Marxismus und Autofahren

Autofahren ist heute ein zentrales Element der westeuropäischen Alltagskultur. Gleichzeitig gibt es gerade in der Linken massive Kritik am Stellenwert und der Dominanz des motorisierten Individualverkehrs. Wir versuchen uns an einem marxistischen Standpunkt.

Folgen des Autoverkehrs

Schon seit Jahrzehnten kritisieren zahlreiche Raum- und VerkehrsplanerInnen immer wieder, teils mit drastischen Worten und Vergleichen, die Mechanismen der gegenwärtigen Autokultur. Die Kritik am Auto ist evident: Jedes Jahr werden in der EU 40.000 und weltweit eine Million Menschen Opfer des Autoverkehrs. Das Automobil ist damit das gefährlichste Verkehrsmittel überhaupt. Nicht mit eingerechnet sind hier die gesundheitsschädigenden Langzeitfolgen. So verringert sich laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die durchschnittliche Lebenserwartung durch den Feinstaub in der EU um rund 9 Monate. Neben Smog, Feinstaub oder giftigen Bestandteilen in den Kraftstoffen ist die Lärmbelastung, besonders in den Ballungsräumen oder neben Autobahnen, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Auch über die massive Umweltbelastung durch den Individualverkehr (Stichwort Klimawandel) gibt es keine Zweifel.

Dazu kommt der enorme Flächenverbrauch des motorisierten Individualverkehrs. So beanspruchen Autos in Großstädten rund 80% des Straßenraums. In der österreichischen Hauptstadt Wien füllen die Autos mit Wiener Kennzeichen Parkraum in der Größe von 1400 Fußballfeldern – Raum, der etwa für Sport- und Spielplätze, Grünflächen oder Geh- und Radwege fehlt.

Durch die Dominanz des Automobils im Straßenverkehr werden andere VerkehrsteilnehmerInnen – FußgängerInnen und RadfahrerInnen – im wahrsten Sinn des Wortes an den Rand gedrängt, oft auf handtuchbreite Streifen. Während für Autos die Ampeln häufig so geschalten werden, dass „grüne Wellen“ entstehen, müssen Zebrastreifen nicht selten im Laufschritt überquert werden, bevor die Ampel wieder auf „rot“ schaltet.

Das Automobil und seine KritikerInnen

KritikerInnen des Autoverkehrs setzen unserer Ansicht nach allerdings sehr oft an der falschen Stelle an – nämlich beim Individuum bzw. der individuellen Verantwortung. Mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Abscheu werden AutofahrerInnen betrachtet, die sich, den KritikerInnen zufolge, zu faul, zu egoistisch oder zu wenig umweltbewusst verhielten. Ausgeblendet wird hier, dass individuelle Entscheidungskompetenz im Kapitalismus immer nur beschränkt gegeben ist.

Wir MarxistInnen aber betrachten Lebensstile nicht als eine rein individuelle Entscheidung, sondern als beschränkte Optionen innerhalb gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Vorstellungen. Das heißt nicht, dass wir individuelle Verantwortung völlig außer Acht lassen. Wer es etwa, vor allem in Städten mit einem gut ausgebauten Mülltrennsystem, nicht schafft, alte Zeitungen von leeren Aludosen zu trennen, muss sich nicht auf das kapitalistische System ausreden.

Ganz anders sieht es da aber schon bei Fragen wie Wohnen oder Mobilität aus. Hier ist der Lebensstil oft nicht völlig frei gewählt, sondern durch unterschiedliche materielle Möglichkeiten und Zwänge vorgegeben. Schließlich müssen wir uns schon die Frage stellen: Wenn Autofahren derart schädlich ist, und wir die Masse der Bevölkerung nicht für zu dumm halten, um die Kritik am Automobil zu verstehen, warum ist Autofahren dann immer noch derart beliebt und verbreitet? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas tiefer in den Motorraum des Kapitalismus vordringen.

Kapitalismus, Massenmotorisierung und Autofahren als Lebensstil

Anfangs ein absolutes Luxusobjekt, wurde das Automobil in den USA ab den 1930er Jahren und in Westeuropa ab den 1950er Jahren schrittweise zum Konsumgut der Massen. Vor allem ab den 1970ern setzte in Europa eine wahre Massenmotorisierung ein. So stieg beispielsweise in Deutschland die Zahl der PKW von 20 Millionen im Jahr 1975 auf 49 Millionen im Jahr 2005.

