Komintern, Teil 1: Die Gründung

 

Die Unterschiede zwischen der I. Internationale (der Internationalen Arbeiterassoziation, IAA), der II. sozialdemokratischen Internationale und der III. Internationale liegen auf der Hand. Die 1864 gegründete IAA war eine Sammlung von britischen Gewerkschaften und unterschiedlichen (Arbeiter/innen/-) Organisationen, die eher losen Vereinigungen als Parteien in unserem heutigen Sinn entsprachen. Der IAA fehlte eine verbindliche gemeinsame Programmatik, auf den Kongressen wurden jedoch wichtige Texte zu begrenzten Problemen angenommen, und der Generalrat sicherte eine grundlegende Solidarität bei unmittelbaren Klassenaktionen wie Streiks.

Der Gründung der Zweiten Internationale (1889) waren ausführliche Verhandlungen vorausgegangen, allerdings konnte sich die sozialdemokratische Internationale bereits auf in den Massen verankerte Parteien stützen, die hinter sich oft auch starke Gewerkschaften wussten. Allerdings war auch sie keine zentralisierte Internationale – das 1900 ins Leben gerufene Internationale Sozialistische Büro war nicht mehr als ein Koordinierungsorgan, und die Kongresse ähnelten diplomatischen Treffen, denen die mächtigsten Parteien, allen voran die deutsche Sozialdemokratie, ihren Stempel aufdrücken konnten; die Zweite Internationale war letztlich eine Föderation unabhängiger nationaler Parteien.

Im Unterschied dazu wurde die Dritte, die Kommunistische Internationale auf einem klar marxistischen Programm gegründet. Und sie umfasste nicht mehr wie die II. Internationale die große Bandbreite der sich auf die – wie auch immer interpretierte – marxistische Tradition beriefen, sondern nur den explizit revolutionären, linken Flügel der organisierten Arbeiter/innen/bewegung.

Zwei weltgeschichtliche Ereignisse prägten dabei die Gründung der neuen Internationale im Frühjahr 1919: Das Versagen und der Verrat der Zweiten Internationale von August 1914, und die Russische Oktoberrevolution von 1917.

August 1914 – Oktober 1917

Am Stuttgarter Kongress der sozialdemokratischen Internationale von 1907 wurde einstimmig eine Resolution angenommen, in der sich die Arbeiter/innen/parteien verpflichteten, im Falle eines drohenden Krieges alles zu tun, um ihn zu verhindern. Falls der Krieg jedoch trotz alledem ausbrechen sollte, wurde es als Pflicht aller Parteien definiert, für dessen rasche Beendigung einzutreten und die durch den Krieg herbeigeführte politische und wirtschaftliche Krise dazu zu benützen, um das Volk aufzurütteln und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.

Als der Krieg Ende Juli/Anfang August 1914 dann jedoch wirklich ausbrach, stellten sich fast alle Parteien der Zweiten Internationale auf die Seite ihrer Regierungen und unterstützten deren Kriegspolitik. Statt des von der Internationale immer wieder beschworenen proletarischen Internationalismus wurden Kriegskredite bewilligt, eine Burgfriedenspolitik proklamiert und der eigenen Regierung angesichts der Bedrohung von außen der Rücken im Inneren freigehalten.

Abgesehen von einzelnen Parteien wie den Bolschewiki, der serbischen Sozialdemokratie oder den „engherzigen Sozialisten“ Bulgariens und kleinen internationalistischen Minderheiten in anderen Parteien kapitulierten die Partei- und Gewerkschaftsführungen – die Zweite Internationale war entlang ihrer nationalen Grenzen zerfallen. Die internationale Arbeiter/innen/bewegung war bereits 1914 von denen gespalten worden, die immer die „Einheit“ im Munde führten und diese „Einheit“ dann einige Jahre später auch gegen die Kommunistischen Parteien beschwören sollten.

