Deutschland nach den Wahlen

Nach der Wahl in Deutschland ist alles wie immer – nur schlimmer. Nach dem desaströsen Wahlergebnis der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) laufen derzeit die Koalitionsverhandlungen für eine konservativ-liberale Regierung auf Hochtouren. Nach einem fast vollkommen inhaltsleeren Wahlkampf werden jetzt Maßnahmen ergriffen, um die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnenklasse abzuwälzen. Wir wollen hier die Ergebnisse der Wahl etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Die alte Regierung: CDU/CSU

Erneut ist die Wahlbeteiligung deutlich gefallen. 2005 gingen noch 77,7% aller Stimmberechtigten zur Wahl, dieses Jahr waren es nur noch 70,8%, eine Differenz von fast 7 Prozent. Dies ist die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl seit dem 2. Weltkrieg. Man muss dieses Ergebnis als Versuch der Abwahl der alten Regierung sehen. Diese hat Verluste eingefahren, während alle anderen relevanten Parteien Gewinne für sich verbuchen konnten. Die niedrige Wahlbeteiligung ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik: Rente mit 67, Privatisierungsversuche der Bahn, Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan, usw. Jedoch bedeutet eine Abwahl der alten Regierung noch lange keine Änderung der bisherigen Politik. Im Gegenteil, die Große Koalition wird ersetzt durch eine schwarz-gelbe Regierung, die jetzt den Sozialabbau in Angriff nimmt, der auf die Zeit nach den Wahlen verschoben wurde. Und anstatt Massenmobilisierungen vorzubereiten, um die Angriffe von oben zu verhindern, betonte Michael Sommer, der Bundesvorsitzende des deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), bereits am Wahlabend, dass die Gewerkschaften mit der neuen Regierung zusammen arbeiten werden.

Seit Jahren haben die beiden großen „Volksparteien“ kontinuierlich WählerInnenstimmen verloren. Konnten sie gemeinsam 1998 noch 77% Zustimmung für sich verbuchen, so erreichen SPD und CDU heute zusammen gerade einmal 56,8%. Zwar konnte die CDU 870.000 WählerInnen der SPD für sich gewinnen, jedoch sind 1,2 Millionen ihrer ehemaligen WählerInnen einfach zu Hause geblieben und 1,1 Millionen zur FDP abgewandert. Diese WählerInnenwanderungen haben zweierlei Gründe. Die enttäuschten WählerInnen zum Einen, die einfach zu Hause bleiben, sind von der antisozialen Politik der CDU in der Regierung enttäuscht. Diejenigen WählerInnen, die zur FDP abwandern, haben aber eher eine andere Motivation. Sie sind inzwischen davon überzeugt, dass durch die Wirtschaftskrise stärkere Angriffe als zuvor auf die sozialen Rechte der Beschäftigten und Arbeitslosen notwendig werden. CDU und SPD versuchen beide, die Sozialpartnerschaft zumindest verbal möglichst hoch zu halten. Dies zeigte Merkel unter anderem dadurch, dass sie zu „Toleranz“ aufrief, als sie ihre Rede zum Wahlerfolg hielt: Man müsse Rücksicht auf diejenigen nehmen, die in dieser Gesellschaft nicht so gut dastehen. Logischerweise um die Klassenkämpfe auf einem niedrigen Niveau zu halten und die Entwicklung offener Klassenauseinandersetzungen zu vermeiden. FDP-WählerInnen sind aber davon überzeugt, dass der Klassenkampf von oben forciert werden müsse – die Sozialpartnerschaft soll von oben unterminiert werden.

Die alte Regierung: SPD

Doch während die CDU insgesamt nur den Verlust von 1,3 Millionen Stimmen hinnehmen musste, hat es die SPD mit voller Wucht erwischt. Sie hat über 6 Millionen Stimmen verloren (11,2%), so viel wie noch keine andere Partei bei einer Bundestagswahl seit 1949. Inzwischen liegt sie bei 23% und hat damit deutlich mehr verloren als ihre ehemalige RegierungspartnerIn. Bürgerliche Medien erklären dies gern damit, dass ¾ der deutschen Bevölkerung glauben, dass Angela Merkel einen guten Job macht. Dies mag sicher eine Rolle spielen, viel wichtiger ist jedoch die soziale Basis einer Partei. Diese ist bei der SPD die organisierte ArbeiterInnenbewegung bzw. die ArbeiterInnenklasse als solche. Diese war von den Kürzungen und dem Sozialabbau seit 1998 am meisten betroffen. Damals erhielt die SPD noch 20 Millionen Stimmen – elf Jahre später schafft sie es nicht einmal mehr auf 10 Millionen. Über 2 Millionen ehemalige SPD WählerInnen blieben einfach zu Hause. In ihren ehemaligen Hochburgen, wie den ArbeiterInnenbezirken des Ruhrgebietes, musste sie teilweise Verluste von 1/3 (Bochumer Norden) oder gar 40% (Duisburger Norden) hinnehmen. Dabei handelte es sich auch um Wahlbezirke, in denen die Wahlbeteiligung mit teilweise 60% außerordentlich niedrig lag. Das ist die Rechnung dafür, dass die SPD sich als Wegbereiterin des Sozialabbaus positionierte.

