Bilanz und Perspektiven der Uniproteste – Teil 2

Im Oktober, November und Dezember 2009 hat Österreich die größte StudentInnenbewegung seit langer Zeit erlebt. Was wurde erreicht? Welche Lehren können und sollten wir daraus ziehen? Wie soll es nun weiter gehen? Über Stärken, Schwächen und Besonderheiten der Bewegung.

Nach Wochen von Besetzung und Protest ist langsam wieder der Alltag auf die Unis und ins Leben der Studierenden zurückgekehrt. Wir haben gesehen, dass selbst im „verschlafenen“ Österreich Widerstand möglich ist und in der Praxis ein Gefühl von Solidarität und Kollektivität erlebt. Viele StudentInnen haben gemerkt, dass sie sich wehren können und nicht alles einfach hinnehmen müssen. Nach Jahren einer dominant unpolitischen Stimmung und ohne relevante Bewegungen haben diese Ereignisse viele Menschen wachgerüttelt. In diesem Artikel wollen wir diese studentische Protestbewegung bilanzieren, den Fragen nachgehen, was wir daraus lernen können und sollen und inwiefern sich die Situation für Widerstand dadurch geändert hat und wie es nun eigentlich weiter gehen soll.

Teil I: Charakter, Stärken und Schwächen der Proteste

Teil II: Forderungen und politische Ausrichtung

Teil III: Was nun?

 

Teil II: Forderungen und politische Ausrichtung

Freie Bildung?

Dass durch die Proteste in Österreich „endlich“ eine Bildungsdebatte los getreten wurde, kann uns als Studierende nur insofern freuen, weil dadurch ersichtlich wird, dass die Proteste eine gewisse wahrnehmbare Relevanz erreichen konnten. Hier gilt es zunächst einmal sich der prinzipiellen Beschränktheit von Bildung im Kapitalismus bewusst zu sein und die Illusionen, dass Unis im Kapitalismus tatsächlich „freie Bildung“ vermitteln könnten, zurückzuweisen.

Wir sollten uns auch keinerlei Illusionen hingeben, dass mit einen „Bildungsdialog“ irgendwelche tatsächlichen Verbesserungen einhergehen werden und müssen uns der Gefahren, die durch den Zuspruch von Teilen des bürgerlichen Establishments ausgehen, bewusst sein. Deren „Solidarisierung“ ist also nicht in erster Linie dem Druck der Bewegung oder ihrer „Vernunft“ geschuldet, sondern darin spiegeln sich die von ihnen vertretenen Interessen wider.

Die freundliche Berichterstattung von Teilen der bürgerlichen Medien (sogar die erzreaktionäre Gratis-Tageszeitung „Heute“, die ansonsten besonders durch rassistische und nationalistische Meinungsmache „glänzt“, gab sich „solidarisch“) und die „Unterstützung“ von Teilen des politischen Establishments ist Ausdruck, dass sie sich sorgen über den „Wirtschaftsstandort Österreich“ machen, d.h. um die Profite österreichischer Unternehmen aufgrund eines Mangels an qualifizierten Fachkräften bangen. Für sie ist die Forderung nach „Mehr Geld für Bildung“ eine willkommene Möglichkeit, um bei Sozialbudgets in anderen Bereichen zu kürzen und allgemein Angriffe gegen andere gesellschaftliche Schichten zu fahren. Bezeichnend dafür etwa Hans Rauscher in der Tageszeitung „Der Standard“, der Gelder für den Bildungssektor gegen angebliche Privilegien von BeamtInnen und PensionistInnen ausspielte.

Im Fahrwasser dieser „FürsprecherInnen“ für bessere Bildung landen wir letztlich wieder nur in der Logik von Kapitalverwertung und wirtschaftlichem Wachstum. Und ohne ein klares politisches Profil der Bewegung ist das „Verständnis“ dieser Teile der herrschenden Elite (aufgrund der untragbaren Studienbedingungen) schnell anschlussfähig für reaktionäre Schlussfolgerungen und Forderungen. So kann als angeblich einzig mögliche „Lösung“ am Ende dann wieder der Ruf nach Zugangsbeschränkungen und einer nationalistischen Abschottung von „ausländischen“ Studierenden, die „unserer“ Jugend die Plätze wegnehmen, stehen.

