Stellungnahme zur Nationalratswahl 2006

Am 1. Oktober werden die Nationalratswahlen stattfinden und uns, wenn man den Umfragen glauben kann, für eine weitere Legislaturperiode eine Regierung, und weitere Angriffe auf die Errungenschaften der Lohnabhängigen, unter Führung der ÖVP bescheren. Bereits in unseren Thesen zur politischen Situation in Österreich aus dem Jahr 2005 haben wir eine Bilanz über diese Kapitalist/innen-Regierung gezogen: „Gegenüber den Lohnabhängigen in Österreich konnten in der laufenden Legislaturperiode wesentliche Projekte der Bourgeoisie durchgebracht werden. Dazu gehörten vor allem die massiven Verschlechterungen im Bereich der Pensionen, die für Banken und Versicherungen ein zusätzliches Geschäft mit Privatpensionen schaffen, und die so genannte Steuerreform, die eine weitere Steuerentlastung für das Großkapital bedeutet und für die die Lohnabhängigen wohl nach den nächsten Nationalratswahlen mit einem Sparpaket zur Kasse gebeten werden. Außerdem konnte die Kapitalist/innen/klasse den direkten Zugriff ihrer Hauptpartei, der ÖVP, auf verschiedene Teile des staatlichen Repressions- und Verwaltungsapparates weiter verstärken.“ (siehe dazu unsere Thesen zur politischen Situation in Österreich)

 

Der Unmut der lohnabhängigen Bevölkerung über diese Verschlechterungen zeigte sich 2003 in diversen Streiks und Demonstrationen. Nachdem ÖGB und SPÖ wieder mal ihre Nützlichkeit fürs Kapital demonstriert hatten und die Proteste in die Niederlage führten, ging bei vielen die kämpferische Stimmung verloren und sie setzten nun nur mehr auf eine Abwahl der Regierung bei den nächsten Wahlen. Insgesamt schaffte es die SPÖ nicht, sich auch nur irgendwie als Alternative zum Angriffskurs der Kapitalist/innen-Regierung zu positionieren. Stattdessen versuchte sie sich den Unternehmer/innen anzubiedern und plapperte das neoliberale Programm von Sachzwängen, Globalisierung und Flexibilisierung nach. Das stellt freilich keine Änderung in der Politik der Sozialdemokratie dar, die sich schon immer als „staatstragend“ präsentiert hat, sondern entspricht nur ihrer Rolle als bürgerlicher Arbeiter/innen/partei, also einer bürgerlichen Partei, die sich existenziell auf die organisierte Arbeiter/innen/klasse stützt.

 

Lag die SPÖ in den meisten Umfragen während der ÖVP-FPÖ/BZÖ Regierung vorne, änderte sich das mit dem Bawag-„Skandal“. Die Vertreter/innen des Kapital konnten nun noch leichter in die Offensive gehen und nutzten diese Ereignisse um die Rolle der Gewerkschaften im Rahmen der „Sozialpartnerschaft neu“ weiter zu Schwächen. Nach dem „Skandal“ schwanden die Umfrageergebnisse der SPÖ dahin und die Stimmung an Teilen der Basis änderte sich. Der Vorstoß von Gusenbauer ÖGB-Funktionär/innen nicht mehr fix einen Platz im Parlament zu sichern und die Kritik von anderen Teilen der Partei daran zeigte die unterschiedlichen Stimmungen in verschiedenen Teilen der Bürokratie auf. Eine Abwahl der Regierung scheint durch die Enttäuschungen durch ÖGB und SPÖ und die geringer werdende Unterstützung durch die Basis nun unwahrscheinlich. Und schließlich steht die SPÖ trotz so mancher sozialer Wahlkampfrhetorik für eine durch und durch neoliberale und standortnationalistische Regierungspolitik.

 

Sollte das Wahlvolk die Meinungsforscher/innen nicht eines besseren belehren, werden die Wahlen wohl eine Fortsetzung der ÖVP-Kanzlerschaft mit einem Juniorpartner bedeuten. Es wird uns also weiterhin ein Angriffskurs auf Errungenschaften der Lohnabhängigen und die Durchsetzung von wichtigen Projekten der Bourgeoisie ins Haus stehen. Welche Partei die Rolle des Juniorpartners spielen wird, wird vom Wahlergebnis abhängen. Grundsätzlich kommen das BZÖ, aber auch die Grünen oder die SPÖ in Frage. Damit sich die SPÖ-Bürokratie endlich wieder an der Verteilung des Kuchens beteiligen kann, ist sie mit Sicherheit zu neuerlichen Angriffen auf ihre eigene proletarische und gewerkschaftliche Basis bereit. Die Grünen haben bereits in der oberösterreichischen Landesregierung gemeinsam als Juniorpartner der ÖVP gezeigt, dass sie für diese Rolle durchaus gut geeignet sind. Die FPÖ erscheint in ihrer heutigen Form als Koalitionspartnerin eher unwahrscheinlich, ist sie doch für die Wünsche des Kapitals nach einer stabilen Regierung und einer „verantwortungsbewussten“ EU-Politik eine zu unverlässliche und unberechenbare Partnerin.

