Echt Unsozial – der wahre Charakter der EU

"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt."(1) So spricht Luxemburgs Premierminister Jean Claude Juncker über die Arbeitsweise des EU-Rats. Versuchen wir also zu begreifen, was die EU ist, was sie beschließt und wem sie dient …

Gleichzeitig mit der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs gibt es innerhalb der EU große Debatten über die Zukunft der Union. Die Erweiterung der Union, die Abstimmungen über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden (die mit einem Nein für die Politik der EU-Kommission ausgingen), aber auch die Debatte über das EU-Budget sind in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit getreten. Nehmen wir also die Präsidentschaft zum Anlass, hinter die Kulissen der EU zu blicken.

Das bürgerliche Establishment versucht uns die EU immer als "Friedensvereinigung", als "große Idee" oder sonstigen Schmafu zu verkaufen. In Wirklichkeit ist die EU ein durch und durch unsoziales, rassistisches und imperialistisches Projekt. Als imperialistisch bezeichnen wir Staaten und Konzerne, die mittels politischer, ökonomischer oder militärischer Mittel Kontrolle über andere Länder ausüben und sich dadurch bereichern.

Die Welt ist heute im wesentlichen zwischen drei großen imperialistischen Blöcken aufgeteilt: Europa, USA und Japan. Ein Blick auf die Liste der 500 größten, weltweit operierenden Konzerne verdeutlicht das. Davon haben 48% ihren Sitz in den USA, 30% kommen aus Europa und 10% sind in japanischer Hand. Neben den drei Großmächten gibt es auch noch Regionalmächte wie Russland oder China, die zwar recht kräftige Volkwirtschaften darstellen, aber nicht stark genug sind, um als globale "Big Player" agieren zu können. In diesem Spiel der Machtblöcke und Interessensgegensätze muss sich die EU behaupten und versuchen, einen möglichst großen Anteil am weltweit geschaffenen Reichtum zu ergattern.

Daher ist eine der großen Aufgaben der EU laut Eigenangaben das im Jahr 2000 in Lissabon verabschiedete Programm mit dem Ziel, die EU bis 2010, zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Vorsätzen im Bezug auf Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz oder Bildung, scheint dieser tatsächlich ernst gemeint. Denn das Europa der Union ist ein Europa der Banken und Großkonzerne. Sie geben die Rahmenbedingungen vor, unter denen die EU-Verantwortlichen dann Politik machen dürfen (ob sie dies nun wollen oder nicht). Über 15.000 Menschen sind in Brüssel einzig und allein damit beschäftigt, "Lobbyarbeit zu betreiben."(2) Eine der einflussreichsten Lobbies ist dabei der 1983 gegründete "European Roundtable of Industrialists" (ERT), dem 45 Vorstandsvorsitzende der größten europäischen Konzerne angehören, u.a. die von Bayer, BP, Shell DaimlerChrysler, Ericsson, Fiat, Nestlé, Nokia, Philips, Renault, Siemens oder der österreichischen OMV. Dieser Verband hat einen privilegierten Zugang zu den offiziellen EntscheidungsträgerInnen auf europäischer und nationaler Ebene und war beispielsweise maßgeblich an der Einführung der Währungsunion (Euro) oder dem Programm der "Osterweiterung" beteiligt.

Sozialabbau

Die EU ist heute aus mehreren Gründen offensichtlicher den je ein Werkzeug zur Umsetzung schrankenlos kapitalfreundlicher Politik. Erstens muss sich die EU v.a. gegenüber ihrem Hauptkonkurrenten, den USA profilieren. In den Vereinigten Staaten findet das Kapital wesentlich bessere Ausbeutungsbedingungen vor als in Europa, also z.B. niedrige Unternehmenssteuern, niedrige Sozialstandards wie Arbeitslosen- oder Pensionsversicherung, kaum Kündigungsschutz, weniger Gewerkschaftsmacht, längere Arbeitszeiten etc. Beispielsweise betrug die durchschnittliche kollektivvertraglich geregelte Arbeitszeit im Jahr 2002 in den USA 1904 Stunden, in der EU aber nur 1671 Stunden.(3) Um die Wettbewerbsvorteile der USA aufzuholen muss die EU diese, wie neoliberale ÖkonomInnen es nennen, "Strukturprobleme" aus der Welt schaffen.