Revolutionär/inn/e/n wie Lenin, Luxemburg oder Trotzki erkannten bereits 1914, dass die II. Internationale mit ihrem Verrat von 1914 auseinander gebrochen war und sich selbst den Todesstoß gegeben hatte – so erklärte Lenin schon bald nach Kriegsausbruch: „Die Zweite Internationale ist tot, vom Opportunismus besiegt. Nieder mit dem Opportunismus; es lebe die nicht nur von den ‚Überläufern’ (…), sondern auch vom Opportunismus gesäuberte III. Internationale!“

Lenin definierte dabei die Hinterlassenschaft der untergegangenen Zweiten und die Aufgaben der neuen Dritten Internationale wie folgt: „Die II. Internationale hat ihr Teil an nützlicher Vorarbeit geleistet, um die proletarischen Massen zunächst während der langen ‚friedlichen’ Periode härtester kapitalistischer Sklaverei und raschesten kapitalistischen Fortschritts im letzten Drittel des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts zu organisieren. Der III. Internationale steht die Aufgabe bevor, die Kräfte des Proletariats zum revolutionären Ansturm gegen die kapitalistischen Regierungen zu organisieren, zum Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie aller Länder für die politische Macht, für den Sieg des Sozialismus!“

Auch Trotzki proklamierte bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch die historische Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Internationale. Auch für ihn konnte diese nicht voraussetzungslos entstehen:

„Der Zusammenstoß zwischen der nationalistischen Tendenz und den Problemen des Internationalismus, beide der Entwicklung des Imperialismus entgegengestellt, verursachte den Selbstmord der II. Internationale. (…) Nur die Entfachung einer revolutionären sozialistischen Bewegung, die gleich einen stürmischen Charakter wird annehmen müssen, kann das Fundament für die neue Internationale legen. Sie wird den Weg zu einem hartnäckigen inneren Kampf eröffnen, der die alten Elemente beseitigen, die Basis für den Sozialismus verbreitern und ihre politischen Ziele revidieren wird. Wie auch immer, man wird den Sozialismus nicht von vorn beginnen können. Die III. Internationale wird geistig der Erbe der I. sein, jedoch mit den durch die II. Internationale herbeigeführten Änderungen.“

Langsam gelang es, während des Weltkrieges die proletarischen Internationalist/inn/en wieder zu sammeln. Politisch nicht einheitlich, setzten doch die Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und von Kienthal (April 1916), vorher bereits die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (März 1915) und die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz (April 1915) deutliche Zeichen, dass nicht alle Tendenzen der Arbeiter/innen/bewegung bereit waren, sich kritiklos dem Diktat von Burgfrieden und nationalem Schulterschluss unterzuordnen.

Die erste Voraussetzung für die Gründung der neuen Internationale war also der Verrat der Zweiten Internationale, die im Angesicht des Donners von Kanonen vor dem nationalistischen Hurra-Patriotismus kapituliert hatte.

Die zweite Voraussetzung war der Sieg der russischen Revolution von 1917. Während die Bolschewiki nach dem Februar 1917 die alte Parole der demokratischen Diktatur weiterführten, gelang es dem aus dem Exil zurückgekehrten Lenin in einem zähen Kampf, die Partei auf eine Politik des Aufbaus einer proletarischen Demokratie umzuorientieren. In den April-Thesen von 1917 definierte Lenin als 10. Punkt auch die Aufgabe der Erneuerung der Internationale: Die Bolschewiki sollten die „Initiative zur Gründung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen Sozialchauvinisten und gegen das ‚Zentrum’“ ergreifen.

Und im Mai 1917 konkretisierte Lenin die Aufgabe der Bolschewiki folgendermaßen: „Die Lage unserer Partei – gegenüber allen Arbeiterparteien der ganzen Welt – ist jetzt so, dass es unsere Pflicht ist, unverzüglich die III. Internationale zu gründen. Außer uns gibt es jetzt niemand, der das jetzt tun könnte, und jeder Aufschub ist schädlich.“ Lenin ist dabei zweifellos Recht zu geben: Die Bolschewiki waren durch ihre klare Politik in der Kriegsfrage zur Avantgarde der internationalen Revolution geworden.

