Britannien: StudentInnen gegen Sparpläne

Am 10. November kam es in Grossbritannien zur grössten Demo seit langem. Seit dem herrscht permanente Unruhe an den Universitäten, immer wieder kommt es zu Besetzungen und Demonstrationen. Wie geht diese Bewegung weiter? Ein Bericht und eine Analyse aus Manchester.

Über 50.000 StudentInnen waren am 10. November aus dem ganzen Land nach London gekommen, um gegen die geplanten Kürzungen der Regierung zu protestieren. Am 24. November haben nochmals massive Demonstrationen stattgefunden, dieses Mal über das ganze Land verteilt. Wie ist diese Bewegung entstanden, wohin entwickelt sie sich und was für Aufgaben stellen sich der revolutionären Linken in Grossbritannien?

Grossbritanniens Lage

Der britische Kapitalismus ist in einer ähnlichen Situation wie der US-amerikanische. Die klassische Industrie wird immer mehr zurück gedrängt, die Haupteinnahmequelle des Landes ist der Export von Kapital, wichtigstes wirtschaftliches Zentrum die „City of London“. Grossbritannien nimmt eine Mittelsmannposition zwischen den USA und der Europäischen Union ein, welche sich immer stärker zu einem imperialistischen Block entwickelt und die US-Hegemonie bedroht. Der Grund dafür ist, dass das britische Kapital vor allem von Revenuen aus Übersee lebt und damit stärker den USA gleicht als der EU, welche noch weitaus stärker von der Industrieproduktion abhängig ist.

Die jüngste Krise, welche 2007 in Form der Immobilienkrise in den USA begann, hat in Grossbritannien grosse Auswirkungen gehabt. Einige britische Banken wie die Northern Rock Bank konnten nur mit massiver Staatsinvestition gerettet werden. Im Frühjahr 2010 wurde die seit fast 13 Jahren regierende Labour Party von der Conservative Party abgelöst. Obwohl Labour gezeigt hat, dass sie selbst fähig ist einen imperialistischen Staat zu führen, bedarf die britische Bourgeoisie heute einer Partei an der Regierung, welche noch rigider die notwendigen Sparmassnahmen im Dienste des Kapitals durchführt.

Sparen an allen Ecken

Die Konservative Partei hat von Anfang an klargemacht, dass sie massive Sparmassnahmen durchführen wird. Diese sind ganz so gemodelt, dass sie möglichst den Bedürfnissen der dominanten Schicht des britischen Kapitals, der City of London, entsprechen. Konkret heisst das, dass sämtliche Sozial-Institutionen mit Abbau rechnen müssen, von Rentenkürzungen und Erhöhung des Rentenalters bis zur (Teil-) Privatisierung des staatlichen Gesundheitswesens. Gleichzeitig wie die ArbeiterInnen zur Kasse gebeten werden (den Bonzen tut es nicht weh, wenn sie für den Arztbesuch selbst blechen müssen), wird die Unternehmenssteuer um vier Prozent, von 28 auf 24 Prozent des Unternehmensgewinnes „gekürzt“.

Aber die Tory-Regierung, welche von der Liberalen Partei gedeckt wird, weiss, dass sie nicht alle Kürzungen auf einmal durchboxen kann. So wird nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ eine Sektion der Lohnabhängigen nach der anderen angegriffen und möglichst gegen die anderen Lohnabhängigen ausgespielt. Eine der ersten Massnahmen ist der Angriff auf das Hochschulwesen.

Studiengebühren und Universitäten in England

Die Studiengebühren an den Universitäten wurden 1998 von der damaligen Labour Regierung eingeführt. In Grossbritannien hatte seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine immer grössere Zahl proletarischer Jugendliche/r eine Universitätsausbildung absolviert.

Durch die Deindustrialisierung in den 80er Jahren hatte aber die Nachfrage nach spezialisierten ArbeiterInnen zunehmend abgenommen. Für das britische Kapital wurden die Universitäten immer mehr zu einer Last, nicht nur wegen den direkten Kosten für die Ausbildung proletarischer Jugendlicher, sondern auch weil dies die Kosten der Arbeitskräfte in Grossbritannien unnötigerweise verteuert.

Seit ihrer Einführung sind die Studiengebühren in Grossbritannien ständig gestiegen. Mit den jüngsten Massnahmen der konservativen Regierung soll es möglich sein, bis zu 9000 Pfund Gebühren pro Jahr zu verlangen, eine Verdreifachung der heutigen Kosten, was für viele StudentInnen aus der ArbeiterInnenklasse eine massive Verschuldung mit sich bringen würde.

Doch nicht nur die Studiengebühren sollen erhöht werden. Gleichzeitig soll auch das Budget der Universitäten massiv gekürzt werden. Das trifft natürlich vor allem diejenigen Universitäten, welche vor allem von ArbeiterInnen besucht werden und deshalb vor allem von Staatsgeldern abhängig sind. Diejenigen Universitäten, welche klassischerweise von den Zöglingen der Bourgeoisie besucht werden, haben keine Probleme sich privat zu finanzieren.