Zweitens brauchen die EU-Staaten seit dem Fall des Stalinismus keine all zu große Rücksicht mehr auf die Bedürfnisse der eigenen ArbeiterInnenklassen(4) zu nehmen. Solange die Sowjetunion als "Systemalternative" existierte, so lange konnte der Kapitalismus in Westeuropa nicht seine ungeschminkte, zweifelsohne hässliche Fratze zeigen, musste den ArbeiterInnen zahlreiche Zugeständnisse machen und bescheidenen Wohlstand bieten. Nach dem der Stalinismus 1989-91 in den Staaten des Warschauerpakts zusammengebrochen war, mutierten diese zu neoliberalen Experimentierfeldern. Flat Tax (also einkommensunabhängige Steuern für alle, die somit nur den Reichen dienen) oder Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr – all das ist in der Slowakei oder Ungarn jetzt zu haben. Und diese, übrigens vom Unternehmer-Innenverband ERT vorgelegten "Strukturanpassungsprogramme" (Privatisierung, Deregulierung, Flexibilisierung und Sozialabbau) färbten natürlich auch auf Westeuropa ab, wo die ArbeiterInnen nun in einen absurden "Standortwettkampf" gezwungen werden.

Drittens ist die neoliberale Offensive der EU eine Reaktion auf die allgemeine Krise, in der sich die Weltwirtschaft im gegenwärtigen Stadium befindet. Diese Krise lässt sich anhand verschiedener Indikatoren ablesen: Das Wirtschaftswachstum im EU-Raum zeigt seit über drei Jahrzehnten einen deutlichen Abwärtstrend. Lagen die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Anfang der 70er Jahre noch zwischen 4 und 6%, so liegen sie in den letzten Jahren nur zwischen 0 und 3%.          

Offensive

Umgesetzt wird die Offensive des Kapitals zur Verbesserung der Ausbeutungsbedingungen und Sanierung der Profite mittels Programmen wie dem 1997 beschlossenen Stabilitäts- und Wachstumspakt oder dem 1991 fixierten Vertrag von Maastricht. Dieser legte die Bedingungen für die Errichtung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion fest, dessen greifbarstes Ergebnis der Euro ist. Der Maastrichter Vertrag ist im Wesentlichen ein Vertrag, der Sozialabbaumaßnahmen langfristig festschreibt. Denn laut "Maastricht-Kriterien" darf sich die jährliche Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten nicht auf mehr als 3% belaufen, was sich bei der Legitimierung von Sozialabbaumaßnahmen (Stichwort: "Nulldefizit") als äußerst praktisch erweist. Praktischerweise können nunmehr die nationalen Regierungen ihren Sozialabbau immer auf "Brüssel" schieben – ohne allerdings zu erwähnen, dass es ja ebenjene nationalen Regierungen bzw. deren wesensverwandte VorgängerInnen waren, die den Vertrag erst beschlossen hatten.

Expansion

Die Etablierung des Euro war ein wichtiger Schritt für das europäische Kapital im Wettstreit mit seinen imperialistischen Konterparts. Zum einen sollte der Euro dem Dollar Konkurrenz als weltweite Leitwährung machen. (Es hätte beispielsweise sehr positive Auswirkungen für die Ökonomie der EU, wenn ölproduzierende Länder ihre Ölexporte in Euro, anstatt in Dollar abwickelten). Zum anderen sollte der Euro den Binnenmarkt der EU intensivieren. Denn durch die gemeinsame Währung werden Wechselkursrisiken eliminiert und damit wird der Handel zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten erleichtert. Außerdem kann nun die Europäische Zentralbank (EZB) über Mittel der Geldpolitik (z.B. Zinssenkungen zur Ankurbelung der Investitionen) die EU-Wirtschaft zentral steuern.

Einen weiteren Sprung nach vorne stellte die "Osterweiterung" dar, mit der sich das europäische, allen voran das deutsche, Kapital einen stabilen Hinterhof schaffen will, in dem die USA und Russland nach Möglichkeit nichts zu suchen haben. Mit der Erweiterung der Union von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten vergrößerte sich der EU-Binnenmarkt auf ein Gebiet, in dem jetzt ca. 457 Mio. Menschen leben und in welches die westeuropäischen KapitalistInnen ihr überschüssiges Kapital investieren und ihre Waren exportieren können. Die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten ist dabei nur der Schlusspunkt eines knapp 15-jährigen Prozesses der Reintegration dieser Länder in die westeuropäische Abhängigkeit. Die Statistiken zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa (v.a. nach Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei) von 20 Mrd. Dollar im Jahr 1994 auf 197 Mrd. Dollar im Jahr 2003.(6)