Zwischen Lenins Erklärung und der Realisierung der Aufgabe liegen nochmals fast zwei Jahre – zwei Jahre, die die Weltsituation dramatisch verändern sollten: Die Oktoberrevolution 1917 führte zu einer politischen und wirtschaftlichen Umwälzung in Russland sowie zum Aufbau der ersten Sowjetrepublik. Sie war auch der Ausgangspunkt einer revolutionären Welle, die in den kommenden Jahren nicht nur die morsche Habsburgermonarchie und das deutsche Hohenzollernreich hinwegfegen, sondern die auch Europa einen revolutionären Aufschwung bescheren sollte, der immer wieder in dem Ruf, es ebenfalls „russisch machen“ zu wollen, gipfelte. Die russische Revolution erleichterte also den Prozess der Loslösung der revolutionären Strömungen von den rechten sozialdemokratischen Führungen, die nun, nachdem chauvinistischer Taumel und Kriegsbegeisterung verflogen waren, sich wieder an die Spitze der proletarischen Bewegungen setzen wollten, als ob mit ihrem Verrat nichts Entscheidendes geschehen wäre.

Den Bolschewiki gelang es in diesen beiden Jahren bis zum März 1919 – trotz Blockade und beginnender imperialistischer Intervention –, nicht nur unter den Kriegsgefangenen Mitstreiter zu finden, die zum Kern mehrerer nationaler kommunistischer Parteien werden sollten, sondern auch mit dem russischen Beispiel Einfluss auf die Entwicklung der Arbeiter/innen/bewegung vieler europäischer und auch außereuropäischer Länder zu nehmen und der revolutionären Gärung ein klares Ziel und eine klare Aufgabe zu stellen – den Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und den Aufbau einer sozialistischen Räterepublik, als Teil einer internationalen Föderation sozialistischer Arbeiter/innen/republiken.

In „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ fasste Lenin das Ziel, aber auch die Methoden der neuen Internationale zusammen: „Der Bolschewismus hat die ideologischen und taktischen Grundlagen für die III. Internationale, die wirklich proletarische und kommunistische Internationale, geschaffen, die sowohl die Errungenschaften der friedlichen Epoche berücksichtigt als auch die Erfahrungen der bereits ausgebrochenen Epoche der Revolutionen. Der Bolschewismus hat die Idee der ‚Diktatur des Proletariats’ in der ganzen Welt popularisiert. (…) Der Bolschewismus hat in der Tat die Entwicklung der proletarischen Revolution in Europa und Amerika so stark gefördert, wie das bisher keiner einzigen Partei in keinem anderen Lande gelungen ist. (…) Der Bolschewismus eignet sich als Vorbild der Taktik für alle.“

Die neue Internationale war also das kombinierte Ergebnis von zwei Erfahrungen: der Erfahrung des sozialdemokratischen Bankrotts im August 1914 und der einer siegreichen proletarischen Revolution in Russland, deren Grundaxiome – bei allen aufgrund der konkreten Situation notwendigen Modifikationen – mit Recht als Vorbild für revolutionäre Taktik auch in anderen Teilen der Welt gesehen werden konnte. Und trotz der schwierigen Situation, in der sich die russische Revolution befand, setzten die Bolschewiki, sobald es möglich war, auch konkrete Schritte hin zur formellen Proklamation der neuen Internationale.

März 1919: Gründungskongress der Komintern

Faktisch bestand in ihrem Kern eine neue Internationale von Parteien und Strömungen, die sich am Beispiel der russischen Revolution orientierten, bereits vor dem März 1919. Sie war das Ergebnis des Zusammenflusses mehrerer Einzelelemente: Erstens natürlich des faktischen Zentrums der Revolution, der russischen Revolution und der siegreichen Bolschewiki.

Zweitens die Parteien der formell selbständigen Sowjetrepubliken, die auf dem Boden des ehemaligen Zarenreiches entstanden waren und unter einem starken, mehr oder weniger direkten bolschewistischen Einfluss standen. Schon Ende 1917 wurde der All-Ukrainische Sowjetkongress gegründet, 1918/1919 die Weißrussische Sowjetrepublik, um nur zwei Beispiele zu nennen. Im Laufe des Bürger/innen/- und Interventionskrieges wurden immer wieder neue, oft nur kurzlebige Räterepubliken gegründet, deren Führungen stark von der bolschewistischen Partei beeinflusst, wenn nicht oft sogar direkt initiiert waren.