Unzweifelhaft war die Automobilbranche eine der zentralen kapitalistischen Schlüsselindustrien der letzten Jahrzehnte. Sie galt regelrecht als Motor des Kapitalismus und war einer der entscheidenden Trägerinnen des Wirtschaftsbooms nach dem zweiten Weltkrieg.

Gemeinsam mit dem Einfamilienhaus und der Kleinfamilie wurde das Auto zu einer der Säulen der kulturellen Ordnung des Nachkriegskapitalismus stilisiert. Assoziationen mit dem Auto gingen und gehen bis heute weit über seine praktische Bedeutung als Fortbewegungsmittel hinaus. Das Auto steht für Freiheit, Individualität oder die Beherrschung von Technik. Alles Dinge, die die meisten Lohnabhängige im Kapitalismus nur sehr eingeschränkt vorfinden. Ebenso dient es als Statussymbol – in einer Welt die sich auf dem Privateigentum gründet, nicht weiter verwunderlich.

Freiheit auf vier Rädern?

Ungeachtet der vielen Barrieren (Staus, Kosten etc.) entsteht das Gefühl, völlige Kontrolle über ein Gerät zu haben, welches seiner Besitzerin Mobilität zu jeder Zeit ermöglicht. Viele Lohnabhängige erleben in der Benutzung des Autos einen diametralen Unterschied zu ihrer Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess, wo sie in der Regel weder Zeit, Ort noch Tätigkeit frei bestimmen können.

Während hier die Maschine den Menschen kontrolliert, kontrolliert beim Autofahren der Mensch die Maschine. Das erklärt auch, warum es viele Menschen so genießen, nach der Arbeit ins eigene Auto zu steigen – obwohl der Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln vielleicht sogar schneller wäre. Es hat dies nichts mit unsozialem Verhalten zu tun, sondern mit der verständlichen Flucht aus der erzwungenen, dem Profit untergeordneten, Kollektivität der kapitalistischen Arbeitswelt.

Nur unter Betrachtung dieser Faktoren lässt sich die starke Emotionalität erklären, mit der Debatten zur Regulierung des Autoverkehrs häufig geführt werden. Als Beispiel mag die Debatte um die Parkraumbewirtschaftung in Wien dienen (genannt “Parkpickerl”, also “Parkkleber”). Viele AutofahrerInnen reagieren nicht unbedingt nur deswegen so gereizt, weil mit dem sogenannten „Parkpickerl“ zusätzliche Kosten auf sie zukommen mögen, sondern weil sie das Gefühl beschleicht, dass ihnen von oben herab ein bestimmter Lebensstil aufgezwungen werden soll.

Ein Männertraum

Dies alles trifft allerdings viel eher auf Männer als auf Frauen zu. Schließlich ist Autofahren in unserer Kultur auch die Inszenierung von Männlichkeit. Es ist kein Zufall, dass bei Paaren oft automatisch der Mann am Lenkrad sitzt. Es ist kein Zufall, dass viele Männer ihr Auto sorgsamer pflegen als ihre Zähne. Es ist kein Zufall, dass es oft heißt, Frauen könnten viel schlechter fahren als Männer – obwohl Studien eher das Gegenteil beweisen.

Die Sozialisation einer Gesellschaft, welche Frauen die Beherrschung von Kraft und Technik nicht zutraut, produziert entsprechende Denk- und Verhaltensweisen. Und die Selbstverständlichkeit, mit der sich im Alltag die meisten Männer ihren Raum nehmen und Frauen dabei an den Rand drängen, passt sehr gut zur Dominanz des Autos im öffentlichen Raum.

Wer fährt welche Autos?

Das Auto ist heute ein zentrales Element großer Teile der proletarischen Alltagskultur in Westeuropa. Beliebte Vorurteile sind hier allerdings nicht angebracht. Das bildungsbürgerliche Klischee von den rücksichtslosen „Proleten“ mit ihren motorisierten Statussymbolen ist eine Vorstellung ohne breite materielle Grundlage. Schließlich fahren die meisten ArbeiterInnen eher kleine, billige Autos.