Einstweilen sind acht Staaten aus diesem Raum Mitglieder der EU, kurzfristig werden Rumänien, Bulgarien und Kroatien hinzukommen, mittelfristig werden die Balkanstaaten Serbien/Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Albanien und Mazedonien aufgenommen werden. Langfristig wird es auch zu engeren Kooperationen mit Moldawien, Weißrussland, der Ukraine, der Türkei, den Staaten des Nahen Ostens sowie den, an die EU angrenzenden, Mittelmeerstaaten kommen. Allerdings werden die Aufnahmen neuer Mitglieder das Gesicht der EU verändern, weil sie die Entwicklung zu einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" beschleunigen werden. So wird sich das westeuropäische Kapital gut überlegen, welchen dieser Länder gestattet werden wird, Teil des Euro-Raums zu werden oder neben der "Freiheit des Kapitalverkehrs" auch die Freiheit der Arbeitsplatzsuche in der gesamten EU in Anspruch nehmen zu dürfen.

Die Satelliten Mittel- und Osteuropas spielen keine eigenständige Rolle – sie sind ökonomisch und dadurch auch politisch völlig von Westeuropa abhängig (obwohl sie teilweise militärisch noch eng mit den USA kooperieren). Trotzdem ist es längerfristig nicht ausgeschlossen, dass es gelingen könnte, den Lebensstandard in diesen Ländern an jenen in den westeuropäischen Staaten anzugleichen, so wie es auch schon im Fall von Portugal oder Griechenland gelungen ist. Bisher hat sich die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa jedenfalls nicht unbedingt positiv für die breiten Massen der Bevölkerung ausgewirkt. Denn nach dem Fall des Stalinismus kam es in diesen Ländern zu gigantischer Kapitalvernichtung (z.B. Betriebsschließungen), Privatisierungen und Massenentlassungen. Und im Blick auf eine Aufnahme in die EU und die damit verbundenen Restriktionen führten die ehemals stalinistischen Länder massive Sozialabbauprogramme durch.

Im vorerst einmal gescheiterten Projekt "EU-Verfassung" wird die "offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" übrigens gleich fünf mal erwähnt.(7) Freihandel – dass will die imperialistische EU jedoch nur innerhalb ihres Binnenmarkts und für die unterdrückten Länder der "dritten Welt", die ihre Märkte gefälligst öffnen sollen.

Diktiert wurden und werden diese Bedingungen mit den Abkommen von Lomé und Cotonou, welche die Europäische Gemeinschaft (EG) bzw. ihre Nachfolgerin, die EU, mit über 70 afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern (AKP-Staaten) abgeschlossen hat. Die EU-Staaten erhalten offene Märkte und günstige Investitionsbedingungen, für die AKP-Staaten sind jedoch Selbstbeschränkungs- und Schutzklauseln vorgesehen, falls EU-interne Märkte bedroht werden. Außerdem zementier(t)en die Lomé und Cotonou-Verträge die Rolle der "Dritte-Welt"-Staaten als industriell unterentwickelte Lieferanten für billige Rohstoffe und Halbfertigwaren. Auch gegenüber Importen der Konkurrenz aus den USA oder China (Billigtextilien) schützt sich die Union selbstredend mittels protektionistischer Maßnahmen wie Schutzzöllen oder Einfuhrquoten.

Nicht homogen

Die EU ist als Staatenbund, dominiert von imperialistischen Mächten mit gemeinsamen aber auch unterschiedlichen Interessen, natürlich kein homogener Verein. Als zentrale Achse innerhalb der Union fungiert das Zwillingsgestirn Deutschland – Frankreich. Als dritt- und sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt(8) und gegenseitig wichtigste Handelspartner führen diese beiden Staaten die EU an. Ein wenig abseits steht Großbritannien, welches zwar ebenfalls eine ökonomische Macht darstellt, jedoch in der Vergangenheit durch seine privilegierte Position im Commonwealth (Staatenbund von ehemaligen Ländern des British Empire) weniger auf eine tiefergehende europäischen Einigung orientiert war. Heute hängt das Land am Rockzipfel des US-Imperialismus und spielt daher eine widersprüchliche Rolle innerhalb der Union.

