Medienhetze gegen Berliner Schulstreik

Eine Woche nach dem Ende des bundesweiten Schulstreiks dürfte sich die Medienhetze gegen die protestierenden SchülerInnen aufgrund der Vorfälle in der vorübergehend besetzten Berliner Humboldt-Universität (HU) wieder beruhigt haben. Doch die absurden Unterstellungen seitens Spiegel, Welt und Co., wonach die Zerstörung der jüdischen Ausstellung in der HU eine antisemitisch-motivierte, geplante Aktion gewesen wäre, sollten allen AktivistInnen eine Lehre sein, keinerlei Hoffnungen in die bürgerlichen Medien zu haben…

Noch einmal kurz zusammengefasst: Nach Angaben der VeranstalterInnen haben letzten Mittwoch in mehr als 40 deutschen Städten etwa 100.000 SchülerInnen für bessere Bildung gestreikt. Unter anderem richteten sich die Proteste gegen überfüllte Klassen, LehrerInnenmangel, das „Turboabitur“, das dreigliedrige Schulsystem sowie generell gegen Elitenbildung. Im Gegensatz zu den Schulstreiks in den vergangenen Jahren kann diesmal tatsächlich von einem bundesweiten Aktionstag gesprochen werden. In einigen Städten kam es auch zu radikaleren Aktionen wie kurzzeitigen Besetzungen oder Blockaden, aber auch zu verstärkter Repression: So wurden etwa SchülerInnen im Schulgebäude eingeschlossen, um nicht an der Demo teilnehmen zu können. An vielen Schulen war Streikwilligen mit Tadeln und anderen Disziplinarstrafen gedroht worden.

Erstürmung der Humboldt-Universität

Im Rahmen einer Zwischenkundgebung der Berliner Demonstration, an der etwa 6000 Menschen teilnahmen, stürmten plötzlich hunderte DemonstrantInnen in das Hauptgebäude der Humboldt-Uni. Die großteils jugendlichen BesetzerInnen drangen in den Festsaal ein, störten eine Veranstaltung von ManagerInnen über Hochschulpatente und schwenkten rote Fahnen vom Balkon. Leider wurde im Zuge der Erstürmung der Uni auch die Ausstellung im Eingangsbereich mit dem Titel „Verraten und Verkauft. Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945“ beschädigt.

AkivistInnen, die bei der Besetzung dabei gewesen waren, berichten allerdings, dass, als hunderte Menschen gleichzeitig durch den engen Eingangsbereich der HU stürmten, es nicht möglich war zu sehen, um welche Ausstellung es sich hier handelte. Wie es aussieht, haben aber einzelne DemonstrantInnen auch gezielt Schautafeln beschädigt, ohne sich dabei Gedanken zu machen, was sie da eigentlich tun. Die Zerstörung der Ausstellung ist zu kritisieren (und widerspricht auch allen Anliegen der SchülerInnenbewegung). Einen bewusst antisemitischen Hintergrund halten wir aber für konstruiert.. Aus welchem Grund sollten sich AntisemitInnen unter eine linke SchülerInnendemo mischen, um aus dieser heraus gezielt Zerstörungen durchführen zu können? Schließlich war die Erstürmung der HU im Vorhinein überhaupt nicht abzusehen? Oder sollten gar die OrganisatorInnen des SchülerInnen-Bündnisses wochenlang eine große Kampagne vorgetäuscht haben, nur um letztendlich ihr antisemitisches Ziel zu verfolgen? Das ist doch lächerlich! Die Organisatorin der Demo, die Initiative „Bildungsblockaden einreißen“, wandte sich übrigens umgehend in einem offenen Brief an ProfessorInnen und Studentinnen der Humboldt-Universität, distanzierte sich von den Zerstörungen und bot an, den angerichteten Schaden wieder gut zumachen. Was jedoch in den Tagen darauf folgte, war ein Paradebeispiel bürgerlicher Medienhetze…

Hexenjagd

Die verschiedensten großen Zeitungen (allen voran die bekannt antikommunistische Springer-Presse) berichteten, teilweise an sehr prominenter Stelle, über die Vorfälle an der HU. „Antiisraelische Parolen in Berlin“ (!) hieß es auf einmal in der “Welt“. „Jüdische Ausstellung in Berliner Humboldt-Uni schwer beschädigt“, titelte Spiegel online. Die Bild-Zeitung verband ihren Bericht wieder einmal gleich mit einer Forderung: „Bestraft die Uni-Chaoten hart!“. Im Fahrgastfernsehen der Berliner U-Bahnen war von der Zerstörung einer „Juden-Ausstellung“ (!) die Rede. Frage an die verantwortlichen JournalistInnen: Was wird denn so ausgestellt, auf einer „Juden-Ausstellung“?