Jenes Segment der männlichen ArbeiterInnenjugend, welches sich Mercedes oder Audi als Statussymbole zumeist auf Pump bzw. als Leasing-Gefährt kauft, ist keineswegs repräsentativ für die ArbeiterInnenklasse. Oft sind das auch migrantische Schichten, wo das teure Auto dann auch als Symbol dafür herhalten muss, dass die jeweilige Person den Aufstieg geschafft hätte – die Kreditkosten und das Minus auf der Bank werden da schnell ausgeblendet. Doch auch hier: kein Zufall, dass Schichten, die permanent Unterdrückung erfahren, auch einmal Selbstbewusstsein zeigen wollen.

Wer das Geld hat, hat die Macht – und das entsprechende Auto

Insgesamt aber sind es selbstverständlich die Viertel der Reichen, wo es die meisten teuren Autos gibt. In den bürgerlich geprägten Bezirken Berlin-Charlottenburg oder Wien-Josefstadt drängen sich dann die SUV (Sport Utility Vehicles – riesige Komfortautos in Geländewagenoptik) aneinander – und wir fragen uns, ob hier mitten in der Stadt die Vierrad-Antriebe wirklich so unumgänglich sind wie es scheint.

Für andere Großstädte können ähnliche Beobachtungen gemacht wird: In den Niederlanden heißen die großen SUV sogar PC-Hoof-Truck, benannt nach der PC Hooftstraat in Amsterdam, einer der teuersten Einkaufsstraßen der Stadt. Interessant zu erwähnen wäre an dieser Stelle übrigens auch, dass etwa in Wien der Bezirk mit der größten privaten PKW-Dichte der hervorragend ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossene zentrale 1. Bezirk mit seiner äußerst wohlhabenden Bevölkerung ist.

Autos sind für alle anderen sichtbare Symbole von Status und Wohlstand. In Firmen etwa ist ganz genau geregelt, wer auf welcher Ebene der Hierarchie welchen Dienstwagen bekommt. Und so ist bereits beim Einparken am Firmenparkplatz klar, wer es wieweit geschafft hat in der Firma. Und auch außerhalb der Arbeitswelt hat das Auto einen enormen Wert. Es vermittelt sofort den Reichtum und Status des Besitzers – nicht zufällig fahren gerade ältere reiche Männer auffallend oft protzige Autos, die einen Hinweis auf das Vermögen des Besitzers liefern

Und was die Rücksichtslosigkeit betrifft, ist schon länger bekannt und durch zahlreiche Studien gut gesichert, dass sich Personen mit Oberklassewagen im Straßenverkehr signifikant rücksichtsloser verhalten, als solche mit Kleinwagen. (Sehr interessant dazu die Studie von Paul Piff von der University of California)

Stadtentwicklung und Autoverkehr

Kommen wir nun aber zu der rein praktischen Bedeutung des Autofahrens. GegnerInnen des Autoverkehrs argumentieren häufig, dass dieser in vielen Fällen nur mit Bequemlichkeit zu tun hätte, schließlich sei die Zeitersparnis oft nur minimal oder gar nicht gegeben. Nun, Bequemlichkeit ist in diesem Zusammenhang ein Wort mit negativem Beigeschmack. Ist es einer lohnabhängigen Kollegin, die vielleicht 9 oder 10 Stunden schwere Arbeit verrichtet, wirklich zu verdenken, wenn sie das Auto nimmt und sich damit hin und retour insgesamt eine Stunde Freizeit mehr ermöglicht?

Die gesellschaftliche Dimension des Problems wird hier wiederum offensichtlich: der Zwang und/oder Wunsch möglichst schnell von A nach B zu kommen (ein häufiger Grund für die Verwendung eines Autos) hat mit der wenigen frei verfügbaren Zeit der lohnabhängigen Bevölkerung zu tun. Eine Verkürzung der Arbeitszeit, Arbeitsplätze in der Nähe der Wohnumgebung und eine Ausdehnung des Urlaubsanspruchs etwa könnten hier zu einer massiven Entspannung führen. Autofahren – und Mobilität an sich – ist Teil unseres kollektiven Lebensstils; und der ist massiv von kapitalistischer Lohnarbeit und ihrer Hektik geprägt.