Zu Tage traten die Interessenkonflikte innerhalb der EU z.B. im Fall des Kriegs gegen den Irak, wo Großbritannien bekanntlich an der Seite der USA stand (und steht). Die ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg, die von zahlreichen KriegsgegnerInnen als "Pazifismus" gelobt wurde, war jedoch weniger der friedlichen Gesinnung von Schröder und Chirac geschuldet, sondern mehr den ökonomischen Interessen, welche die beiden Staatschefs zu vertreten hatten. Frankreich erfreute sich guter Beziehungen mit der Regierung Saddam Husseins, es war einer der Hauptwaffenlieferanten des Irak, französische Unternehmen, vor allem der Ölkonzern TotalFina-Elf, hatten große Geschäftsinteressen im Irak.

Militarismus

Denn friedlich ist die EU auf keinen Fall. Im Text zur EU-Verfassung ist die künftige Stoßrichtung relativ eindeutig vorgegeben. Danach hätten sich die Mitgliedsstaaten verpflichten müssen "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Artikel I-40). Eine Verpflichtung zur Aufrüstung (!), wie es sie in keiner anderen Verfassung gibt.

Aber auch ohne die Verfassung dürfen die europäischen Herrschenden munter rüsten und vielleicht auch bald ein paar Kriege führen. Der im Jahr 2004 vom europäischen Rat gefasste Beschluss zur Bildung sogenannter "battle groups" (zu deutsch: "Schlachtgruppen" – der Name spricht für sich …) deutet jedenfalls darauf hin. Diese insgesamt 13 Militärverbände bestehen aus jeweils 1500 SoldatInnen und sollen innerhalb von 10-15 Tagen für "Kriseninterventionen" – also für Kriege – einsatzbereit sein. Geplant ist, dass die Schlachtgruppen in einer Entfernung von maximal 6000 km bis zu vier Monate lang den Einsatz größerer Truppen vorbereiten. Damit wird auch der Radius der kriegerischen Tätigkeit der EU festgelegt. Österreich zeichnet sich übrigens gemeinsam mit Tschechien und unter deutscher Führung für den Aufbau einer dieser Schlachtgruppen verantwortlich.

Das deutsche und französische Kapital will im militärischen Bereich nicht mehr auf die USA angewiesen sein. Noch nicht vergessen ist die Blöße, die sich die EU geben musste, als der US-Imperialismus im Jahr 1999 vor der eigenen Haustüre in Jugoslawien intervenierte und die europäischen Eliten nur tatenlos zusehen konnten. Vor allem Deutschland und Frankreich drängen auf die Vereinheitlichung der europäischen Verteidigungspolitik (lies: Kriegspolitik) und vermeintliche Linke wie die österreichischen Grünen geben ihnen unter dem Deckmantel der Vereinheitlichung des "Friedensprojekts Europa" dabei die notwendige Flankendeckung.(9)

Und je konkreter diese Vereinheitlichung wird, desto näher rückt das Ende des Verfallsproduktes NATO – übrigens auch der Grund dafür, dass in den letzten Jahren die Debatte um einen etwaigen österreichischen Beitritt zur NATO verstummt ist. Nach dem Zusammenbruch des Stalinismus hatte es ein gewisses Zeitfenster für diesen Beitritt gegeben, doch nun orientieren die österreichischen Eliten – aus ihrer Sicht richtigerweise – auf die Forcierung der Westeuropäischen Union. Und während die Bevölkerung glaubt, dass Österreich neutral sei, läuft die Integration in die EU-Militärpolitik munter vor sich hin.

Verschleiert wird dieser Militarismus durch Begriffe wie "Friedenssicherung" oder "Terrorismusbekämpfung". Aber hier geht es weder um Frieden, noch geht es darum, die wahren Ursachen des "Terrorismus" zu bekämpfen. Es geht um die Erschließung und Sicherung von Märkten, Rohstoffgebieten und Einflusssphären und darum, jedweden, wie auch immer gearteten, Widerstand gegen das imperialistische Regime niederwerfen zu können.