Erhebliche Teile der Bewegung forderten einfach „mehr Geld für die Unis“ oder „mehr Geld für die Bildung“. Oft wurde überhaupt nicht thematisiert, was für eine Art von Bildung das sein soll – das impliziert nichts anderes als ein Mehr der gegenwärtig stattfindenden Bildung. Und auch die Frage, woher das Geld kommen soll, wird in vielen Fällen nicht beantwortet. Einige forderten „Freie Bildung für Alle“, kritisierten aber gleichzeitig vehement antikapitalistische Kräfte innerhalb der Bewegung. (Aber wie bitte soll ein freier und kostenloser Unizugang für alle – d.h. für jedeN der/die das möchte – real innerhalb des kapitalistischen Systems mit seinen zahllosen finanziellen, aber auch nicht-finanziellen, sozialen Schranken und Beschränkungen umgesetzt werden?). Als Hauptstoßrichtung der Großdemo am 28. Oktober konnte von der radikalen Linken in der Bewegung immerhin durchgesetzt werden, dass Geld für die Unis „statt für Banken und Konzerne“ gefordert wurde.

Kritische Wissenschaft?

Teile der Bewegung kritisierten zwar den neoliberalen Umbau der Unis, sie hinterfragen aber kaum die grundsätzliche Funktion von Bildung und Unis im Kapitalismus. Sie verklären das alte bürgerliche Bildungsideal, haben naiv-aufklärerische Illusionen in ein Potential von akademischer Geisteswissenschaft zur Gesellschaftsveränderung. Demgegenüber gilt es die notwendige Beschränkung jeglicher noch so „kritischer“ Wissenschaft unter kapitalistischen Verhältnissen klar und deutlich auszusprechen.

Als StudentInnen finden wir es persönlich natürlich angenehmer, Lehrveranstaltungen mit kritischen und linken Inhalten zu besuchen, als lauter konservativen ProfessorInnen gegenüber zu sitzen. Durch ihren Anspruch als WissenschaftlerInnen wird jedoch gerade wieder die vermeintliche „Objektivität“ und „Unabhängigkeit“ der Wissenschaft beschworen. Durch ihre Verpflichtung gegenüber „der“ Wissenschaft, geben sie auch deren Exklusivität vor. Alles, was nicht den „wissenschaftlichen“ Kriterien entspricht (und real ist das oftmals nur ein bekannter Name), wird ausgeschlossen und Wissen und Bildung so auf einen kleinen Kreis gebildeter und privilegierter Menschen beschränkt.

Linke Intellektuelle handeln mit Ideen und sie neigen dazu, die Bedeutung ihrer Diskurse und ihrer eigenen sozialen Gruppe in der Gesellschaft chronisch zu überschätzen. Der teilweise vorhandene (formale) Anspruch, in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen, verkommt meist zur Lächerlichkeit, weil dadurch einerseits eine Absonderung vom und ein Ausschluss des Großteils der Unterdrückten bewirkt wird und ihnen andererseits die „gebildeten Intellektuellen“ sagen, wie sich nun eigentlich verhalten und befreien soll(t)en. Durch alle diese Faktoren spielen sie letztlich eine herrschaftsstabilisierende Rolle, da sie Kritik und Widerstand in diesen Bahnen kanalisieren. Viele (potentielle) Linke bleiben in dieser universitären Logik stecken, in der Theorie als endloser Selbstzweck existiert und Praxis auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Theorie und Praxis sollten sich jedoch nicht als zwei relativ autonome Bereiche gegenüberstehen.

Wir haben es insgesamt mit einem widersprüchlichen Phänomen zu tun: Unis sind einerseits oft ein Nährboden für radikale Ideen und ein Barometer für gesellschaftliche Krisen, gleichzeitig sind die „kritischen Diskurse“ auch ein Instrument zur Integration von kritischen StudentInnen in die Mechanismen des Systems. Losgelöst von einer gesamtgesellschaftlichen antikapitalistischen Bewegung, also einer kämpferischen ArbeiterInnenbewegung und einer revolutionären Linken, wird letztlich immer der zweite Aspekt die Oberhand gewinnen.