Zersiedelung hat ihre Gründe

Viele können ihren Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch nur schlecht oder gar nicht erreichen. Ja, aber niemand müsse am Land wohnen, antworten dann manche Auto-KritikerInnen. Dem wäre entgegenzuhalten, dass nicht alle PendlerInnen in einer Villa mit Pool und protziger Garage im „Speckgürtel“ der Großstädte wohnen. Viele, vor allem Familien mit mehreren Kindern, ziehen auch an den Stadtrand oder in Kleinstädte, weil sie sich angesichts steigender Mieten und Gentrifizierung das Leben in der Großstadt nicht mehr leisten können.

Und so geht die Zersiedelung munter weiter. Diese aber ist ökologisch sehr problematisch – zwangsläufig müssen die meisten Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, immer mehr Böden werden versiegelt und und die Zersiedelung bedeutet auch extrem hohe Infrastruktur- und Erschließungskosten, die real meist von der öffentlichen Hand getragen werden.

Doch Arbeitsplatzangebot, der Immobilienmarkt, die Ausdünnung der Nahversorgung durch Einkaufszentren oder die kapitalistische Raumplanung an sich – all das sind Bereiche, wo sich die freie Entscheidung des Individuums in engen Grenzen hält.

Diesen Aspekt ins Zentrum zu rücken, würde auch bedeuten, wieder an der falschen Stelle, nämlich bei der individuellen Verantwortung für das kapitalistische Elend, anzusetzen. Eine Besonderheit des Kapitalismus ist es ja, dass in diesem System der Konkurrenz und Vereinzelung viele Entscheidungen zwar rational für das Individuum aber irrational für die Gesellschaft sind.

Ein Beispiel: Eine Familie will, dass ihre Kinder ohne Abgase und Straßenlärm, „im Grünen“, wie es so schön heißt, aufwachsen können und zieht deshalb aufs Land. Da die Eltern aber wieder mit dem Auto in die Stadt zur Arbeit pendeln müssen, verschlimmern sie dadurch nur jene Probleme, wegen denen sie weg gezogen sind – für alle anderen, die es sich vielleicht nicht leisten können.

Lenkungseffekte und ihr Klassencharakter

Maßnahmen, die auf den Geldbeutel der Einzelnen abzielen, lehnen wir MarxistInnen unter den gegenwärtigen Bedingungen ab. Dazu gehört beispielsweise auch die Ausweitung des „Parkpickerls“ in Wien. Wie alle anderen Massensteuern auch, hätte diese Maßnahme einen Lenkungseffekt, der vor allem Schichten mit niedrigeren Einkommen trifft. Während sich besser verdienende Schichten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen locker leisten können, trifft es jene besonders hart, die sich das Auto jetzt schon kaum leisten können, aber es möglicherweise aus verschiedenen Gründen brauchen. Oder auch nicht. Doch auch dann sollten alle die gleiche Möglichkeit haben, Auto zu fahren – oder im Stau zu stehen oder darauf verzichten zu müssen. (Zur Debatte rund um das „Parkpickerl“ in Wien werden wir in Kürze einen eigenen Artikel veröffentlichen.)

Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass sich Teile der ArbeiterInnenklasse heute gar kein Auto (mehr) leisten können. In Deutschland besitzen 18 Prozent der Haushalte kein Auto, aber nur vier Prozent geben an, sie hätten keines, obwohl sie sich eines leisten könnten. (Studie „Mobilität in Deutschland“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung) In Österreich geht die Anzahl der 18jährigen, die sofort einen Führerschein machen, in den Städten seit Jahren signifikant zurück. Offensichtlich gibt es hier finanzielle Gründe (es hängt aber auch damit zusammen, dass teilweise das Auto als Statussymbol an Wert verloren hat).

Und so bedeutet die nahezu kostenlose Bereitstellung von öffentlicher Fläche für Privateigentum immer auch eine Subventionierung „wohlhabenderer“ Schichten (auch des Proletariats) auf Kosten einkommensschwächerer oder umweltbewussterer Schichten, die das Auto nicht benützen wollen oder können und auf den öffentlichen Verkehr oder auf Fußwege angewiesen sind.

Faktum ist auch, dass der Autoverkehr letztendlich eine enorme gesundheitliche Belastung für alle darstellt – wobei auch hier wieder die „untersten“ (oft migrantischen) Schichten erwiesenermaßen weitaus mehr Risiken zu tragen haben, weil sie es sind, die an den großen Durchzugs- oder Ausfallsstraßen leben müssen, der Umweltverschmutzung, dem Lärm und dem Unfallrisiko ausgesetzt sind.