Drittens wurden von ehemaligen Kriegsgefangenen, die sich der russischen Revolution angeschlossen hatten, eigene nationale Sektionen gegründet, die im Gründungsprozess der Komintern noch eine wichtige Rolle spielen sollten. Viertens hatten sich bis Jahresende 1918/1919 bereits mehrere Kommunistische Parteien gebildet und offiziell einen Trennungsstrich zur Sozialdemokratie gezogen: in Finnland (29. August 1918), in Österreich (3. November 1918), in den Niederlanden (17. November 1918), in Ungarn (24. November 1918), in Polen (16. Dezember 1918) und zum Jahresende – die wohl politisch wichtigste der hier angeführten Neugründungen – in Deutschland (31. Dezember 1918).

Und fünftens bestanden in einer ganzen Reihe weiterer Länder Parteien mit starken kommunistischen (bzw. genauer: mit dem Bolschewismus sympathisierenden) Flügeln, so etwa in Bulgarien, Schweden, dem neu gegründeten SHS-Staat (dem späteren Jugoslawien) oder Griechenland.

Im Januar 1919 fand in Moskau eine internationale Beratung statt, in der der Beschluss gefasst wurde, in allernächster Zeit einen Gründungskongress der neuen Internationale durchzuführen. Der Aufruf vom 24. Januar 1919 wurde unterzeichnet von den Vertretern von acht Parteien: dem Zentralkomitee der Russischen Kommunistischen Partei mit Lenin und Trotzki, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Ungams, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutsch-Österreichs, dem Russischen Büro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Lettlands, dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Finnlands, dem Exekutivkomitee der balkanischen revolutionären sozialdemokratischen Föderation mit Rakowski und der S.L.P. der USA. In den zentralen Passagen des Aufrufes wurden die Gründe für die Einberufung des Kongresses benannt:

„Die riesenhaft schnelle Vorwärtsbewegung der Weltrevolution (…), die Gefahr der Erstickung dieser Revolution durch das Bündnis der kapitalistischen Staaten (…), die Versuche der sozialverräterischen Parteien, sich miteinander zu einigen und (…) ihren Regierungen und ihrer Bourgeoisien nochmals zum Betrug der Arbeiterklasse zu verhelfen; endlich die bereits erworbene außerordentlich reiche revolutionäre Erfahrung und die Internationalisierung der ganzen Revolutionsbewegung – alle diese Umstände zwingen uns, die Initiative zu ergreifen, um die Frage der Zusammenberufung eines internationalen Kongresses der revolutionären proletarischen Parteien auf die Tagesordnung zur Diskussion zu stellen.“

Der Kongress selbst konnte nicht, wie die Bolschewiki ursprünglich geplant hatten, in Deutschland oder den Niederlanden abgehalten werden, sondern musste im von der imperialistischen Blockade abgeriegelten Russland stattfinden. Der Kongress selbst wurde am 2. März 1919 eröffnet und konnte am 6. März mit dem formellen Beschluss der Gründung einer Kommunistischen internationale abgeschlossen werden.

Allerdings war der Kongress – selbst für die bereits mit der russischen Revolution sympathisierenden Strömungen – alles andere als repräsentativ: Letztlich waren unter den 51 anwesenden Delegierten lediglich drei, die die imperialistische Blockade durchbrechen konnten und die Organisationen ihrer jeweiligen Länder auch wirklich repräsentieren konnten: Der Deutsche Hugo Eberlein („Albert“ im Protokoll des Gründungskongresses), der Schwede Otto Grimlund und der Österreicher Karl Steinhardt („Gruber“).