Als Beispiel kann hier Manchester gelten, wo der Kontostand, also das verfügbare private Budget der ArbeiterInnen-Universität Manchester Metropolitan University knapp eine Million Pfund beträgt, das verfügbare Privatvermögen der University of Manchester, welche weitaus stärker mit der Bourgeoisie verbunden ist über 120 Millionen Pfund beträgt. Das heisst alles in allem, dass die Pläne der Regierung im Universitätsbereich auf eine massive Erhöhung der Gebühren mit gleichzeitiger Kürzung der Leistungen hinaus läuft.

Studentischer Widerstand: Zwischen Parlamentarismus und Militanz

Dass die angekündigten Massnahmen bei den StudentInnen und Universitätsbeschäftigten nicht gerade auf Gegenliebe stösst erklärt sich von selbst. Das Spektrum des studentischen Widerstandes ist aber sehr breit gefächert und so variieren auch die angewandten Taktiken sehr stark. Ein Problem dabei ist, dass die Liberale Partei, welche im Wahlkampf zwar versprochen hat keine Erhöhung der Studiengebühren zuzulassen, nun, da sie mit der konservativen Partei in einer Koalition sitzt, dieses Versprechen nur allzu willig bricht und eine verlässliche Stütze für die Tories geworden ist.

Viele StudentInnen, vor allem die StudentInnen-Gewerkschaft NUS glauben nun, dass die Hautaufgabe des Kampfes sei, möglichst viel Druck auf die Liberale Partei auszuüben, damit diese sich dann trotzdem noch entschliessen gegen die Sparmassnahmen zu stimmen. Das ist natürlich ein Schmarren, denn die liberale Partei hat überhaupt kein Interesse sich von den Tories, an deren Brust sie sich nährt, abzusetzen, zumal der nächste Wahlkampf erst in fünf Jahren ansteht.

Die gleichen Elemente der StudentInnengewerkschaft, welche versuchen die Wut der StudentInnen in einer elektoralen Sackgasse zu kondensieren, waren übrigens auch die ersten, welche, nachdem am 10. November nach der Grossdemonstration in London das Hauptquartier der Tories von 3000-5000 aufgebrachten StudentInnen verwüstet wurde, sich von diesen „anarchistischen Minderheiten“ distanzierten und bei den Herrschenden anbandelten. Nun bringt die Verwüstung von Tory-Büros für sich genommen die Bewegung nicht weiter. Solche Aktionen aber zeigen, dass der Grossteil der StudentInnen nicht daran denkt den Abgeordneten der Liberalen nette Briefe zu schreiben, sondern die Notwendigkeit für entschiedenes Handeln bereits eingesehen hat.

Illusionen in die Labour Party

Trotz diesen sehr radikalen Ansatzpunkten in der StudentInnenbewegung, welche auch bei den Demonstrationen am 24. November und an den zahlreichen Unibesetzungen deutlich werden, herrscht aber in breiten Kreisen eine gewisse illusorische Haltung gegenüber der Labour Party vor. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wichtige Kräfte der radikalen Linken, wie die englische Socialist Workers Party (österreichische Schwestergruppe „Linkswende“, deutsche Schwestergruppe „Marx 21“ in „Die Linke“) jegliche Kritik an Labour zu Gunsten einer „Einheitsfront“ eingestellt hat.

Das ist für die politische Ausrichtung der StudentInnenbewegung natürlich höchst schädlich, war es doch gerade Labour, welche die Studiengebühren überhaupt erst eingeführt hatte, ausserdem sollte man keine Illusionen darin haben, dass alle kapitalistischen Parteien in England heute gezwungen sind eine Politik, welche den Interessen der Bourgeoisie entspricht, zu machen. Das gilt auch für bürgerliche ArbeiterInnenparteien.

Das ist gekoppelt mit einer sehr negativen Haltung dieser Gruppen zu Slogans wie „Kostenfreie Erziehung für Alle“ in der Bewegung. In mehreren Bündnistreffen der Anti-Kürzungs-Gruppe in Manchester hat die Socialist Workers Party aktiv den Vorschlag für Kostenfreie Erziehung einzustehen abgelehnt, nur um die StudentInnengewerkschaftsbürokratie und die Labour-Party-Mitglieder nicht zu erschrecken. Gerade diese Forderung könnte aber der StudentInnenbewegung eine sehr positive Richtung und ein Ziel geben, welches über die unmittelbare Abschmetterung der Kürzungen heraus weisen würde.

Bilanz der Bewegung

Insgesamt ist die StudentInnenbewegung sehr heterogen zusammengesetzt und die radikale Linke hat einen relativ geringen Einfluss. Ein zunehmender Teil der StudentInnen, und noch in grösserem Masse der SchülerInnen, welche erst in den nächsten Jahren an die Uni kommen werden und die wirklich die Erhöhung der Gebühren zu tragen haben, radikalisiert sich aber zusehends und ist sehr konfrontationsfreudig.