Gelernt hat sie daraus jedoch nichts. Der ehemaliger Vizekanzler, Außenminister und Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier übernimmt von jetzt an die Führung der parlamentarischen Opposition. Steinmeier, der federführend bei der Agenda 2010 war und die Karre mit in den Dreck gefahren hat, soll die Partei in der Opposition nun wieder stärken. Und beginnt seinen neuen Job damit, der Regierung verantwortungsvolle Oppositionspolitik zuzusichern. Auch nach der Wahlniederlage hält er weiterhin an der Agendapolitik fest, ähnlich wie der ehemalige Bundesinnenminister Schily, der nach der Wahl vor einem Linksruck innerhalb der Partei warnte.

Beinahe hätte Steinmeier auch die Parteiführung übernommen, dies wurde durch einen Coup der so genannten Parteilinken jedoch verhindert. Diese konnten Andrea Nahles und Sigmar Gabriel als neue Parteiführung etablieren. „Links“ heißt in diesem Zusammenhang aber noch lange nicht „linke Politik“. Im Gegenteil, die neue Parteispitze besteht vor allem aus KarrieristInnen und AufsteigerpolitikerInnen. So ist Sigmar Gabriel Teil der „Netzwerker“, einem Verbund junger AufsteigerInnen innerhalb der Partei, deren Motto „nicht links, nicht rechts, sondern vorn!“ ist. So will man sich zwar gegenüber der Linkspartei auf Bundesebene öffnen und wendet sich zumindest in Worten gegen Teile der Agendapolitik, tatsächlich hat dieser Flügel aber vor allem den politischen Aufstieg im Kopf. Ihre linke Politik besteht in einer Öffnung zur Linkspartei auf Bundesebene und einer linkeren Rhetorik, weil sie damit den erneuten Aufstieg der extrem angeschlagenen SPD verbinden. So leistet ja auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit seit Jahren massiven Sozialabbau in der Stadt, kontrolliert aber trotzdem die Berliner SPD und steigt innerhalb der Partei mehr und mehr auf. Zwar sind die Ergebnisse in Berlin für die SPD desaströs, mit Ergebnissen von teilweise 16-17% (im Berliner Osten), aber Leute wie Wowereit scheinen immer unverzichtbarer.

Man kann den KarrieristInnen jedoch keine Dummheit vorwerfen. Sie sehen, dass AufsteigerInnen, Selbstständige und Gutverdienende zur FDP abwandern und eine Orientierung wieder mehr auf die sozial abgehängten Gruppen erfolgen muss. 540.000 Stimmen hat die SPD an die Liberalen verloren, der ehemalige Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident und ex-SPD Mitglied Wolfgang Clement rief sogar zur Wahl der FDP auf. Diese privilegierten Schichten fürchten angesichts der Krise, dass die Kosten unter anderem auf sie abgewälzt werden und nicht auf die unteren sozialen Schichten und retten sich zu den bürgerlichen Liberalen herüber.

FDP, Grüne und Piratenpartei

Die FDP erscheint als große Gewinnerin der Wahl. Mit 14,6% erzielt sie ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl, hat 4,7% hinzugewonnen – und sitzt erneut in der Regierung. Sie gewinnt von den beiden Volksparteien SPD und CDU. Die britische bürgerlich-liberale Zeitung „TheGuardian“ erklärt das Ergebnis folgendermaßen: „Jungunternehmer und Fachkräfte wurden von allen Seiten gedrückt: übersteuert, von hohen Zahlungen ins Sozialsystem belastet, strenge Regeln für Anstellungen und Entlassungen und Mindestlöhne – und nicht in der Lage, Kredite zu bekommen.“[i] Der Zugewinn der FDP erklärt sich teilweise daraus, dass kleinbürgerliche Schichten von der FDP ihre Interessen besser gewahrt sehen. Die kleinbürgerliche Klientel der FDP hat eine durch die Krise noch gesteigerte Angst, zwischen den Hauptklassen der Gesellschaft zerrieben zu werden. Aus Furcht um ihre Positionen und ihre Privilegien wenden sie sich nun den Parteien zu, die ihre soziale Basis im Kleinbürgertum haben.