Antikapitalistische Perspektiven

Dass es hier nicht um Fragen geht, die isoliert nur den Bildungsbereich betreffen, ist also völlig offensichtlich. Wenn wir also einen konsequenten Kampf gegen die miesen Studienbedingungen und gegen die soziale Selektion im Bildungsbereich führen wollen, werden wir ziemlich schnell merken, dass wir isoliert als StudentInnen nicht viel ausrichten können und schon bald mit der Logik des kapitalistischen Systems zusammenstoßen. Denn: Ja, Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne. Aber: Wer soll das eigentlich durchsetzen? Außerdem ist es ziemlich einseitig zu glauben, dass wir als StudentInnen nur von Bildungsfragen betroffen wären. Wir sind genauso Teil der Gesellschaft, ihren Widersprüchen ausgesetzt, müssen unseren Lebensunterhalt finanzieren…

Auf die Vernunft der PolitikerInnen hoffen, hat sich schon immer als trügerisch herausgestellt. Wenn jetzt PolitikerInnen „Verständnis“ für die Anliegen der Studierenden zeigen, deren Parteien seit jeher die Rolle der politischen HandlangerInnen des Kapitals gespielt haben und die seit Jahrzehnten den neoliberalen Umbau der Gesellschaft exekutieren bzw. letztlich auf Grund von Alternativenlosigkeit mittragen, ist das mehr als heuchlerisch. Die KapitalistInnen werden natürlich nicht freiwillig Geld rausrücken und auf ihre Profite verzichten. Geht es nach ihnen, wird der direkte Zugriff von Wirtschaft und Konzernen auf die Unis munter so weiter gehen.

Der gesamte Bologna-Prozess ist letztlich nur Ausdruck davon, dass die UnternehmerInnen die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften verstärkt und unmittelbarer auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten haben wollen und auch eine Schicht billigerer AkademikerInnen (Bakk/Bachelor) gut gebrauchen können. Finanziert werden können Verbesserungen im Bildungssystem letztlich nur durch eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums. Wenn wir diesen Ansatz konsequent verfolgen, stellt sich letztlich die Frage, wer denn eigentlich das Sagen hat? Eine Handvoll KapitalistInnen, die zunehmend alle Gesellschaftsbereiche ihren Profitinteressen unterwerfen, oder die große Mehrheit der Lohnabhängigen und Unterdrückten?

Orientierung auf die ArbeiterInnenbewegung

StudentInnen selber können aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft jedoch nicht genug ökonomischen Druck erzeugen, um die Herrschenden soweit unter Druck zu setzen, um wirkliche Verbesserungen zu erzielen. Ein Schulterschluss mit der ArbeiterInnenbewegung ist also unumgänglich, um überhaupt Erfolg haben zu können, da nur die ArbeiterInnen, vor allem jene in Großbetrieben, durch ihre Stellung im Produktionsprozess die Wirtschaft zum Stillstand bringen können und damit den nötigen Druck aufbauen können. Ein paar besetzte Hörsäle können die Herrschenden relativ leicht aussitzen, wenn bei einem Streik die Profite dahin schmelzen, sieht das schon anders aus.

Die Solidarisierung mit Teilen der Lohnabhängigen, die sich selber gerade Angriffen gegenübersehen oder Widerstand organisieren (aktuell: KindergärnterInnen, DruckerInnen, MetallerInnen) konnte auf Intervention von linksradikalen Teilen der Bewegung früh und recht unhinterfragt verankert werden. Ein Großteil der Studierenden war zwar zu einer Solidarisierung (auf dem Papier) mit anderen gesellschaftlichen Schichten bereit, politische Konsequenzen leiteten sich daraus für die meisten aber kaum ab. Außerdem: Wenn wir die Solidarität anderer sozialer Gruppen wollen, müssen wir auch bereit sein, Forderungen zu entwickeln, die über den Bildungsbereich hinausgehen.

Es ist zwar schön, wenn sich selbst die ÖGB-Spitze mit uns solidarisiert, aber uns muss klar sein, dass die reformistischen Kräfte, die in der ArbeiterInnenbewegung dominieren, keinerlei Interesse an wirklichen Kämpfen und Streiks haben. Seit Jahrzehnten sind diese durch Privilegien und kleine Zugeständnisse ans kapitalistische System gebunden und haben dessen Logik internalisiert. Sie wollen zurück zu einer „starken“ Sozialpartnerschaft, d.h. der institutionellen Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, letztlich die Unterordnung unter die Interessen der KapitalistInnen.Mehr als eine Unterstützung auf dem Papier ist von ihnen nicht zu erwarten – und Papier ist bekanntlich geduldig.