 

Abseits von den tagespolitischen Vorgängen ist für uns als revolutionäre Marxist/inn/en die prinzipielle Haltung zur bürgerlichen Demokratie klar: diese ist in erster Linie eine Verschleierung der Klassenherrschaft des Kapital. (zu unserer grundsätzlichen Herangehensweise verweisen wir auf unseren Text zu Einheitsfronten, Wahlen und Bündnisse). Auch wenn für uns Parlamente also nur „Quatschbuden“ sind und die wahren Entscheidungen sowieso außerhalb dieser fallen, bieten Wahlen, als Zeiten erhöhter politischer Aufmerksamkeit, für uns die Möglichkeit diese für unsere eigene Propaganda zu nutzen. Dabei besteht für eine revolutionäre Organisation prinzipiell die Möglichkeit einer Eigenkandidatur. Ob eine solche angestrebt wird, hängt ganz wesentlich von der Größe und Stärke der eigenen Organisation ab. Für uns als kleine Organisation ist daher ein Antreten bei den Nationalratswahlen keine Option.

 

Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit einer Einheitsfront mit einer bürgerlichen Arbeiter/innen/partei. Für Parlamentswahlen kann diese die Form eines kritischen Wahlaufrufs annehmen. Zwei wesentliche Voraussetzung müssen dafür gegeben sein: von einem relevanten Teil der Lohnabhängigen müssen Illusionen in diese Partei bestehen und wir als Revolutionär/innen müssen in der Lage sein, uns mit dieser Taktik an Teile der reformistischen Parteibasis zu wenden. Durch die Ereignisse rund um den Bawag-„Skandal“ sind die Illusionen von Teilen der Arbeiter/innen/klasse in die SPÖ zurückgegangen. In der jetzigen Situation ist allerdings entscheidender, dass wir keinen realen und kontinuierlichen Zugang zu zumindestens einem Teil der SP-Parteibasis haben und damit nicht in der Lage sind diese Taktik überhaupt anzuwenden.

 

Die Grünen sind für uns kein Teil der Arbeiter/innen/bewegung und deshalb für uns prinzipiell nicht wählbar. Sie organisieren keine Basis von Lohnabhängigen, an die wir uns wenden könnten. Die Grünen sind eine kleinbürgerliche Reformpartei der aufgeklärten Mittelschichten, völlig in der kapitalistischen Logik befangen und stellen das auch immer wieder eindrucksvoll unter Beweis.

 

Auch wenn eine kritische Wahlunterstützung für die KPÖ prinzipiell möglich wäre, stellt dies für uns heute keine reale Option dar. Die Grundvoraussetzung, dass von relevanten Teilen der Arbeiter/innen/klasse Illusionen in diese Partei bestehen, ist nicht gegeben. Eine Stärkung der KPÖ würde, in dem kleinen Rahmen in dem das momentan realistisch wäre, gesamtgesellschaftlich keine relevanten Auswirkungen haben, jedoch innerhalb der Linken den rechten, zivilgesellschaftlichen Flügel stärken und somit die Position der radikalen Linken schwächen. Die KPÖ spielte in Auseinandersetzungen der letzten Jahre in denen die Linke relevanten Einfluss hatte immer wieder eine zurückzerrende und demobilisierende Rolle.

 

In Wien gibt es durch die Kandidatur der SLP (Sozialistische Linkspartei) die Möglichkeit für eine Partei zu stimmen, die grundlegend eine klassenkämpferische und mobilisierende Ausrichtung hat. Sie steht uns von allen kandidierenden Parteien sicherlich bei weitem am nächsten. Auch wenn wir politische Differenzen mit der SLP haben und in der momentanen Situation der radikalen Linken (mit ihrer gesamtgesellschaftlichen Isolation und der quantitativen Schwäche) und der Stärke der SLP ihre Kandidatur und insgesamt ihre elektorale Ausrichtung für falsch und ihre Wahlpropaganda für linksreformistisch halten würde ein gutes Ergebnis der SLP das Kräfteverhältnis innerhalb der Linken tendenziell zu Gunsten der radikaleren und klassenkämpferischen Kräfte verschieben. Bei allen politischen Differenzen, die wir mit der SLP haben, sind wir doch von der Ernsthaftigkeit des revolutionären Anspruchs der Genoss/inn/en überzeugt. Wir sind davon überzeugt, dass eine revolutionäre Arbeiter/innen/partei nur mit einer zunehmenden Ausweitung der Klassenkämpfe in einem Umgruppierungsprozess der radikalen Linken, in erster Linie von Kräften aus trotzkistischer Tradition, entstehen kann.

 

Beschlossen von der Mitgliederversammlung der AGM am 10. September 2006 (nach einem Entwurf von Johannes Wolf).