Besonders schwer sollte wiegen, dass die wichtigste Partei außerhalb Russlands, die deutsche Partei, sich der Proklamation der III. Internationale widersetzte – die Partei, deren Führer/innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 der Konterrevolution zum Opfer gefallen waren, wollte mit der formellen Gründung noch zuwarten, bis sich breitere Bewegungen und Strömungen für die neue Internationale ausgesprochen hätten. Das war dieselbe Angst, die etwa auch Clara Zetkin während des Weltkrieges vor einer zu klaren revolutionären Anti-Kriegs-Position zurückschrecken ließ – die Angst, sich vor den Massen zu isolieren.

Alle anderen Teilnehmer sprachen sich für die Gründung der neuen Internationale aus – von der insgesamt richtigen Erkenntnis ausgehend, dass der Kampf um die Diktatur des Proletariats eine einheitliche Organisation auf internationaler Ebene erforderlich mache. Dass diese Orientierung keine Phantasterei war, bewies die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate: Die Gründung der ungarischen Räterepublik zeigte ebenso wie die kurzfristigen Räterepubliken des Frühjahrs 1919 in Bayern oder in Norddeutschland das unmittelbare revolutionäre Potenzial des Frühjahrs 1919.

Schließlich wurde am 4. März 1919 von den Vertretern der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs, der Linken Sozialdemokratischen Partei Schwedens, der Sozialdemokratischen Revolutionären Arbeiterföderation des Balkans und der Kommunistischen Partei Ungarns die Gründung der Kommunistischen Internationale mit der folgenden Resolution beantragt:

„I.            Die Notwendigkeit des Kampfes um die Diktatur des Proletariats erfordert eine einheitliche, geschlossene, internationale Organisation aller kommunistischen Elemente, die auf diesem Boden stehen.

II.            Diese Gründung wird umso mehr zur Pflicht, da augenblicklich in Bern und möglicherweise später auch an anderen Stellen der Versuch gemacht wird, die alte opportunistische Internationale wieder herzustellen und alle unklaren, unentschiedenen Elemente des Proletariats wieder zu sammeln. Deshalb ist es notwendig, eine scharfe Scheidung zwischen den revolutionären proletarischen und den sozialverräterischen Elementen herbeizuführen.

III.           Würde die III. Internationale durch die in Moskau tagende Konferenz nicht begründet, so würde der Eindruck entstehen, dass die Kommunistischen Parteien uneins seien; was unsere Lage schwächen und die Verwirrung unter den unentschiedenen Elementen des Proletariats aller Länder vergrößern würde.

IV.           Die Konstituierung der III. Internationale ist deshalb ein unbedingtes geschichtliches Gebot und muss durch die in Moskau tagende Internationale Kommunistische Konferenz zur Tat werden.“

Der Antrag wurde angenommen, schließlich enthielt sich auch Eberlein nicht nur nicht der Stimme, sodass die Gründung der Kommunistischen Internationale ohne Gegenstimme angenommen werden konnte, sondern er verpflichtete sich auch dazu, in der KPD nach seiner Rückkehr dafür zu kämpfen, dass der Gründungsbeschluss von seiner Partei akzeptiert werden sollte.

Vom Gründungskongress wurden mehrere Dokumente angenommen: die politisch bedeutsamen Thesen zur bürgerlichen Demokratie und zur Diktatur des Proletariats (Lenin), eine Resolution über die Berner Konferenz und die Stellung zu den sozialistischen Strömungen, eine Plattform der neu gegründeten Internationale, Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente, eine Resolution über den weißen Terror und schließlich das von Trotzki verfasste zentrale Manifest des Gründungskongresses. Von Kollontai wurde ein Antrag eingebracht, Frauen an die kommunistischen Parteien heranzuziehen. Die Annahme von Statuten wurde auf den 2. Kongress verschoben.

Vom Kongress wurde ein Exekutivkomitee bestimmt, das wiederum ein aus fünf Mitgliedern bestehendes Büro wählte – die Bolschewiki Lenin, Trotzki und Sinowjew, sowie Rakowski und Platten. Das internationale Zentrum wurde in der konkreten Arbeit schließlich von Sinowjew – mit Unterstützung von Angelica Balabanoff, Victor Serge und Mazine – organisiert.