In diesem Sinn sollten wir auch in einer Bewegung wie dieser „Solidarisierungen“ kritischer hinfragen. Nicht jedeR Intellektuelle, der sagt, er/sie „verstehe die Anliegen der Studierenden“ ist wirklich eine Hilfe für uns. Und nicht jeder von zwei dutzend StudentInnen vorübergehend besetzte Hörsaal ist eine „besetzte Uni“. Jubelmeldungen im Plenum von immer neuen „Uni-Besetzungen“ im Ausland und immer neuen „solidarischen“ Promis bringen uns nicht wirklich weiter, sondern schaffen höchstens gefährliche Illusionen in eine Stärke und Breite der Bewegung, die in Wirklichkeit nicht existiert.

Letztlich braucht es die tatsächliche Verankerung von kämpferischen und revolutionären Ideen und Kräften in der ArbeiterInnenklasse, um vom Wohlwollen dieser BürokratInnen unabhängig zu werden und in der Realität einen Schulterschluss zustande bringen zu können. Eine antikapitalistische Ausrichtung ist also nicht etwas Abstraktes, das mit den konkreten Protesten der Studierenden nichts zu tun hat, sondern ist letztlich entscheidend für Verlauf und Erfolg der Kämpfe.

Protestbewegung und radikale Linke

In der Studierendenbewegung waren, besonders in Wien, auch verschiedene Organisationen mit marxistischem bzw. linksradikalem Anspruch, aktiv, darunter auch die RSO. Sie traten für eine Ausweitung der Proteste, eine kämpferische und politische Ausrichtung und eine Solidarisierung mit Lohnabhängigen ein. In einigen Bereichen konnten sie damit auch Einfluss nehmen und Unterstützung für ihre politischen Positionen sammeln.

Weniger erfolgreich waren sie bei den Bemühungen der Wahl eines Streikkomitees durch das Plenum, um die Proteste effektiver zu organisieren und mehr Transparenz zu gewährleisten. Diese widersprüchliche Bilanz hängt auch damit zusammen, dass einige Fans einer vermeintlichen „Basisdemokratie“ zwar lauthals und permanent gegen klarere Strukturen intervenierten, aber selbst keine politische Perspektive für die Bewegung anzubieten hatten.

Dieses Beispiel zeigt auch folgendes: Einerseits, dass in praktischen Kämpfen verschiedene politische Konzepte und Strategien auf die Probe gestellt werden und dass Organisationen mit ähnlichem Anspruch in einigen Bereichen in einer konstruktiven Weise zusammen an einem Strang ziehen können. Solchen Kämpfen kommt daher bei Umgruppierungen innerhalb der (radikalen) Linken und dem Entstehen von neuen und relevanten linken/linksradikalen Organisationen und Kräften besondere Bedeutung zu. Andererseits wurde auch klar, dass die kämpferischen und vorwärtstreibenden Kräfte zu schwach waren, um weiterreichenden Einfluss zu nehmen; gerade im Hinblick auf die Ausweitung in die Betriebe (was vor allem auf die kaum vorhandene Verankerung linksradikaler Kräfte in der ArbeiterInnenklasse verweist).

Klar ist auch, dass Organisationen nicht die Bewegung ersetzen oder selber darstellen und deren Dynamik, abhängig von der eigenen Größe und Stärke, nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen können. Die Aufgaben von revolutionären Organisationen erschöpfen sich auch nicht in der Intervention in soziale Bewegungen und dem Kampf um möglichst viel Unterstützung für die eigenen politischen Positionen. Aufgabe einer revolutionären, marxistischen Organisation ist es, neben der Arbeit in der und für die Bewegung gerade auch über eine realistische Einschätzung der objektiven Lage sowie der subjektiven Kräfte zu verfügen und politische Bewegungen für den Aufbau der eigenen Organisation, d.h. die Stärkung kämpferischer Kräfte für zukünftige Auseinandersetzungen, zu nutzen.