Ähnliches gilt für die Grünen, die 860.000 Stimmen von der SPD einstreichen konnten. Auch junge WählerInnen entschieden sich überdurchschnittlich stark für sie, wie auch – trotz ihrer bürgerlichen Politik – linke WählerInnen, die von der sozialdemokratischen Politik enttäuscht sind. Auch die Grünen haben ihre soziale Basis bei Privilegierten und Selbstständigen, die jetzt um ihre Besserstellung bangen müssen.  Innerhalb der Partei scheint aber ein Machtkampf darum ausgebrochen zu sein, welche politische Richtung dafür der richtige Weg ist. Während die Führung von den so genannten „Realos“ dominiert wird, die eine stärkere Nähe zu den rechteren Parteien sucht (CDU und FDP), so scheint die Basis sich wieder mehr nach links zu orientieren. Wie die Kräfteverhältnisse innerhalb dieses Machtkampfes sind, lässt sich jedoch schwer einschätzen, da vor allem die grün-alternative „taz“ darüber berichtet. Diese steht größtenteils auf der Seite der so genannten „Fundis“, den linken Kräften innerhalb der Grünen.

Ein weiteres Phänomen der letzten Wahlen ist, dass sich größere Schichten von den traditionellen Parteien abzuwenden beginnen. Ein Ausdruck davon ist die Piratenpartei, bei der die Kräfteverhältnisse weiterhin nicht eindeutig sind. Selbständige und KünstlerInnen bilden den rechten Flügel und stellen die Parteiführung, an der Basis gibt es jedoch linke Jugendliche, die berechtigte Kritik am Überwachungsstaat formulieren. Einerseits konnte die Partei mit 2% einen Achtungserfolg erzielen, hat aber die nötigen 5% für den Einzug in den Bundestag klar verfehlt.

Die Nazis

Die FaschistInnen hingegen demontieren sich weiterhin selbst. Alle Parteien des rechtsextremen Spektrums mussten Verluste einfahren, die NPD mit -0,1% noch am wenigsten. Sie behält weiterhin die Führungshoheit unter den Nazis, während die DVU in die Bedeutungslosigkeit schlittert – sie hat unter anderem alle Landtagsabgeordneten in Brandenburg verloren und landete dort bei 1,2%. Auch die RepublikanerInnen können von der Krise nicht profitieren. In den Parlamenten wird die extreme Rechte also nicht vereint auftreten können und ihr Wahlkampf lieferte ihnen kaum neue Kräfte. Allerdings kann dies auch zu einer weiteren Verlagerung auf den Straßenkampf führen. Die Gefahr durch die FaschistInnen ist also nicht automatisch kleiner geworden. Ihr Gewaltpotenzial könnte nach dem Angriff auf die Berliner Nazikneipe „Zum Henker“, bei dem ein Nazi fast zu Tode gefahren wurde, eher noch steigen.

Die Linkspartei

Die Linkspartei nimmt bei dem Wahlkampfdurcheinander erneut eine widersprüchliche Rolle ein. Denn einerseits konnte sie den Stimmenverlust der SPD zum Teil auffangen und 1,1 Millionen ehemalige SPD WählerInnen für sich gewinnen. 2005 waren es nur 780.000. Es gibt mehrere Erklärungen, warum die Linkspartei nur 1/6 der SPD-Verluste gewinnen konnte. Im Osten des Landes agiert die Linkspartei wie die SPD im Westen – als klassische Volkspartei. Ihr WählerInnenklientel ist deutlich besser verdienend als der Durchschnitt. Ehemals privilegierte, alte Menschen aus der DDR sind ihre StammwählerInnen. ArbeiterInnen und Arbeitslose hingegen wenden sich sowohl von SPD als auch teilweise von der Linkspartei ab, gegeben durch eine desaströse Sozialpolitik der beiden Parteien, die vor allem die Ausgebeuteten des Kapitalismus trifft.