Der Gründungskongress der Komintern fand unter dem direkten Eindruck der imperialistischen Aggression gegen die junge Sowjetrepublik, aber auch unter dem Eindruck der Hoffnung auf eine unmittelbare Ausdehnung der Revolution auf Westeuropa statt. Diese zeitgebundenen Faktoren waren auch die Ursache für einzelne Ungenauigkeiten und Überspitzungen. Trotzdem kommt dem Gründungskongress der Komintern eine besondere Bedeutung in der Geschichte der revolutionären Bewegung zu. Weder die Gründung der Ersten Internationale (1864) noch der Zweiten (1889) hatten in einer derart zugespitzten und vom Bewusstsein der Unmittelbarkeit der revolutionären Bewegung geprägten Atmosphäre stattgefunden. Der Gründungskongress war im zeitgenössischen Bewusstsein die Quintessenz der soeben stattfindenden Revolution und gleichzeitig die politische Form, in der die künftige Weltordnung vorweggenommen wurde. Lenin fasste die Bedeutung des Ersten Kongresses so zusammen:

„Von Dauer ist in einer Revolution nur das, was die proletarischen Massen errungen haben. Schriftlich festzulegen lohnt nur das, was wirklich für die Dauer errungen ist. Die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale in Moskau am 2. März 1919 war die Festlegung dessen, was nicht nur die russischen proletarischen Massen, die Massen von ganz Russland, sondern auch die deutschen, österreichischen, ungarischen, finnischen, schweizerischen, mit einem Wort, die internationalen proletarischen Massen errungen haben. Und eben darum ist die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale ein Werk von Dauer.  Noch vor vier Monaten konnte man nicht sagen, dass die Sowjetmacht, die sowjetische Staatsform eine internationale Errungenschaft ist. Es gab darin etwas, und zwar etwas Wesentliches, was nicht nur für Russland, sondern auch für alle kapitalistischen Länder Gültigkeit hatte. Aber bevor noch nicht in der Praxis der Beweis erbracht worden war, konnte man nicht sagen, welcherart, wie tiefgreifend, wie wesentlich die Veränderungen sein werden, die die Weltrevolution in ihrer weiteren Entwicklung mit sich bringen wird. Die deutsche Revolution hat diesen Beweis erbracht. Ein fortgeschrittenes kapitalistisches Land hat – nach einem der rückständigsten Länder – in kurzer Zeit, in etwas mehr als hundert Tagen, der ganzen Welt nicht nur dieselben Hauptkräfte, nicht nur dieselbe Hauptrichtung der Revolution gezeigt, sondern auch dieselbe grundlegende Form der neuen, proletarischen Demokratie: die Räte (…). Die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale bedeutet die Vorstufe für die internationale Republik der Sowjets, für den Sieg des Kommunismus in der ganzen Welt.“

Und das von Trotzki verfasste Manifest des Gründungskongresses fasst nochmals den historischen Standort der künftigen Internationale zusammen: „Wenn die Erste Internationale die künftige Entwicklung vorausgesehen und ihre Wege vorgezeichnet, wenn die Zweite Internationale Millionen Proletarier gesammelt und organisiert hat, so ist die Dritte Internationale die Internationale der offenen Massenaktion, der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat.“

Es sind diese von Lenin und Trotzki genannten Momente, die für uns heutige revolutionäre Sozialist/inn/en entscheidend dafür sind, dass wir uns politisch in die Tradition des ersten Weltkongresses der Komintern (und darüber hinaus in die der frühen III. Internationale) stellen – die Orientierung auf eine revolutionäre Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft, die Orientierung auf eine internationale Sowjetrepublik.

Die Hoffnungen, die mit der Gründung der III. Internationale verbunden waren, sollten schließlich grausam enttäuscht werden. Die weitere Geschichte der Kommunistischen Internationale bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1943 wollen wir in der Fortsetzung dieses Artikels zusammenfassen.

 

Weitere Teile des Artikels:

90 Jahre Komintern, Teil 2: Der Aufstieg

90 Jahre Komintern, Teil 3: Niedergang und Auflösung