Auch Ranghohe PolitikerInnen beteiligten sich an der heuchlerischen Hexenjagd. So meinte etwa die CDU-Bundestags-Abgeordnete Kristina Köhler: „Die Zerstörungen sind kein Zufall. Auch der Antisemitismus von links ist Antisemitismus.“ Auch Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) sprach von Antisemitismus. Der Chef des Berliner Landeskriminalamts, Peter-Michael Haeberer, ergänzte in der „Berliner Morgenpost“: „Wer jetzt versucht, diesen Zwischenfall als allgemeinen Vandalismus zu deklarieren, bedient sich einer billigen Ausrede.“

Der Präsident der Humbolt-Uni, Christoph Markschies, sieht in der Zerstörung einen „im Kern antisemitischen“ Akt und will es nicht hinnehmen, „dass sich Menschen in diesem Land wieder vor der Gewalt anderer Menschen fürchten müssen.“ Schließlich wäre die Aktion ein „unerträglicher Angriff auf die freiheitliche Ordnung dieses Landes“ gewesen. Medien, PolitikerInnen und RepräsentantInnen des Bildungssystems wollen das Ganze also so darstellen, als hätte ein wütender antisemitischer Mob in der Uni Pogrome durchgeführt…

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hingegen warnte zurecht vor einer Verharmlosung des Antisemitismus: „Mit dem antisemitischen Motiv sollte man sehr vorsichtig sein (…) Wir dürfen da nichts hineininterpretieren, was wir nicht sicher wissen. Damit tut man dem Kampf gegen Antisemitismus nichts Gutes“, meinte ein Vertreter.

Schulstreik soll Randthema werden

Um den restlichen Schulstreik ging es dann nur mehr am Rande, und auch hier bloß nach dem Motto „Chaoten-Kinder schwänzen Schule und randalieren“. Die Berliner Morgenpost vom 16.11. lässt sogar eine Schülerin aus Charlottenburg einen kompletten Artikel darüber schreiben, wie dumm und unpolitisch nicht viele TeilnehmerInnen der Demo gewesen wären. In diesem Zusammenhang sorgte auch ein besonders dümmliches Video von Spiegel-Online für Aufsehen, welches letzten Sonntag nun auch auf RTL zu sehen war. Sichtlich gefällt sich die Spiegel-Reporterin darin, gezielt jene SchülerInnen zu interviewen, die sich vor der Kamera nichts sagen trauen um sich anschließend oberlehrerhaft über den Schulstreik lustig zu machen. Amüsant: Während die selbstherrliche Journalistin davon spricht, dass randalierende SchülerInnen Feuer gelegt hätten, sind mehrere engagierte DemonstrantInnen zu sehen, die eine brennende Klopapierrolle austreten.

Etliche SchülerInnen, vor allem jene, die viel Energie in die Organisierung und Mobilisierung zum bundesweiten Schulstreik gesteckt hatten, fühlen ob der geballten Medienhetze Zorn und Wut. Schließlich wurde nun nur mehr über die Zerstörungen Einzelner berichtet, die Anliegen der Schulstreikbewegung aber außen vor gelassen. Wir verstehen diese Wut. Gleichzeitig müssen wir uns aber im Klaren sein: Die bürgerlichen Medien werden unsere Anliegen immer verzerrt darstellen, verleumderisch, zynisch oder eben gar nicht darüber berichten. Wenn sie, so wie in diesem Fall, einen konkreten Anlass finden, anhand dessen es sich gut gegen eine kämpferische Bewegung hetzten lässt, dann umso besser.

Eigene Medien aufbauen!

Spiegel, Welt und Konsorten berichten nicht so wie sie berichten, weil sie nicht gut informiert sind oder weil sie unsere Argumente nicht kennen. Sie berichten so, weil sie die ideologischen BehüterInnen der herrschenden Ordnung sind. Fernsehsender, Zeitungen und Magazine sind entweder in der Hand von Privatunternehmen oder dem bürgerlichen Staat. Es ist doch klar, dass GroßkapitalistInnen nicht wollen, dass in ihren Medien positiv über Streiks und soziale Proteste berichtet wird, die eben diese herrschende Ordnung in Frage stellen. Der vergangene Schulstreik hat die SchülerInnen-Proteste in Deutschland in den letzten Jahren auf eine neue Stufe gehoben. Natürlich wollen die Medien der Herrschenden diese Proteste verleumden und kriminalisieren, denn möglicherweise könnte es ja auch zu Demos und Streiks anderer sozialer Gruppen kommen – etwa von ArbeiterInnen.

Damit wollen wir nicht sagen, dass wir als Linke überhaupt nicht versuchen sollten, unsere Anliegen über die bürgerlichen Medien zu verbreiten. Natürlich sollten etwa Streikende versuchen, ihre Forderungen in die bürgerliche Presse zu bringen. Aber – und das ist der springende Punkt – wir dürfen uns niemals auf die bürgerlichen Medien verlassen. Wir müssen unsere eigenen Medien aufbauen, stärken und uns damit an Interessierte wenden um den Meinungsmonopol der Herrschenden etwas entgegen setzen zu können.

 

Bericht vom Schulstreik von Wladek Flakin, Revo Berlin (mit Fotos)