Im Westen hingegen sind zwei andere Erklärungen entscheidender. Einerseits dominieren noch immer ein starker Antikommunismus und eine Diskreditierung der Linkspartei als „die ehemalige SED“ im Weltbild vieler Menschen. Dass die Linkspartei letztlich nichts anderes als eine linkere Sozialdemokratie ist, spielt dann ebenfalls eine Rolle. Denn mit der Krise der SPD geht auch eine Krise der Sozialdemokratie insgesamt einher. Die Antworten, die die Sozialdemokratie auf soziale Probleme gibt, funktionieren in der Krise immer weniger. Die herrschende Klasse ist längst nicht mehr so bereit, Zugeständnisse mitzutragen, nur um die Aufrechterhaltung der Klassenzusammenarbeit zu gewährleisten. Dies wirkt sich auch negativ auf die Linkspartei aus. Denn entscheidende Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse bedürften eines radikalen Bruches mit der Illusion, durch eine sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit mit der KapitalistInnenklassestetige Verbesserungen für die Arbeitenden erreichen zu können. Für diesen Bruch steht die Linkspartei aber nicht; sie muss somit im kapitalistischen Rahmen agieren. Dies zeigt sich dort, wo die Linkspartei an Koalitionsregierungen beteiligt ist. Hier trägt sie einen knallharten Sozialabbaukursmit, der zumindest Teile der WählerInnen im Westen zur Desillusionierung führt. Und wenn die Linkspartei kurz vor den Wahlen auch beim Thema Afghanistan einen Rechtsruck erlebt (Lafontaine streitet dies ab) und Gregor Gysi hofft, dass sich die SPD in der Opposition „re-sozialdemokratisiert“, tut dies dem Image der Linkspartei auch nicht gut. Beide betonten, dass die Linkspartei versuchen werde, auf die SPD zuzugehen.

Daher ist es auch schwer zu sagen, welche Auswirkungen die Ergebnisse der Wahlen auf die Konstellation Linkspartei-SPD haben werden. Beide wollen anscheinend aufeinander zugehen, doch wie stark der Rechtsruck innerhalb der Linkspartei bzw. der Linksruck innerhalb der SPD tatsächlich sein wird, ist noch nicht absehbar. Die Ergebnisse einer etwaigen Zusammenarbeit auf Bundesebene sind noch sehr offen.

Die Politik der neuen Regierung

Was die Wahlen für die ArbeiterInnenklasse bedeuten ist dafür ziemlich klar. In der „Wirtschaftswoche“ wurde kurz vor den Wahlen ein Leitartikel veröffentlicht mit dem Titel „Worüber vor den Wahlen keiner spricht“. Dies seien 152 Milliarden Euro Steuerausfälle, 320 Milliarden neue Schulden, Löcher in den Sozialkassen, 90.000 Stellen in der Auto- und 180.000 Stellen in der Finanzbranche, die gefährdet seien usw. Auch die 4 bis 5 Millionen Arbeitslosen, die es bald in den offiziellen Zahlen geben werde, seien vor den Wahlen verschwiegen worden. Die 1,4 Millionen KurzarbeiterInnen, die bald entlassen werden könnten, wenn das KurzarbeiterInnengeld ausläuft, darf man ebenso nicht vergessen.

Der Artikel spricht von einem „Herbst der bitteren Wahrheiten“ – einem Klassenkampf von oben also. Focus Money fordert daher in seiner 41. Ausgabe eine „Agenda 2020“, eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25%[ii] – Maßnahmen, die wie eine Einkommenssteuererhöhung stärker auf die Besitzenden abzielen, werden natürlich abgelehnt. Damit sollen vor allem die Reichen ent- und die Armen belastet werden. „Jede Regierung wird versuchen, die Lasten der Krise den Bürgern aufzubürden“,[iii] sieht daher auch der SPD-Politikwissenschafter Christoph Butterwegge als klares Zukunftsszenario. Das neoliberale „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ ist nicht nur ebenso wie „Focus Money“ von einer Notwendigkeit zur Mehrwertsteuererhöhung überzeugt, sondern ebenso von der Notwendigkeit, die Energie- und Grundsteuern drastisch anzuheben, was enorme Preis- und Mietsteigerungen zur Folge hätte.