Ideologie

Horden an PhilosophInnen, SchriftstellerInnen und KünstlerInnen werden herangekarrt, um die Entwicklung der ökonomisch-militärischen Weltmacht EU ideologisch zu flankieren. EU-Patriotismus ist das Gebot der Stunde (und macht auch nicht davor halt, in dümmlicher Manier die Worte EU und Europa gleichbedeutend zu verwenden). Anstelle des alten Nationalismus und in Abgrenzung zum "bösen Amerikanismus" tritt ein scheinbar viel fortschrittlicherer, aber in Wirklichkeit um nichts besserer "EU-Nationalismus". In den Köpfen vieler sich eher als "links" verstehender Menschen geistert noch immer die Idee herum, die EU wäre einerseits eine verteidigenswerte Alternative gegenüber der Supermacht USA und andererseits ein Fortschritt gegenüber den alten Nationalstaaten. Aber je mehr die nationalen Grenzen innerhalb der EU verschwinden, umso mehr schottet sich die Festung Europa nach Außen ab. Sichtbarer Ausdruck dessen ist das "Schengener Abkommen", das die Freizügigkeit der Bewegung innerhalb der EU regelt und gleichzeitig ihre Außengrenzen dicht macht. An diesen Grenzen werden Flüchtlinge, die verständlicherweise am bescheidenen Wohlstand der Massen in Europa teilhaben wollen, gnadenlos gejagt. Nach Schätzungen der deutschen Flüchtlingshilfe-Organisation "Pro Asyl" sind in den letzten 12 Jahren ungefähr 5000 Menschen an EU-Grenzen ums Leben gekommen, die meisten davon an der Meerenge zwischen Spanien und Marokko.(10)

Sozialabbau, Militarisierung, Unterdrückung und Flüchtlingshatz – das ist der wahre Charakter des EU-Imperialismus, und nicht das jämmerliche Gesäusel der EU-Offiziellen über "Frieden", "Menschenrechte" oder "Wohlstand für alle". Aber was können wir tun gegen die EU?

Die Forderung nach einem Austritt, die auch von einigen Linken (z.B. von der KPÖ) immer wieder zu vernehmen ist, ist jedenfalls nicht zu unterstützen. Abgesehen von dem zutiefst nationalbornierten Charakter dieses Appells ist der Gedanke an ein tatsächlich unabhängiges kapitalistisches Österreich eine naive Träumerei. Die österreichische Wirtschaft ist heute hochgradig und untrennbar mit der restlichen europäischen Wirtschaft verflochten. Wirtschaftspolitische Maßnahmen Brüssels hätten also auch in diesem Fall unmittelbare Auswirkungen auf Österreich. Und neoliberaler Sozialabbau wird – davon kann sich jedeR ohne viel Aufwand selbst überzeugen – auch in den mit Österreich vergleichbaren Nicht-EU-Ländern Norwegen und der Schweiz betrieben.

Und genauso wenig, wie wir vor der EU davonlaufen können, können wir dieses kapitalistische Ungetüm zu dem unsrigen machen (und wollen das auch gar nicht). Diese EU ist nicht reformierbar, sie war schon seit ihren Anfängen ein deklariertes Projekt der europäischen KapitalistInnen zur Verbesserung ihrer Verwertungsbedingungen, und ist dies heute mehr denn je. Wir brauchen ein grundlegend anderes, ein soziales, friedliches und demokratisches Europa in einer grundlegend anderen Welt! Doch diese Welt wird nicht vom Himmel fallen – für die müssen wir kämpfen. Der Kapitalismus kann heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, die Menschheit längst nicht mehr voran bringen. Im Gegenteil, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich zunehmend, und die Absurdität, Unmenschlichkeit und Krisenhaftigkeit dieses Systems zeigt sich an allen Ecken und Enden.

Die Verteilungsspielräume für die Herrschenden werden geringer, sie sind immer weniger bereit, Zugeständnisse zu machen. Wenn die ArbeiterInnen, Jugendlichen und PensionistInnen also ihr Stück vom Kuchen behalten wollen, werden sie gezwungen sein zu kämpfen. Noch sind die Streiks und sonstigen sozialen Auseinandersetzungen in Europa fast ausschließlich Abwehrkämpfe für den Erhalt hart erkämpfter Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung. Aber irgendwann werden auch Europas ArbeiterInnen wieder in die Offensive gehen. Und am Ende dieses Kampfes könnten die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa innerhalb einer sozialistischen Weltföderation stehen …

Fußnoten:

1) Spiegel Nr. 52, 1999
2) Die Welt, 11.03.05
3) WKÖ, Juni 2003
4) Als ArbeiterInnenklasse bezeichnen wir all jene Teile der Bevölkerung, die ihre Arbeitskraft verkaufen und keine Produktionsmittel (Firmen, Land, …) besitzen. In Österreich sind das über 70% der Bevölkerung.
6) Deutsche Bank Research, EU-Monitor, 24.06.05
7) Der Text der EU-Verfassung findet sich hier
8) 1.: USA, 2.: Japan, 4.: China, 5.: Großbritannien, Quelle: FAZ, 21.12.05
9) Mehr dazu in: "Grüne Krieger" zu finden unter www.sozialismus.at
10) www.proasyl.de