, sogar über ihre feindliche Haltung gegenüber der Gelbwestenbewegung, aber das hat – glücklicherweise – die Leute nicht überzeugt und nicht überrascht (das ist nicht das erste Mal).

Schon vor dem « Dritten Akt », von dem man schon wusste, dass er erfolgreich werden würde, begannen die Leute zu sprechen : Eisenbahner, die sich regelmäβig mit den Gelbwesten bei den Straβenblockaden trafen, sprachen mit Stolz davon am Arbeitsplatz. Das sind nicht immer die Streikwilligsten, aber bei Streikbewegungen machen sie wenigstens ein bisschen mit. Umgekehrt : Die Aktivisten, die sich als Eisenbahner auf Vollversammlungen der Gelbwesten vorgestellt haben, stellten fest, dass sie freundlich aufgenommen wurden. Vorausgesetzt, dass sie nicht als gewerkschaftliche Klugscheiβer bei den Gelbwesten auftreten, die seit fast zwei Wochen ohne Unterbrechung an den Blockaden teilnehmen !

Für die Pariser Demonstration vom 1. Dezember gab es eine neue Eisenbahner-Vollversammlung auf dem Bahnhof Saint-Lazare mit dreimal mehr Kollegen als in der vorigen Woche. Die meisten Reden liefen auf dasselbe hinaus : Die Gelbwesten sind Arbeiter wie wir. Durch ihre Entschlossenheit und ihren festen Willen, ihre Forderungen durchzusetzen, ohne sich mit Verhandlungen mit der Regierung einlullen zu lassen, zeigen sie uns den Weg. Unter den Eisenbahnern, die vorhanden waren, haben einige von ihnen ihre orangefarbene Weste gegen eine gelbe getauscht : » Wir sind alle Gelbwesten ! ».

Von allen Anwesenden gab es nur einen, der vorschlug, an der Demonstration der CGT am Platz de la Republique teilzunehmen. Aber man folgte ihm nicht : Das Wichtigste geschah auf den Champs-Elysées ! Der Demonstrationszug ging das rechte Seine-Ufer entlang, Kampflieder singend und im Hagel von Tränengasgranaten. Demonstrierende Studenten gegen die Erhöhung der Immatrikulationsgebühren für Ausländer schlossen sich an (das ist die jüngste Maβnahme von Macron und seiner Freunde, die zweifellos Marine Le Pen gefallen wird), gefolgt vom Kollektiv « Wahrheit und Gerechtigkeit für Adama Traoré – die Vorstädte in gelben Westen » und von Hunderten, dann Tausenden von Demonstranten, die froh waren, eine festgefügte Gruppe hinter Transparenten zu treffen.

Und nun?

Zum Zeitpunkt, wo wir schreiben – am Tage nach der Demonstration vom 1. Dezember – kann man unmöglich Voraussagen über die weitere Entwicklung der Bewegung machen. Werden die « Gewalttätigkeiten » und ihre Inszenierung die Ausbreitung der Bewegung verhindern oder im Gegenteil wegen der sozialen Wut Anklang finden ? Wird Macron teilweise nachgeben oder einen Rückzieher vortäuschen ? Und zur gleichen Zeit die Repression verschärfen ? Wird die Jugend mit der ihr eigenen geballten Energie in den Kampf treten ?

Es ist zweifellos ganz im Interesse der Eisenbahner, sich mit ganzer Kraft dieser Revolte eines Teils der Arbeiterklasse anzuschlieβen, ohne auf irgend ein Zeichen der Gewerkschaften zu warten. Im Augenblick bewirken die Aufrufe der Gewerkschaftsbonzen nur eines : Sie isolieren die Gewerkschaftler von dieser Protestbewegung der arbeitenden Klassen gegen die zu hohen Lebenshaltungskosten, wie zum Beispiel als die CGT am Samstag, 1. Dezember, zur eigenen Demonstration in Paris aufrief.

Die Eisenbahner, ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht, haben viel Erfahrung gesammelt : Streiks, Streikposten, Hauptversammlungen und für einige von ihnen Aktions- oder Streikkomitees. Sie könnten dazu beitragen, die Gelbwestenbewegung landesweit zu verstärken. Zuerst, indem sie den Gelbwesten bei den Blockaden und den Demonstrationen mithelfen. Und dann, sehr schnell vielleicht, indem sie bei den Diskussionen den Streikaufruf in den Betrieben, angefangen in der SNCF auf die Tagesordnung setzen, um die jetzige Bewegung zu verstärken und zu verankern.

 

2. Dezember 2018