Die CDU hat sich vor den Wahlen gegen neue Steuern ausgesprochen und gegen die Krise vermehrte staatliche Interventionen in die Wirtschaft unterstützt. Der (gesellschaftspolitisch) liberale Flügel der FDP forderte einen Ausbau der Bürgerrechte. So trat er gegen Video-, Telefon- und Internetüberwachung ein. In Sachsen wurde dem Ausbau solcher Überwachungsmaßnahmen bereits zugestimmt. Auch auf Bundesebene wird sich CDU/CSU beim Abbau demokratischer Rechte durchsetzen, dafür „Kompromisse“ bei Sozialabbau, bei Steuererhöhungen und anderen Verbesserungen für die Reichen und UnternehmerInnen (wie sie im Wahlprogramm der FDP stehen), machen.

Klar formuliert die künftige Linie auch der bisherige Wirtschaftsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, der bei Anne Will (Talkshowmoderatorin beim ARD) davon sprach, dass „manches Liebgewonnene“ auf den Prüfstand müsse. Sein Ministerium hat ein wirtschaftliches Strategiepapier veröffentlicht, in dem deutlich wird, was das „Liebgewonnene“ ist: ein schrittweiser Abbau der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Einschränkung des Kündigungsschutzes, Ausdehnung der Billiglöhne und Zeitarbeit, eine Aufweichung der Tarifverträge und und und. Eine massive Umverteilung von unten nach oben und ein umfangreicher Abbau der Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse  ist geplant, denn während der Krise ist der Spielraum der herrschenden Klasse noch enger geworden. Der Klassenkampf von oben wird verschärft.

Denn nicht nur, dass die CDU den Einsatz der Bundeswehr im Inneren und eine deutlich umfassendere Überwachung plant sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz unter Wolfgang Schäuble eine Arbeitsgruppe zur Beobachtung der sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise gegründet hat. Auch nach außen wird der Umgang rauer. Die „New York Times“, ein Sprachrohr der herrschenden Klasse der USA, fordert eine erhöhte „Verantwortung“ Deutschlands für die globalen Konflikte in Anbetracht der Größe und Bedeutung des Landes. Gleichzeitig fürchtet man einen erstarkenden deutschen Nationalismus und ein deutlich stärkeres Durchsetzen deutscher Interessen in der EU und der Welt. Die Ergebnisse der Bundestagswahlen werden daher wohl nicht zu Unrecht außerhalb Deutschlands als Zeichen eines erstarkenden Selbstbewusstseins und einer Überwindung seiner Selbstverleugnung“ wahrgenommen. Nicht nur die „New York Times“ rechnet damit, dass Deutschland innerhalb der EU mehr und mehr seine Eigeninteressen durchsetzen werde. Zwar freut man sich über ein „Unternehmens-freundlicheres Deutschland“ – aber die Krise werde zu einem stärkeren Konkurrenzdruck auf die beiden imperialistischen Mächten USA und BRD führen.

Perspektiven

Die Bundestagswahlen zeigen eines deutlich: Während die Herrschenden weiterhin erfolgreich einen Klassenkampf von oben forcieren, fehlt es der ArbeiterInnenbewegung an linken Alternativen. Die Sozialdemokratie kann keine Antworten geben und verliert an Vertrauen. Selbst wenn es jetzt durch massive Verschlechterungen der Lebensbedingungen zu Klassenkämpfen von unten kommen wird, so gibt es keine radikale linke Kraft, die sie führen könnte. Für revolutionäre Gruppen bedeutet die gegenwärtige Situation verbesserte Bedingungen für Propaganda. Die Krise wird auch in Deutschland bei den Beschäftigten ankommen, was zu vermehrten Möglichkeiten für antikapitalistische Propaganda führen wird. Die grundlegenden Aufgaben eines langfristigen Aufbaus einer revolutionären Organisation haben sich jedoch nicht geändert. Soziale Verschlechterungen für uns werden kommen. Ob sich dadurch die revolutionären Kräfte stärken können, ist eine offene Frage. Es liegt an uns, sie mit einem „ja“ zu beantworten.

 

 

Fußnoten:
 

[i]           Im Original: “Smaller entrepreneurs and professionals have been squeezed from all sides: overtaxed, burdened by high payments for the social system, strict rules on hiring and firing and minimum wages – and unable to get hold of credit. The resulting frustration has led to the rise of the liberal Free Democrats, Merkel's new partners in government.” Auf: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2009/sep/28/gerrmany-election-angela-merkel-coalition

[ii]          http://www.focus.de/finanzen/news/editorial-agenda-2020_aid_440259.html

[iii]          http://www.wsws.org/de/2009/sep2009/wahl-s22.shtml