Das ist eine sehr gute Entwicklung und weist über den parlamentaristisch-defensiven Kurs der StudentInnengewerkschaft, der  Labour Party und auch eines Teils der „radikalen Linken“ hinaus. So konnte Kraft der Eigeninitiative der StudentInnen in Manchester eine von den BürokratInnen und der Polizei  festgelegte Demoroute geändert werden, welche dann gegen den Willen der Bullen und BürokratInnen zum Ratshaus führte.

Gleichzeitig ist der Radikalismus aber noch ein sehr instinktiver. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die radikale Linke es nicht schafft angebrachte Losungen in die Bewegung einzubringen und an einer Organisierung derjenigen zu arbeiten. So ist es fragwürdig wie viel Substanz die Bewegung tatsächlich hat und wie lange sie sich halten wird können, vor allem dann, wenn die Kürzungen tatsächlich vom Parlament durchgewinkt wurden. Nur von spontaner Empörung und Hass auf das System alleine wird keine Kontinuität in der Bewegung entstehen, das erfordert das gezielte Einwirken der revolutionären Kräfte.

Aufgaben der revolutionären Linken

Die wichtigste Aufgabe der revolutionären Linken in der StudentInnenbewegung und in den kommenden Angriffen ist es, die Isolierung der einzelnen Abwehrkämpfe mit einem revolutionären Programm zu durchbrechen. Wie oben erwähnt, setzt die britische Bourgeoisie ganz gezielt auf die Partialisierung der einzelnen Interessensgruppen in der ArbeiterInnenklasse.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass in den einzelnen Kämpfen Aussicht auf Erfolg besteht, wenn die Kämpfe isoliert voneinander stattfinden. Diese Isolierung muss überwunden werden und der Kampf der ArbeiterInnenklasse gegen alle Kürzungen muss als solcher auf die Tagesordnung gesetzt werden. Dass gilt insbesondere auch für die StudentInnenbewegung. Denn viele Formen des studentischen Widerstandes zeichnen sich vor allem durch Ineffizienz aus. Demonstrieren und Vorlesungssäale besetzen kann zwar einen motivierenden Effekt haben, können aber niemals die Effizienz der Kampfmittel der ArbeiterInnenklasse, wie Streiks und Fabrikbesetzungen, erreichen, da sie schlicht und einfach nicht dort ansetzen, wo die KapitalistInnen geschlagen werden können, beim Verhältnis Lohnarbeit und Kapital.

Es ist ausserdem wichtig, dass die revolutionäre Linke sich nicht auf ein Minimalprogramm einlässt, um die „gemässigteren Elemente“ des Widerstandes ja nicht zu erschrecken. Bündnisse verschiedener politischer Kräfte sind natürlich gut und notwendig, sollten aber nicht auf der Basis des Zurücksteckens der revolutionären Positionen stattfinden. Eine Einheit der Kräfte, die auf der Verwässerung des revolutionären Programmes beruht, ist eine falsche Einheit und stützt nur die Bourgeoisie. Stattdessen muss offen gesagt werden, was Sache ist, dass die Spielräume für Zugeständnisse a la „Sozialstaat“ sukzessive abnehmen, und dass man in solche Forderung wenig Illusionen haben sollte. Vielmehr muss man Vertrauen in die eigenen,  positiven Losungen haben, auch wenn diese radikal oder verwegen tönen.

Ein Hauptproblem, dass sich der radikalen Linken in Grossbritannien stellt ist, dass diese kaum über eine reale Verankerung in der ArbeiterInnenklasse hat, wenn man von einigen radikalen GewerschaftlerInnen absieht. Allzu oft herrscht die Meinung vor, dass man durch die Gewerkschaften oder aber eine herbeiphantasierte „Labour Linke“ zu dieser Verankerung kommen sollte. Das verschliesst aber den Weg zum eigentlichen Problem, die Aufgabe revolutionäre sozialistische Politik zurück in die ArbeiterInnenklasse zu bringen, und zwar in die Betriebe, wo sich das Verhältnis Lohnarbeit-Kapital tagtäglich reproduziert. Betriebsarbeit spielt aber bei den wenigsten Gruppen in Grossbritannien eine direkte Rolle, lieber rennt man Protesten oder kurzweiligen Einheitsprojekten hinterher, welche es nicht schaffen Kontinuität in die revolutionäre Politik zu bringen.

Was über allem Vorrang haben muss und ganz entscheidend den Ausgang der Kämpfe beeinflussen wird, ist der Aufbau wirklicher revolutionärer Organisationen, welche ein klares Programm und eine Verankerung in der ArbeiterInneklasse haben. So ein Projekt verwirklicht sich nicht über Nacht, sondern muss in einer kontinuierlichen Arbeit aufgebaut werden, um sich wirklich als politische Alternative behaupten zu können.