Für einen anderen Verkehr in einer anderen Gesellschaft!

Soll der Autoverkehr also wirklich eingeschränkt werden – was absolut zu befürworten wäre – müsste es zumindest alle gleichermaßen betreffen. Zum Beispiel durch die Einschränkung von Parkraum zu Gunsten von Grünflächen, durch die Ausweitung von eigenen Bus- und Straßenbahnspuren sowie Radwegen auf Kosten von Autospuren. Oder durch die Aufhebung von Gesetzen, die die Schaffung von neuem Wohnraum automatisch an neuen Parkraum koppeln, wie es sie international in vielen Städten gibt. I

Eine Lenkung also nicht über den Preis (wie sie im Übrigen auch vielen Grünen vorschwebt, die sich höhere Benzinpreise herbeisehnen) sondern über das Angebot. Gleichzeitig müsste aber der öffentliche Verkehr massiv ausgebaut und als erste Maßnahme im Nahverkehr auf Nulltarif umgestellt werden. Finanziert werden könnten solche Maßnahme über die Besteuerung von Vermögen und höheren Einkommen. Im Bereich des Verkehrs wären zum Beispiel speziell auch hohe Abgaben auf teure Autos oder stark einkommensgestaffelte Parkgebühren denkbar (die in erster Linie Reiche treffen).

Diese und andere Maßnahmen würden das Problem aber letztlich auch nicht an der Wurzel packen. Einen wirklich anderen, ökologischen, solidarischen und für alle leistbaren Massenverkehr kann es unserer Ansicht nach nur in einer wirklichen anderen Gesellschaft geben: einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft. Schließlich sind die oben beschriebenen Faktoren für die Beliebtheit des Autofahrens – Stadtentwicklung/Wohnen/Arbeitsplatzangebot einerseits und das automobile Lebensgefühl andererseits tief und fest im gegenwärtigen Kapitalismus verankert.

Die Macht der Auto- und Ölmultis brechen

So rechnet der marxistische Autokritiker Winfried Wolf vor, dass die mit Abstand mächtigste Branche des globalen Kapitalismus der Block aus Ölförderung und Autoproduktion ist. Sieben der zehn weltweit umsatzstärksten Konzerne sind Ölgesellschaften. Und jene Konzerne, die bei Ölförderung, Ölverarbeitung, Autoherstellung, Flugzeugbau/Airlines und bei der Erzeugung und Verteilung der fossilen Energien entscheidend sind, machen ca. 30% des Umsatzes der 500 größten Konzerne der Welt. Dieser Block steht hinter der Autokultur und fördert bzw. verhindert Entwicklungen im Massenverkehr entscheidend.

Hier müssten etwa konsequent jegliche staatliche Subventionen oder Steuergeschenke eingestellt werden; noch dazu bei einer Branche die über massive Überkapazitäten verfügt. Diese Ressourcen (Arbeitskräfte, Fabriken, Maschinen, Know-how) könnten etwa zur Produktion von umweltschonenden Technologien verwendet werden.

Daneben und damit verbunden existiert eine ganze Kulturindustrie, die die Vorstellung vom Auto als Freiheitssymbol immer wieder aufs Neue propagiert. Denken wir nur an Fernsehwerbungen für Autos, die in der Regel ein einziges Auto zeigen, welches von atemberaubender Landschaft umgeben sanft und anmutig auf einer komplett leeren Landstraße dahingleitet.

Einen Wandel der Autokultur wird es nicht durch obergescheite Aufklärungsversuche gut situierter InnenstadtbewohnerInnen geben können. Ein solcher Wandel wird einhergehen müssen mit einem kollektiven Kampf gegen die Macht dieser Konzerne und den Kapitalismus an sich. Genau hier liegt nämlich unsere tatsächliche individuelle Verantwortung. Sie besteht in der Beteiligung am und Organisierung eines offensiven Kampfes gegen das kapitalistische System und all seine zerstörerischen Tendenzen – also langfristigem politischem Aktivismus. Gleichzeitig schadet es sicher nicht, öfters mal das Fahrrad zu nehmen…

September 2012